Willi Seifert, der Leiter des Naturparks, hat seinen Tibet-Terrier "Filou" mitgebracht - auf dem Rücksitz seines Autos liegt die Tourenskiausrüstung. Wo soll es heute noch hingehen? "Ich will noch Richtung Floitental. Da ist es ziemlich ruhig und einsam - und es gibt eine urige Hütte." Und wo gefällt es ihm in "seinem" Naturpark am besten? "Das ist eine wirklich schwierige Frage. Im Sommer ist der Zemmgrund mit der Berliner Hütte und dem "Gletscherkino" dort oben schon gigantisch. Im Winter bin ich unheimlich gern auf der Flachspitze am Tuxer Hauptkamm unterwegs." Mit Willi Seifert ist man schnell im Gespräch über Tourenmöglichkeiten und -verhältnisse in den hohen Zillertalern, der 44-Jährige kennt die einsamen und weniger einsamen Ecken des Parks wie aus seiner Westentasche. Dunkle, gewellte Haare, braune Augen, kräftige Statur - Seifert würde als waschechter Tiroler durchgehen, würde ihn nicht hin und wieder sein fränkisches Idiom verraten. Seit dem Jahr 2005 leitet er den Naturpark, war zwischenzeitlich vier Jahre in der Abteilung Raumplanung-Naturschutz des ÖAV in Innsbruck tätig.
Der Plan, sich ins Café Strasser in Zell am Ziller zu setzen, wird schnell fallengelassen. Filou ist nicht ganz fit, da ist es im privaten Kaminzimmer bequemer. Willi Seifert, der aus Bayreuth kommt und an der dortigen Universität Wirtschaftsgeographie und Raumplanung studiert hat, wohnt im Forsthaus in Ginzling, nur wenige Meter vom “Naturparkhaus” entfernt, in dem sich auch die Geschäftsstelle des Naturparks und ein Museum befindet. Das Naturparkhaus wird gerade erweitert - wiedereröffnet werden soll es 2023. Der Umbau ist das aktuell herausforderndste Projekt für das Team des Parks, das aus nur wenigen festangestellten Arbeitskräften besteht.
Dabei ist Seiferts Beziehung zum Naturpark nicht nur die eines Verwalters - er hat eine innige Beziehung zum Park aufgebaut. "Mich fasziniert die Wildheit der Alpinregion, die Gletscher, die spannende geologische Geschichte und Gegenwart, die landschaftliche Vielfalt der Seitentäler, die Alpingeschichte und nicht zuletzt die artenreiche Kulturlandschaft, die der Mensch teilweise seit Jahrtausenden bewirtschaftet und pflegt."
Ein Naturpark – Fünf Tiroler Gemeinden
Das Naturparkhaus im Bergsteigerdorf Ginzling ist Dreh- und Angelpunkt des 1991 gegründeten Parks - den dazugehörigen Betreuungsverein gibt es seit 1996. Der Park ist einer von insgesamt fünf Naturparks in Tirol und umfasst die fünf Tiroler Gemeinden Brandberg, Finkenberg, Ginzling, Mayrhofen und Tux. Sein Facettenreichtum ist beeindruckend, zumal er sich über 2500 Höhenmeter zwischen Ginzling (1000 Meter Seehöhe) und Hochfeiler (3509 Meter) erstreckt, zwischen tief eingeschnittenen Tälern und vergletscherten Hochgebirgsgipfeln. Wie kommt man zu so einem Traumjob? "Es war entweder Karma oder Glück", antwortet Willi Seifert. "Der Kontakt ist bei mir durch ein Praktikum beim ÖAV entstanden, der sehr eng mit dem Naturpark verbunden ist. Ich wurde zum Vorstellungsgespräch eingeladen und zum Glück habe ich den Job bekommen."
Die große Arten- und Biotopvielfalt und die durch vielfältige Nutzung geprägte Landschaft von Naturparks stehen zwar unter Schutz, die Interessen von Wirtschaft und Erholung dem aber oft gegenüber. Und so tun sich schnell Spannungsfelder auf: Der Naturpark Zillertaler Alpen liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zum Hintertuxer Gletscherskigebiet, zu den Skigebieten rund um Gerlos und dem Mayrhofener Skigebiet am Penken, dem wohl meistvermarkteten Berg im Zillertal. Erholungssuchende können sich sommers wie winters mit einer Hochleistungs-Seilbahn aus dem Mayrhofener Ortzentrum auf 1800 Meter Seehöhe schaukeln lassen.
Der touristische Druck steigt
Seifert sieht den Ski- und Seilbahnbetrieb nebenan jedoch gelassen, erst 2016 wurde die Fläche des Naturparks im Bereich des Tuxer Hauptkamms gar um 43 Quadratkilometer erweitert.
Mehr Sorgen als um das Zillertal macht er sich um benachbarte Gebiete wie die nördlichen Tuxer Alpen, wo beispielsweise der beliebte Skitourenberg Gilfert durch Erschließungspläne bedroht ist.
Dass der touristische Druck auf das Hochgebirge auch durch die fortschreitende Digitalisierung, insbesondere Social Media, steigt, zeigt das krasse Beispiel einer im Grunde unspektakulären Hängebrücke über den Alelebach unweit der Olpererhütte. Aus dem richtigen Blickwinkel fotografiert bekommt man den Eindruck, die Brücke würde direkt über den rund 600 Höhenmeter niedriger liegenden Schlegeisspeicher führen; auch im Sommer 2022 wurden wieder zahllose Instagram-Accounts mit Bildern der Brücke gefüttert. Die digitale Reichweite einzelner "Alpin-Influencer*innen" ist enorm. Auf den Straßen hingegen ging es laut Willi Seifert geordneter zu als in den Vorjahren. Dazu trug sicher die Ausweitung der Buslinie auf einen 30-Minuten-Takt in den Stoßzeiten und die Tatsache, dass die "Corona-Angst" vor den Öffis weg ist, bei.
Emissionsfrei zum Schlegeis
Ein generelles Problem bei der Besucherlenkung sieht Seifert jedoch nicht, da es sich bei der Brücke um ein Einzelphänomen handelt. Die Gäste verteilen sich im Sommer auf die verschiedenen Seitentäler des Zillertals – Orte wie die Hängebrücke an der Olpererhütte sind Ausnahmen. Dennoch nimmt die Verbund AG, die auch die Wasserkraftanlagen am Schlegeisspeicher betreibt, gemeinsam mit der Region einen Stufenplan in Angriff. Darin geht es um eine Kontingentierung der Gäste, eine Verdichtung des Bustaktes und bessere Öffentlichkeitsarbeit. Ab 2028 sollen nur noch emissionsfreie Autos zum Schlegeisspeicher fahren. "Damit Besucherlenkung funktioniert, muss man sich im Vorfeld genug Zeit nehmen. Die Probleme erkennen, alle Beteiligten ins Boot holen, passende Maßnahmen ausarbeiten und diese den Menschen nahebringen und erklären", ergänzt Willi Seifert.
Im Bereich des Naturparks Zillertaler Alpen liegen neben dem Schlegeisspeicher zahlreiche weitere Wasserkraftanlagen der Verbund AG. Stillupspeicher und Speicher Zillergründl dürften vielen Bergsteigenden ein Begriff sein, liegen sie doch zu Füßen so bekannter Zillertaler Berge wie der Reichenspitze und der Ahornspitze. Mit der Energiewende wird die Bedeutung der Wasserkraft immer größer - gibt es im hinteren Zillertal Ausbaupläne? "Da ist es ähnlich wie beim Tourismus", sagt Willi Seifert. "In den letzten Jahrzehnten sind sehr viele Bäche zur Nutzung der Wasserkraft erschlossen und Stauseen errichtet worden. Mit der Ableitung des Tuxbachs vor wenigen Jahren sehe ich den Prozess aber als abgeschlossen. Durch die Europäische Wasserrahmenrichtlinie wird zum Glück in vielen Bächen in den nächsten Jahren wieder mehr Restwasser fließen, das sehe ich als deutliche Aufwertung."
Wünsche für den Naturpark
Tibet-Terrier Filou wurde inzwischen von einer Tierärztin begutachtet, mit einer größeren Tour wird es heute nichts - trotzdem will Willi Seifert das gute Wetter noch nutzen, er hat sich schon in Skitouren-Schale geworfen. Gäbe es eine gute Fee - was würde er sich für den Naturpark wünschen? "Also der erste Wunsch wäre, dass die Erweiterung des Naturparkhauses gut über die Bühne geht und wir im Juni 2023 das runderneuerte Gebäude eröffnen können. Dann, dass die EU-Förderungen für den Naturschutz im alpinen Raum und die extensive Berglandwirtschaft auch weiterhin den großen Herausforderungen gerecht werden, und dass sich der Naturpark-Gedanke und die Belange der Natur allgemein noch mehr bei der einheimischen Bevölkerung und den Besuchern verfestigt."