Noch mehr Berggeschichten mit Kindern
Mit Kindern am Berg
Eine gute Zeit miteinander
Als Familie in die Berge – wie kommen da alle auf ihre Kosten? Die Antwort auf diese Frage ist nicht einfach. Der Bergführer und vierfache Vater Julian Bückers zeigt Perspektiven.
Der Duft der Zirbelkiefern liegt in der Luft. Ein rosa Teppich aus Almrauschblüten säumt den Weg. Unser Blick schweift über die Wipfel des Zirbenwaldes auf das Häusermeer der Tiroler Landeshauptstadt weit unten im Inntal. Auf dem „Zirbenweg“ in 2000 Metern Höhe fühlt sich die Sonne im Juni noch angenehm frühlingshaft an. Ohne wesentliche Höhenänderung verläuft der breite Pfad von der Patscherkofel- Bergstation ostwärts, ideal, um sich mit der Kraxe und dem eineinhalbjährigen Nelion auf dem Rücken einzulaufen. Nach einer Viertelstunde ist der erste Aussichtspunkt erreicht, mit einem grandiosen Panorama über das Inntal. Tafeln informieren über die Ökologie im Landschaftsschutzgebiet Patscherkofel-Zirmberg. Das Gebiet gehört zu den Tuxer Voralpen, und der Patscherkofel thront als Hausberg von Innsbruck nur wenige Kilometer südlich der Stadt, weithin erkennbar am Sendemast auf seiner waldfreien Kuppe. Der alte Name „Zirmberg“ ist Programm, denn seine jahrhundertealten Kiefernwälder zählen zu den größten und ältesten Beständen in Europa.
Ein Minizoo für die kleinen Gäste
Nach einer Dreiviertelstunde Gehzeit erreichen wir den urigen Alpengasthof Boscheben. Über der Selbstbedienungstheke flattern Gebetsfahnen, daneben erfreut ein Minizoo mit Eisbär-, Krokodil- und Giraffenfiguren die kleinen Gäste. Nelion freundet sich schnell mit der gutmütigen Hüttenhündin Merle an und schnappt sich einen Spielzeuglaster, den er begeistert hinter sich herzieht. Die kleine, gemütliche Hütte ist ein Herzensprojekt der Hüttenwirtin Clara Tippelt. Die 31-jährige Tübingerin studierte Modedesign und arbeitete für die Film- und Theaterbranche in Berlin, bevor es sie in die Tuxer Alpen verschlug. „Eigentlich wollte ich nur mal einen Sommer etwas anderes machen“, erzählt Clara, die erst im nahen Meißner Haus aushalf. „Dann kam ich jedes Jahr hierher, weil es so schön war“, fährt sie fort. Und als die Boscheben 2015 zum Verkauf stand, entschloss sie sich spontan, diese zu übernehmen – und musste eine funktionierende Strom- und Wasserversorgung herstellen und eine Kläranlage bauen. „Wir haben hier keine Quelle, das Wasser wird 200 Höhenmeter mit der Materialseilbahn rauf transportiert“, erzählt sie. Anfangs gab es nur ein Plumpsklo, jetzt sind die Sanitäranlagen moderner als auf vielen Alpenvereinshütten. Nach Voranmeldung dürfen Familien oder Gruppen (ab fünf Personen) im Lager mit 14 Betten im ersten Stock übernachten. Auch wir verbringen hier unsere erste Nacht, und Nelion hüpft erstmal alle Matratzen ab, bevor wir unsere Schlafsäcke ausbreiten.
Nachmittags ist genug Zeit, um noch Richtung Patscherkofel aufzusteigen. Der schmale Jochleitensteig führt über einen Kamm zum Gipfelplateau mit der Sendestation. Von einer Bank genießen wir die Fernsicht auf den mächtigen Habicht und weit in die Zentralalpen, während der Nebel langsam die steilen Berghänge hinaufkriecht.
Bergidylle wie aus dem Bilderbuch
Am nächsten Tag überrascht uns Clara mit einem opulenten Frühstück, das wir in wunderbarer Ruhe genießen. Dann treffen mit den ersten Ausflügler*innen aus Innsbruck auch meine Freundin Sibylle und ihr elfjähriger Sohn Anton ein, um übers Wochenende mit uns zu wandern. Gemütlich schlendern wir Richtung Tulfeinalm (Tulfes). Mit grünen Flechten überzogene Felsen kontrastieren mit dem rosa Almrausch, darüber ein strahlend blauer Himmel – Bergidylle wie aus dem Bilderbuch. Nach etwa einer Stunde biegen wir auf den weniger frequentierten Höhenweg zum Glungezer ab. Der Steig auf die Viggarspitze wird steiler, und der Tiefblick ins Inntal immer eindrucksvoller. Während ich mit der schweren Kraxe ins Schwitzen gerate, sprintet der fußballtrainierte Anton leichtfüßig die 300 Höhenmeter bis zum Gipfel hinauf. Oben belohnt uns ein 360-Grad-Panoramablick. Im Osten thront der Glungezer, im Südwesten erstreckt sich das Viggartal mit dem Meißner Haus, unserem heutigen Etappenziel. Ganz abseits der ausgetretenen Pfade steigen wir zum Viggar-Hochleger ab. Kurz darauf lockt ein türkisblauer See zur Abkühlung. Wir strecken die Füße ins eiskalte Wasser und möchten ewig planschen, bis lautes Donnergrollen zum Aufbruch mahnt. Auf der Forststraße eilen wir zum Meißner Haus.
Das wurde 1926 von der Sektion Meißen errichtet und 1968 von der Sektion Ebersberg-Grafing übernommen. Die Zirbenholzstube und einiges Inventar stammen noch aus der Gründungszeit der Hütte. Besonders der mit Meißner Porzellan verkleidete Kachelofen ist ein Grund dafür, dass die Hütte seit einigen Jahren unter Denkmalschutz steht. Hüttenwirt Sven Deppe, selbst Vater zweier Töchter, organisiert ein sechstägiges Bergferienprogramm für Familien. „Im Sommer unternehmen wir Fackelwanderungen und besteigen die Viggarspitze, im Winter wandern wir mit Schneeschuhen auf den Patscherkofel und bauen Iglus“, erzählt er. „Wir sind eine sehr familienfreundliche Hütte.“
„Ich mag, dass man hier nachts die Kuhglocken hört. Das beruhigt mich irgendwie“, sagt Anton am nächsten Morgen, während Nelion müde dreinschaut, weil er zweimal von der Matratze gepurzelt ist. Statt auf direktem Weg nach Mühltal abzusteigen oder über den „Almenweg 1600“ zur Patscherkofel-Mittelstation zu wandern, wählen wir die spannendere Variante über den Jochleitensteig, der entlang der steilen Südostflanke um den Gipfelaufbau führt. In der Hochmahd-Alm genießen wir noch eine deftige Brotzeit, bevor uns die Bahn wieder zur Patscherkofel- Talstation hinab trägt. Was haben die Kinder gelernt? Nelion kann nun „Kuh“ sagen. Und Anton weiß, dass es nicht auf jeder Tiroler Hütte Kaiserschmarrn gibt.