Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht! Bei Grün über die Ampel gehen, ist nicht vollkommen risikolos, es gilt aber als weitgehend ungefährlich. Anders bei Rot: Hier geht nur, wer unkalkulierbare Risiken eingeht oder vermeintlich viel Erfahrung im Straßenverkehr hat. Oder Menschen, die das rote Licht nicht gesehen haben. – Überträgt man das Bild der Ampel ins winterliche Tourengelände, dann können Schneedeckentests dabei helfen, rote Warnlichter, also potenziell gefährliche Bedingungen, besser wahrzunehmen.
Die nachfolgend dargestellten Tests bieten sich gerade am Einzelhang als zusätzliche Informationsquelle an, vor allem wenn Alarmzeichen fehlen und ein Altschnee-Problem nicht ausgeschlossen werden kann. Sie lassen sich auch ohne Aufnahme eines detailliertes Schneeprofils durchführen.
Stocktest (ST)
Vorgehen
Skistock mit gleichbleibender Kraft in die Schneedecke drücken
bei sehr harten Schichten den Stock umdrehen und den Griff in den Schnee drücken
beim Herausziehen auf Geräusche achten: Harte Schichten sind evtl. hörbar
Dokumentation
Nicht notwendig
Interpretation
grober Überblick über den Schneedeckenaufbau anhand des unterschiedlichen Widerstands beim Hineindrücken des Stocks
günstig: zunehmender Kraftaufwand beim Hineindrücken
ungünstig: plötzlich nachlassender Kraftaufwand beim Hineindrücken, weiche Schichten unter harten Schichten, Schwachschichten oft im Bereich von Krusten
zusätzlich Einsinktiefe testen: mit und ohne Ski! Schwache Schichtung bei großen Unterschieden!
Vorteile
einfache Durchführung, häufige Wiederholung möglich
Erkennen unterschiedlicher Schichthärten
Erkennen von Schwimmschnee
Nachteile
ungenau
dünne Schwachschichten werden nicht erkannt
kein Stabilitätstest
Kleiner Blocktest (KB)
Vorgehen
Suche nach einer schattigen, unverspurten, eher schneearmen Stelle mit ähnlicher Exposition und Höhenlage wie der zu beurteilende Hang
Ausschaufeln einer freistehenden Säule: Höhe 1 m, Breite 40 cm, Tiefe 40 cm
seitliches Klopfen mit dem Schaufelblatt von oben beginnend
Steigerung der Härte beim Klopfen in drei Stufen:
leicht: 5 Schläge aus dem Handgelenk
mäßig: 5 Schläge aus dem Ellenbogen
stark: 5 Schläge aus der Schulter, Oberkörper rotiert
Dokumentation (Beispiele)
KB 1 @ 50 cm – Kleiner Blocktest, leichtes Klopfen, Bruch in 50 cm Höhe (vom Boden aus)
KB 2 @ ↓ 70 cm – Kleiner Blocktest, mäßiges Klopfen, Bruch in 70 cm Tiefe (von Oberfläche aus)
Interpretation
Ungünstige Eigenschaften:
leichtes Brechen der Schwachschicht beim Ausschaufeln oder leichten Klopfen und glatte Bruchfläche
weiche Schicht über der Schwachschicht (Faust/4 Finger lassen sich eindrücken)
dünne Schwachschicht und große, mit bloßem Auge sichtbare Kristalle
Lage der Schwachschicht in höchstens 1 Meter Tiefe
Treffen alle ungünstigen Eigenschaften zu, ist die Selbstauslösung von Lawinen oder die Auslösung bei geringer Zusatzbelastung (einzelne Person) wahrscheinlich.
Vorteile
geringer Zeitaufwand, wenig Materialbedarf: Sonde, Schaufel
in sicherem Gelände durchführbar
ohne Partner durchführbar
zuverlässiges Erkennen kritischer Schichtkombinationen (und besonders stabiler Schichtkombinationen)
Nachteile
evtl. Überbewertung von weniger kritischen Schichtkombinationen
eingeschränkte Erkennbarkeit stabiler und mittelstabiler Schneedecken
Extended Column Test (ECT)
Vorgehen
Suche nach einer schattigen, unverspurten, eher schneearmen Stelle mit ähnlicher Exposition und einer Höhenlage wie der zu beurteilende Hang, idealerweise 35 Grad steil.
Ausschaufeln eines freistehenden Blocks: Höhe mindestens 1 m, Breite 90 cm, Tiefe (hangaufwärts) 30 cm
Abtrennung der Rückseite des Blocks mit Schneesäge oder Reepschnur
Belastung am Rande des Blockes durch vertikale Schläge auf das aufgelegte Schaufelblatt
Steigerung der Belastung: Schläge 1-10: aus dem Handgelenk (Hand fallen lassen!) Schläge 11-20: aus dem Ellenbogen (Unterarm fallen lassen!) Schläge 21-30: aus der Schulter (Arm fallen lassen!)
Wichtig: Wann entsteht der Bruch? Bruchausbreitung?
Dokumentation (Beispiele)
ECT P 0 @ 72 cm – Extended Column Test, Bruch und Bruchausbreitung (Propagation) bereits beim Aussägen des Blocks in der Schicht 72 cm über dem Boden
ECT P 6 @ 45 cm – Extended Column Test, Propagation: Bruch beim sechsten Schlag in der Schicht 45 cm über dem Boden, Bruchausbreitung beim sechsten oder beim darauffolgenden Schlag
ECT N 25 @ ↓ 80 cm – Extended Column Test, No Propagation: Beim 25. Schlag Bruch in der Schicht 80 cm unter der Schneeoberfläche, keine Bruchausbreitung oder Bruchausbreitung erst ab Schlag 27
ECT X – Extended Column Test, kein flächiger Bruch während aller Belastungsstufen
Interpretation
Einschätzung der Schneedeckenstabilität:
ECT P – bedeutet Bruch ist wahrscheinlich, Bruchausbreitung ist wahrscheinlich → instabil
ECT N – bedeutet Bruch ist wahrscheinlich, Bruchausbreitung ist nicht wahrscheinlich → eher stabil
ECT X – Bruch ist nicht wahrscheinlich, Bruchausbreitung ist nicht wahrscheinlich → stabil
gesteigerter Aussagewert durch zweiten ECT mit ähnlichem Ergebnis in der näheren Umgebung
bessere Übertragbarkeit der Testergebnisse bei ähnlichem, wenig variablem Gelände
Vorteile
zuverlässiges Erkennen stabiler Schichtkombinationen
keine zusätzlichen Kriterien zur Beurteilung der Schneedeckenstabilität notwendig
weite Verbreitung bei vielen Lawinenkommissionen und Lawinenprognosen
Nachteile
Erfahrung für das Auswählen geeigneter und gleichzeitig sicherer (!) Stellen für den ECT notwendig
zweite Person für die Beobachtung des Bruchgeschehens notwendig (Bruchinitiierung und Bruchausbreitung)
größerer Zeitaufwand