Frau klettert an Fels in Mittelgebirge, andere Frau sichert
Wie weit sind wir mit der Gleichberechtigung am Berg – und am Fels? Foto: DAV/Julian Rohn
Inspire inclusion

Braucht der Bergsport den Weltfrauentag?

Am 8. März ist es wieder so weit – es ist der internationale Frauentag. Ins Leben gerufen 1911 von den deutschen Sozialistinnen Clara Zetkin und Käte Duncker, stand er früher vor allem für die Forderung nach einem Frauenwahlrecht. Das hat sich zum Glück geändert – heute geht es vor allem um Fragen nach Gleichberechtigung im Job, der Gesellschaft und der Care-Arbeit (also Haus-, Pflege- und Erziehungsarbeit).

Sollten wir den Frauentag auch unter Bergsteiger*innen feiern?

Die kurze Antwort: ja.

Über die Autorin

Lena Güldner hat in München Philosophie studiert. Wenn sie nicht beim Klettern oder auf Skitour ist, denkt sie gerne über philosophische Hintergründe des Bergsports nach. Ihre Überlegungen bringt sie ab der kommenden Ausgabe (2/2024 erscheint am 19. März) regelmäßig in der Panorama-Kolumne "Darf ich das?" zu Papier.

Die lange Antwort: 

Liest oder hört man Interviews mit Spitzenalpinistinnen, in denen sie zu ihrer Erfahrung als Frauen in einer „Männerdomäne“ gefragt werden, ergibt sich oft ein ähnliches Bild. Ob Lynn Hill, Daniela Jasper oder Ines Papert: Alle können von Erfahrungen berichten, in denen sie aufgrund ihres Geschlechts anders behandelt wurden als ihre männlichen Kollegen.

Man muss jedoch nicht unbedingt im Spitzensport suchen, um auf Diskriminierung von Frauen im Bergsport zu stoßen. Eine nicht-repräsentative Umfrage im eigenen Bekanntenkreis reicht aus, um deutlich zu machen, dass fast jede der Frauen dort schon mit Sexismus im Bergsport konfrontiert war. Mal ist es die in Sorge gekleidete Frage „was ihr zwei Mädls eigentlich alleine am Gletscher zu suchen habt“, ein anderes Mal die ungebetene Beta beim Bouldern von einem Mann, der zwei Grade unter dem eigenen Niveau klettert. Dazu die unausweichlichen und unangebrachten Bemerkungen, wenn man sich das Shirt aus- oder wieder anzieht sowie die sexualisierenden Kommentare zu bestimmten Körperteilen.

Hier muss natürlich gesagt werden, dass sich in den letzten Jahren schon viel getan hat – und dass es viele Männer im Bergsport gibt, die aktiv für Gleichberechtigung und gegen Sexismus einstehen. Aber auch diese, genauso wie viele Frauen selbst, reproduzieren oft unbewusst geschlechterspezifische Stereotypen, die zur Diskriminierung von Frauen beitragen.

Wenn also viele Frauen im alpinen Umfeld sexistische Erfahrungen machen – ist es dann nicht allerhöchste Eisenbahn, daran etwas zu ändern?

Das Schwierige an sexistischen Verhaltensweisen im Bergsport ist, dass sie meist von den einzelnen Personen weder böse gemeint sind, noch als sexistisch wahrgenommen werden. Viele Männer empfinden ihr Verhalten als normal, als Flirtversuch, Kompliment, als Hilfe oder Scherz. Die Muster, nach denen sie ihr Handeln ausrichten, sind oft gesellschaftlich erlernt und werden nicht mit der Intention eingesetzt, Frauen aufgrund ihres Geschlechts systematisch herabzustellen. Dass ihr Verhalten trotzdem diesen Nebeneffekt haben kann, wird dabei oft nicht wahrgenommen. Das kann dann dazu führen, dass sich beide Seiten chronisch missverstanden fühlen: der Mann, der aus seiner Sicht nichts falsch gemacht hat, fühlt sich abgestraft von der Frau, die auf einen Kommentar scheinbar übersensibel und zickig reagiert. Die Frau hingegen fühlt sich aktiv und mutwillig angegriffen und in ihrer Würde als Mensch herabgesetzt.

Seltenes Bild: Frau erklärt Mann das Bergpanorama. Foto: DAV/Julian Rohn

Hier zeigt sich ein wesentliches Merkmal von Sexismus, nämlich dass er „im Kern eine Frage der Deutung und Auslegung von Worten, Taten, Gesten und Bildern ist – und damit Kommunikation“, wie es das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in einer Studie über „Sexismus im Alltag“ beschreibt. Das bedeutet, dass wir besonders sensibel dafür sein müssen, wie das Gesagte oder Getane bei der anderen Seite ankommt. Dafür kann es manchmal schon ausreichen, sich zu überlegen, wie wir die Situation andersrum empfinden würden. Dass das aber nicht immer einfach ist, ist auch klar: schließlich befinden sich Männer und Frauen in einer sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Lage. Wenn Frauen zum Beispiel über Jahre hinweg immer wieder auf ihren Körper reduziert werden, dann fügt sich ein einzelner Kommentar in ein Gesamtbild ein und erlangt dadurch mehr Gewicht.

Bei Sexismus geht es also nicht nur um die einzelne Handlung, sondern darum, wie sich diese in die systematische Ungleichheit der Machtpositionen der Geschlechter in unserer Gesellschaft einfügt.

Dieses Gesamtbild nachzuvollziehen, ist Arbeit für Männer – aber nicht unmöglich. Es lohnt sich in diesem Fall, mal nachzufragen (und dann auch zuzuhören): Wie hat die andere Seite die Interaktion empfunden? Dann können wir auch gemeinsam herausarbeiten, bei welchen Kommentaren und Handlungen sexistische Annahmen unbewusst im Hintergrund mitliefen, und wo es vielleicht mal wirklich einfach nur ein Missverständnis gab. (Nur um es an dieser Stelle nochmal deutlich zu machen: sexualisierte Gewalt mit Körperkontakt ist kein Missverständnis. Consent is essential.)

Der internationale Frauentag heute könnte die perfekte Gelegenheit sein, sich mit Partner*in oder im ganzen Freundeskreis über das Thema „Gleichberechtigung am Berg“ zu unterhalten. Wer Gleichberechtigung im Bergsport ernst nehmen möchte, muss nicht notwendigerweise auf Frauendemos gehen oder Equality-Workshops besuchen (auch wenn das natürlich auch nie schadet). Manchmal hilft schon reden – vielleicht fallen uns dabei auch noch jede Menge andere Vorurteile und Stereotype auf, die implizit oder explizit mitlaufen, zum Beispiel gegenüber „Preißen“ oder anderen Gruppen, denen der Bergsport nicht leicht gemacht wird. Nicht umsonst steht der diesjährige Weltfrauentag unter dem Motto „inspire inclusion“.

Prävention sexualisierter Gewalt

Die Ansprechstelle "Safe Sport" bietet anonym Hilfe, telefonisch unter der 0800 11 222 00 oder online hier. Außerdem könnt ihr euch als Betroffene oder Beobachtende sexualisierter Gewalt auch in Berlin vor Ort beraten lassen. Termine unter: 030-220138710 oder: beratung@ansprechstelle-safe-sport.de.

Auch im DAV ist das Thema Prävention sexualisierter Gewalt seit 2009 fester Ausbildungsinhalt der Grundausbildung für Jugend- und Familiengruppenleiter*innen. Eine Fallberatungs-/Arbeitsgruppe beschäftigt sich regelmäßig mit Fragen rund um das Thema und steht bei Fragen zur Verfügung. Alle Infos und Kontakte der Ansprechpersonen findest du hier.

Themen dieses Artikels