Illustration einer Frau beim Sichern in der Kletterhalle
Ein großer Gewichtsunterschied kann beim Klettern zu Problemen führen. Illustration: Georg Sojer
Sportklettern

Sichern mit Gewichtsunterschied

Mit Halbautomaten ist das reine Halten eines Sturzes beim Klettern ohne zu viel Seildurchlauf im Gerät kein Problem mehr, auch für leichte Menschen mit wenig Handkraft. Ein großer Gewichtsunterschied kann dennoch zu Problemen führen. Jörg Helfrich, Julia Janotte und Florian Hellberg haben untersucht, wann welche Gegenmaßnahmen sinnvoll sind.

Eine typische Situation beim Klettern: Ein Pärchen bildet eine Seilschaft. Er 80 Kilo, sie 60. Den (Kletter-)Partner sucht man sich eben nicht nach dem Gewicht aus. Deshalb erschweren Gewichtsunterschiede vielen Seilschaften die Aufgabe, „gut“ zu sichern.

Gut sichern - keine leichte Aufgabe!

Die leichte stürzende Person soll „weich“, also angenehm und ohne Anprallverletzungen gehalten werden; das schafft die schwerere Person durch aktiv körperdynamisches Sichern oder weitere Techniken, je nach Reibung im Seilverlauf und dem Gewichtsverhältnis. Heikler ist, wenn die sichernde Person deutlich weniger wiegt als der*die Stürzende – ohne prophylaktische Gegenmaßnahmen wird sie hochgerissen, was zu folgenden Problemen führen kann, die sich zudem überlagern können:

  • Sturzwegverlängerung und dadurch höheres Bodensturzrisiko für stürzende Person

  • Verletzungen durch Kollision von Sichernden und Kletternden

  • Verletzungen der sichernden Person durch Anprall an der Wand oder Kontakt mit der ersten Exe

  • Verlust der Bremsseilkontrolle bei dynamischen Sicherungsgeräten

  • Aufhebung der Blockierunterstützung bei Halbautomaten

Hinzu kommt, dass die Handkraft der (leichten) sichernden Person eventuell nicht ausreicht, um beim Ablassen der schweren Person den Seildurchlauf zu kontrollieren – Unfälle durch „Durchrauschen“ gibt es (zu) viele.

Was also kann man tun, um die notorisch gefährliche Kombination „leichte*r Sichernde*r, schwere*r Stürzende*r“ zu entschärfen?

Große Gewichtsunterschiede erfordern viel Routine

Im Optimalfall sind beide Seilschaftspartner*innen gleich schwer. Nach derzeitiger Lehrmeinung soll die Person, die vorsteigt nicht mehr als 1,3-mal so viel wie die Sichernde wiegen. Beim Topropesichern gilt das 1,5-Fache als Grenze des Zumutbaren. Größere Unterschiede fordern besonders routinierte Sichernde. Bei der letzten Kletterhallenstudie (publiziert in DAV Panorama 4/16) beobachteten wir aber, dass schwere Sichernde teilweise mehr Probleme hatten, ein gleich schweres Fallgewicht zu halten, als leichte Sichernde mit gleich leichtem Fallgewicht. Wir stellten uns daher die Frage, ob die Empfehlung wie gehabt einen Gewichtsfaktor beschreiben sollte oder besser einen absoluten Gewichtsunterschied in Kilogramm.

Weiter beschäftigte uns die Frage: Bis zu welchem Gewichtsunterschied können Stürze mit Halbautomat in reibungsarmem Umfeld (Kletterhalle) sicher gehalten werden?

Halbautomaten bieten Sicherheitsvorteile

Diesen halbautomatischen Sicherungsgeräten (wie Grigri, Smart, Clickup, Ergo, Jul2, Fish) gehört die Zukunft, weil sie, wie der DAV 2015 mit seiner Sicherungsgeräte-Empfehlung klarstellte, einen Sicherheitsvorteil gegenüber dynamischen Sicherungsgeräten (HMS, Tube) bieten – besonders wertvoll, wenn die sichernde Person leichter als die kletternde ist. Wie man Halbautomaten zum Sichern richtig nutzt, erklären wir in unserer Videoserie zum sicheren Klettern.

Halbautomaten verstärken aber nur die Bremskraft – Bodenstürze durch geräteunabhängige Sicherungsfehler (etwa zu viel Schlappseil oder zu großer Abstand der sichernden Person zur Wand) sind nach wie vor möglich. Zudem wirkt die Schwerkraft ungemindert: Bei der Blockierung des Bremsseils beim Sturz wird die Sturzenergie direkt auf die sichernde Person übertragen – diese hebt ab. Die Problematik könnte sich mit Halbautomaten verschärfen, da das Gerät unmittelbar und ohne Seildurchlauf blockiert.

Deshalb die Frage: Ab welchem Gewichtsunterschied drohen mit Halbautomat die oben genannten Probleme?

Wie haben wir getestet?

Zur Simulation der Stürze diente ein Reifen, der zwischen 0 und 45 Kilogramm schwerer war als die sichernde Person, die Sturzhöhe wurde zwischen 100 und 150 Zentimetern über der neunten Exe variiert. Es sicherten Personen zwischen 54 und 100 Kilogramm ohne aktiv dynamische Sicherung mit einem 9,5-mm-Seil und einem Meter Abstand zur Wand. Zusätzlich machten wir Versuche mit einem dicken (11 mm) und einem dünnen Seil (8,9 mm). Ab 10 Kilogramm Gewichtsunterschied testeten wir gewichts- und reibungserhöhende Maßnahmen.

Alle Stürze wurden ohne Schlappseil und mit voller Aufmerksamkeit gehalten; gemessen wurde, wie weit der Sichernde hochgezogen wurde. Die Höhe der ersten Exe variiert von Halle zu Halle; je niedriger, desto weniger Spielraum bleibt der sichernden Person. In unserer Testhalle hing sie auf 280 Zentimeter Höhe. Damit der Sturz als „sicher“ gehalten galt, musste das Sicherungsgerät spätestens auf 250 Zentimeter zum Stillstand kommen. Als kritisch werteten wir, wenn der Sturz erst durch die erste eingehängte Exe gestoppt wird; wird das Sicherungsgerät mit voller Wucht in die Exe gezogen, kann dies möglicherweise die Blockierfunktion aufheben. Außerdem sind Verletzungen, zumindest der Führungshand, kaum vermeidbar.

Optimal sind bis zu 5 kg Gewichtsunterschied. Illustration: Georg Sojer

Wann wird’s gefährlich? Was tun bei schweren Stürzen?

Bis zu einem Gewichtsunterschied von 5 Kilogramm konnten alle Stürze „sicher“ gehalten werden. Ab 10 Kilogramm aber war das nur noch mit zusätzlichen Maßnahmen möglich.

Achtung: Bei dünnerem Seildurchmesser verschärft sich die Problematik! Zudem zeigte sich: Je schneller man beim Sichern die Füße gegen die Wand stemmt (ca. 90° zum Oberkörper), um den Sturz abzubremsen, umso weniger wird man hochgezogen. Das belegt auch, wie wichtig feste Schuhe beim Sichern sind.

Um ein zu starkes Abheben der (mehr als 10 Kilo) leichteren sichernden Person zu verhindern, gibt es verschiedene Maßnahmen, die auf zwei unterschiedlichen Prinzipien aufbauen:

  • das Gewicht der sichernden Person künstlich erhöhen (Ballastsack oder Selbstsicherung),

  • die Reibung im Sicherungssystem künstlich erhöhen (Reibungsclip, Reibungserhöher wie „Ohm“ oder „Bauer“).

Gewichts-Erhöhung mit Ballastsäcken

In Kletterhallen ermöglichen Ballastsäcke (siehe Bild), das Gesamtgewicht der sichernden Person dem der kletternden anzugleichen. Dazu wird der Ballastsack mit der vorhandenen Schlinge oder einer eingeknüpften Bandschlinge (maximal 120 Zentimeter) per Karabiner in die Anseilschlaufe eingehängt – unterhalb des Sicherungskarabiners und gegenüber der Bremshand, um Kollision von Verbindungsschlinge und Hand zu verhindern. Der Sack steht leicht seitlich und hinter der sichernden Person, die Verbindungsschlinge ist leicht gespannt. So kann man durch Zurückgehen schnell das Seil verkürzen, sollte aber immer wieder in die Ausgangsposition zurückgehen.

Sichern mit Ballastsack. Illustration: Georg Sojer

Am Fels: Selbstsicherung

Die Gewichtserhöhung begrenzt die mögliche Sturzwegverlängerung, erhöht aber nicht die Handkraft beim Sichern. Deshalb ist bei etwa 5 Kilo Gewichtsunterschied plus Gewicht des Ballastsacks (maximal 20 Kilo) Schluss; bei größeren Unterschieden empfehlen sich reibungserhöhende Systeme.

Auch am Fels kann es sinnvoll sein, das Abheben der sichernden Person zu verhindern – obwohl dort meist mehr Reibung im System herrscht und die meist höheren ersten Haken mehr Flugstrecke bieten. Ballastsäcke sind dort aber normalerweise nicht verfügbar; als Lösung bleibt also eine Selbstsicherung (siehe Bild). Die Selbstsicherung sollte zwei bis fünf Meter lang sein, idealerweise an einem Baum hinter der sichernden Person auf Hüfthöhe per Bandschlinge fixiert, beim Sichernden an der Anseilschlaufe unterhalb des Sicherungskarabiners, gegenüber der Bremshand. Wichtig sind dabei zwei Details: Die Selbstsicherung muss leicht auf Zug sein; und das System „Fixierung – Sichernder – erste Exe“ muss eine gerade Linie bilden, damit der*die Sichernde nicht auch noch zur Seite gerissen wird. Ein Gewichtsverhältnis von 150 Prozent ist die Grenze, ab der die Handkraft ein sicheres Ablassen nicht mehr gewährleistet.

Selbstsicherung an einem Baum. Illustration: Georg Sojer

Künstliche Reibungs-Erhöhung

Diese Maßnahmen wirken auch beim Ablassen, entschärfen also Probleme durch geringe Handkraft. Auch erlernte Bewegungsroutinen wie Vor- und Zurücklaufen beim Sichern bleiben uneingeschränkt möglich. Eine neue Perspektive für dieses Prinzip bringen „Reibungserhöher“ (bisher Ohm und Bauer): Geräte, die an der ersten Exe angebracht werden – mit dem kleinen Nachteil, dass sie beim Klettern ein- und nach dem Ablassen ausgehängt werden müssen.

Beim Reibungsclip (siehe Bild) hängt man das Seil zusätzlich in die erste Exe der benachbarten Route. Wir maßen eine Reduzierung der Kraft auf die sichernde Person beim Ablassen um 75 Prozent, während es rein durch die Umlenkung nur 50 Prozent sind. Ein Vorteil ist auch die Verminderung der Kollisionsgefahr durch die seitliche Position.

Sichern mit Reibungsclip. Illustration: Georg Sojer

Sichern mit Reibungserhöhern

Nachteile: Bei wenig Gewichtsunterschied kann das Abbremsen des Sturzes als hart empfunden werden. Auch ist die Reibung beim Seileinziehen etwas erhöht. Die Maßnahme ist nicht einsetzbar, wenn in beiden Nachbarrouten geklettert wird. Freilich ist die Frage, ob man dann noch dazwischen einsteigen sollte! Prinzipiell könnte man mit dem Reibungsclip die Nachbarroute blockieren und sich damit auch freieren Sturzraum in der Wand reservieren. In der abendlichen Realität in Kletterhallen bleibt dies jedoch eine Wunschvorstellung.

Das Ohm (sieh Bild 5b) von Edelrid wird samt mitgelieferter Expressschlinge ins Seil eingeclippt und in den ersten Haken eingehängt. Beim Klettern läuft das Seil ungestört durch den Bremsschlitz, bei Belastung (Sturz, Ablassen) stellt sich das Gerät auf, das Seil wird in der schmaleren Seite des Schlitzes gebremst. Dazu sollte man mit circa einem Meter Abstand zur Wand sichern.

Auch beim Bauer (siehe Bild 5a) wird vorab das Seil eingelegt, dann das Gerät mit Karabiner in den ersten Haken eingehängt. Es erhöht die Reibung durch große Stahlnocken, die dem Seil einen geknickten Verlauf verpassen, ähnlich wie beim Reibungsclip. Dieses Gerät zeigt die stärkste Wirkung: Auch 80-100 Kilo schwere Sichernde konnten problemlos 45 Kilogramm schwerere Sturzmassen halten, und dies mit deutlich weniger vertikaler Beschleunigung. Ein Nachteil ist, dass die Reibung immer etwas erhöht ist und dass Stürze meist recht hart abgebremst werden. Das Bauer eignet sich für besonders große Gewichtsunterschiede, etwa wenn Kinder oder Jugendliche Erwachsene sichern – und wenn nicht regelmäßig gestürzt wird.

Reibungserhöher Bauer und Ohm. Illustration: Georg Sojer

Verzicht auf niedrige erste Exe?

In Kletterhallen hängen die ersten Exen meist niedriger als am Fels, der Bremsweg ist also wesentlich kürzer, und die Gefahr, dass man beim Sichern an die erste Exe gezogen wird, höher. Verlängert man die „Flugstrecke“ der sichernden Person, nimmt das spürbar die Kraftspitzen aus dem System. Auch wird die sichernde Person eher nach oben als zur Wand hin beschleunigt. Dies kann in der Halle durch eine hohe erste Exe oder eine nicht eingeclippte erste Exe erreicht werden. Achtung: Dadurch kann der*die Sichernde weiter nach oben gezogen werden, die Sturzstrecke verlängert sich, Bodensturz- und Kollisionsgefahr nehmen zu.

Was also tun?

Ab 10 Kilo Gewichtsunterschied zu Ungunsten der sichernden Person empfehlen sich Gegenmaßnahmen – die Vor- und Nachteile fasst die Tabelle zusammen. Und natürlich lassen sie sich auch teilweise kombinieren: So kann man zum Beispiel den Reibungserhöher in die zweite Exe hängen. Fest steht: Schwere haben’s beim Sichern einigermaßen leicht, Leichte haben’s oft schwer. Aber wer sich auskennt, kann sich behelfen.

Tabelle: Maßnahmen bei schwereren Kletternden