Das Bild zeigt Robert Jasper beim Klettern am Fels.
Robert Jasper in seinem Element. Foto: Robert Jasper
Interview mit Robert Jasper

„Erst die Möglichkeit des Scheiterns macht das Abenteuer.“

Für sein traditionelles Bigwallcamp bekam das Expedkader-Männerteam kürzlich Besuch von zwei erfahrenen Ausbildern: Robert Jasper und Jörn Heller.

Die beiden brachten den Jungs die Finessen von technischem Klettern bis Portaledgebiwak bei. Die Eindrücke des Teams ergänzt Robert Jasper hier im Interview.

Erfahrener Alpinist und Erstbegeher: Robert Jasper in Grönland. Foto: Robert Jasper
Deutscher Alpenverein. DAV

Robert, als Alpinismus-Urgestein nochmal als Ausbilder für die ganz junge Garde anzutreten – wie hat sich das angefühlt?

Robert Jasper. Robert Jasper

Es hat mir wahnsinnig Spaß gemacht, meine gesammelten Erfahrungen weiterzugeben. Und mit den Jungs über Themen zu reden, die man sonst in dem Alter noch nicht so auf dem Schirm hat.

Ich war ja 1995 mit dem DAV unterwegs, bei der Leistungsexpedition zum Nuptse, hab danach aber hauptsächlich mein eigenes Ding gemacht. So vor 20 Jahren hat man mich mal gefragt, ob ich den Expedkader leiten wollte. Da war ich aber selber noch relativ jung und hatte Bedenken, vielleicht zu stark antreibend, zu wenig bremsend zu wirken. Ob ich als recht bekannter Profi mit vielen Solos und wilden Expeditionen das richtige Vorbild gewesen wäre, bezweifle ich.

Jetzt hab ich den Jungs am Anfang gesagt: Ihr seid super, müsst nichts beweisen, nur dass ihr sicher und verantwortungsvoll miteinander umge

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Wie war die Stimmung im Team?

Robert Jasper Robert Jasper

Das Sechser-Kernteam war ergänzt um zwei Jungs aus dem Perspektivkader. Und ich hatte den Eindruck, dass sie schon ein eingeschworenes Team sind und sich super ergänzen. Zwei waren im Sportkletter-Nationalteam, andere sind eher alpiner sozialisiert. Für die Altersgruppe erstaunlich ist, dass es quasi keinen Konkurrenzkampf gibt, nur auf normalem menschlichem Niveau und ohne jemanden auszubooten. Ein echt bewundernswerter Team Spirit – vielleicht eine Wirkung von Natur und Klettern auf Jugendliche.

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Warum muss man denn überhaupt technisch klettern können?

Robert Jasper. Robert Jasper

Zuerst mal hat das technische Klettern ja eine Geschichte und Tradition – auch wenn es im Direttissima-Zeitalter übertrieben wurde. Andererseits kommst du beim Freiklettern halt auch schnell mal an eine Grenze, besonders bei Expeditionen oder an hohen Bergen, und wenn womöglich der Fels vereist oder bewachsen ist. Und wenn’s nicht anders geht, macht man dann halt auch mal ein paar Meter technisch.

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Aber das freie Klettern bleibt das Ideal?

Robert Jasper. Robert Jasper

Freiklettern war von Anfang an das Ideal, es ist die ursprünglichste Form der Begegnung mit dem Fels. Aber Menschen haben immer schon auch die Technik genutzt, um sich Dinge zu erleichtern. Andererseits kann man sich „by all means“ auch das Abenteuer verunmöglichen. Wobei Technik ja schon bei Schuhen, Chalk und Kneepads anfängt, im Mixedklettern bei Eisgeräten oder Fersenspornen.

Der Fortschritt bringt neue Ideen, dann ist es wichtig, in der Szene darüber zu reden und zu sagen, das gehört für uns zu „fair means“, das nicht mehr. Die Fersensporne werden heute nicht mehr verwendet, weil du damit fast überall hochgekommen bist, das war zuviel des Guten. Aber natürlich muss jeder für sich selber entscheiden, wo die Grenze sein soll.

Für mich war es super, jetzt im Expedkader in Austausch mit der jüngsten Generation über die neuesten Entwicklungen zu kommen; das war auch eine spannende Gelegenheit, Lebenserfahrung weiterzugeben.

Deutscher Alpenverein. DAV

Siehst du persönlich das Aidklettern als Disziplin mit Selbstzweck oder als Nothilfe zum Raufkommen?

Robert Jasper. Robert Jasper

Natürlich macht es auch Spaß und hat ja eine Tradition als eigene Disziplin des Kletterns, bis hin zu den wilden Aidlinien im Yosemite. Aber Freiklettern ist für mich immer das oberste Ziel, ob am Fels oder mit Eisgeräten. Und dabei hab ich die Maxime: Gib der Natur und deinem Abenteuer eine Chance. Erst die Möglichkeit des Scheiterns macht ein Abenteuer draus.

Auch der Kader hat sich als besten Stil auf die Fahne geschrieben, „von unten“ zu kommen. Das heißt, Bohrhaken möglichst nur am Stand oder zum Absichern, wenn es nicht anders geht. Aber nicht technisch raufarbeiten mit Bolts oder gebohrten Hooklöchern, nur mit natürlichen Placements für Cliffs und ähnliche Finessen.

Was man bei solchen Diskussionen nicht vergessen darf, ist die menschliche Ethik – gerade wenn man nur über Social Media diskutiert, statt sich zusammenzusetzen. Wenn Du mit dem Menschen nicht anständig umgehst, wirst Du es vielleicht auch im Sport nicht tun; der Fels ist nur ein Spiegel deiner selbst.

Und weil ich finde, dass man aus der Geschichte lernen soll, sollte man auch deren Irrwege erhalten. Maestris Kompressorroute am Cerro Torre zu zerstören, empfand ich als Armutszeugnis, man hätte sie als Mahnmal stehen lassen können.

Deutscher Alpenverein. DAV

Welche Rolle hat das Technoklettern denn bei Deinen Unternehmen gespielt?

Robert Jasper. Robert Jasper

Früher eine größere als heute. Ich bin aufgewachsen in einer Zeit, wo das Technoklettern noch gang und gäbe war, meine Lehrmeister waren alle mit Bergstiefeln und Leitern unterwegs und haben mich in ihre Techno-Mix-Routen mitgenommen – ich hab dann halt versucht, sie freizuklettern.

Auf Expeditionen, etwa auf Baffin Island, hab ich schon auch mal Stellen technisch geklettert und hinterher frei versucht. Dabei war meine Maxime, die technischen Passagen ohne Bolts zu lösen, Bohrhaken habe ich nur an Ständen gesetzt – und diese nur dort gemacht, wo man stehen konnte.

Deutscher Alpenverein. DAV

Was ist denn Dein wichtigster Trick dafür, magst Du uns den verraten?

Robert Jasper. Robert Jasper

Dazu fällt mir der Witz ein, wo jemand einen Hammer nahe am Kopf hält und auf die Frage, warum er ihn nicht am Ende des Stiels packt, antwortet: Ich bin ein Studierter. Die Pointe: Handwerker können Nägel besser einschlagen. Und geschicktes Handwerk ist eben eine wichtige Grundlage zum Technoklettern. Außerdem braucht man einen geschulten Blick für die natürlichen Strukturen im Fels, für feinste Risschen und Käntchen oder Kristalle, wo man Fortbewegungshilfen platzieren kann. Dabei haben mobile Sicherungen Priorität, dazu Normalhaken, und vor allem der Pecker ist eine Wunderwaffe, mit der man an feinsten Strukturen hochkommt, ohne dem Fels zu sehr zu schaden. Oder auch der Cliff, der kaum Spuren hinterlässt.

Wohin dagegen das häufige Ein- und Ausschlagen von Haken führt, sieht man am El Capitan. Dort kann man heute freiklettern – aber nicht, weil die früheren Begeher schwach gewesen wären, sondern oft nur wegen der Hakenslots, die durchs vielfache Einnageln entstehen.

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Über technische Tipps hinaus: Was magst Du den Kader-Jungs mitgeben?

Robert Jasper. Robert Jasper

Tja: Paul Preuss ist vielleicht kein ideales Vorbild. Er hat ja quasi das Free Solo als höchste Ethik verfochten, ist aber mit 27 abgestürzt. Deshalb bin ich etwas skeptisch gegen eine solch puristische Kletterethik. Natürlich ist Free Solo, womöglich nackt und barfuß, wie es Albert Precht oft gemacht hat, das Reinste. Aber ist es die möglichen Opfer wert?

Deutscher Alpenverein. DAV

Was hältst Du generell vom DAV-Expedkader und ähnlichen Programmen in anderen Verbänden?

Robert Jasper. Robert Jasper

Wichtig sind gute Ausbilder: erfahrene, seriöse Alpinisten. Risikomanagement, Ethik und der Umgang miteinander im Team sind wichtiger als sportliche Höchstleistungen. Natürlich braucht es ein gewisses, sicher ein überdurchschnittliches Niveau als Basis; vor allem aber aber Personen, die sich entwickeln können zu guten Bergsteigern und Vorbildern für die nächste Generation.

Deutscher Alpenverein. DAV

Hast Du selber alpines Mentoring erlebt?

Robert Jasper. Robert Jasper

Ich hatte einige ältere Freunde in meiner DAV-Sektion Villingen-Schwenningen, im Schlüchttal war immer mittwochs Klettertraining vom DAV. Dabei habe ich 20-30 Jahre ältere Partner kennengelernt; aber das Alter hat keine Rolle gespielt, man ist zusammen geklettert, dann auch in die Berge gefahren, und ich hab mich als junger Kerl gefreut, dass ich im Auto mitgenommen worden bin. Diesen Menschen und indirekt auch dem DAV bin ich sehr dankbar für diese Zeit.

Die Menschheit hat ja immer voneinander gelernt. Die Jungen haben zuerst die Erfahrungen von den Älteren übernommen, dann kannst du als Junger dein Eigenes dazu geben. Wir zum Beispiel haben die Rotpunkt-Impulse von Kurt Albert und Wolfgang Güllich ins Alpine übertragen und versucht, dort neue Wege zu gehen.

Beispiel Japanerroute am Eiger, das war 1969 der neueste Schrei der Technik, aber halt komplett hochgebohrt, das wollten wir Rotpunkt versuchen. Aber durchaus mit Respekt vor den Erstbegehern und ihrer krassen Leistung, mit dreißig Tagen in der Wand. Dann kannst du deinen Teil aus deiner Zeit beitragen.

Deutscher Alpenverein. DAV

Wo liegen „zeitgemäße“ Expeditionsziele für heutige Kader?

Robert Jasper. Robert Jasper

Wer glaubt, es gebe gar nicht mehr so viele Ziele, dem sage ich: Mit Kreativität kannst Du noch viel erleben. Schneller, sauberer, Enchainements, oder was immer dir einfällt.

Auf Grönland gibt es massig tolle Ziele mit Abenteuercharakter, wenn man eher Alpines im Kopf hat. Auch in Peru könnte man noch interessantes Neuland finden. Dabei muss man ja nicht unbedingt etwas Neues machen. Die Japanerroute frei zu klettern war für mich etwas Besonderes, auch wenn es nur eine Wiederholung war.

Ich möchte nicht sagen, mach dies oder das. Aber man kann sagen, schaut mal hier oder dort. Es ist noch lange nicht alles gemacht. Aber da ist dann der Stil wichtig. Clean und frei, Bohrhaken nur an Ständen. Es gibt eine Tendenz weg vom Plaisirklettern, im Spitzenalpinismus sowieso. Aber immer mit Respekt vor bestehenden Routen und deren Stil.

Deutscher Alpenverein. DAV

Was kann der klassische Alpinismus Menschen lehren?

Robert Jasper. Robert Jasper

Das Bewusstsein fürs Leben, weil du dem Tod bewusster in die Augen schaust und der Möglichkeit, dass du umkommen kannst. Man erkennt, dass das Leben das Wertvollste ist, was wir auf der Welt haben.

Dann die Frage: Versuchst du den Berg zu erobern oder gehst du ihn in Besinnung auf deine eigenen Kräfte an? Wenn du stark bist, aber schlecht drauf, wirst du nichts an deiner Grenze hinkriegen. Das Bergsteigen schult dich zu einem kompletteren Menschen, weil nicht nur die Muskeln, sondern auch mentale und menschliche Komponenten mitspielen, die auch fürs normale Leben wichtig sind.

Außerdem spürst du, was lebensnotwendig ist, die Einfachheit des Lebens: Essen, Schlafen, Sicherheit. Mein persönliches Fazit heißt: Ich möchte meine Träume leben – aber nicht nur für mich selber, sondern mit kleinem Fußabdruck und verträglich mit den Mitmenschen und der Natur – eine natürliche Ethik.

Deutscher Alpenverein. DAV

Und ist es das Risiko wert?

Robert Jasper. Robert Jasper

Leben ist ja immer ein Abenteuer, man sollte sich nicht zu viele Sorgen und Gedanken machen, sondern auch mal versuchen, Träume zu verwirklichen.

Ich finde, es soll dem Alpenverein das Geld wert sein, dass junge Leute so was machen wie den Expedkader. In mehrfacher Hinsicht: auf die Historie, als Aushängeschild und aus pädagogischer Perspektive: Junge Menschen, die auf einem tollem Weg sind, zu unterstützen. Das passt besser zum Alpenverein als Olympiaklettern.

Unfälle kann es natürlich immer geben. Aber bei diesem Team habe ich keine Bedenken, dass sie übertrieben viel riskieren.

Der DAV-Expedkader wird unterstützt von Mountain Equipment, Edelrid und Katadyn. Herzlichen Dank für die langjährigen Partnerschaften!

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