Villgratental – Das Skitourenparadies
Das Osttiroler Villgratental glänzt mit naturverträglichem Winterurlaub und vielen Gipfeln, die jedes Jahr mehr Menschen zum Skitourengehen anziehen.
Als Ende des letzten Jahrhunderts der Fortschritt einer Wintersport-Region über die Zahl der Lifte, Pisten und Beherbergungsbetriebe definiert wurde, machten sich im Villgratental engagierte Einheimische fast schon revolutionäre Gedanken: „Vielleicht ist gerade das, was wir hier nicht haben, unsere Anlage für die Zukunft“, war eine zentrale Aussage im Tourismusstrategiepapier „Villgrater Tourismus 2000“. Und das Motto für die Zukunft lautete „erhalten und bewahren“. So setzte man damals bewusst auf sanfte Aktivitäten wie Langlauf oder Skitouren – und freut sich heute über das Alleinstellungsmerkmal „Natur pur“. Das Strategiepapier war eigentlich eine Blaupause für die 2008 ins Leben gerufene Initiative der Bergsteigerdörfer, die eine nachhaltige Entwicklung anstreben – das Villgratental ist seit Beginn dabei. „Im Großen und Ganzen leben wir von den Skitourengehern ganz gut und können damit die Betten füllen“, freut sich Christof Schett. Als Profi-Snowboarder war der 50-Jährige weltweit unterwegs, doch die Heimat hat ihn nicht losgelassen. Als Kind verbrachte er die Sommermonate auf der Oberstaller Alm, heute bietet er nachhaltige Skitourenreisen an. Mit der viertägigen Herz-Ass-Tour hat er eine spannende Runde kreiert, bei der man abseits der Modetouren mit Arn- und Winkeltal die einsame Seite des Villgrater Skitourenangebots entdeckt. „Unsere Berge punkten mit weiten Hängen“, zählt Christof die Vorzüge seiner Heimatberge auf, „das Gelände ist eher einfach und überschaubar – und es gibt viele Varianten.“ So wie auf der Pürglersgungge oder dem benachbarten Marchkinkele, einem Klassiker mit Traumblick auf die Dolomiten. Mit der Eröffnung der neuen Marchhütte im Lauf des Jahres 2021 – drei umgebaute Kasernengebäude auf der Sonnenseite gleich unter dem Gipfel – wird das Marchkinkele mit Sicherheit noch beliebter. Ausgangspunkt für beide Touren ist der Weiler Kalkstein, der einst durch eine Schwefelquelle und das um 1900 erbaute Bad bekannt wurde.
Ein Aushängeschild des Villgratentals und ein fotogener Pflichtstopp auf vielen Skitouren sind die malerischen Almdörfer. „Die Almen wurden so gebaut, dass man im Sommer mit der ganzen Familie und dem Vieh raufziehen konnte“, erklärt Christof Schett, „bis auf den fehlenden Heustadel ähneln die oft zweistöckigen Holzhütten den Höfen im Tal.“ Ein Traum, genauso wie die Skitourenmöglichkeiten. „Villgraten ist ein einzigartiges Tal“, schwärmt Christof Schett und freut sich, dass die Philosophie der Bergsteigerdörfer Früchte trägt.
Großes Walsertal – Natur pur
Mit familiären kleinen Skigebieten und wenig bekannten Skitouren ist das Große Walsertal perfekt für alle Ruhesuchenden, die auch aktiv sein wollen.
Auch im Großen Walsertal mit den sechs Gemeinden Thüringerberg, St. Gerold, Blons, Sonntag-Buchboden, Fontanella-Faschina und Raggal-Marul wünschte man sich früher ein großes Skigebiet. Doch Wunsch und Realität klafften weit auseinander. „Unsere Topographie gibt das einfach nicht her“, sagt Franz-Ferdinand Türtscher mit Blick auf das V-Tal und seine steilen Hänge, „ohne schwerwiegende Eingriffe in die Natur geht das nicht.“ So sind die wenigen Lifte eher ein Anziehungspunkt für einheimische Skifahrer*innen und Familien geblieben. Die weitgehend unberührte Landschaft des rund 25 Kilometer langen, im 14. Jahrhundert von Walsern besiedelten Tales ist mittlerweile das Kapital für die Entwicklung von Tourismus, Wirtschaft und Lebensqualität. „Ein Nationalpark war für uns deswegen kein Thema“, meint Türtscher, der ehemalige Bürgermeister. „Wir wollten keine Käseglocke über das Tal stülpen, uns geht es um ‚leben und wirtschaften im Einklang mit der Natur‘.“ Wesentlich besser passt die Auszeichnung als Biosphärenpark ins Konzept. Das fördert die allgemeine Entwicklung des Tales, was die Abwanderung der jungen Leute aus dem Tal stoppen helfen soll. Dank seiner intakten Kultur- und Berglandschaft mit viel unberührter Natur erfüllt das Große Walsertal auch die Kriterien eines Bergsteigerdorfs. Franz-Ferdinand Türtscher freut sich noch heute über die Auszeichnung 2008, die eine Bestätigung des eingeschlagenen Weges war. Trotz der vielen Möglichkeiten ist das Tal für Skitouren eher unbekannt. Vielleicht liegt das an der Konkurrenz in der Nachbarschaft oder dem Fehlen eines wirklich bekannten Gipfels. Viele zieht es daher in den Bregenzerwald oder weiter in die Silvretta. Das Große Walsertal wird eher links liegen gelassen, obwohl man hier auch im Hochwinter immer wieder traumhafte Verhältnisse antrifft.
Etwa am Hohen Fraßen, der Ortskundige mit spannenden Abfahrtsvarianten begeistert, oder dem Zafernhorn, dessen Südhänge oft schon im Hochwinter mit dem ersten Firn aufwarten. Bei Schneefall oder gleich danach sollte man sich den unscheinbaren Guggernülli oberhalb von Marul anschauen. 1974 wurde dort ein kleines Skigebiet gebaut. Schnee von gestern, die Einer-Sesselbahn soll nach Russland verkauft worden sein, und heute sind auf den eher sanften, skifreundlichen Hängen Schneeschuhwanderer und Skitourengeherinnen unterwegs. Das Große Walsertal geht seinen Weg auch ohne Megaskigebiet. Die Übernachtungsbetriebe investieren unter dem Motto „walser wohl.raum“, wobei man Wert legt auf die Verwendung heimischer Materialien, und auf den Tisch kommen regionale Produkte. Franz-Ferdinand Türtscher ist jedenfalls zufrieden mit dem sanften Tourismus im Großen Walsertal, denn die Übernachtungszahlen steigen langsam, aber stetig. „Für mich ist das die Zukunft des Tourismus“, erklärt er, „die Leute suchen immer mehr die Ruhe, die Erholung und die Entschleunigung.“
Lungiarü – Die stille Seite der Dolomiten
Inmitten der Skiarenen um Kronplatz, Alta Badia und Grödnertal liegt Lungiarü mit intakten Weilern, unverfälschter Natur und eindrucksvollen Skitouren.
Bereits 2008 hörte Christoph Alfreider von den Bergsteigerdörfern und war auf Anhieb begeistert. Doch die Initiative des Österreichischen Alpenvereins öffnete sich erst einige Jahre später für andere Alpenländer. So bewarb sich Lungiarü erst 2017. „Als sie hörten, wir kommen aus dem Gadertal, meinten sie gleich, das wird nichts“, erinnert sich der Mitarbeiter des Verkehrsamts St. Vigil, „doch nachdem sie uns besucht haben, änderten sie ihre Einschätzung sofort.“ Seit August 2018 gehört Lungiarü, wie Campill auf Ladinisch heißt, zum Netzwerk der Bergsteigerdörfer. Zu Recht, denn der kleine Ort in den Dolomiten zeichnet sich durch die Siedlungskultur, die ladinische Sprache und seine Ursprünglichkeit aus. Ein kleines Wunder, denn das Lift- und Pistennetz von Dolomiti Superski hat nahezu die kompletten Dolomiten in Besitz genommen. Lungiarü wurde bisher verschont, was auch künftig so bleiben soll. „Wir sehen diese Auszeichnung eher als Schutz und nicht als Werbemarke“, erklärt Alfreider, der aus Corvara kommt und die Entwicklung dort hautnah mitbekommen hat. „Natürlich wollen wir auch als Bergsteigerdorf ein Wachstum“, schaut er in die Zukunft, „aber wir brauchen ein Gleichgewicht zwischen Tourismus und Einheimischen – sonst ist keiner glücklich.“ Lungiarü ist eine Oase inmitten der aus allen Nähten platzenden Touristenhochburgen. Und ein Geheimtipp für Skitouren-Fans, die erst in den letzten Jahren dieses versteckte Juwel entdeckten. Waren früher höchstens ein paar Informierte oder Einheimische unterwegs, werden heute an schönen Wochenenden auch mal die Parkmöglichkeiten knapp.
Doch Ziele gibt es genug: schattige wie die Roascharte oder sonnige wie den Peitlerkofel, anspruchsvolle wie die Östliche Puezspitze oder leichte wie den Zendleser Kofel. Stundenlang könnte man von diesem vorgeschobenen Aussichtsgipfel über das Villnösser Tal auf die Geislergruppe schauen. Die Tour führt vorbei an den Höfen von Seres, die typisch sind für Lungiarü. Auf Ladinisch heißt diese Siedlungsform Viles, wobei bis zu fünf Höfe aneinandergebaut stehen, um Platz und Boden zu sparen. So konnte man sich helfen und den Backofen oder die Tränke für die Tiere gemeinsam nutzen. Die Höfe mit ihrem gemauerten Untergeschoss und einem Naturboden – „das sind die besten Keller für den Speck“ –, einem vorkragenden Obergeschoss aus Holz mit Stube, Schlafzimmer und Küche und einem zweiten Stock mit den Kinderzimmern zeugen von jahrhundertealter Kultur. „Die Auszeichnung als Bergsteigerdorf ist eine Chance“, meint Alfreider, „wir versuchen daher, die Bevölkerung immer wieder zu informieren und zu sensibilisieren, damit alles so erhalten bleibt, wie es ist.“
Johnsbach – Steirisches Dolomitenfeeling
Das Gesäuse ist als Kletterparadies bekannt. Doch an seinem Südrand findet man auch lohnende Skitouren, mit dem Bergsteigerdorf Johnsbach als Ausgangspunkt.
Beim Blick auf das Große, auf die imposanten Felsabbrüche des Gesäuses über der Enns, übersieht man leicht das Kleine. Etwa das beschauliche Seitental, das am Gesäuse-Eingang unter dem mächtigen Kalkklotz des Hochtors nach Süden abzweigt. Dort liegt die weitläufige Streusiedlung Johnsbach mit dem kleinen Hauptort bei der Johnsbacher Kirche. „Man hat damals da gebaut, wo es halbwegs gut zu wirtschaften war“, erklärt Ludwig Wolf die Geschichte der vielen Weiler, die zusammen auf rund 150 Einwohner kommen. Mit einer Bevölkerungsdichte von 1,5 Personen pro Quadratkilometer ist es damit in Johnsbach deutlich einsamer als in Kanada. Enger kann es dagegen an schönen Tagen auf der Sonnenterrasse des Kölblwirts zugehen – wenn nicht gerade Corona herrscht. Dann steht strahlend Ludwig Wolf mittendrin, der Seniorchef vom Kölblwirt und ehemalige Bürgermeister von Johnsbach. „Früher war bei uns im Winter überhaupt nichts los“, erinnert er sich, „doch mit dem Skitourentrend hat sich der Wintertourismus markant verbessert.“
Geholfen haben dabei auch die Auszeichnung als Bergsteigerdorf 2008 und der im Jahr 2002 gegründete, 110 Quadratkilometer große Nationalpark Gesäuse, der die Region auch international ins Blickfeld rückte. Die Skitourengeher schätzen die Touren auf dessen Südseite. Der Leobner etwa, der streng genommen bereits zu den Eisenerzer Alpen gehört, wird den ganzen Winter über begangen. Am benachbarten Gscheideggkogel trifft man selbst bei schlechtem Wetter Tourengeher. Und im Frühjahr steht der Lugauer auf dem Programm. Das „steirische Matterhorn“, wie der elegante Gipfel von Einheimischen stolz genannt wird, ist längst ein Klassiker. Bei den Ausgangspunkten rund um Johnsbach zeigen Übersichtstafeln die Tourenmöglichkeiten auf, teilweise gibt es auch Flyer zum Mitnehmen. „Eine Maß nahme des Nationalparks zur Lenkung der Skitourengeher, um Konflikte mit der Jagd und dem Forst zu vermeiden“, erklärt Ludwig Wolf. Zur Orientierung wurden am Gscheideggkogel sogar Markierungsstangen gesetzt: „Die ersten waren 4,50 Meter lang“, erinnert sich Wolf, „doch im Winter hatte es so viel Schnee, dass die Stangen teilweise nur noch einen halben Meter rausgeschaut haben. Im Jahr darauf haben wir die Markierungen auf 5,50 Meter verlängert – doch da gab’s dann kaum Schnee.“ Ludwig Wolf hat sich jedenfalls im Winter voll und ganz auf Skitourengeher eingestellt, selbst einen Ausrüstungsverleih gibt es. „Wenn die Gäste zufrieden sind, dann kommen sie wieder“, erklärt er seine Philosophie, „es kostet ja einen Haufen Geld, bis du den Gast einmal herbringst – wär’ ja schad, wenn er nicht noch einmal kamert.“