Barfuß am Fels fing alles an
DAV: Wie bist Du zum Klettern gekommen?
Hanne: Ich klettere schon sehr lange. Ich bin mit knapp sechs Jahren zusammen mit meinen Eltern zum Klettern gekommen, die damals auch erst mit dem Klettern begonnen haben. Ich habe sogar barfuß am Fels das Klettern angefangen, weil es damals in Heilbronn, aus der Region stamme ich, noch nicht so viele Kletterhallen gab. Mit 11 bin ich dann in eine Klettergruppe gekommen, als die DAV Kletterhalle in Heilbronn eröffnet hat. Ich bin dann bald öfters in der Woche klettern gegangen – ich habe dafür sogar das Turnen aufgegeben – und bin schließlich in die Leistungsgruppe gekommen, so dass ich, seit ich etwa 12 Jahre alt bin, schon Wettkämpfe mitgemacht habe.
DAV: Wolltest Du zu dieser Zeit schon Kletterhallenleiterin werden?
Hanne: Nee (lacht). Damals wusste ich noch gar nicht, dass das mit einem Beruf verknüpft sein kann, obwohl ich sogar den Betriebsleiter kannte.
Zur rechten Zeit die Initiative ergriffen
DAV: Wie bist Du dann schließlich Kletterhallenleiterin geworden?
Hanne: In meiner Jugendzeit habe ich mir schon mal gedacht, dass es irgendwie cool wäre, das Hobby zum Beruf zu machen, hatte aber keine richtige Idee, was genau ich machen kann. Im Endeffekt bin ich dann reingerutscht: Nach dem Abitur habe ich in der DAV Kletterhalle in Heilbronn Kindergeburtstage und Trainertätigkeiten übernommen und auch eine Zeitlang die Leistungsgruppe dort mit trainiert. Während des Studiums in Konstanz war ich in der DAV Kletterhalle in Radolfzell aktiv. Zunächst habe ich selber viel trainiert, habe dann aber auch an der Theke angefangen und dort Trainertätigkeiten übernommen. Ich habe also die operative Seite, die ich jetzt organisiere, selbst erlebt, was mir in meinem Beruf sehr hilft.
Zum Ende meiner Studienzeit habe ich mitgekriegt, dass in Überlingen die Kletterhalle gebaut werden soll und habe mich initiativ als Betriebsleitung beworben. Das war noch weit bevor die Sektion überhaupt jemanden gesucht hat. Nach dem Treffen mit dem damaligen 1. Vorsitzenden Klaus Haberstroh habe ich dann knapp eineinhalb Jahre das Kletterhallenprojekt ehrenamtlich mitgeplant. Als es schließlich mit den zu besetzenden Stellen konkreter wurde, habe ich mich für die sportliche Leitung entschieden, da mich der sportliche Bereich sehr interessiert und besser zu mir passt. Als Betriebsleiter wurde dann Nicolas Herrmann eingestellt.
Vernetzung, aber auch Perspektivwechsel sind wichtig
DAV: Du hast gesagt, Du bist in die Hallenleitung „reingerutscht“. Was hast Du studiert?
Hanne: Ich habe Sportwissenschaft in Konstanz studiert. Beim Sportstudium ist es immer schwierig, konkret zu wissen, was man danach macht. Da ist es hilfreich, wenn man eine Branche oder eine Sportart hat, in der man gut vernetzt ist oder in der man sich gut auskennt.
DAV: Hilft Dir Dein Sportstudium bei Deinen jetzigen Aufgaben in der Kletterhalle?
Hanne: Ein Studium macht einen immer reifer und man sammelt bestimmte Erfahrungen. Ich kann jetzt aber nicht sagen, was mir aus dem Sportstudium explizit für den Job geholfen hat. Tatsächlich sind es eher die Kletterhallenerfahrungen und die Vernetzung in der Kletterszene, die mir helfen.
DAV: Hat Dir Deine Leistungssportzeit für die Vernetzung etwas gebracht?
Hanne: Ja sehr. Zum einen kenne ich viele Kletterhallen, weil ich in vielen Kletterhallen unterwegs auf Wettkampf war. Zum anderen kenne ich viele Menschen. Viele aus der Kletterwettkampfszene arbeiten jetzt auch in der Kletterbranche, sei es als Betriebsleiter oder als Routenschrauber. Und dadurch dass z. B. beim Routenbau viele keine eigene Webseite haben, findet man Routenbauer nicht so einfach im Internet, da geht sehr viel über Kontakte. Aber es war am Anfang auch schwierig für mich, aus dieser Leistungssportperspektive herauszukommen. Also zu sehen, was braucht der Breitensport in der Halle, was braucht der Großteil der Leute, die hierher kommen. Da habe ich anfangs ein bisschen gebraucht, diesen Perspektivwechsel hinzubekommen.
Faire Aufteilung von Arbeit, Kinderbetreuung und Haushalt
DAV: Wie sieht Dein Arbeitsalltag in der Kletterhalle aus?
Hanne: Ein großer Teil meiner Tätigkeit ist der Routenbau. Wir haben in der Halle einen großen Boulder-Bereich, den wir im zwei-wöchentlichen Rhythmus umschrauben. Manchmal schraube ich selbst noch mit, hauptsächlich leite ich aber das ehrenamtliche Team oder organisiere den Einsatz der externen Routenschrauber. Ich versuche da einen Mix hinzubekommen um auch längerfristig ein eigenes Team aufzubauen. Das braucht aber Zeit, weil es zum Routenbau Erfahrung braucht.
Zum anderen bin ich für die Kurse zuständig. Inzwischen gebe ich nur noch ganz selten Kurse, sondern überlege mir, was für Angebote wir haben wollen und wie die einzelnen Kurse aussehen, und organisiere Termine und Trainer*innen. Außerdem bin ich Ansprechpartnerin für die Schulen vor Ort, die vormittags die Halle nutzen. Bei Überschneidungspunkten mit Nico wie z. B. der Aufgabenbereich Theke sprechen wir uns ab.
DAV: Wie ist bei Dir und Deinem Beruf die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie?
Hanne: Im Arbeitsalltag arbeite ich Vormittags immer drei 3 Stunden fix, in denen Greta im Kindergarten ist. Greta ist meine Tochter. Alle Stunden darüber hinaus sind meistens abends: Umschraub-Termine sowie Treffen mit dem Vorstand und den Ehrenamtlichen. Dadurch dass ich viel mit Ehrenamtlichen zusammenarbeite, die das in ihrer Freizeit machen, habe ich eben oft nachmittags oder abends Termine.
Ich muss dazu ergänzen, dass mein Mann auch in Teilzeit arbeitet. Der ist Lehrer mit etwas mehr als einem halben Deputat. Dadurch ist es bei uns sehr ausgeglichen, was Arbeit, Kinderbetreuung, Haushalt usw. angeht. Es ist von großem Vorteil für mich, dass ich meine Zeit flexibel einteilen und daher um die festen Arbeitszeiten meines Mannes „herumschlängeln“ kann. Oft helfen aber auch die Großeltern aus, wenn es bei uns zeitliche Überschneidungen gibt.
Ein Hauch von Frauenpower in den Kletterhallen
DAV: Lass uns beim Thema Gleichberechtigung zu bleiben. Das Verhältnis von weiblichen und männlichen Kletternden ist nicht so ganz ausgeglichen: 35 % Frauen zu 65 % Männern laut Statistik (Stand 2016). Das wird derzeit durch das Bouldern mit den vielen Boulderhallen ein bisschen ausgewogener. Wie ist Dein Eindruck im Hinblick auf Deine Kletterhalle? Wie war es in Deiner Leistungssportzeit?
Hanne: Wir erfassen das nicht bei der Anmeldung in der Halle, daher kann ich nur gefühlsmäßig sagen, dass mehr Männer klettern als Frauen. Das Verhältnis dürfte aber ausgewogener bei ca. 45 % Frauen zu 55 % Männer liegen. Im Trainerteam haben wir auch mehr Männer als Frauen. Unser Vorstand möchte auch gerne, dass der Vorstand und generell der Verein jünger und weiblicher wird.
Wir haben jetzt noch kein spezielles Angebot explizit für Frauen, da wir nach der Halleneröffnung zunächst das Grundangebot aufgebaut haben und in den nächsten Wochen noch weiter aufstocken werden. Es ist jedoch geplant und ich bin gespannt, wie es angenommen wird.
Bei der Qualifizierungsreihe für Betriebsleitungen war ich im Vorhinein tatsächlich sehr gespannt, wie das Verhältnis sein wird. Weil ich aus meiner Wettkampfzeit, in der ich viel in anderen Kletterhallen unterwegs war, schon das Gefühl hatte, dass die meisten Betriebsleitungen männlich sind. Da habe ich mich gefreut, dass es vier Frauen bei insgesamt 14 Teilnehmenden waren.
DAV: Ich hatte den Eindruck, dass in der Qualifizierungsreihe der Umgang miteinander sehr gleichberechtigt und fair ist. Hast Du Erfahrungen mit Vorbehalten und Vorurteilen machen müssen?
Hanne: Bei der Qualifizierungsreihe spielt es überhaupt keine Rolle, ob man männlich oder weiblich ist. In der Gruppe fühle ich mich sehr wohl. In der Halle bei uns ist das auch so. Nico und ich arbeiten sehr auf Augenhöhe zusammen. Auch dem Vorstand gegenüber macht das keinen Unterschied, ob ich eine Frau oder ein Mann bin.
Was mir jetzt schon ein paar mal passiert ist, dass ich per E-Mail als Mann angeschrieben werde. Ich schicke eine E-Mail und schreibe am Ende „Liebe Grüße Hanne Brüche“ und dann kommt oft „Sehr geehrter Herr Brüche“ zurück. Da habe ich mir schon überlegt, ob das daran liegt, dass man in dieser Position eher einen Mann vermutet?
DAV: Und in der Routenschrauber-Community?
Hanne: Dass ich schraube wird gut akzeptiert. Interessant ist, dass sich auf unseren Aufruf zum Schrauber-Workshop für Ehrenamtliche fast nur Männer gemeldet haben. Die einzige Frau hat dann leider doch nicht mitgemacht, so dass unser 6-köpfiges ehrenamtliches Schrauberteam am Anfang nur aus Männern bestand. Da ist es mir aufgefallen, dass sich eher die Männer trauen. Ich glaube, dass man die Frauen eher bekommt, indem man sie persönlich anspricht. Inzwischen konnte ich aber zwei Frauen für unser Schrauber-Team begeistern sodass das Verhältnis ausgewogener ist.
Ich schaue bei externe Schraubern, der Großteil der Schrauber sind Männer, dass ich auch Frauen buche. Ich kenne da auch ein paar. Ich finde das schon auch cool, wenn mal Mädels zum Schrauben kommen. Die Routen sind genauso gut, wie die von Männern geschraubten Routen.
DAV: Ich hoffe, dass viele weitere Frauen sich den Routenbau oder die Kletterhallenleitung zutrauen. Ich danke Dir fürs das Gespräch und entlasse Dich mit einer letzten Frage: Was motiviert Dich, diese „Eierlegende Woll-Milch-Sau“-Arbeit jeden Tag mit Begeisterung zu tun?
Hanne: Zum einen motiviert mich das Team, in dem ich arbeite. Im Büro macht es mir viel Spaß mit Nico, Sybille, zuständig für die Mitgliederverwaltung, und dem Vorstand zusammenzuarbeiten. Und auch beim großen ehrenamtlichen Trainerteam sind sehr nette Menschen dabei.
Zum anderen ist es eine Thematik, die mich sehr interessiert. Ich finde es spannend für so viele verschiedene Bereiche zuständig zu sein. Das bringt Herausforderungen mit sich, alles im Blick zu behalten. Aber es macht auch Spaß, zwischendrin mal eine Route zu schrauben oder etwas zu reparieren. Diese Abwechslung mag ich.
Auch wenn Kinder und Jugendliche bei uns in der Halle sind und mit strahlendem Gesicht hinausgehen und stolz auf sich sind, weil sie Dinge erreicht haben, von denen sie vorher nicht gedacht haben, dass sie sie schaffen können, das finde ich sehr schön. Und gerade jetzt im Moment, wenn ukrainische Geflüchtete zu uns kommen und ich die Kinder im Kinderbereich herumtoben sehe, das motiviert mich.