Verschneite Grate klettern, Eiswände durchsteigen, gefrorene Wasserfälle hinaufpickeln – und bei Zu- und Abstieg die Lawinengefahr im Blick haben: Bergsteigen im Winter hat viele Facetten und ist noch komplexer als im Sommer. Aber wer auf große alpine Gipfel und erst recht auf hohe Berge der Welt steigen will, womöglich auf anspruchsvollen Routen, wird unausweichlich damit konfrontiert. Entsprechend gut sortiert und einsatzbereit muss der innere Werkzeugkoffer sein – Bewegungs- und Sicherungstechnik, Hintergrundwissen und Taktik –, mit dem man dem Gelände begegnet. Für das Männerteam war die Saison 2024/25 schon der zweite gemeinsame Winter, für die Frauen der erste; entsprechend waren die Themen der Trainingscamps gewählt.
Über Anraum und Gras
Für die Jungs begann die Wintersaison Ende November am Tonalepass mit dem Lehrgang Winterbergsteigen. Ein Meter Neuschnee hatte den Wechsel von der geplanten Dauphiné in die Adamello-Presanella-Region nötig gemacht. Am Monticello Superiore (2598 m) fanden sie mit einer Mischung aus „rime ice“ (Anraum) und „frozen turf“ (gefrorenes Gras) ein „Ambiente wie in Schottland“ vor und konnten trotz „ordentlich kalter Finger“ in den ersten zwei Tagen sechs verschiedene Mixedrouten um 200 Meter Länge mit Schwierigkeiten zwischen M4+ und M6+ klettern. Ein Schlechtwettertag wurde mit Sportklettern in Cavedago verbracht, wo die nächsten Ziele geplant wurden. Diese fanden sich in der Nordwand des Monte Nero, eines Nachbargipfels der Presanella. Nach drei Stunden Zustieg „mit ordentlich beladenen Rucksäcken“ war der Winterraum des Rifugio Segantini erreicht, wo dank weiterer anwesender Kletterer die Raumverhältnisse markant beengt waren, das Packen zu einer Aufgabe wurde und der Schlaf nicht ganz optimal war. Dennoch gelangen am Monte Nero die Routen „Clean Climb“ (480 m, M4+), „Wind of Change“ (540 m, M6+ WI 5) und „Rolling Stones“ (600 m, M6, WI 4+) – „beste Bedingungen mit ordentlich gefrorenem Schnee und schönen Eislängen sorgen für breit grinsende Gesichter“, berichtet Josef Vögele. In der zweiten Nacht hatten die Jungs den Winterraum für sich allein und konnten besser ausgeruht und mit den Infos vom ersten Tag die Touren durchtauschen. So ging die zweite Runde schneller und es gab sogar etwas Sonnengenuss beim Winterraum, bevor der lange Rückmarsch zu Dusche und Pizzeria begann. Danach wurde das Wetter zu unbeständig für große Touren, so dass die letzten drei Tage mit einer Mischung aus Mixedklettern am Passo Tonale und Sportklettern verbracht wurden. Unterm Strich konnte der Trainer Sebi Brutscher eine deutliche Verbesserung des Umgangs mit dem notorischen „alpinen Gelände“ feststellen. Dies wurde sogar in Fernsehsendungen im BR und auf Arte dokumentiert.
Wissen und Skills gegen den Notfall
Die Mädels starteten den Winter mit einem Training zu Bergrettung und Erster Hilfe. Denn auch wenn man natürlich versucht, durch Können und gute Vorbereitung und Planung Unfälle zu vermeiden, ist nobody perfect und eine gut gefüllte Ideenbox zur Reaktion auf Unvorhergesehenes kann überlebensnotwendig werden, wenn doch mal etwas schief läuft – ganz besonders wenn das in abgelegenen Bergregionen der Welt geschieht, wo nicht auf Handy-Anruf sofort die Bergwacht mit dem Heli kommt. Da sich im Team eine Bergwachtlerin und eine Ärztin befinden, konnten die Inhalte gemeinschaftlich erarbeitet und geübt werden. Ähnlich wichtig sind Wissen und Taktik zu Lawinen, der ganz großen Gefahr des winterlichen Gebirges. Dafür trafen sich die Kaderfrauen im Januar auf der Schwarzwasserhütte mit Flo Hellberg, Berg- und Skiführer und ehemaliger Mitarbeiter der DAV-Sicherheitsforschung. Die recht geringe Schneelage ermöglichte zwar nicht gerade Grenzerfahrungen im Umgang mit lawinenträchtigen Situationen, dennoch konnten die Mädels von Flo viel mitnehmen zur Entstehung von Lawinen, zur Einschätzung der aktuellen Gefahrensituation und zur Entscheidungsfindung auf Tour – sowie zum Notfallmanagement, von Verschüttetensuche bis Ausgraben, falls man (nobody’s perfect) doch eine Lawine auslösen sollte.
Dolomiten-Eis gerockt
Im Februar stand für beide Teams Steileisklettern auf dem Programm – für die Mädels war es das erste Training, für die Jungs das zweite. Und beinahe hätten sie sich treffen können: denn die spezielle (magere) Eissituation dieses Winters trieb beide Gruppen auf die Alpensüdseite. Das Frauenteam startete im Angerer-Eisklettergarten im Raintal mit dem Ziel, viele Meter im Steileis zu machen und verschiedene Settings der Ausrüstung zu testen: Wann taugt der Monozacken am Steigeisen besser, wann hat man lieber Doppelzacken oder einen langen und einen kurzen; welches Eisgerät ist am angenehmsten und wann schätzt man Zusatzgewichte? So optimiert, ging es in die echten Berge: Anna Gomeringer, Vera Bakker, Fenja Köchl und Kathi Huber stiegen mit der Trainerin Raphaela Haug die Gulliroute „Wer suchet der findet“ am Grödnerjoch, Raphaela urteilt „Die Mädels haben das voll stark gemacht“. Steffi Feistl und Kristin Hinkelmann wollten mit Dörte Pietron die „Via Hruschka“ (150 HM, WI 5, M5, erstbegangen allerdings von Germano Kostner) am Torre Colfosco machen, die diesen Winter geradezu einen Hype von Begehungen erlebt hatte. Leider hatten auch sie eine andere Seilschaft vor sich, die Eisschlag erwarten ließ. Als Ausweichtour wählten sie die Hexenstein-Südkante, eine beliebte Kletterei im vierten Grad – voll verschneit, ließ auch sie Wintergefühle aufkommen, selbst ohne Eisgeräte. Tags drauf gingen Kristin und Steffi mit Raphaela nochmal zur „Hruschka/Kostner“ – doch Aufbruch um 5.30 Uhr war noch zu spät, denn wieder war eine Seilschaft vornedran. Da diese allerdings schnell vorwärts kam, hatten die drei anschließend freie Bahn und genossen gutes Eis und einen exquisiten engen Kamin. Die anderen nutzten die guten Verhältnisse im Travenanzestal für die Ultraklassiker „Sogno Canadese“ (130 HM, 5) mit Direktvariante und „Pilone Centrale“ plus „Supermario“-Säule (120+40 HM, 5). Am dritten Tag stiegen im Pragsertal fast alle den Mixedklassiker „Guasborscht“ (110 HM, 5, M6) und ein paar steile Längen im Rosslahn-Eisklettergarten. Der letzte Tag klang mit zwei schönen Linien bei der Pederühütte aus.
„Die Mädels rocken das voll, senden schwere Linien, es ist sehr cool, wie die abgehen! Obwohl es erst unser erstes Jahr ist, funktionieren sie als Team sehr gut, organisieren sich toll und kümmern sich um alles. So hatten wir eine super gelungene Woche.“
Das Männerteam war leider durch die aktuelle Grippewelle stark reduziert. Nur Jonas Fertig und Josi Vögele konnten nach Sass Dlacia anfahren, wo auch für sie der erste Tag dem Einklettern im gut besuchten Eisklettergarten diente. Am nächsten Tag stand dann auch bei ihnen der „Guasborscht“ auf dem Programm und es fand sich tatsächlich ein freies Plätzchen zwischen anderen Touren-Aspiranten. Leider wurde Jonas auch von der Grippe eingeholt und musste aussteigen; dafür konnte Flori Frank nachkommen. In dieser neuen Kombination ging es dann ins Val Travenanzes, wo sich die Jungs ebenfalls für den „Pilone Centrale“ plus „Supermario“ entschieden – „die uns Einiges abverlangte“, wie Flori schreibt. Am nächsten Tag zog es auch sie zur „Hruschka/Kostner“, die sie mit durchgehend gutem Eis erwartete; im Kamin „musste der Bauch eingezogen und die Luft angehalten werden, um nicht stecken zu bleiben“, erinnert sich Flori. Bei der Rückfahrt über den Brenner gab es noch einen Zwischenstopp an den dortigen Eisfällen, die direkt über der Autobahn nicht gerade einsames Naturerlebnis brachten, aber steile Kletterei in den Routen „Poseidon“ (90 m, 5) und der steilen Säule „Amphitrite“ (20 m, 6). „Ein gelungener Lehrgang, bei dem wir neben den ganzen hilfreichen Tipps von Sebi auch wertvolle Erfahrung für unsere Expedition sammeln konnten“, ist das Fazit von Flori. Für die Abschlussexpedition kristallisiert sich mittlerweile schon eine Perspektive heraus: Voraussichtlich wird es die Jungs in eine wenig besuchte Region in Westnepal ziehen, wo etliche Fünf- und Sechstausender zum klassischen Bergsteigen einladen. Vorher stehen im Mai und im Juni/Juli noch zwei Trainingscamps an, bei denen die dafür nötigen Skills fokussiert werden sollen