„Es ist immer wieder eine Freude, mit den Jungs unterwegs zu sein“, der sonst eher zurückhaltende Kader-Cheftrainer Sebi Brutscher kann auch mal euphorisch werden, „sie arbeiten super harmonisch als Team zusammen, jeder trägt mit seinen individuellen Stärken und Schwächen seinen Teil zum Gelingen bei. Nicht nur auf Tour, sondern auch danach beim gemeinsamen Kochen – das ist ein tolles Miteinander und eine vertrauensvolle Basis.“
Fünf Termine strukturierten den Herbst und Winter des Expedkader-Männerteams 2025, ergänzt durch etliche gemeinsame Privat-Unternehmungen. Dabei entstanden neue Kontakte, es wuchs gegenseitiges Vertrauen und es kam einiges rüber, wie man im komplexen Gelände gut unterwegs sein kann.
Der offizielle Ausbildungsturnus begann im Oktober mit der traditionellen Leistungsdiagnostik bei Dr. Volker Schöffl in Bamberg, die jedes Team der letzten Jahre absolviert hat. Durch Ausbelastung mit Laktatmessung auf dem Fahrrad-Ergometer und einen allgemeinen medizinischen Check soll sichergestellt werden, dass nicht irgendwelche versteckten Gesundheitsprobleme irgendwann Probleme bereiten können.
Gleich darauf ging es zum ebenfalls etablierten DAV-Treffen Leistungsbergsteigen im Frankenjura, bei dem die aktuellen Kaderathleten, Leute aus früheren Jahrgängen und andere ambitionierte Bergsportler*innen aus dem DAV-Umfeld zusammenkommen, gemeinsam klettern, Infos austauschen und Freundschaften knüpfen oder vertiefen. Ein sehr wertvolles Event für die Netzwerkbildung, bei dem sich wieder einmal zeigte, dass die „alpine Szene“ doch eine recht überschaubare Familie bildet: „Die meisten kennen sich eh irgendwie“, erzählt Sebi Brutscher.
Weihnachtsgeschenk: Schneechaos
Im Dezember ging es für vier Tage ins Allgäu. Das Schneekatastrophen-Wochenende verhinderte leider die Anfahrt der Eltern von zwei Mitgliedern zur gemeinsamen Weihnachtsfeier; die anderen aber genossen das Zusammentreffen und den ungezwungenen Austausch mit anderen Eltern, Athleten und dem Trainer.
„Dabei haben wir uns darüber unterhalten, dass es beim Expedkader nicht um maximale Leistung geht, sondern um eine gute Ausbildung, damit man im anspruchsvollen Gelände souverän und sicher unterwegs sein kann“, berichtet Sebi, „die meisten Eltern sind selbst sportlich und haben viel Verständnis für die bergsteigerischen Ambitionen ihrer Kinder.“
Für die Jungs wurde es danach ernst mit dem Lernen. In der Starzlachklamm konnten sie bei guter Sicherung ausprobieren, wie sich ihr hohes Felsniveau ins Eis- und Mixedgelände übertragen lässt; Klettern mit Eisgeräten und Steigeisen ist halt doch ein bisschen anders als mit Chalk und Reibungsschuhen. Der zweite Tag setzte dann noch eins drauf: In den Mixedrouten neben dem klassischen Gaisalpfall ließen sich die neuen Erfahrungen ins Mehrseillängen-Gelände übertragen.
Den letzten Tag verbrachte das Team beim Sponsor Edelrid. Nach dem Kennenlernen, Abklären gegenseitiger Erwartungen und einer Werksführung konnte für einige Stunden der Sicherungs- und Fallturm zum Experimentieren genutzt werden – wobei schon auch das ein oder andere Seil zerrissen wurde… „Spannend war für viele, zu merken, dass man bei Halbseiltechnik mit neuen, dünnen Seilen kaum eine Chance hat, einen größeren Sturz zu halten“, erinnert sich Sebi, „dabei wurde klar, dass auch hier das eigene Material-Setup passen und ein Gefühl für die Kraftentwicklung eines Sturzes entstehen muss.“
Lawinen: Komplexer als Schafkopfen
Bei der nächsten Trainingseinheit war der Cheftrainer nicht dabei; den Lawinenlehrgang im Kühtai leitete der Bergführer- und Skilehrerausbilder Andi Thomann alleine. Dass jeder Abend auf der Hütte nach den notwendigen Theorie- und Planungseinheiten mit einer Schafkopf-Session endete, zeigt das Durchhaltevermögen der Gruppe.
Lawinen allerdings sind weniger einfach zu durchschauen als 36 Spielkarten – wie man trotzdem zu guten Entscheidungen kommt, und was man tun kann, wenn man sich doch mal geirrt hat, dafür vermittelte der Trainer Andi in den fünf Tagen eher eine ganze Werkstatt als nur einen Werkzeugkoffer.
Notfallmaßnahmen machten den Einstieg – denn nicht nur man selber ist nicht gefeit vor Fehlern, auch anderen möchte man im Ernstfall helfen können. Der Vergleich verschiedener LVS-Geräte, das Orten von Personen bei Einfach- und Mehrfachverschüttungen sowie das Sondieren und rasante Ausgraben zeigten, dass man Chancen hat, Lawinenverschüttete zu retten, wenn man gut trainiert ist – dass es aber trotzdem viel besser ist, eine Lawinenauslösung zu vermeiden.
Diesem Ziel dienten die folgenden vier Tage. Abends gab’s Theorie – Lawinenarten, Schneeumwandlung, Bruchmechanik, … – auf Tour kam die praktische Anwendung mit Schneeuntersuchungen und Entscheidungssituationen. Mit Schneeprofilen und lokalen Tests wie dem Compression Test (CT) und dem Extended Column Test (ECT) sammelten die Jungs Informationen und entwickelten am Abend daraus einen eigenen Lagebericht. Der wurde mit dem offiziellen Tiroler LLB verglichen und lieferte zusammen mit weiteren lokalen Tests und der GKMR-Methode den Hintergrund für Einzelhangentscheidungen – die je nach Gelände mal positiv ausfielen für eine starke Powder-Abfahrt, aber auch mal negativ. Josef Vögele berichtet von der Beurteilung einer fraglichen Steilstufe: „Das Risiko war für uns in der Gruppe zu hoch und so wählten wir eine sicherere Abfahrtsvariante.“
Zuletzt nahm sicher jeder einige Merksätze mit in sein weiteres Alpinistenleben: Die Lawine weiß nicht, ob du ein Experte bist. Und bis zum Experten ist es ein weiter Weg. Aber (nur) wer umdreht, kann wiederkommen.
Eisklettern: Mit Respekt hoch hinaus
Beim letzten Camp, vom 8.-15. Februar, mit Stützpunkt in Lienz, war der Cheftrainer Sebi Brutscher wieder dabei, unterstützt von Matthias „Motz“ Wurzer, der auch das Junge-Alpinisten-Team des ÖAV ausbildet; außerdem stießen zwei hochmotivierte Kollegen aus dem Perspektivkader dazu.
Das Eis- und Mixedklettern hatte Sebi von Anfang an als die Disziplin geortet, in der das Team das größte Entwicklungspotenzial hatte. Doch die warmen Temperaturen ließen das Team zweifeln – wie es Josef Vögele ausdrückt: „Badehose oder doch Eiskletterzeug mitnehmen?“ Aber trotz Plusgraden und leichtem Nieselregen zündete das Feuer sofort, als die Jungs unter den Mixedlinien standen, die Motz für sie im Val Cristallino ausgespäht hatte. Josef berichtet: „ Einige mögliche Routen wurden direkt im Kopf gezeichnet und geplant … kurze Zeit später hingen wir dann auch schon an diversen Zapfen, Säulen, Peckern und Schlaghaken.“ In zwei Tagen Arbeit entstanden sechs neue Touren mit klassischer Absicherung, die breites Grinsen auf die Gesichter zauberten, trotz vielsagender Routennamen wie: Seepferdchen“ (M3/WI3+), „Freischwimmer“ (M6+/WI5), „Wasserrutsche“ (M4/WI5), „Bademeister“ (M7), „Seeräuber“ (M7) und „Walross“ (M6).
Anschließend hieß es „Meter machen“, wie Sebi als Devise ausgegeben hatte. Das gelang in den vielen Eisklettergebieten Osttirols und der Dolomiten (Rosslahne, Val Travenanzes) besser als anfangs befürchtet. Sebi wäre aber kein guter Coach, wenn er nicht noch Optimierungsmöglichkeiten sehen würde: „Die Jungs klettern stark, aber taktisch ist noch einiges rauszuholen: Wo hab ich Rastpunkte und Sicherungsmöglichkeiten im Eisfall, wo mach ich Stand, wo setze ich noch eine Zwischensicherung mehr vor einer heiklen Stelle, wie entschärfe ich Seilzug – und zum professionellen Verhalten gehört auch, dass die Hauen scharf geschliffen sind…“
Wie geht's weiter?
Wenn Sebi sagt „Schneller müssen sie auch noch werden“ meint er damit nicht etwa Hektik beim Gehen und Klettern oder Hudelei beim Sichern, sondern dass die „Abläufe noch besser automatisiert werden“. Denn der Satz „Schnelligkeit ist Sicherheit“ gilt nur, wenn sie sich aus Perfektion und Präzision der notwendigen Sicherungsmaßnahmen ergibt. Diese Handgriffe einzuschleifen, Situationen schnell zu analysieren und das Notwendige zu tun – dies zu üben, haben die Jungs im weiteren Lauf des Jahres noch viele Möglichkeiten.
Zuerst wird es im Mai für einige Tage in den Granit gehen, um technisches Klettern und Bigwalltaktiken zu trainieren. Das Val di Mello oder das Valle dell’Orco stehen dafür auf der Optionenliste. Im Sommer und im Herbst werden weitere Trainingscamps stattfinden, im Sommer wahrscheinlich mit Schwerpunkt auf klassischem, großzügigem Alpinismus, im Herbst eher mit Tradklettern am Fels. Idealerweise soll dieser Termin gemeinsam mit dem bis dahin neu gebildeten Frauenteam stattfinden, vielleicht auch mit Teams anderer Vereine (ÖAV, Naturfreunde) – deshalb ist die Planung hier noch nicht fix. Eine Erweiterung und Vertiefung des internationalen Netzwerks für Alpinismusförderung wäre jedenfalls eine tolle Sache.
Nebenher werden die Jungs wohl immer wieder über die 2025 anstehende Abschlussexpedition diskutieren. Die Tendenz geht dahin, auch dafür ein eher klassisch alpin geprägtes Ziel zu wählen, bei dem durchaus harte Felspassagen mit typisch „alpinem“ Gelände in Eis und Schnee kombiniert sind. Denn auch beim abschließenden Höhepunkt ihrer Kaderzeit wollen die jungen Männer noch dazulernen. Wie gesagt: Es geht ums Wachsen und Entwickeln, nicht um Höchstleistung…
Der DAV-Expedkader wird unterstützt von Mountain Equipment, Edelrid und Katadyn. Herzlichen Dank für die langjährigen Partnerschaften!