Es ist noch nicht lange her, da haben viele Menschen in Teilen des Alpenrands gegen den Ausflugsverkehr protestiert. Ortsdurchfahrten wurden blockiert, unschöne Worte sind gefallen, auf beiden Seiten. Das war vor etwa einem Jahr. Seitdem scheint sich nicht viel geändert zu haben. Der Wanderparkplatz im Bergsteigerdorf Sachrang am Fuße des Geigelsteins ist an diesem Samstagmorgen schon wieder ziemlich voll. Die Kennzeichen verraten, woher die Leute in den Chiemgau fahren: S, A, N, HN und natürlich auch M, für München. Besonders das M ist zum Symbol geworden im Konflikt zwischen Gästen und Gastgebern.
Besonders der Verkehr stört viele zwischen Berchtesgaden oder Oberstdorf. Wobei sich der ja nicht auf die Zielorte beschränkt, sondern auch die vorgelagerten Gemeinden betrifft, durch die die Blechlawine verlässlich an jedem sonnigen Wochenende rollt. Morgens hin, abends zurück.
Eines geht im Bus schonmal besser als im Auto: Leute kennenlernen
Die Proteste blieben aber auch nicht folgenlos. Seit Juni 2021 gibt es den Bergbus, ein Projekt der Sektionen München & Oberland. Der Bergbus soll eine öffentliche Anreise zu Zielen zu ermöglichen, die bislang noch nicht gut mit dem ÖPNV erreichbar sind. Vier Linien fahren von München aus in den Chiemgau, ins Rofan und ins Ammergau.
Der Bus in den Chiemgau startet Samstagmorgen um halb neun vom Münchner Ostbahnhof. Schon um acht stehen vereinzelt Leute mit Wander-Ambitionen vor dem Bahnhofsgebäude, leicht zu erkennen an ihren Alpin-Insignien: Bergstiefel, Rucksäcke, Wanderstöcke. Um halb neun biegt ein moderner, doppelstöckiger Bus um die Ecke, der Bahnhofsplatz hat sich unterdessen weiter gefüllt. Der Bergbus, das hat er mit anderen öffentlichen Verkehrsmitteln gemein, eignet sich gut zum Kennenlernen anderer Bergbegeisterter. Abfahrt. Mir gegenüber sitzt Annette Frank. Für sie ist der Bergbus eine wichtige Ergänzung zur Bahn. „Viele Touren kann man mit den Öffentlichen leider nicht anfahren und bei den meisten Tourenbeschreibungen sind Parkplätze als Ausgangspunkt angegeben“, sagt die Münchnerin, die selbst kein Auto besitzt. Mit dem Bergbus fährt sie heute nach Aschau, sie möchte auf die Kampenwand.
Sechs Tage pro Woche steht das Auto, am Wochenende geht's in die Berge
Mit an Bord ist auch Nadine Dietl-Augst. Sie ist Teamassistentin bei der Sektion Oberland. „In den ersten Fahrten hatten wir eine Auslastung von 30 bis 60 Prozent, was für eine so frühe Phase des Projekts echt gut ist“, sagt Dietl-Augst, denn: „Normalerweise brauchen Buslinien drei bis fünf Jahre, um sich zu etablieren.“ Heute hingegen ist der Bus ziemlich voll. Kein Wunder, es ist sonnig, nicht zu heiß und ohne große Gewittergefahr.
Neben Dietl-Augst sitzt Lea Fröhlich. Auch sie hat kein Auto: „Im Alltag komme ich gut ohne zurecht. Ich habe aber mehr als einmal überlegt, mir eines zu kaufen, damit ich an den Wochenenden in die Berge fahren kann.“ Diese Einstellung scheint nicht unüblich unter Menschen, die in großen Städten leben und arbeiten. Viele von denen, die ein Auto haben, parken es sechs Tage in der Woche vor der Wohnung, und am Wochenende geht’s damit ab in die Berge oder sonst wohin in die Natur.
Wanderrucksäcke auf Rückbänken, Mountainbikes auf Radträgern
Vor einem ist auch der Bergbus nicht gefeit: Stau. Mehrmals geht es nur zähflüssig voran. Man kann sich darüber ärgern, oder die Gelegenheit nutzen, einen Blick in die Autos werfen, die sich auf der dreispurigen Autobahn verteilen: Wanderrucksäcke auf Rückbänken, Mountainbikes auf Radträgern. Der Bergbus bedient keine Nische.
Momentan verhandeln die Sektionen mit der Stadt München und den Zielgemeinden. 2022, spätestens 2023 soll der Bergbus an einen anderen Träger übergeben werden. In der aktuellen Testphase werden deshalb auch Daten und Zahlen gesammelt, die für einen späteren Regelbetrieb wichtig sind. Denn letztendlich ist es auch eine Frage, wie sich das Angebot finanzieren lässt.
Die Münchner*innen sind Langschläfer – der Bus fährt jetzt später
„Wir haben viel über das Buswesen gelernt“, sagt Dietl-Augst. Schließlich gehört es nicht zum Alltag einer DAV-Sektion, eine Buslinie zu gründen. Immer wieder wurde und wird deshalb auch angepasst. Anfangs ist der Bus in den Chiemgau um sieben Uhr in München abgefahren, aber das war vielen zu früh. Heute geht’s um halb neun los, für die meisten Touren hat man trotzdem genug Zeit.
Wer sich bei Abfahrt noch nicht entschieden hat, wo genau es hingehen soll, hat auf der Fahrt noch Gelegenheit, sich ein passendes Ziel herauszusuchen. Bei der Buchung muss man keine Haltestellen angeben. Man bucht die Fahrt, ein- und aussteigen kann man, wo man möchte, ohne dass es dadurch teurer oder günstiger würde.
Volle Wanderparkplätze am Anfang und Ende der Tour
Meine Tour geht von Sachrang aus über den Geigelstein nach Schleching, ebenfalls ein Bergsteigerdorf. Überschreitungen wie diese sind mit öffentlicher An- und Abreise einfacher zu machen, als wenn man mit dem Auto kommt. Schließlich muss man nicht zwingend wieder zum Parkplatz, sondern kann an jeder beliebigen Haltestelle einsteigen. Trotz solcher Vorteile ist auch der Wanderparkplatz in Ettenhausen, einem Ortsteil von Schleching, gut belegt. In Schleching steige ich wieder in den Bus, der mit jedem Halt voller wird. Auf dem Weg zurück nach München werden aus redenden Fahrgästen zunehmend dösende Fahrgäste. Der Bergtag fordert seinen Tribut.
Neben Lob gibt es auch Kritik
Bei aller positiver Rückmeldung gibt es aber auch Kritik. Ob man denn ausgerechnet in so überlaufene Regionen, noch mehr Leute bringen müsse? Ob ein zusätzliches Angebot nicht auch eine zusätzliche Nachfrage schaffe. Das sind Einwände, die ernst genommen werden müssen, soll sich das Verhältnis zwischen Gästen und Gastgeber*innen wieder normalisieren.
Das Verhältnis normalisieren, auch dafür ist der Bergbus angetreten. Dietl-Augst: „Als Sektion haben wir nicht nur einen Lenkungsanspruch, sondern auch einen Umweltanspruch, mit dem Bergbus wollen wir beidem gerecht werden." Wer die vollen Wanderparkplätze in Sachrang und Schleching betrachtet, weiß, dass der Bergbus erst ein Anfang sein kann.
Buchtipp: Flora des Chiemgaus – Orchideen
Der Geigelstein wird nicht umsonst auch Blumenberg genannt. Über 700 verschiedene Farn- und Blütenpflanzenarten sind hier heimisch. Stefan Kattari, Naturschutzreferent der Sektion Achental, hat dem Thema ein eigenes Buch gewidmet. "Flora des Chiemgaus – Orchideen" ist beim Verlag "Blauer Birnbaum" erschienen. Auf hundert Seiten beschreibt Kattari die reiche Flora des Chiemgaus, besonders die heimischen Orchideen. Mehr Infos: chiemgau-flora.de