Typische Muster und deren Gefahren

Schneearten und Lawinenprobleme

Neuschnee, Triebschnee, Altschnee, Nassschnee, Gleitschnee: Diese Schneearten deuten auf unterschiedliche Lawinenprobleme hin. Wer den Lawinenlagebericht richtig verstehen will, sollte sich über diese typischen Muster informieren.

Neuschnee

Merkmale

Das Problem entsteht durch aktuelle Schneefälle oder kurz zuvor gefallenen Neuschnee. Der Haupteinflussfaktor ist die kritische Neuschneemenge, die von mehreren Faktoren, wie zum Beispiel Temperatur oder Eigenschaften der alten Schneeoberfläche abhängt.

Günstige und ungünstige Bedingungen bei Neuschnee Illustration: Georg Sojer

Zu erwartende Lawinenarten

  • trockene Schneebrettlawinen

  • trockene Lockerschneelawinen

  • spontane und künstliche Auslösungen

Auslösemechanismen

Trockene Schneebrettlawinen: Zusatzbelastung durch den Schneefall auf existierende oder neu gebildete Schwachschichten
Trockene Lockerschneelawinen: Fehlende Verbindung zwischen den Neuschneekristallen

Dauer

Während des Schneefalls bis einige Tage danach.

Problemerkennung im Gelände

Das Neuschneeproblem ist relativ einfach zu erkennen. Beachte die kritische Neuschneemenge und frische Lawinen. Beachte, dass kleine Wetteränderungen (z.B. Wechsel der Luftfeuchte) die Neuschneebedingungen markant ändern können.

Verhaltensempfehlung

Trockene Schneebrettlawinen: Warte, bis sich der Neuschnee stabilisiert hat
Trockene Lockerschneelawinen: Beachte vor allem die Mitreiß- und Absturzgefahr im extremen Steilgelände

Triebschnee

Merkmale

Das Problem entsteht durch windverfrachteten Schnee. Triebschnee kann sowohl mit, als auch ohne gleichzeitigen Schneefall entstehen.

Zu erwartende Lawinenarten

  • trockene Schneebrettlawinen

  • spontane und künstliche Auslösungen

Räumliche Verteilung

Ausgesprochen unregelmäßig verteilt, tendenziell in windabgewandten Bereichen (Lee), in Rinnen, Mulden, hinter Geländekanten und anderen windberuhigten Flächen. Häufiger über der Waldgrenze als darunter.

Position der Schwachschicht in der Schneedecke

Meist am Übergang zur alten Schneeoberfläche oder innerhalb des Triebschnees (Schichtungen durch Änderung der Windgeschwindigkeit während einer Sturmperiode) und gelegentlich auch tiefer in der Altschneedecke.

Auslösemechanismen

Zusatzbelastung durch den Triebschnee auf eine Schwachschicht. Triebschnee bildet ein Schneebrett, welches speziell zur Bruchausbildung neigt.

Dauer

Triebschnee kann sehr rasch entstehen. Das Problem dauert üblicherweise während der Verfrachtung bis einige Tage nach dem letzten Windeinfluss (abhängig vom Schneedeckenaufbau).

Problemerkennung im Gelände

Das Triebschneeproblem ist mit Übung und bei guten Sichtverhältnissen relativ leicht zu erkennen, außer der Triebschnee wurde von Neuschnee überlagert. Beachte Windzeichen und lokalisiere Triebschneeablagerungen. Typische Hinweise: Triebschneeablagerungen, Rissbildung, Wumm-Geräusche, frische Lawinen. Oft ist es aber schwierig, das Alter des Triebschnees abzuschätzen und Triebschnee muss nicht zwingend ein Problem sein (z.B. bei fehlender Schwachschicht).

Verhaltensempfehlung

Vermeide Triebschneeablagerungen in steilem Gelände, insbesondere an Übergängen von viel zu wenig Schnee und von weichem zu hartem Schnee.

Typische Windzeichen: Wo hat der Wind den Schnee weggenommen und wo liegt er jetzt? Illustration: Georg Sojer

Altschnee

Merkmale

Das Problem entsteht durch vorhandene Schwachschichten in der Altschneedecke. Typische Schwachschichten sind eingeschneiter Oberflächenreif, Tiefenreif (auch Becherkristalle oder „Schwimmschnee“ genannt) oder kantige Kristalle.

Zu erwartende Lawinenarten

  • trockene Schneebrettlawinen

  • meist künstliche Auslösung (z.B. Wintersportler, Sprengung); spontane Lawinen sind selten, meist in Kombination mit einem anderen Problem

Räumliche Verteilung

Das Lawinenproblem kann sowohl großflächig verteilt als auch kleinräumig konzentriert sein. Es ist in allen Expositionen möglich, aber häufiger in schattigen, eher windgeschützten Hängen. Position der Schwachschicht in der Schneedecke irgendwo im Altschnee, oft tief in der Schneedecke. Wenn die Schwachschicht von mächtigen, stabileren Schichten überdeckt ist, wird die Auslösung schwieriger.

Auslösemechanismen

Bruch einer Schwachschicht im Altschnee, wenn die Zusatzlast die Festigkeit der Schwachschicht überschreitet.

Dauer

Wochen bis Monate, teilweise während des gesamten Winters.

Problemerkennung im Gelände

Das Altschneeproblem ist äußerst schwierig zu erkennen. Zeichen für Instabilität (z.B. Wumm-Geräusche) sind typisch, aber nicht zwingend vorhanden. Schneedeckentests können helfen, die Schwachschichten zu erkennen. Informationen zur Schneedeckenentwicklung und Informationen im Lawinenlagebericht/Lawinenbulletin sind wichtig. Die Bruchfortpflanzungen erfolgen üblicherweise über weite Strecken. Fernauslösungen sind ebenfalls möglich.

Verhaltensempfehlung

Meiden von großen Steilhängen und Zurückhaltung. Beachte den Witterungsverlauf und die Schneedeckenentwicklung in einem Gebiet. Besondere Vorsicht in schneearmen Bereichen und Übergängen von schneearmen zu schneereichen Bereichen. Das Altschneeproblem ist die Hauptursache von tödlichen Lawinenunfällen bei Wintersportler*innen.

Schneeprofile: Neuschnee, Harschdeckel, Altschneeschicht, Becherkristalle (v.l.n.r.). Illustration: Georg Sojer

Nassschnee

Merkmale

Das Problem entsteht durch eine zunehmende Schwächung der Schneedecke durch Wassereintrag, entweder durch Schmelze oder Regen.

Zu erwartende Lawinenarten

  • Nasse Schneebrettlawinen

  • Nasse Lockerschneelawinen

  • Meist spontane Auslösungen

Räumliche Verteilung

Wenn die Sonneneinstrahlung die Hauptursache des Problems ist, hängt die Verbreitung vor allem von der Höhenlage und der Exposition ab. Wenn Regen die Ursache ist, sind alle Expositionen betroffen.

Position der Schwachschicht in der Schneedecke

Irgendwo in der Schneedecke.

Auslösemechanismen

Trockene Schneebrettlawinen: Schwächung und Bruch ehemaliger Schwachschichten in der Schneedecke oder Abgleiten von Schichten an Wasserhorizonten

Nasse Lockerschneelawinen: Verlust von Bindungen zwischen den Schneekristallen

Dauer

  • Stunden bis Tage

  • rascher Stabilitätsverlust möglich

  • besonders kritisch ist das erste Eindringen von Wasser tiefer in die Schneedecke, sobald die Schneedecke 0 °C-isotherm ist

  • spontane Lawinenabgänge sind am Nachmittag wahrscheinlicher als am Morgen (außer wenn Regen die Hauptursache des Problems ist)


Problemerkennung im Gelände

Das Nassschneeproblem ist meist einfach zu erkennen. Beginnender Regen, Bildung von Schneeballen oder Schneerollen, kleine nasse Schneebrett- oder Lockerschneelawinen kündigen oft nasse Lawinenaktivität an. Tiefes Einsinken in die Schneedecke ist ebenfalls ein Zeichen zunehmender Durchfeuchtung/-nässung.

Verhaltensempfehlung

Nach einer kalten, klaren Nacht sind die Bedingungen am Morgen meist günstig. Nach warmen, bedeckten Nächten tritt das Problem oft bereits am Morgen auf. Bei Regen auf eine trockene Schneedecke tritt das Problem meist unmittelbar auf. Gutes Timing und eine gute Tourenplanung sind entscheidend. Beachte Lawinenauslaufbereiche.

Typische Gefahrensituation: zu spät unterwegs im Frühjahr. Illustration: Georg Sojer

Gleitschnee

Merkmale

Die gesamte Schneedecke gleitet auf glattem Untergrund (z.B. Grashänge oder glatte Felszonen) ab. Hohe Aktivität von Gleitschneelawinen ist typischerweise verbunden mit einer mächtigen Schneedecke mit wenigen oder keinen Schwachschichten. Gleitschneelawinen können sowohl bei einer trockenen, kalten als auch bei einer nassen, 0°C-isothermen Schneedecke auftreten. Den genauen Abgangszeitpunkt von Gleitschneelawinen vorherzusagen ist kaum möglich, obwohl sie sich meist durch Gleitschneerisse (sogenannte Fischmäuler) ankündigen.


Zu erwartende Lawinenarten

  • Gleitschneelawinen; trocken/kalt und nass/0°C-isotherm

  • Fast ausschließlich spontane Auslösungen. Künstliche Auslösungen sind unwahrscheinlich.

Gleitschnee

Nicht nur im Frühjahr, sondern auch im Hochwinter, insbesondere wenn der erste Schneefall mächtig war und auf einen warmen Boden fiel, können Gleitschneelawinen eine Gefahr darstellen. Sie können ohne Vorwarnung zu jeder Tages- und Nachtzeit abgehen.

Räumliche Verteilung

Vor allem auf glattem Untergrund. In allen Expositionen, aber öfter an Südhängen.

Position der Schwachschicht in der Schneedecke

Am Übergang der Schneedecke zum Boden.

Auslösemechanismen

Gleitschneelawinen werden aufgrund des Reibungsverlusts auf einer wassergesättigten Schicht zwischen Schneedecke und Boden ausgelöst.

Dauer

Tage bis Monate, Auslösungen während des gesamten Winters möglich. Auslösungen können zu jeder Tages- oder Nachtzeit auftreten. Im Frühling treten sie meist im späteren Tagesverlauf auf.


Problemerkennung im Gelände

Gleitschneerisse (Fischmäuler) sind zwar einfach zu erkennen, der Auslösezeitpunkt kann jedoch so gut wie nicht vorhergesagt werden. Auslösungen sind auch ohne die Bildung von Gleitschneerissen möglich.

Verhaltensempfehlung

Halte dich nicht in der Nähe von Gleitschneerissen auf.

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