ECT Schneedeckentest
Wichtiges Tool in der Lawinenkunde: die Schneedeckenuntersuchung. Foto: DAV/Philipp Abels
Lawinenkunde

Schneedecken­untersuchung auf Tour

Informationen direkt aus der Schneedecke sind auf Tour eine wichtige Grundlage, um im Lawinengelände die richtigen Entscheidungen zu treffen. Drei der wichtigsten Methoden stellen wir hier vor.

Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht! Bei Grün über die Ampel gehen, ist nicht vollkommen risikolos, es gilt aber als weitgehend ungefährlich. Anders bei Rot: Hier geht nur, wer unkalkulierbare Risiken eingeht oder vermeintlich viel Erfahrung im Straßenverkehr hat. Oder Menschen, die das rote Licht nicht gesehen haben. – Überträgt man das Bild der Ampel ins winterliche Tourengelände, dann können Schneedeckentests dabei helfen, rote Warnlichter, also potenziell gefährliche Bedingungen, besser wahrzunehmen.

Die nachfolgend dargestellten Tests bieten sich gerade am Einzelhang als zusätzliche Informationsquelle an, vor allem wenn Alarmzeichen fehlen und ein Altschnee-Problem nicht ausgeschlossen werden kann. Sie lassen sich auch ohne Aufnahme eines detailliertes Schneeprofils durchführen.

Stocktest (ST)

Das Stochern im Schnee gibt ersteInformationen über den Aufbau der Schneedecke. Illustration: Georg Sojer

Vorgehen

  • Skistock mit gleichbleibender Kraft in die Schneedecke drücken

  • bei sehr harten Schichten den Stock umdrehen und den Griff in den Schnee drücken

  • beim Herausziehen auf Geräusche achten: Harte Schichten sind evtl. hörbar

Dokumentation

  • Nicht notwendig

Interpretation

  • grober Überblick über den Schneedeckenaufbau anhand des unterschiedlichen Widerstands beim Hineindrücken des Stocks

  • günstig: zunehmender Kraftaufwand beim Hineindrücken

  • ungünstig: plötzlich nachlassender Kraftaufwand beim Hineindrücken, weiche Schichten unter harten Schichten, Schwachschichten oft im Bereich von Krusten

  • zusätzlich Einsinktiefe testen: mit und ohne Ski! Schwache Schichtung bei großen Unterschieden!

Vorteile

  • einfache Durchführung, häufige Wiederholung möglich

  • Erkennen unterschiedlicher Schichthärten

  • Erkennen von Schwimmschnee

Nachteile

  • ungenau

  • dünne Schwachschichten werden nicht erkannt

  • kein Stabilitätstest

Kleiner Blocktest (KB)

Der freigelegte Block wird vorsichtig seitlich mit der Schaufel von oben beginnen angeklopft. Illustration: Georg Sojer

Vorgehen

  • Suche nach einer schattigen, unverspurten, eher schneearmen Stelle mit ähnlicher Exposition und Höhenlage wie der zu beurteilende Hang

  • Ausschaufeln einer freistehenden Säule: Höhe 1 m, Breite 40 cm, Tiefe 40 cm

  • seitliches Klopfen mit dem Schaufelblatt von oben beginnend

  • Steigerung der Härte beim Klopfen in drei Stufen:

    • leicht: 5 Schläge aus dem Handgelenk

    • mäßig: 5 Schläge aus dem Ellenbogen

    • stark: 5 Schläge aus der Schulter, Oberkörper rotiert

Dokumentation (Beispiele)

  • KB 1 @ 50 cm – Kleiner Blocktest, leichtes Klopfen, Bruch in 50 cm Höhe (vom Boden aus)

  • KB 2 @ ↓ 70 cm – Kleiner Blocktest, mäßiges Klopfen, Bruch in 70 cm Tiefe (von Oberfläche aus)

Interpretation

Ungünstige Eigenschaften:

  • leichtes Brechen der Schwachschicht beim Ausschaufeln oder leichten Klopfen und glatte Bruchfläche

  • weiche Schicht über der Schwachschicht (Faust/4 Finger lassen sich eindrücken)

  • dünne Schwachschicht und große, mit bloßem Auge sichtbare Kristalle

  • Lage der Schwachschicht in höchstens 1 Meter Tiefe

Treffen alle ungünstigen Eigenschaften zu, ist die Selbstauslösung von Lawinen oder die Auslösung bei geringer Zusatzbelastung (einzelne Person) wahrscheinlich.

Vorteile

  • geringer Zeitaufwand, wenig Materialbedarf: Sonde, Schaufel

  • in sicherem Gelände durchführbar

  • ohne Partner durchführbar

  • zuverlässiges Erkennen kritischer Schichtkombinationen (und besonders stabiler Schichtkombinationen)

Nachteile

  • evtl. Überbewertung von weniger kritischen Schichtkombinationen

  • eingeschränkte Erkennbarkeit stabiler und mittelstabiler Schneedecken

Extended Column Test (ECT)

Der Extended Column Test (ECT) liefert wertvolle Informationen zur Festigkeit der Schneedecke. Illustration: Georg Sojer

Vorgehen

  • Suche nach einer schattigen, unverspurten, eher schneearmen Stelle mit ähnlicher Exposition und einer Höhenlage wie der zu beurteilende Hang, idealerweise 35 Grad steil.

  • Ausschaufeln eines freistehenden Blocks: Höhe mindestens 1 m, Breite 90 cm, Tiefe (hangaufwärts) 30 cm

  • Abtrennung der Rückseite des Blocks mit Schneesäge oder Reepschnur

  • Belastung am Rande des Blockes durch vertikale Schläge auf das aufgelegte Schaufelblatt

  • Steigerung der Belastung: Schläge 1-10: aus dem Handgelenk (Hand fallen lassen!) Schläge 11-20: aus dem Ellenbogen (Unterarm fallen lassen!) Schläge 21-30: aus der Schulter (Arm fallen lassen!)

  • Wichtig: Wann entsteht der Bruch? Bruchausbreitung?

Dokumentation (Beispiele)

  • ECT P 0 @ 72 cm – Extended Column Test, Bruch und Bruchausbreitung (Propagation) bereits beim Aussägen des Blocks in der Schicht 72 cm über dem Boden

  • ECT P 6 @ 45 cm – Extended Column Test, Propagation: Bruch beim sechsten Schlag in der Schicht 45 cm über dem Boden, Bruchausbreitung beim sechsten oder beim darauffolgenden Schlag

  • ECT N 25 @ ↓ 80 cm – Extended Column Test, No Propagation: Beim 25. Schlag Bruch in der Schicht 80 cm unter der Schneeoberfläche, keine Bruchausbreitung oder Bruchausbreitung erst ab Schlag 27

  • ECT X – Extended Column Test, kein flächiger Bruch während aller Belastungsstufen

Interpretation

Einschätzung der Schneedeckenstabilität:

  • ECT P – bedeutet Bruch ist wahrscheinlich, Bruchausbreitung ist wahrscheinlich → instabil

  • ECT N – bedeutet Bruch ist wahrscheinlich, Bruchausbreitung ist nicht wahrscheinlich → eher stabil

  • ECT X – Bruch ist nicht wahrscheinlich, Bruchausbreitung ist nicht wahrscheinlich → stabil

  • gesteigerter Aussagewert durch zweiten ECT mit ähnlichem Ergebnis in der näheren Umgebung

  • bessere Übertragbarkeit der Testergebnisse bei ähnlichem, wenig variablem Gelände

Vorteile

  • zuverlässiges Erkennen stabiler Schichtkombinationen

  • keine zusätzlichen Kriterien zur Beurteilung der Schneedeckenstabilität notwendig

  • weite Verbreitung bei vielen Lawinenkommissionen und Lawinenprognosen

Nachteile

  • Erfahrung für das Auswählen geeigneter und gleichzeitig sicherer (!) Stellen für den ECT notwendig

  • zweite Person für die Beobachtung des Bruchgeschehens notwendig (Bruchinitiierung und Bruchausbreitung)

  • größerer Zeitaufwand

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