Die Expeditionsteilnehmer im Gespräch

"Den Zapfen hätten wir jetzt auch!" - Die Nanga Parbat-Expedition 1962

Erst auf die Cheops Pyramide, dann auf den Nanga Parbat: Die Teilnehmer der Expedition von 1962 berichten von Erfolgen und Rückschlägen, Boulder-Wettbewerben mit Einheimischen, Biwak-Nächten in der Todeszone - und sie ziehen Bilanz: Was ist so ein Gipfelerfolg wert? Anderl Mannhardt, Manfred Sturm und Hubert Schmidbauer, alle drei über 80 Jahre alt, im Gespräch mit Georg Bayerle und Barbara Weiß vom BR über die Diamir-Expedition 1962.

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Wer Probleme hat, den zum Teil recht ausgeprägten bayerischen Dialekt zu verstehen, findet ein Transkript der Folge hier.

Teilnehmer der Expedition 1962, im Hintergrund der Nanga Parbat. Foto: Archiv DAV

Transkript zur Folge

Angela Kreß:
Hallo und herzlich Willkommen zu einer neuen Folge des Bergpodcasts! Schön, dass ihr wieder mit dabei seid!
Erst auf die Cheops Pyramide, dann auf den Nanga Parbat – Expeditionen früher liefen ein klein wenig anders ab als heute. Da hat man die Akklimatisierung schon mal mit einer zweiwöchigen Schiffsreise gestartet, auf dem Weg zum Basislager Boulder-Wettbewerbe mit den einheimischen Trägern veranstaltet und wenn man dann auf dem Gipfel stand, den nur ein Mensch vor einem erreicht hat, hat man sich förmlich die Hände geschüttelt anstatt sich freudig in die Arme zu fallen. Diese und viele weitere Geschichten und Erlebnisse schildern Anderl Mannhardt, Manfred Sturm und Hubert Schmidbauer, Teilnehmer der Nanga Parbat Expedition 1962, in dieser Folge. Die drei – alle inzwischen gut über 80 – sind auf Einladung des Bergführers Hajo Netzer bei ihm zusammengekommen. Georg Bayerle und Barbara Weiß vom Bayerischen Rundfunk waren auch mit dabei und haben die Erzählungen für uns eingefangen.
Noch ein kleiner Hinweis: Wer Probleme hat, den zum Teil recht ausgeprägten bayerischen Dialekt zu verstehen, findet ein Transkript der Folge auf alpenverein.de/bergpodcast. Und jetzt: Viel Spaß beim Zuhören!

Georg Bayerle (GB):
Wir sitzen in einer alten Stube bei Hajo Netzer, Bergführer, der selber die erste kommerzielle Tour auf den Nanga Parbat geführt hat, diesen legendären „Schicksalsberg der Deutschen“, der jetzt auf den tollen Gedanken gekommen ist, drei der Teilnehmer an einen Tisch zu bringen: den Hubert Schmidbauer, geboren 1934 -

Hubert Schmidbauer (HS):
Für uns war das wirklich unwahrscheinlich - ein Höhepunkt! Es war damals schon eine Berufung, dass man ins Himalaya kommt, es hat ja sonst nichts gegeben, Trekkingtouren und sowas hat es nicht gegeben. Und wir waren ja gute Mannschaft.

GB:
Den Manfred Sturm, geboren 1936 in München -

Manfred Sturm (MS):
Ja, aber jetzt möchte anschließen an das, was der Hubi gesagt hat. Es ist tatsächlich für mich jetzt einfach wieder wahnsinnig schön, dass wir - diese alte kleine Kernmannschaft - dass wir da noch beinander hocken können. Hajo, herzlichen Dank für deine Einladung.

GB:
Und mit wunderbar gekämmter, silbergrauer, mittellanger Mähne, einem herrlichen silber-weißen Bergsteiger-Bart, markanten Backenknochen, schlank, kräftigen Händen, das ist –

Anderl Mannhart (AM):
Anderl Mannhart.

GB:
Anderl Mannhart, geboren in Rottach, heute lebt er in Chieming. Anderl, ihr wart in dieser Zeit - die Expedition war im Sommer 1962 - so auf dem Höhepunkt eures alpinen Könnens und ein weiterer Teilnehmer der Expedition, der allerdings zwei Jahre später am Battert abgestürzt ist, Toni Kinshofer, das war dein Kletterpartner und Alpinpartner. Erzähl mal eine dieser Geschichten, die euch zusammengebracht hat.

AM:
Ja, das war der späte Herbst im Jahr 1957. Da waren wir das erste Mal miteinander an der Rosssteinnadel geklettert, die Nordostverschneidung gemacht und dem Toni hats wieder pressiert. Er war Bauernsohn und die haben noch Milchvieh gehabt und er musste immer zur Stallarbeit zu Hause sein. Und von da an sind wir eigentlich relativ zügig zusammenkommen und haben gemeinsam erst einmal weitgehend die Touren in den Bayerischen Voralpen – Südkante vom Guffert und so, die ersten Kaisertouren dann im nächsten Jahr. Und ab ´58 sind wir dann eigentlich immer zusammen unterwegs gewesen. Dann haben wir das so abgeklappert, was von unserer Heimat aus leicht erreichbar war.

GB:
Wie habt ihr das damals gemacht? Also wie habt ihr das finanziert, wie wart ihr unterwegs? Ich mein, der Hermann Buhl, noch 15 Jahre früher, der ist geradelt zum Badile.

AM:
Das war bei uns nicht sehr viel anders; das war noch vor den 60er Jahren. Da hat ein Arbeiter noch kein Auto gehabt, das ist erst langsam angelaufen, dass sich ein einfacher Arbeiter sich ein Auto leisten konnte. Der Toni hat kein Fahrzeug gehabt, auch kein Motorrad, ich hatte ein Moped und die erste Tour, wo wir ein bisschen weiter weggefahren sind, das war die Guffert-Südkante, im späten Herbst, es hatte schon weit runter geschneit und war eine bisschen winterliche Begehung, kann man sagen. Ich bin Moped gefahren und mit einem Reepschnürl von 8 Meter hab ich den Toni angehängt und der war mit dem Radl. (Lachen) Wir sind immerhin vom Tegernseer Tal, so an die 40 Kilometer nach Steinberg in Tirol. Von da an sind wir auch Skitouren-mäßig in den Vorbergen unterwegs gewesen.

GB:
Manfred Sturm, wie bist du zum schärferen Alpinismus kommen?

MS:
Ich war schon 1961, also ein Jahr zuvor, in der Cordillera Huayhuash in Peru, und meine Güte - da habe ich zum ersten Mal mitgekriegt, dass Bergsteigen nicht nur heiter sein kann. Wir haben nämlich durch einen Wechtenbruch an einem Sechstausender drei Kameraden verloren. Die sind da tödlich mit der Wechte abgestürzt. Und ich hab mir anschließend an dieses Erlebnis gedacht: nie mehr auf einen hohen weißen Berg! Aber damals war die Gruppe, die wirklich extrem ins Gebirge gegangen sind, die war überschaubar, da hat es nicht hunderte gegeben, sondern da waren ein paar, die wirklich sehr, sehr leistungsfähig waren - vor allem eben bei uns in den Alpen. Und eines Tages flatterte der Brief vom Toni Kinshofer bei mir ins Haus, ob ich nicht mitfahren will zum Nanga Parbat. Und dann hab ich gedacht: Nie! Mach ich nie mehr! Und dann kam ein Anruf vom Herrligkoffer, der hat gesagt, komm doch mal bei mir vorbei. Na gut, und so ging das los, dann war er ich beim Herrligkoffer und da waren meine Bedenken weg. Und jetzt zur Mannschaft: ich habe eigentlich den Toni, den Hubi und den Anderl nur vom Hörensagen gekannt, ich hab nicht gewusst, dass das wahnsinnig gute Bergsteiger sind. Der große Traum war für uns eigentlich der Himalaya, das ist ganz klar. Wir wollten alle auf einen Achttausender, das war damals einfach die Voraussetzung, dass man im alpinen Bereich viel gemacht hat und letztenendes war ich dann plötzlich in der Mannschaft. Ich muss natürlich dazu sagen, ich war 24 Jahre alt, da verdrängt man dann so Ereignisse und ich muss sagen, Gott sei Dank, Gott sei Dank, weil wenn ich an die Kameraden denke, die nicht mehr hier sitzen können, dann muss ich sagen, haben wir eigentlich ein wahnsinniges Glück gehabt und dafür bin ich dankbar.

Die Diamirflanke am Nanga Parbat. Foto: Archiv DAV

GB:
Jetzt habt ihr gewusst, ihr könnt möglicherweise einen Lebenstraum verwirklichen. Ihr geht auf einen Berg, der zu den legendärsten Bergen im Himalaya gehört, der diese überdramatische, insbesondere auch deutsch geprägte, Vorgeschichte und Leidensgeschichte hat. Wie habt ihr euch dann vorbereitet?

AM:
Vorbereitet? Man nimmt sich einiges vor, aber bei uns hat nicht viel geklappt. Irgendwas haben wir bergsteigerisch immer gemacht, aber keine besonders großen Westalpentouren oder sowas. Das war in der Vorbereitung eigentlich nicht mit dabei.

GB:
Wie wart ihr dann stark genug?

AM:
Ja, wir waren jung und ständig unterwegs und da waren wir immer gut im Training, eigentlich gell?

Pyramidenklettern und Schwimmen lernen auf der Anreise

GB:
Die Vorbereitung auf die Tour beginnt durch knapp zwei Wochen auf Meereshöhe. Also das ist ziemlich ideal für eine Höhenakklimatisation. Anderl Mannhardt, wie hast du diese Seereise verbracht?

AM:
Ja, das war für uns natürlich ein großes Erlebnis, zu Hause mit dem Zug gestartet nach Genua. Das Schiff ging am nächsten Tag erst einmal nach Neapel und da war dann ein Tag dazwischen, da haben wir uns Pompeji anschauen können. Wenn man ein paar Tage auf dem Wasser schwimmt, wird man schon ungeduldig, gell? Das war bei uns so, aber wir haben ja eine kleine Gruppe dabei gehabt und ein Schwimmbad auf dem zweiten Deck unten und haben dort trainiert. Das war eigentlich immer mit Gaudi verbunden. Wir haben uns riesig gefreut, als wir nach Kairo gekommen sind. Genau wir drei, der Mani, der Hubi und ich, haben uns dort einer Reisegesellschaft angeschlossen und sind nach Gizeh gefahren zu den Pyramiden. Da war das erste größere Erlebnis, dass der Mani und ich in der Nacht dann auf die Cheops Pyramide gestiegen sind - verbotenerweise natürlich. Und wir waren halb oben und dann Hundegebell, Scheinwerfer züngeln rauf. Da haben wir gewusst, oh, jetzt wird's eng. Und dann sind wir das Blockwert – der Anstieg ist ja nicht besonders schwierig, weil die Cheops Pyramide ist ja nicht verputzt, so wird die Chephren Pyramide - und wir haben uns dann, weil wir ein bisschen die Hosen voll hatten durch das Hundegebell und die Scheinwerfer, sind wir dann auf der Gegenseite abgestiegen und hatten dort keine Probleme mehr.

GB:
Hubert Schmidbauer war auch unter diesen Cheops-Pyramiden-Erklimmern -

HS:
Ich war nicht dabei beim Aufsteigen, ich war unten und als der Anderl und der Mani zu Dreivierteln oben waren, sind zwei Polizisten zu mir hergekommen und haben furchtbar geschimpft, weil sie dort raufgestiegen sind. Und dann hab ich auch rauf geschimpft (lachen) – und dann sind sie auf der anderen Seite abgestiegen. Und – das weiß ich noch gut – der Mani ist dann zu mir gekommen und hat gemerkt, dass die Polizisten ein bisschen Schwierigkeiten machen und der Mani hat dann auch rauf geschimpft (lachen).

GB:
Manfred Sturm war auch dabei beim Sturm auf die Cheops Pyramide.

MS:
Jetzt muss ich ganz ehrlich sein, das war tatsächlich eine körperliche Leistung, weil diese Quader, die Granitquader, die sind ungefähr eineinhalb Meter hoch. Also für uns war es ein Riesenereignis und körperlich war das ein zusätzliches Fitnesstraining.
Der liebe Anderl hat nämlich vorher etwas vergessen zur Schiffsreise, und das muss ich jetzt schon anmerken, ich glaub, Anderl, ihr habt auf dem Schiff schwimmen gelernt, oder?

AM:
Ja, das ist so, das Grundstück vom Toni Kinshofer liegt fast am See, also von Bad Wiessee direkt bis zum Seeufer. Aber zwischen ihrem Grundstück und Wasser ist ein Wanderweg, und dann im Wasser ist erst einmal Schilf. Und das war schon eine Gaudi ein Jahr zuvor, als wir festgestellt haben, dass der Toni nicht schwimmen kann. Er stammt vom Tegernsee, ist fast See-Anlieger und kann nicht schwimmen! Und der Toni hat gesagt: Ja, wo hätte ich’s denn lernen sollen? (lachen)

GB:
Und konntet ihr dann Schwimmen, als ich angekommen seid?

AM:
Naja, jein. Wir haben einen relativen langen Aufenthalt gehabt, weil wir noch keine Einreise-Erlaubnis fürs Kashmir hatten und da gab es in der Nähe von dem Hotel ein großes Schwimmbad und dort waren wir dann schon öfters beim Baden und vor allen Dingen beim Tiefseeschwimmen bei mir, weil der Kopf hat nicht so oft rausgeschaut. Ich bin immer ein bisschen getaucht, dann wieder nach oben Luft schnappen.

Barbara Weiß (BW):
Auf die Cheops Pyramide in der Nacht gestiegen als Vorbereitung und auf dem Schiff Zeitschriften geblättert -

Hajo Netzer (HN):
Ja gut, die konnten natürlich auch nicht mehr in dem Sinn trainieren auf dem Schiff. Das ist einfach nur der Versuch die Körperform nicht zu verlieren. Heute setzt man sich in München in den Flieger, muss irgendwo in den Emiraten zwischenlanden und dann ist man in Rawalpindi. Dann fliegt man vielleicht noch nach Gilgit rauf und dann ist mir eigentlich dort. Das ist eine Geschichte von 3-4 Tagen, mit Behördengang. Damals waren wir wochenlang unterwegs, bis wir überhaupt mal diesen Berg gesehen haben. Die ganze Frage, wie kommt man mit der Höhe zurecht, das war ja damals noch ein völlig unerforschtes Gebiet und da haben die ja sicher auch eklatante Fehler gemacht, weil man einfach noch keine klare Vorstellung gehabt hat, wie schauen die taktischen Schritte aus, dass sich der Körper an die Höhe gewöhnen kann. Damals sind sie ja einfach rauf gegangen, haben dort oben gelitten in dem Lager und sind von dem Lager wieder weiter aufgestiegen oder sind oben im Lager geblieben. Das ist aus heutiger Sicht eine völlig falsche Taktik, weil sich der Körper einfach nicht erholen kann. In vielen Bereichen hat sich das natürlich komplett geändert, weil die hatten ja auch nicht im entferntesten die Mittel nach Pakistan zu reisen oder auch keine Vorstellung, wie man das dann organisatorisch auf die Wege bringen kann mit Zoll, mit Expeditions-Gepäck verschicken. Das ist ja heutzutage alles deutlich einfacher.

Boulderwettbewerbe mit den Einheimischen

GB:
Jetzt, nachdem ihr die Permits habt und alles, gehts los mit – mehr als 18 Koffern und einer ganzen Karawane, oder, Anderl Mannhart?

AM:
Wo ging’s los? Wir waren erstmal in Rawalpindi, bis wir die Genehmigungen hatten und dann ging es mit dem Flieger über den Babusar Pass nach Gilgit und von Gilgit aus waren dann die Jeeps organisiert. Wir hatten zehn Jeeps glaube ich, sind den Indus abwärts gefahren bis zur Bunar-Brücke wo das Bunar-Tal abzweigt und rauf führt zur Westseite vom Nanga Parbat, Diamirtal. Das war fast eine Tagesreise mit den Jeeps den Indus abwärts, wir haben einmal Rast gemacht in einem kleinen Rasthaus und kamen dann so am Nachmittag zur Bunar-Brücke und da war da eine riesen Menschenmenge, alles nur männliche, und mit vielen Kindern. Und dann wurden da die Hochträger ausgewählt – so viele wie gewartet haben, konnten wir gar nicht gebrauchen. Das war für die, die nicht genommen wurden, eine riesen Enttäuschung und vor allen Dingen für die Kinder, die alle Lasten tragen wollten, um sich Geld zu verdienen.

Träger am Nanga Parbat. Foto: Archiv DAV

GB:
Was haben die denn gekriegt damals?

AM:
Manfred, weißt du noch, was die gekriegt haben?

MS:
Das war minimal, das kannst du dir gar nicht vorstellen.

AM:
Aus unserer Sicht war es wenig, aber für deren Verhältnisse war das eine gute Bezahlung. Wie gesagt, die haben schon einige Tage gewartet, um sich dort zu bewerben und da war natürlich eine gewisse Auswahl nötig und viele wurden abgewimmelt. Und da haben wir eine Nacht biwakiert und am nächsten Tag ging dann der Marsch los, über vier Tage rauf zum Hauptlagerplatz von der Westflanke, von der Diamirflanke.

GB:
Beschreibt noch ein bisschen: Wie viele Träger habt ihr gehabt, wie lief das ab?

MS:
Ich hoffe nicht, dass ich mich täusche, aber wir haben glaube ich ungefähr 140 Träger gehabt.

AM:
Ne, 140 glaub ich nicht!

MS:
Nicht? Also Anderl weiß es ein bisschen besser. Also es war eine unüberschaubare Menge, aber diese ganze Organisation, die Bezahlung der Träger – wir haben einen sogenannten Sirdar gehabt, der also diese Menschenmenge bisschen organisiert hat. Er hat auch dem Herrligkoffer den Job abgenommen, weil die Einteilung von den Trägern und anschließend die Bezahlung, das war schon eine Riesenaufgabe, ja. Wir sind im Hintergrund gesessen und haben gewartet, bis das erledigt ist. Und dann sind wir losmarschiert, ohne großes Gepäck.

AM:
Wir haben nur unser persönliches Gepäck dabeigehabt. Die Leute kamen alle aus verschiedenen kleinen Dörfern und da war immer der Lambardar, sozusagen der Bürgermeister, mit dabei. Es waren also einige Leute dabei, die keine Last getragen haben. Die waren nur zum Organisieren dabei und zur Überwachung.

MS:
Anderl, ich wollte noch bisschen was zum Anmarsch sagen, weil für uns war das eine Akklimatisationsphase. Wir waren 12 Tage oder noch länger auf 0, also Meereshöhe. Und da waren wir zum ersten Mal über 1000 Meter und ich weiß nicht wie hoch dieses Tal ist - wahrscheinlich nicht höher als 2000 - 3000 Meter. Und so haben wir uns halt an die Höhe angepasst.

AM:
Wo der Bunar in den Indus mündet, das ist ziemlich genau auf 1000 Meter. Wir sind von 1000 weggegangen und das Hauptlager war knapp unter 4000, ja.

HS:
Als wir hingeflogen sind, hat man über 4000 Meter runter geschaut zum Industal und nochmal 4000 rauf zum Gipfel. Da haben wir erst gemerkt, was das für ein hoher Berg ist. Denn der Indus liegt ja nur auf 1000 Meereshöhe. Der Nanga hat die höchsten Aufschwünge von der Seite, da geht’s 7000 Meter rauf.

GB:
Genau. Und dann kommt man da hin und sieht dann zum ersten Mal überhaupt diesen Berg oder sieht sich dem gegenüber -

AM:
Am ersten Tag war kleines Dorf, das aber eigentlich gar nicht recht belebt war. Das haben wir ganz schön gemerkt, weil da oben nochmal ein Dorf kommt und das war dann Sommersitz von den Einheimischen da.

GB:
Die haben da so eine Art Almwirtschaft betrieben, oder?

AM:
Die haben eigentlich nur Schafe oder Ziegen und Acker gehabt. Ich kann mich noch gut erinnern: Da kam so ein alter Schuppen und dort sind dann nacheinander acht Kinder rausgekrabbelt, alle männlich, also Mädchen haben wir keines zu sehen gekriegt. Aber erschütternd - nur in Fetzen gekleidet, schon eine traurige Angelegenheit. Und alles, was irgendwo weggeworfen worden ist, haben sie brauchen können.

GB:
Was habt ihr gegessen?

AM:
Die Träger haben auf heißen Steinen immer Chapati gemacht -

MS:
Sie haben uns da auch mit versorgt. Zum großen Teil haben wir schon aus Konserven gelebt.

HS:
Weißt du noch, wo wir aufgestiegen sind durch das Diamirtal, ist da ein Felsblock mit ungefähr 8 Metern gewesen. Da bist du einfach aufgestiegen und alle haben gedacht das eine eine ganz leichte Sache. Und dann sind wir, der Toni und der Anderl, wir sind nicht raufgekommen. Und die Träger wollten unbedingt hochkommen. Das konnten sie gar nicht glauben. Mit den Zehen haben sie sich eingeklemmt und sind wieder wie die Frösche runtergefallen. Und dann hat der Mani nochmal raufsteigen müssen, weil sie überhaupt nicht glauben wollten, dass jemand diese schwere Platte hochkommt.

MS:
Na ja, gut, das war für uns kein Problem, weil die Münchner Kletterer kommen vom Bouldern.

AM:
Aber es war ein kleines Volksfest, kann man sagen. Es war schon gegen Dunkelheit, als der Mani die steile Platte, bei der wir keine Chance hatten, raufgekommen ist. Und der Hauptlambardar ist von hinten auf den Felsen raufgegangen und hat oben einen 10 Rupien Schein abgelegt, als Siegprämie. Und dann haben die reihenweise probiert. Die großen Zehen sind schon senkrecht nach oben gestanden. Aber sie haben’s nicht glauben können, dass sie dass sie nicht rauf kommen, wenn einer von den Fremden raufkommt.

Der Nanga Parbat

GB:
Jetzt seid ihr ungefähr sechs Wochen unterwegs bis zum Hauptlager. Jetzt steht ihr dem Berg gegenüber.

AM:
Am 25. Mai sind wir ins Hauptlager gekommen. Da steht man staunend da und ergriffen, kann man fast sagen. Es gibt auch Bilder, wo wir wirklich große Augen machen. Und dann war Vorfreude dabei natürlich, völlig klar. Und die Hoffnung, dass wir dieses Ziel irgendwie schaffen werden, ja.

Das Lager am Nanga Parbat. Foto: Archiv DAV

MS:
Logischerweise ist ein Achttausender immer eindrucksvoll. Und wenn du vor der Flanke stehst, die über 4000 Meter hoch ist und weißt aber, dass da schon Jahre vorher die Kameraden relativ hoch waren und dass wir eigentlich schon Ahnung gehabt haben, wo geht‘s da durch diese 4000 Meter. Ich muss sagen, erschlagen hat mich die Wand nicht, weil ich hab mich drauf vorbereitet, ich hab mir gedacht, das ist eine riesen Wand und die ist schwierig. Also die Einstellung war da.

GB:
Jetzt geht es los, erstmal mit einer alpinistischen Routine, unten noch hauptsächlich felsiges Gelände - in welchen Schritten seid ihr da ungefähr durch?

AM:
Da kann ich mich nicht genau erinnern. Am ersten Tag sind wir vom Hauptlager, da geht man dann ungefähr eine Stunde hinter bis zur Endmoräne. Dann kommt der Gletscher relativ flach und wird dann steiler, aber noch kein schwieriges Gelände. Das war im Frühsommer, da waren noch keine offenen Spalten, das war eigentlich problemlos unter einer geschützten Felswand haben wir dann Lager 1 aufgebaut, das waren insgesamt drei Zelte. Und die Zelte waren eigentlich 2-3-Mann-Zelte von der Größe her.

MS:
Es war tatsächlich so, die ganz große hochalpine Erfahrung, also die Himalaya-Erfahrung haben wir eigentlich nicht gehabt. Heute weiß man, dass man nicht einfach in ein Hochlager geht und dort bleibt und nicht runtergeht - sondern dass man halt rauf und runter macht. Und das haben wir eigentlich damals noch nicht gemacht. Ich habe später mal nachgerechnet, wir waren glaube ich insgesamt mindestens zwei oder drei Wochen über 6000 Meter. Das mit diesen Seilbahnen müssen wir noch erwähnen, die wir gebaut haben. Wir haben tatsächlich, um den Trägern den Aufstieg über einen Felssporn zu erleichtern, haben wir eine Seilbahn, wie hoch war die ungefähr -

AM:
- die hatte eine Seillänge von 180 Meter glaube ich. Das war ein Stahlseil von der Bergwacht mit 5 Millimeter Durchmesser und das Zugseil war 2 Millimeter. Das ist bei der zweiten Last, am ersten Tag, wo wir die Seilbahn benutzt haben, ist das Seil gerissen. Das war die Idee vom Anderl Michael. Das Problem war eigentlich aus meiner Sicht, dass wir zu viele Hochträger gehabt und die Hochträger bedingen ihrerseits auch wieder Träger. Wenn sie in Lagern leben am Berg müssen sie ja auch versorgt werden und das schaukelt sich dann gegenseitig auf. Sonst hätten wir, wenn wir anders kalkuliert hätten, die Seilbahn nicht gebraucht. Da haben auch spätere Expeditionen darüber gelacht, das ist völlig klar. Es war ja auch ein materieller und körperlicher Aufwand, der wieder ein paar Tage erfordert hat, bis die Seilbahn funktioniert hat mit der Winde von der Bergwacht. Die ganze Ausrüstung war eigentlich von der Bergwacht.

MS:
Für mich war diese Taktik, die wir damals gebraucht haben, die war falsch, die war einfach falsch. Wir hätten wirklich wesentlich öfter auf- und absteigen müssen. Ihr habt die falschen Schuhe gehabt: Eure Lederschuhe waren zu eng. Das war schon ein wahnsinniger Fehler. Heute weiß man das: Das waren Lederschuhe mit Lederinnenschuhen, die waren nass und die hast du über Nacht gar nicht trocken gebracht, die waren einfach scheiß kalt in der Früh!

HS:
Die ganze Bergsteiger-Kleidung – damit würden wir heute in ein Alpines Museum reinpassen. So waren wir damals ausgerüstet, aber es hat halt nur das gegeben, was am besten da war.

BW:
Wir sind bei der Ausrüstung angelangt, die Seile, es sind ja nicht nur die Seile, die heute anders sind, sondern vielleicht auch die Schuhe?

HN:
Ja, da gibt es natürlich viele Sachen, die heute anders sind! Das werde ich nie vergessen, wie ich mich das erste Mal mit dem Anderl unterhalten hab, hab ich ihm erzählt, dass wir 3200 Meter Fixseil verlegt haben am Nanga Parbat. Da hat er gesagt, das gibt's ja gar nicht, wie habt ihr das getragen? Und da hab ich gesagt, das war gar nicht so schlimm. Aber er hat halt von Drahtseilen geredet und wir haben 7 Millimeter Propylenseil als Fixseil verlegt. Das ist wahrscheinlich ein Unterschied vom Faktor 20 oder so, das ist natürlich schon ein ganz entscheidender Faktor vom Tragen, von Sicherheit und so weiter. Und natürlich die ganze Wärme-Isolation ist natürlich deutlich besser heutzutage. Damals mit dem Lowa Triplex, das war ein Lederschuh mit Fell innen drin und wenn der nass war, dann war er halt nass, der ist nie wieder trocken geworden. Heutzutage mit den modernen Expeditions-Schulen, die sind von Haus aus wärmer aber vor allem hat man irgendwo die Chance, dass man sie auch trocken kriegt und das ist natürlich ein ganz entscheidender Faktor, wenn es dann wirklich kalt wird.

BW:
Und die Schlafsäcke, war das warm?

HN:
Die Schlafsäcke waren eher nicht das Problem, aber heutzutage hat man natürlich eine ganz gute Isoliermatte oder Matratze. Damit kann man die Abstrahlung vom Boden in den Griff kriegen. Damals haben sie nur auf Planen auf dem Zeltboden geschlafen.

BW:
Und gerade zu Sonnenbrillen: hat sich da auch viel getan?

HN:
Klar, der ganze Sonnenschutz war damals natürlich deutlich schlechter. Da braucht man sich ja bloß die ganzen kaputten Gesichter von den Leuten anschauen nach den Expeditionen.

GB:
So arbeitet ihr euch dann da über die Tage hoch -

AM:
Vom Lager 2 oben – da haben wir drei Zelte gehabt.

Sieglinde Ulbrich, medizinisch-technische Begleiterin der Expedition, im Lager I. Foto: Archiv DAV

MS:
Die Querung rüber zum Kessel, das hab ich alles als technisch nicht anspruchsvoll empfunden. Es war ein Stück steiler, wo wir ein fixes Seil gelegt haben, das habe ich auch noch in Erinnerung.

AM:
Wir haben trittfesten Schnee gehabt, bei Blankeis wäre das schon andere Nummer, gell!

An der Bazhin-Mulde - umkehren oder aufteilen?

MS:
Und da waren wir in dem Bazhin-Kessel und von da wird der Anderl erzählen, wie’s weitergeht.

AM:
Von dort sind wir zu fünft dann einheitlich gestartet und haben nur in weiteres Zweimannzelt dabei gehabt als Biwak-Zelt für den Gipfelaufstieg. Dass man nicht von Lager 3 in einem Tag zum Gipfel gehen kann, das war uns natürlich voll bewusst.

GB:
Die Fünf sind du, Anderl Mannhart, Siegi Löw, Toni Kinshofer, Michl Anderl und Manfred Sturm.

MS:
Das war für mich die Krux. Spät am Nachmittag haben wir in einer Mulde unsere Zelte aufgebaut, da waren wir fünf Leute. Und das war ein Perlonzelt, wie man später Biwaksäcke gehabt hat, das war ganz beschissenes, dünnes Material.

GB:
Wie hoch sind wir denn da?

AM:
7.2 haben wir gemessen, 7.2.

MS:
Ja, es waren etwa 1000 Meter noch zum Gipfel. Und da kann ich mich erinnern, sind wir zu fünft dringelegen und dann hat allmählich die Sonne ein bisschen geschienen und das war eine Affenhitze in diesem Perlonzelt. Zu fünft hat auch keiner gescheit liegen können, sondern wir sind da mehr oder weniger gesessen. Das Problem war, wir haben einfach viel zu wenig getrunken - das gehört zu dem Bereich, wo ich gesagt habe, dass wir taktisch schlecht vorbereitet waren.

AM:
Da hätte Taktik nicht viel genützt, weil wir nicht die Möglichkeiten gehabt haben. Wir sind dort zu fünft in dem Zweimannzelt, konnten uns nur rein hocken, natürlich ohne Luftmatratze - Isomatten gab es noch nicht einmal - und Luftmatratzen wären zu schwer gewesen. Wir saßen nur auf dem blanken Zeltboden und Equipment, Eispickel und Steigeisen, das war draußen am Rand vom Zelt eingegraben. Als wir raufgekommen sind am ersten Tag, war schon Nachmittag und wir wollten in der Nacht losmarschieren und dann war in der Nacht Schneefall und es hat gestürmt. Am Nachmittag ist dann wieder die Sonne rausgekommen und es ist drückend heiß geworden und wir haben uns dann wieder ausgerüstet, für die zweite Nacht zum Abmarsch. Da sind wir tatsächlich um 1 Uhr schon gestartet, nacheinander. Der erste war der Michl Anderl, der als Erster fertig war, als erster seine Steigeisen und Pickel draußen gefunden hat. Ich hab meine Steigeisen noch nicht an den Schuhen gehabt, da kam der Michl schon wieder retour und sagt bei der Kälte kann er überhaupt nicht mehr Schnaufen und ist bloß noch in das Zelt reingekrochen. Dann sind Toni Kinshofer und Siegi losmarschiert und ich war glaub ich der letzte, der fertig geworden ist, mit seiner Suche nach Steigeisen und Pickel. Es war eine relativ helle Nacht und direkt Vollmond. Und da war es dann ruhig. Aber es war so bitterkalt. Ich hab zu kleine Schuhe gehabt und der Sturmi hat bitterkalte Füße gehabt und wir sind immer wieder stehen geblieben, haben ein bisschen gestampft, damit wir die Füße wieder warm kriegen. Und der Siegi und der Toni waren weg, die sind voraus gegangen - irgendwann haben mir die Füße dann nicht mehr so weh getan und dann musste ich nicht mehr stehenbleiben und stampfen und konnte zu Siegi und Toni aufschließen. Sie haben dann gefragt, wo ist der Mani, und ich hab gesagt, der wird schon kommen. Da haben wir schon fast eine halbe Stunde gewartet und dann kam der Mani. Und der Toni hat gefragt, was los ist, und du hast gesagt, ja, du hast Rückenschmerzen, dir geht‘s nicht so gut. Und der Toni hat gesagt, ja du, jetzt könntest du noch absteigen zum Biwak- Zelt. Wenn wir so weitergehen wie jetzt, dann kehren wir irgendwann alle Fünf um und dann ist die Gipfelchance völlig vorbei.

Im Aufstieg. Nanga Parbat, 1962. Foto: Archiv DAV

MS:
Das habe ich noch wahnsinnig gut in Erinnerung, dass der Michl Anderl als erster umgekehrt ist, weiß ich auch. Das war für mich wahnsinnig schade, weil der Anderl war unheimlich aktiv am Berg und hätte es wirklich verdient gehabt, dass er an den Gipfel kommt. Ich bin da in dieser Anfangsphase unmittelbar hinter dem Siegi Löw gegangen und hab mich gewundert, dass der wie ein Wahnsinniger wegmarschiert ist. Also für meine Verhältnisse, auf 7200 Meter, ist der wahnsinnig schnell gegangen. Pervitin war damals in aller Munde. Haben wir auch durch den Herrligkoffer gehabt und -

GB:
Pervitin, zum Erklären, weil das kennt man heute nicht mehr. Also es ist die bekannte Stuka-Droge, die im Zweiten Weltkrieg schon eingesetzt wurde, um Soldaten aufzuputschen. Es ist ein Aufputschmittel, das auch Hermann Buhl benutzt hat bei seinem berühmten Alleingang auf Nanga Parbat. Wahrscheinlich hätte er das ohne Pervitin auch nicht überstanden, diese 42 Stunden. Also ihr habt das auch benutzt?

MS:
Nein, ich nicht, der Anderl nicht, der Toni nicht, aber ich bin sicher der Siegi.

AM:
Wir haben schon auf dem Schiff über Pervitin diskutiert und der Siegi war der Meinung, diesmal kommt er rauf und er nimmt nichts anderes mit als Pervitin. Von Trinken haben wir da gar nicht geredet.

MS:
Also Tatsache ist, dass wir in diesen zwei Nächten, die wir in diesen blöden Zelt verbracht haben, fast nichts getrunken haben. Wir haben fast nichts getrunken und noch weniger gegessen. Was uns damals unheimlich geschmeckt hat: Senf und Hartwurst. Und das hat allen geschmeckt! Aber wir haben viel zu wenig getrunken. Und dann ging es heute los: Dieser Bazhin-Kessel ist in meiner Erinnerung endlos lang, man sieht immer diese Scharte, wo der Buhl auch schon drüber marschiert ist von der anderen Seite. Da gehst du nicht am Seil. Erstens ist es eigentlich kein gefährlicher Gletscher und zweitens ist das Gelände nicht so, dass man Seil braucht – also ist jeder für sich dahin gestapft. Und mir ging es moralisch immer schlechter und dann habe ich wirklich wahnsinnige Rückenprobleme gehabt, aber die Scharte kam und kam nicht näher. Es ist hell geworden allmählich und die Scharte ist immer noch ewig weit weg. Also mich hat es da seelisch, moralisch einfach niedergedrückt.

GB:
Manfred Sturm, wie ist es aus heutiger Sicht nicht oben gewesen zu sein?

MS:
Eine sehr tolle Frage - die hab ich mir natürlich auch laufend gestellt. Soll ich dir was sagen? – Ich bin da ganz, ganz ehrlich: ich wäre gerne oben gewesen. Aber wenn ich mir den Anderl anschaue, der Siegi Löw ist tödlich abgestürzt, auch der Toni hat wahnsinnige Erfrierungen gehabt. Das wäre mir der Gipfel nicht wert gewesen. Und ich war ja dann später, Gott sei Dank, war ich auch noch ein paar mal unterwegs, ich war noch am Manaslu, auch nicht ganz oben, aber an der Shishapangma war ich dann und dann war mein Achttausender-Bedürfnis, sage ich jetzt so ganz banal. Ich habe nie den Wunsch gehabt, 10, 12 oder 14 Achttausender zu besteigen.

BW:
Die waren ja auch relativ lang - oder zu lang - in der Todeszone, oder?

HN:
Beim Gipfelgang auf jeden Fall! Allein in den höheren Bereichen, wo man sich auch noch vollständig anpassen kann, bis 6000 Meter oder sowas oder 7000 Meter, da muss man dem Körper auch eine Chance geben und Erholungsphasen einbauen.

GB:
Wusstet ihr denn damals, was euch wettermäßig erwartet? Den Wetterbericht kann man ja nicht vergleichen mit heute, mit einer Zentralanstalt für Meteorologie in Österreich, die über Satellitenstationen an jedem Berg der Welt mittlerweile eine genaue Wettervorhersage geben kann. Hattet ihr irgendeine Ahnung, was wettertechnisch passieren würde?

AM:
Da oben nicht mehr, wir haben garantiert kein Funkgerät mehr am Lager 4 dabei gehabt, oder? In Lager 3 vielleicht noch, und da hätte der Wetterbericht vom Herrligkoffer vom Hauptlager gefunkt werden können. Aber dann im Lager 4. Dann haben wir mit Sicherheit -

MS:
Anderl, wir haben uns auf unsere eigene Nase verlassen! Ich kann ich nicht erinnern, dass wir auch unten irgendeinen Bericht gehabt hätten, die nächsten Tage wird das Wetter schön oder schlecht. Aber wir haben eigentlich insgesamt Glück gehabt in der Zeit wo wir am Berg waren. Am Schluss war es ein bisschen blöd, dass die zwei Tage so beschissen waren, aber sonst war‘s eigentlich schönes Wetter.

Im Aufstieg. Nanga Parbat, 1962. Foto: Archiv DAV

GB:
Der Manfred Sturm ist dann also umgekehrt und jetzt seid ihr zu dritt weiter –

Auf zum Gipfel

MS:
Ja, den haben wir runtergeschickt, der ist auch nicht freiwillig umgekehrt. Er war nicht erbaut, dass er absteigen sollte. Aber er hat kapiert, dass wenn wir so weitergehen, schaffen wir das nicht und dann kehren wir irgendwann alle um. Dann ist der Mani umgekehrt und wir sind zu dritt weiter. Das Fiasko war, dass der viele Schneefall von der Nacht zuvor, tagsüber als am Nachmittag die Sonne raugekommen ist, oberflächlich aufgeweicht und zum Teil verfirnt, zum Teil war er stark windverblasen. Das heißt, teilweise konnte man ein paar Schritte machen, wo die Schneedecke getragen hat, und dann ist man wieder voll bis zur Hüfte in ein Loch gefallen - und aus diesem Loch herauszukommen, das war dermaßen anstrengend und vor allen Dingen zeitraubend. So haben wir uns da rauf gequält. Im steilen Bereich rauf zur Bazhin-Scharte ist das dann ein bisschen besser geworden. Da sind wir noch mit Skistöcken gegangen, die Stöcke haben wir dann an er Scharte deponiert und dann ein 30 Meter Seil dabei gehabt, das angelegt - also nur um die Hüfte angeseilt – und der Toni ist vorausgegangen und in einem kleinen Abstand von höchstens vier Meter war ich der letzte, vor mir der Siegi. Da sind wir dann mit Seilsicherungen relativ schnell zu dem Gendarm rauf gekommen, den hat der Buhl so explizit beschrieben und mit einer Schwierigkeit V bewertet hat - das haben wir auch so gesehen. Wir wollten auch die gleiche Umgehung von dem Turm machen, die der Buhl auch schon beschrieben hat, und die hat gar nicht gut ausgeschaut. Wir sind dann in den steilen Fels reingegangen und haben diagonal dort diesen Turm umgangen. Auf die Spitze von dem Turm sind wir gar nicht rauf gekommen, sondern in den Sattel rein. Und der Toni war schon ein Stück weiter oben, auf dem Grat gehockt, mit Schultersicherung und holt uns nach. Und der Siegi macht einen Schritt bisschen zu weit raus, da war eine Wechte, und bricht durch den Schnee durch und fällt in die steile Südostwand. Das ist einer der höchsten Abstürze auf Erden, weil das ist ein Absturz, der an die 5000 Meter hin ginge. Ich habe ihn nicht gehalten, sondern der Zufall hat ihn gehalten. Durch das, dass ich nur um die Hüfte angeseilt war, hat es mich nicht nach vorne rausgezogen - mit Schultersicherung hätte es einen Purzelbaum gegeben und wir wären alle drei weg gewesen. So hat es mich senkrecht nach unten gerissen und da war der Fels so günstig, dass ich mich abstützen konnte und durch die Seilreibung über die Kante, haben wir das durch Zufall stoppen können. Ich konnte runterschauen zum Siegi und der hat bloß noch geröchelt da unten, hat seinen Eispickel verloren. Und der Toni hat noch einen Jux gemacht und gefragt, ob er gleich rauf möchte oder ob er noch bisschen warten möchte. Er hat überhaupt nicht mitgekriegt, wie ernst die Situation war. Ich weiß heute noch nicht, wie ich ihn raufgebracht hab. Der Toni konnte ein bisschen durch schräg ziehen mithelfen. Er ist irgendwie bei mir an der Hüfte gehangen. Irgendwann habe ich ihn über die Kanten rauf gezogen - und dann ist er da gelegen und hat geröchelt und hat sich eine Viertelstunde erholen müssen, bis er fähig war, wieder aufzustehen.

GB:
Und ist der Siegi Löw dann noch weiter mit Richtung Gipfel?

AM:
Der ist noch mit! Erst im Nachhinein hab ich dann mitgekriegt, dass er eigentlich immer stiller wurde. Er war eigentlich ein Gaudibursch, der immer einen Spruch draufgehabt hat und er ist immer stiller geworden. Er hat mitgehen können, aber er war schon sehr sehr angeknackst. Dann sind wir auf die Schulter rauf gekommen. Aber in dem einzigen Rucksack, den wir dabeihatten, war kein Biwaksack drin. Der war im Rucksack vom Mani. Oben geht relativ leichtes Gelände rüber und ein kurzer Aufstieg dann zum Gipfel. Da war es dann glaube ich gegen fünf Uhr Nachmittag, als wir am Gipfel waren. Da war keine Gipfelfreude oder Siegesfreude - da war nur Freude, dass der letzte Schritt gemacht war. Da haben wir uns auch nicht umarmt, weil das hat man früher nicht gemacht, gell. Da haben wir uns die Hand gereicht und haben gesagt „Berg Heil“ und der Toni hat gesagt „So, den Zapfen hätten wir jetzt auch!“ (Lachen)

MS:
Das ist typisch Toni, ja.

GB:
Anderl Mannhardt, erinnerst du dich an irgendwas vom Ausblick?

AM:
Ja, sehr wohl! Aber da waren Wolken und immer wieder ist irgendwo ein hoher Berg frei geworden und wir haben versucht, den zu benennen, was das jetzt für Berggipfel sei - wahrscheinlich lagen wir immer daneben. Um uns zu orientieren haben wir zu wenig gesehen, es wurden immer nur sporadisch wieder mal Gipfel frei. Aber wir haben keinen Gesamtblick gehabt über das Gebirge. Vom Wetter her war es eine gemütliche Gipfelrast, es war kein Sturm und es war nicht besonders kalt.

GB:
Allerdings kurz vor Einbruch der Dunkelheit.

AM:
Und plötzlich schaut der Toni auf die Uhr und er realisiert, dass wir jetzt ein Problem haben. Also es hat echt pressiert, es war klar, dass wir für den Runterweg über den Grat Zeit brauchen. Er hat empfohlen, dass jeder Pervitin nimmt, damit wir das schaffen, damit wir schneller werden. Später haben wir im Hauptlager darüber gesprochen und der Toni war sich sicher, er hat keines genommen und ich war mir nicht mehr sicher – weil das war das einzige, das in der Anoraktasche war, kein Kaugummi, aber Pervitin und Schmerzmittel. Zum Trinken sowieso nichts!
Ganz kurzer Rückblick nochmal zum Trinken: Wir haben nicht nichts getrunken, nicht weil wir zu faul waren oder was. Wir haben zu fünft mit dem Benzinkocher versucht, Schnee zu schmelzen und haben dauernd wieder die Düse ausgebaut, weil der Kocher dauernd gestreikt hat. Das war das Dilemma, dass wir schon eine Zeitlang nichts zum Trinken hatten – und dann zwei Tage lang sowieso nix mehr.
Und dann steigen wir den kurzen Abstieg, wo dann die Querung anfängt, wieder zur Schulter zurück. Auf halbem Weg zwischen Abstieg vom Gipfel und dem kurzen Aufstieg rüber zur Schulter haben wir dann das Biwak eingeleitet. Ich bin rübergegangen zur Schulter, hab den deponierten Rucksack geholt. Und dann haben wir biwakiert – hintereinander, ich vorne dran, in der Mitte der Siegi und hinten der Toni. In der Nacht ist Sturm aufgekommen, es war eine bittere Nacht, die hat uns stark zugesetzt. Am nächsten Tag sind wir rüber zur Schulter, es war sehr sehr stürmisch - und da war uns klar: Mit dem Sturm auf dem Grat, das können wir vergessen.

Unwetter im Abstieg, Siegi Löw stürzt tödlich ab

GB:
Ihr seid ja da ungefähr 8000 Meter hoch-

AM:
Die Schulter ist 8080 glaube ich, ja. Beim Aufstieg haben wir schon gesehen, dass von der Schulter nach rechts eine steile Schneeflanke runterzieht - da haben wir einfach gehofft, dass der Weg möglich wäre. Das war der letzte Ausweg eigentlich und der war dann besser als gedacht.

GB:
OK, dann kam jemand auf die Idee, dass der Siegi Löw da am besten runterrutscht?

AM:
Das war keine Idee. Das war so: Wir waren wieder am 30 Meter Seil, der Toni hat gesichert und uns abgelassen, der Siegi unter mir und ich ein paar Meter oberhalb. Als das Seil aus war, haben wir geschaut, wo man einen Stand im steilen Schnee stapfen kann, und so und dann ist der Toni nachkommen. Das Problem war nicht die Schwierigkeit des Abstieges, sondern das Problem war dieser höllische Sturm. Wir haben nichts sehen können. Die Brille ist vereist gewesen und wir haben versucht die Augen frei zu kriegen und einen Blick nach unten zu werfen, aber im Sturm war das nicht möglich. Das war fast eine Art Blind- nicht Blindflug, aber Blind-Abstieg.

GB:
Heute sagt man ein White-Out.

AM:
Ja, so ungefähr. Irgendwann war eine kleine Sturmflaute und dann sieht man, wir müssen bloß ein bisschen weiter nach links und dann geht da ewig lang steile Schneeleiten runter. Und der Toni sagt, da brauchen wir jetzt keine Sicherungen – das ist ja eh ein bisschen mehr moralisch, keine echte Sicherung, wenn du nur einen Stand im Schnee hast. Dann haben wir uns abgeseilt, damit wir schneller sind. Ich bin vorausgegangen, ich wusste, ich bin der unterste. Und hab mich im steilen Schnee unter einen Felsen gestellt und hab meine Gamaschen gerichtet. Und dann kam der Toni runter und war völlig entsetzt: Wo ist der Siegi, wo ist der Siegi? Da sag ich, ich bin der unterste, kann nur oberhalb sein. Da ist der Toni direkt wieder aufgestiegen. Ich war noch nicht fertig, meine Gamaschen wieder schneefrei zu kriegen und wieder aufzusteigen und dann kommt der Toni schon wieder runter und sagt, jetzt ist der Siegi in der Nebenrinne vorbeigerutscht. Ob das Abrutschen bewusst war, dass runterrutschen wollte – kann sein. Sein Eisbeil haben wir nicht mehr gefunden, das hat er entweder stecken lassen oder es ist anderweitig verschütt gegangen. Es könnte sein, dass er bewusst auf dem Hosenboden abrutschen wollte und hat die Schrofenzone, die steile Felszone unten, die konnte er von oben nicht sehen. Wenn er also bewusst gerutscht wäre, dann wäre er, bevor er sie hätte sehen können, zu schnell gewesen und nicht mehr bremsen können. Er wäre immer über die steile Schrofenzone abgestürzt – und so war es leider. Von oben siehst du nicht viel von den Felsen. Und dann haben wir eine Weile gebraucht, bis wir durch die steile Felszone nach unten gekommen sind. Wir sind auch den unteren Teil, so schnell es ging, runtergerutscht. Und der Siegi liegt da in der relativ flachen Bazhin-Mulde und war bewusstlos und ist gar nicht mehr zu Bewusstsein gekommen.

GB:
Ihr habt ihn mitgeschleppt?

AM:
Ja, schleppen - was kann man tun, wenn man fast keine Ausrüstung dabeihat? Das 30 Meter Seil haben wir zum provisorischen Tragesitz gemacht, also einen Teil auf die Schultern und der Siegi mit den Oberschenkeln im unteren Teil von den Schlingen. Das Aufstehen war mühsam, ohne Hilfe vom Toni hätte ich das gar nicht geschafft. Für die ersten Schritte war der Schnee tragfähig und ich hab gemerkt, das geht. Ich war total verwundert, dass ich den Siegi tragen kann. Aber dann hat sich die Schneelage sofort geändert und ich bin eingebrochen und dann war das völlig absurd, es war nicht möglich, den zu tragen. Dann haben wir ihn im Schnee gelagert, ich hab meine Daunenjacke ausgezogen, seine war zerfetzt, die haben wir untergelegt. Und den Rucksack habe ich zurückgelassen, da waren auch unsere Fotos drinnen und ich bin abgestiegen, um Hilfe zu holen. Die es überhaupt nicht gegeben hätte, das war gar nicht möglich. Ich hab mich dann beim Abstieg ein bisschen verlaufen, bin zu weit nach links gekommen und haben nochmal ein Stück aufsteigen müssen, bis ich dann kapiert hab, wo die Richtung ist vom Lager 3. Am späten Nachmittag, gegen fünf Uhr, glaube ich, bin ich dann zum Lager 3 gekommen.

GB:
Die ersten Menschen, die dann die Gipfelrückkehrer oder den Anderl Mannhardt gesehen haben, das warst dann du, Manfred Sturm, Michl Anderl.

Vom Gipfel zurückgekehrt: Toni Kinshofer und Anderl Mannhardt. Foto: Archiv DAV

MS:
Ich weiß bloß, dass ich wahnsinnig entsetzt war, als ich dich gesehen hab. Da hatte er nämlich das Gesicht erfroren, die Zehen haben wir nicht gesehen. Aber du warst einfach vollkommen am Ende - das ist logisch, nach drei Nächten – die Biwaknacht zählt ja doppelt.

AM:
Ja klar, und nichts getrunken, bis ich da ins Lager 3 gekommen bin zum Michl.

MS:
Toni ist doch beim Siegi geblieben, um zu hoffen, dass er sich vielleicht wieder erholt.

AM:
Ich bin abgestiegen, um Rettung zu holen, aber das war absurd, Rettung gab es keine! Und der Toni ist beim Siegi geblieben, so lange bis er gewusst hat, er lebt nicht mehr. Er ist auch nicht mehr zu sich gekommen, hat immer geröchelt und gestöhnt und irgendwann ist er immer leiser geworden. Und der Toni hat festgestellt, der lebt nicht mehr. Er hat sich in der Nacht auf den Weg gemacht und ist die ganze Nacht herumgeirrt, in der Bahzin-Mulde und seine Schilderungen waren so, dass er Träume gehabt hat, er wandelt durch eine Tabak-Plantage und alle Augen sind auf ihn gerichtet und so ein Schmarrn und dann war ein Fußballspiel irgendwo. Und die Nacht ist vergangen - die war sehr stürmisch die Nacht - und da hat er sich mit dem Ellbogen eine Mulde gehauen und seinen Kopf vergraben, bis ihn der Sturm wieder hochgepeitscht hat und er wieder weitergegangen ist. Und erst bei Tageslicht hat er dann die richtige Richtung gefunden und eingeschlagen.

GB:
Also der Toni Kinshofer hat dann natürlich halluziniert. Stirnlampen oder so habt ihr ja nicht gehabt?

AM:
Nein, haben wir nicht gehabt. Ich hab schon mal nachgedacht, gegeben hätte es sie zu der Zeit ja wohl schon, aber auch nicht mit sehr starkem Licht.

Die Bilanz: was ist der Gipfelerfolg wert?

GB:
Du hast, Anderl Mannhardt, jetzt inzwischen schwarze Zehen gehabt. Wann hast du das gesehen?

AM:
Zehen wären ja harmlos, ich hatte die Fersen erfroren, die halben Vorfüße und wäre normalerweise am Unterschenkel - da gibt es einen Namen dafür, da hat man angeblich von den Weltkriegen her große Erfahrungen bei Amputationen - und das wäre bei mir angestanden. Nur der Herrligkoffer und ich waren dagegen und haben gebeten, wenigstens den Versuch zu machen, es so zu amputieren, wie sie jetzt sind. Normal wäre ich doppelt Prothesenträger und das wollten wir unbedingt vermeiden. Was besser war, weiß ich jetzt nicht, jetzt ist es halt so. Wie ich den Herr, den Amerikaner beidseitig fußamputiert und Prothesenträger – als ich das gesehen hab, hab ich mir gedacht, das hätte man bei mir durchaus schon machen sollen wahrscheinlich.

GB:
Also dir hat man im Prinzip den Mittelfuß durchtrennt vorne -

AM:
Vor allem ging das nicht ohne Verpflanzungen. Ich bin also jeweils drei Wochen mit einem Fuß auf dem Gegenfuß an der Wade angebunden gewesen, da musste das Gewebe rüberwachsen. Also nicht nur Hautverpflanzung, sondern das war eine Gewebeverpflanzung. Ich war viereinhalb Monate im Krankenhaus Rechts der Isar.

GB:
Jetzt hat der Manfred Sturm vorhin gesagt, in seiner Gesamtbilanz ist er eigentlich zufriedener, dass er umgekehrt ist. Dann hast du sehr genickt. Also wenn du jetzt nochmal die Wahl hättest, sozusagen und man dir sagen würde, was der Preis ist, wärst du umgekehrt?

AM:
Da braucht man natürlich gar nicht drüber reden, das ist ganz klar! Wenn mir einer zuvor gesagt hätte, du kommst mit erfrorenen Zehen – da reden wir nicht von meinen Erfrierungen an den Füßen, sondern nur von den Zehen, ähnlich vielleicht wie beim Messner, der hat nicht die kompletten Zehen weg, sondern zwei Drittel ungefähr – dann hätte ich abgelehnt. Das wäre mit vermessen vorgekommen und niemals wäre ich bereit gewesen, ein großes Risiko einzugehen, überhaupt nicht. Im Nachhinein sage ich, die Zehen wär’s mir wert gewesen – nur die Zehen, nicht das was ich habe, das wars mir natürlich nicht wert.

Die Rückkehrer mit schweren Erfrierungen. Foto: Archiv DAV

GB:
Du bist Jahrgang ´39, also 83 Jahre alt. Ist es der Höhepunkt deines Lebens insgesamt?

AM:
Höhepunkt ist schwierig. Was hätte ich sonst vergleichsweise als Höhepunkt? Man kann ein Familienleben nicht damit vergleichen. Aber von irgendwelchen sportlichen Aktivitäten oder Erlebnissen oder Reiseerlebnissen her, würde ich sagen, dass das schon ein gewisser Höhepunkt war, ja.

GB:
Manfred Sturm?

MS:
Ich darf noch was zum Anderl sagen - und zwar: Er hat eine wahnsinnig reizende Familie! Bei seinem 75. Geburtstag - drei Kinder hast du – er hat wahnsinnig nette Kinder, die haben mich damals begeistert und das ist ja ein wunderbarer Teil von einem erfüllten Leben. Da möchte ich nicht dran rütteln.
Aber, Georg, wenn du mich jetzt auch fragst, dann war der Nanga eine Vorstufe. Weil für uns Münchner, oder die Oberländer, war das Erreichen von einem hohen Gipfel im Himalaya, das war das oberste Ziel – darum haben wir trainiert, also das gebe ich für mich auf jeden Fall zu. Wir haben daraufhin trainiert, wir haben versucht, extreme Bergsteiger zu werden, haben unheimlich viel in den Alpen gemacht und das oberste Ziel war irgendein Achttausender.

GB:
Hubert Schmidbauer?

HS:
Ich erinnere mich noch, wie der Mani zurück ins Lager 2 gekommen ist und erzählt hat, dass der Siegi zurückgeblieben ist. Da hat der Mani gesagt, aber Gott sei Dank sind Anderl und Toni noch runtergekommen. Am Hauptlager haben wir eine Gedenk-Pyramide aufgebaut, der Anderl Michl hat in Kistendeckel den Namen eingraviert und erst dann haben wir verstanden, dass der Siegi nicht mehr mit uns nachhause kommt. Da war uns bewusst der der Siegi so weit oben sein eisiges Grab erhalten hat. Das war schon eine sehr gravierende Sache.
Aber es war zum Schluss doch ein großes Erleben, und wie gesagt, wir waren junge Bergsteiger und natürlich waren wir auch ein bisschen stolz – innerlich, das haben wir nicht nach außen getragen, aber wir waren stolz, dass wir damals mit dabei waren.  

GB:
Wir sitzen im Herrenzimmer des Bergführers Hajo Netzer, der die erste kommerzielle Expedition dann durch genau diese Diamir-Flanke auf den Nanga Parbat geführt hat. Wie beurteilst du die Motivation, die die gehabt haben? Also ich hab mir jetzt schon gedacht, das war schon höchst verwegen - auch noch bei diesen Wetterbedingungen, mit diesem einen Biwak-Zelt zweieinhalb Tage ungefähr in der Todeszone -

HN:
Die Problematik, dass man aus Ehrgeiz und jugendlichem Wahnsinn irgendwas sich einbildet und sich da durch pickelt, das ist die gleiche geblieben und da wird sich wahrscheinlich nicht so viel ändern. Heute macht man es halt anders, aber mit demselben Irrsinn im Kopf wie wir auch. Wie sie geschildert haben: Man stellt natürlich auch viele Gefahren völlig hinten an und lebt mit der Illusion, dass einem selber nichts passieren kann - obwohl man genau weiß, dass einem sehr wohl was passieren kann. Das ist dieser Wahnsinn, der uns allen eigen ist.

GB:
Sie haben das jetzt ja auch bewertet. Gerade der Anderl hat einen hohen Preis bezahlt, sie haben alle ja im Prinzip einen hohen Preis bezahlt - wenn ein Kamerad auf einer Tour stirbt, das grenzt schon an das Schlimmste, was passieren kann.

HN:
Das ist das, was einen so beschäftigt – auch im Alter - dass man das ja völlig außen vor lässt. Man lebt wirklich mit der Illusion, mir passiert nichts - und nur mit dieser Illusion kann man dann auch starten. Und ja, dann paar Jahre später denkt man sich, Mensch, wie blöd kann man sein, dass man auch objektiv ein so hohes Risiko eingegangen ist.

Wenn aus Vorbildern Kollegen werden

BW:
Jetzt sitzen der Anderl, Manfred und Hubert hier bei dir. Kanntest du die damals, als du auf den Nanga Parbat gegangen bist? Waren das deine Vorbilder, oder kam das erst hinterher? Kann man von den Expeditionen davor lernen - schaut man sich die an?

HN:
Als Jugendlicher habe ich diese ganzen Expeditions-Bücher verschlungen! Und die ganzen Expeditionen der 60er und 70er Jahre hab ich schon verfolgt. Daraus nimmt man zumindest die Erkenntnisse mit. Ich hätte mich aber nie getraut, die zu fragen oder zu kontaktieren, aber insgesamt waren sie mir natürlich wahnsinnig präsent.

BW:
Du hättest dich nicht getraut, sie anzurufen und zu fragen, du, ich geh jetzt auf den Nanga Parbat -

HN:
Nee, nee, da war ich zu viel zu ehrfürchtig vor diesen ganzen Namen und Typen. Es war natürlich auch ein ganz anderes Bergsteigen - diese Entbehrungen, die die damals durchlitten haben, das war für mich einfach unvorstellbar. Also heutzutage ist auf dem Nanga Parbat ein Gipfelbuch, weil der Messner hat so eine Messingschatulle oben gelassen als Beweis für seinen Alleingang. Und das ist jetzt praktisch so ein Gipfelbuch und wenn man das aufrollt und das Papier rausnimmt und dann diese ganzen Namen, die da verewigt sind, lesen kann - für mich war das ein wahnsinns Moment! Neben diesen ganzen berühmten Namen dann auch klein Hajo eintragen zu dürfen. Das war wirklich die Erfüllung eines Jugendtraums.
Ich hab 2002 die 40-Jahr-Feier für die Erstbegehung der Diamir-Flanke in Miesbach organisiert und da habe ich dann Kontakt mit dem Anderl aufgenommen und auch mit dem Hubert. Da hab ich mich dann getraut – nachdem ich auch endlich oben gewesen bin, da hab ich gedacht, ok, jetzt sind wir per Du. Mei, ich war stolz wie Sau und dann traut man sich auch, anzurufen.  

Manfred Sturm, Hajo Netzer, Anderl Mannhardt, Georg Bayerle und Hubert Schmidbauer - gemeinsam haben sie die Erinnerungen an die Expedition 1962 noch einmal zum Leben erweckt. Foto: BR/Barbara Weiß

Angela Kreß:
Das waren Anderl Mannhardt, Manfred Sturm, Hubert Schmidbauer und Hajo Netzer im Gespräch mit Georg Bayerle und Barbara Weiß.
Um noch mit einem letzten interessanten Fact zu schließen: Als erstes stand Hermann Buhl auf dem Gipfel, und zwar ziemlich genau vor 70 Jahren, am 3. Juli 1953. Anlässlich dieses Jubiläums gibt’s zum Beispiel beim BR noch mehr spannende Beiträge rund um den Nanga Parbat, die Links dazu findet ihr in den Shownotes.
Beim Bergpodcast geht’s auch in der nächsten Folge noch einmal um Expeditionen – dann allerdings um die moderneren Versionen. Wir freuen uns, wenn ihr dann wieder mit dabei seid. Bis dahin, Tschüss und auf Wiederhören!

Mehr zum Nanga Parbat

Im Programm des BR sind weitere hörens- und sehenswerte Beiträge mit Anderl Mannhardt, Manfred Sturm und Hubert Schmidbauer entstanden:

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