Buchregal
Bücher über Berge. Foto: DAV/Philipp Radtke
Buchbesprechung

Achim Bogdahn: Unter den Wolken

Auf die jeweils höchsten Gipfel der 16 deutschen Bundesländer. Mit Zug und Bus, zu Fuß, mit Seilbahnen und Autos – und mit umwerfendem Witz.

Der niedrigste höchste Berg eines deutschen Bundeslandes liegt in Bremen. „Liegt“ ist hier auch der passende Ausdruck, denn der Berg misst auf die Dezimalstelle genau 32,5 Meter. Er hat nicht mal einen Namen, und seine Besteigung ist auch aus diesem Grund alles andere als einfach: Man muss ihn erst mal finden. Wie das gelingt, ist eines der vielen Kabinettstücke in diesem Buch. Geschrieben hat es Achim „Sechzig“ Bogdahn, meldeamtlich beglaubigter Anhänger des TSV 1860 München, überhaupt ein großer Fußballfan und hauptberuflich Radiomoderator des Kult- und Kultursenders Bayern 2 beim Bayerischen Rundfunk. Mit Bergen hatte er noch nie etwas am Hut gehabt. Dann hörte er von Benno Schmidt, einem Rentner im Harz, der mit 84 Jahren zum 8000. Mal auf den Brocken gestiegen war. Bogdahn nahm Kontakt auf und verabredete sich mit dem „Brocken Benno“ zu einer gemeinsamen Tour auf den höchsten Berg Sachsen-Anhalts. Es war der Start zu einem großen Projekt, das ihn im Lauf der folgenden zweieinhalb Jahre auf alle höchsten Berge der 16 Bundesländer führte, zu Fuß, mit der Seilbahn und mit dem Auto. Ja, auch mit dem Auto, denn im Hunsrück führt die Straße direkt über den höchsten Punkt des Erbeskopfs – was den höchsten Berg von Rheinland-Pfalz zu einem ganz besonders deutschen Berg macht.

Unter den Wolken von Achim Bogdahn Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, München

Immer suchte sich Bogdahn für seine Touren eine prominente Begleitung aus, im Hunsrück etwa den großen „Heimat“-Regisseur Edgar Reitz. Beim eingangs erwähnten Bremer Abenteuer erreichte er das Ziel zusammen mit Altbürgermeister Henning Scherf und lag sich mit ihm wie weiland Hillary mit Tenzing auf dem Everest-Gipfel in den Armen; unter den 16 Episoden ist es eine besonders schöne.

Das Buch ist erstaunlich dick, doch es gibt eben viel zu erzählen. Und wie es erzählt wird! Mehr noch als für die Berge oder das Land interessiert sich Bogdahn für die Leute – wie etwa den Diskushelden Lars Riedel oder den BVB-Chef Hans-Joachim Watzke, die ehemalige „Wir-sind-Helden“-Sängerin Judith Holofernes oder den Lebens- und Gesamtkünstler Rocko Schamoni. Sein Blick auf die Menschen ist grundsätzlich freundlich, Unbekannten begegnet der Autor genau so wie seinen bekannten Weggefährten. Und statt unterwegs im Hotel zu übernachten, praktiziert er Couchsurfing bei Bekannten oder bei Fremden, die am nächsten Morgen ebenfalls Bekannte sind.

Welcher Berg nun aus der Sammlung herausragt? Das ist im Buch wie im Leben keine Frage der Höhe. Topografie wird überschätzt, das beweist nicht nur der Bremer Maulwurfshügel – übrigens der einzige der höchsten deutschen Berge ohne Wegweiser und Gipfelzeichen, ja ohne die kleinste Verbauung. Denn auch das ist typisch deutsch: Abgesehen vom Großen Beerberg in Thüringen, dessen Gipfelplateau ein streng geschütztes Hochmoor einnimmt, bietet keiner der „Höchsten“ Natur pur, nicht der 179 Meter hohe Helpter Berg in Mecklenburg-Vorpommern mit seinem 203 Meter hohe Fernmeldeturm neben dem höchsten Punkt und schon gar nicht die Zugspitze. Dort oben sitzt der Autor am Ende allein auf einer Bank – sein Begleiter Felix Neureuther ist wieder zu Frau und Kindern zurückgekehrt – und genießt den Abschluss seines großen Projekts: „Und alles war gut.“

Achim Bogdahn, Jahrgang 1965, hat nicht nur ein wunderbares und sehr witziges Buch über Deutschland geschrieben, sondern nebenbei auch ein Porträt seiner Generation. Alle, die ihre Adoleszenz zwischen Fußball, Punk und „Stoppt Strauß“ erlebten, werden besonders viel Spaß damit haben – und noch mehr, wenn sie den FC Bayern nicht mögen.

 

P.S. Zusammen mit Ex-Fußball-Nationalspieler Mehmet Scholl, mit dem er auf den Feldberg im Schwarzwald „stieg“ (beziehungsweise mit der Seilbahn hinauffuhr), moderierte Bogdahn übrigens mal eine eigene Musiksendung im Bayerischen Rundfunk. Nun liefert er am Ende des Buches standesgemäß eine Playlist für jeden der 16 Berge. Sie ist repräsentativ deutsch und reicht von Gerhard Gundermann zu Nicole (ja, „Ein bisschen Frieden“) und von Deichkind zu Feine Sahne Fischfilet.

 

P.P.S. Benno Schmidt, der Brocken-Benno, starb am 23. Dezember 2022. Er wurde 90 Jahre alt und stand mehr als 9000 Mal auf dem Brocken.

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