Noch mehr Berggeschichten mit Kindern
Mit Kind und Kraxe
Zirbenduft und Höhenluft
Die Wege um den Patscherkofel lassen sich gut zu einer familienfreundlichen Hüttenwanderung verbinden. Astrid Därr war drei Tage lang mit Kind und Kraxe über Innsbruck unterwegs.
Die zehnjährige Tochter eines Freundes sagte mir vor Kurzem: „Wandern werde ich nie mehr, das ist nutzlos und fad! Klettern aber will ich mein Leben lang, denn das ist aufregend und steckt voller Abenteuer“. Wow, denkt man sich da, die weiß aber, was sie will. Hört sich nach einem super Plan an! Vorausgesetzt, man kann dem Klettersport selbst etwas abgewinnen. Ist dem nicht so, wird es mit der elterlichen Reaktion auf solch einen Spruch kniffliger, denn wie sollen am Berg Unerfahrene alpine Gefahren richtig einschätzen können? Klettern hört sich für den Großteil unserer Gesellschaft nach einem riskanten Unterfangen an, und tatsächlich schlummern hier, wie bei vielen anderen Outdoor-Aktivitäten, Herausforderungen, denen man gewachsen sein sollte, will man als Vorbild dienen. Möchte man die Sprösslinge für die Natur und das Draußensein begeistern, dann ist ein solides Basiswissen in alpinem Risikomanagement und in der Tourenplanung Grundvoraussetzung.
Kein Bock auf langweiliges Dahin-Gelatsche
Bleibt die Frage, wie man als Familie im Gebirge eine gute Zeit verbringen kann? Es ist schwierig, ein Pauschalrezept zu formulieren, aber immer wieder zu beobachten, dass ein bewusstes Anpassen der eigenen Begehrlichkeiten an die Bedürfnisse der Gruppe einer von vielen Schlüsseln ist. Konkret sollte einem also durch den Kopf gehen: „Was möchte ich? Was möchten die anderen?“ Erwachsene hängen an ihrem ausgetüftelten Plan, wollen den Gipfel oder die Hütte erreichen und finden ständiges Anhalten und Warten müssen mühsam. Kinder dagegen leben im Moment, sehen den rauschenden Bach und wollen dort ihren Staudamm bauen oder in Ruhe auf den lässigen Ahornbaum kraxeln. Auf langweiliges Dahin-Gelatsche haben sie keinen Bock! Was also tun? Die Kunst liegt im Miteinander. Schafft man es als Leittier, flexibel zu bleiben und die gemeinsame Freude am Sein als persönlichen Erfolgsquotienten zu definieren, ist viel gewonnen. Dazu ist ein aufmerksamer Blick für die unscheinbaren Dinge am Wegesrand Gold wert!
Vom Blaubeer- bis zum Schwammerl-Himmel: Wenn sie infiziert sind, dirigieren sogar die Allerkleinsten ihre „Sherpas“ von den heiß begehrten Plätzen auf Rücken und Schultern aus mit leuchtenden Augen von einer zur nächsten Geschmacksoase. Wenn man dann noch Traumwelten und Gedankenspiele erschaffen kann, die dem Weg seine Eintönigkeit nehmen und die Anstrengung der Bewegung in kunstvolle Inszenierung verzaubern, ist auf einmal der Weg das Ziel, und die Positionen der Begleitenden vereinen sich zu einem gemeinsamen Erleben. Es ist erstaunlich, wie die Fantasie als Motor einen spielerischen Zugang eröffnet. Wenn Zwerge und Könige ihre Paläste gleich um die nächste Ecke errichten und Edelstein-Vorratskammern durch geheime Tunnelgänge locken, so verändert das die Perspektive. Natürlich gibt es hierfür Altersgrenzen und natürlich ist es Typsache, wie sehr man sich von Erzählungen begeistern lässt. Aber gerade in unserer durchgetakteten Welt finden sich immer seltener Gelegenheiten zur geistigen Entschleunigung.
Das alpine Umfeld bietet diese Ruhe. Hier ist man entfernt vom Rausch der Zeit. Wer als Kind diese Welten eröffnet bekommt, der wird sie für immer in sich tragen. Die Schönheit und Vielfältigkeit der Natur werden im Gebirge besonders greifbar. Wenn sich Felsnadeln in den Himmel strecken und glühende Sonnenuntergänge in Bergseen spiegeln, bietet das Abwechslung vom Alltag, vor allem aber Freiheit und Abenteuer. Wir Erwachsene müssen es zulassen können, wenn unsere Sprösslinge sich diese Welten erobern. Immerhin haben wir sie ihnen gezeigt. Ängste sind ein wichtiges Indiz, um alpine Gefahren wachsam zu umschiffen, sie sollten aber niemals den Kindern ihren Weg in neue, bereichernde Erfahrungen verbauen. Die ausgewählten Ziele spielen dabei eine zentrale Rolle.
Fähigkeiten objektiv und korrekt einschätzen
Was kann man sich als Familie zutrauen und wovon sollte man lieber Abstand halten? Das hängt von allen Beteiligten und ihren Fähigkeiten ab. Diese objektiv und korrekt einschätzen zu können, ist schwierig. Hier sind Erfahrung, eine gute Planung im Vorfeld und ein gutes Einschätzungsvermögen Trumpf. Gerade mit zunehmendem Alter können fordernde Ziele die Begeisterung für das Gebirge fördern. Gemeinsam Orte zu erleben, die nicht wie selbstverständlich hinter der nächsten Bahnstation stehen, bestärkt die familiären Bande. Es ist ein wunderbares Gefühl, wenn alle gleichermaßen voneinander profitieren und die gemeinsamen Aktivitäten ein Miteinander ohne ununterbrochenes, mediales Störfeuer ermöglichen. Für diese Probleme der heutigen Zeit adäquate Lösungen parat zu haben, erscheint wichtiger denn je.
Für mich persönlich sind die Berge mein Leben. Ich verbringe beruflich als Bergführer, Fotograf und Kameramann wie privat mit meiner Frau und unseren vier Kindern oder im Freundeskreis einen Großteil meiner Zeit im Gebirge. Die alpine Natur gibt mir unglaublich viel Kraft, und ich verspüre eine kindliche, nicht enden wollende Freude und Begeisterung, wenn ich mich dort aufhalten darf. Die Berge sind für mich ein Ort kreativer Entfaltung und sportlicher Herausforderung zugleich. Große Dankbarkeit erfüllt mich, dass meine Eltern und Großeltern mir diese Welt eröffneten. Sie haben meinen Brüdern und mir eine fruchtbare Basis geschaffen und uns die nötige Freiheit und das Vertrauen gegeben, diese in unsere heutigen Identitäten weiterzuentwickeln. Die Freude, die ich als Kind und Jugendlicher in den Bergen erfahren durfte, trägt mich bis heute, und meine Frau und ich versuchen, diese Schönheit mit Bedacht und Freiheit an unsere Kinder weiterzugeben.
Bei einer sechsköpfigen Familie ist es nicht leicht, Ziele zu finden, die allen Familienmitgliedern gerecht werden. Vergangenes Jahr etwa fuhren wir in die Dauphiné. Um Briançon vermischt sich mediterranes Flair mit hochalpiner Eleganz. Wohin man schaut, rauschen Gebirgsbäche in steile Täler hinab. Schroffe Felsflanken lassen Kletterherzen höherschlagen, und die alpinen Möglichkeiten sind schier grenzenlos. Für uns also ein ideales Basislager. Wir waren in verschiedenen Konstellationen unterwegs, mal die Mama mit den Sieben- und Zwölfjährigen im Klettersteig, mal der Papa mit dem Ältesten in einer Mehrseillängentour; auch eine elterliche Runde ohne Kids fehlte nicht. Und wir hatten gemeinsam eine gute Zeit beim Wandern im Parc National des Écrins. Wichtigstes Credo der Kids war aber immer: „Um sieben Uhr abends müssen wir zurück am Campingplatz sein!“ Denn dann durften die Lagerfeuer angezündet werden, und wir Erwachsenen hatten nicht mehr viel zu melden...