Ein kahler Birkenwald mit blauem Himmel und den roten Heidelbeersträuchern.
Heidelbeerpflanzen und Birken soweit das Auge reicht am Hohen Schneeberg. Foto: Klaus Gräbe & Cornelia Weber
Sächsisch-Böhmische Schweiz

Mäandern auf dem Forststeig

Wohin, wenn die Berghütten noch nicht offen sind? Auf der Suche nach einer Mehrtageswanderung in den Mittelgebirgen haben Klaus Gräbe und Cornelia Weber den "Forststeig" in der Sächsisch-Böhmischen Schweiz entdeckt.

Der Forststeig

Etappe 1: Schöna - Grenzbaude

Mitte April, es ist noch recht frisch, lassen wir uns komfortabel per Bahn über Leipzig und Dresden nach Schöna an der Elbe in die sächsische Schweiz bringen. Ausgeruht beginnen wir die Tour und werden im weiteren zweisprachig über die Eigenheiten des Weges informiert, unter anderem, dass man ihn nur von April bis Oktober begehen soll, weil die Hütten nur in diesem Zeitraum geöffnet sind und die Wildtiere in den nahrungsarmen Monaten entsprechende Schonzeit brauchen.  

Der Forststeig führt durch ein normal forstwirtschaftlich genutztes Waldgebiet, gehört also zu keinem Natur- und Nationalpark. Partielle Kahlschläge und Wiederaufforstungen wegen Windbruch und/oder Borkenkäferbefall gehören also dazu. Die anderen Wegabschnitte sind abwechslungsreich und führen durch verträumte Landstriche, unter anderem mit Teppichen aus Heidelbeerbüschen.  

Die ca. 90 Millionen Jahre alten Sandsteine der Sächsisch-Böhmischen Schweiz sind aus einem Meer der Kreidezeit durch gewaltige Verschiebungskräfte, Zertrümmerungen, Auswaschungen und Verwitterungen entstanden und werden auch wieder vergehen, – wie alles. Bis zu unserem Vergehen können wir uns an ihren Formen und ihrer Vielfalt erfreuen.

Nach sechs Stunden Laufzeit erwartet uns die schon seit über 100 Jahren existierende Selbstversorgerhütte “Grenzbaude”. Durch andere Wandernde wurde bereits eingeheizt, so dass wir lediglich unser Nachtlager, bestehend aus Matte und Schlafsack, herrichten müssen. Danach beginnt der kommunikative und kulinarische Teil des Abends. Heute gibt es Hirse mit Dörrgemüse-Allerlei und Ziegenfrischkäse, - und schon ist mein Rucksack etwas leichter. 

Etappe 2: Grenzbaude - Ostrov

Nach dem Frühstück, Packen und der Auskehren der Grenzbaude grenzschlängeln wir weiter und statten dem wunderbar gelegenen Taubenteich und dem dortigen Biwakplatz einen Besuch ab. Leider ist es zu früh, um zu bleiben. Wir zweigen ab nach Tschechien. Die Landschaft wird etwas wilder und bekommt ein skandinavisches Flair. Heidelbeerpflanzen und Birken soweit das Auge reicht. Auch hier steigen wir auf einen Tafelberg, den Děčínský Sněžník, zu deutsch: Hoher Schneeberg. Er ist mit 722 Hm die höchste Erhebung der sächsisch-böhmischen Schweiz. Bergab geht es etwas eintönig über Asphalt und Schotter in Richtung Ostrov.

Kurz vor Erreichen des Ziels zweigen wir rechts ab hinauf auf die Ostrovské skály, eine schroffe Felsformation, bestehend aus Türmen und Wänden. Es ist ein beliebtes Klettergebiet. Wir schlängeln uns entlang dieser Wände, schauen Kletternden zu, sind begeistert über das Felsenwirrwarr und steigen schließlich steil ab nach Ostrov, wo uns ein Campingplatz mit Restauration versorgt.

Gefühlt  werden wir zurückgeworfen in die 80er Jahre: Musik, Ausstattung, Stimmung, Preise. Eine Nachfahrin von Janis Joplin (so sieht sie wenigstens aus) sorgt sich um unsere Getränke (gutes tschechisches Bier) und unser deftiges Essen (Knoblauchsuppe, Kohlhackbraten mit Kartoffeln und Sauerkraut). Das deutsch-tschechische Publikum setzt sich zusammen aus Kletternden, Boulder-Familien, VanLife-Touristen und uns beiden Oldie-Wandernden. 

Etappe 3: Ostrov - Kamphütte

Die Nacht im Zelt war etwas frisch: drei Grad Außentemperatur hatte es. Mein Quilt hat seine Bewährungsprobe knapp bestanden. Wieder ziehen wir durch eine wilde Felsenlandschaft in Tschechien. Felsnamen wie „Parlamentmassiv“, „Romamassiv“, „Prüfungswand“, „Falke“ oder „Max“ schwirren durch den Kopf. Die tschechischen Originalnamen gehen mir mangels Vokalen nur schwer über die Lippen. Kurz vor Tisa schwenken wir Richtung Nordwest und treffen wieder auf die deutsch-tschechische Grenze, die nur noch aus einem Pfad und alten Grenzpfosten besteht: Vive l’Europe!

Birkenwälder umgeben uns. Wir kommen wieder mehr durch deutsche Waldordnung und wandeln auf Harvesters Spuren. Es beginnt merklich heftiger zu regnen. Der Mäanderkurs des Forststeigs erlaubt uns eine Abkürzung und wir erreichen nach zehn Minuten die Ottomühle. Ein trockenes, warmes Zimmer mit Bett und Dusche erwartet uns, ebenso ein komfortables Abendessen (frischer Saibling). Das echt heftige Regenwetter schauen wir uns erleichtert aus einem warmen Zimmer hinter Fensterscheiben an. 

Etappe 4: Kamphütte - Rotsteinhütte

Am Morgen ist es zwar trocken und gleichzeitig noch feucht und kühl. Das Bielatal mit seinen bizarren Felsen wollen wir uns nicht entgehen lassen. Wir machen uns ohne Gepäck auf eine Rundwanderung. Die Vielfalt der Felsen und Namen begeistern und verwirren ein wenig: Mühlenwächter, Ottostein, Daxenstein, Zarathustra, Schildkrötenturm, Kanzelturm, Herkulessäulen … . Bei schönem Wetter ist hier klettermäßig bestimmt gut was los. Das sagt auch die Inhaberin der Daxensteinbaude. Hier kann man alles bekommen, was Kletternde oder Wandernde für das leibliche Wohl kurzfristig nötig haben – auch netten, freundlichen Zuspruch.  

Nach einem Käffchen laufen wir uns auf dem Forststeig warm. Immer wieder wechseln sich Wälder und Felsen ab und werden von einem Hauch von Nebelschwaden umhüllt. Noch einige paar Harvester- und Forstwegkilometer in Abwechslung mit einigen Passagen naturnaher Wege, – dann erreichen wir die Rotsteinhütte. Die Ausstattung ist wie bei den anderen Hütten einfach und gut. Der Abend wird kühl. Wir heizen den Ofen mit vorrätigem Feuerholz an und bereiten unser Nachtlager und Abendessen: Reis mit Nüssen, getrockneten Rosinen, Feigen, Datteln und Tomaten, -das Ganze mit exotischen Gewürzen abgeschmeckt. Köstlich und nahrhaft. 

Etappe 5: Rotsteinhütte - Biwakplatz Nikolsdorf

Nach unseren Morgenarbeiten (Einheizen, Frühstücken, Packen, Auskehren), die schon wie geschmiert ablaufen, machen wir uns auf. Wir bekommen nochmal eine farbintensive Aussicht auf den Hohen Schneeberg. Uns umgibt Stille und einigermaßen intakte Natur. Nach Katzsteinfels, Signal und Spitzstein schlängeln wir weiter durch den Wald des Sachsenforstes bis wir am Rand von Nikolsdorf das gleichnamige Biwak erreichen. Es befindet sich auf dem Areal des Walderlebniszentrums Leopoldishain. Leider haben wir einen kühlen, windigen Abend erwischt und es friert uns, wenn wir uns am nicht windgeschützten Sitzplatz aufhalten. Wir verschwinden frühzeitig ins Zelt, mummeln uns in Schlafsack und Quilt und tauen allmählich auf … 

Etappe 6: Biwakplatz Nikolsdorf - Biwakplatz “Alte Gärtnerei"

Wegen der 3°-Morgenkälte reduzieren wir das erste Frühstück auf Kaffee und Tee, packen unsere 27 Sachen und laufen uns warm. Wir umrunden den Pfaffenstein, der schon mächtig mit vielen Wegschildern ausgestattet ist, auf Forstwegen. Hier merken wir, dass das „Wilde“ der tschechisch-deutschen Grenzregion verschwindet und der landwirtschaftlichen und touristischen Intensivnutzung Platz macht.

Schon am frühen Nachmittag erreichen wir die „Alte Gärtnerei“ am Ortsrand von Gohrisch, unser letztes „Biwak“ auf dieser Tour. Es ist wundervoll eingerichtet und man kann sogar im alten Gewächshaus (ohne Verglasung) auf einer Wiese zelten. Katrin und Kay, beides Weitgereiste und Bergerfahrene sowohl in der “Sächsischen”, den Alpen und den Bergen der Erde, sind offizielle Forststeig-Partner und bieten diese Übernachtungsmöglichkeit an. Auch Hopfenkaltschalen sind in ihrem Angebot, die wir dankend annehmen. Dazu bereiten wir unser  Abendessen: Steinpilzrisotto mit reduziertem Wein und Parmesan.  

Etappe 7: Biwakplatz “Alte Gärtnerei” - Bad Schandau

Die letzte Etappe ist nicht mehr lang. Daher lassen wir es gemütlich angehen. Wir überschreiten nochmal drei Tafelberge, den Gohrisch, den Papststein und die Kleinhennersdorfer Steine, aus denen wir durch ein tief eingeschnittenes Tal austreten. Ab hier haben wir nur noch einen Abstieg vor uns. Aus der Ferne hören wir von der Elbe schon das Pfeifen eines Raddampfers. Die Wege bleiben überraschend “naturnah”, obwohl wir ins touristische Bad Schandau kommen. Dreckig und speckig machen wir uns auf die Heimreise.  

Das Pfeifen hat uns auf die Idee gebracht, zunächst mit dem Raddampfer, der schon seit 150 Jahren seine Dienste tut, auf der Elbe ganz entspannt flussab nach Dresden zu schippern. Das langsame Sich-Annähern an die normale Zuvielisation ist wunderbar. Ab hier bringt uns die Bahn komfortabel und günstig nach Kassel. 

Fazit

Während der ganzen Tour haben wir insgesamt nur acht andere Forststeig-Wandernde getroffen. Die Hauptursachen sind wahrscheinlich, dass wir außerhalb der Schulferien und im April, also in noch kühler Jahreszeit gelaufen sind. Zu anderen Zeiten soll der Forststeig höher frequentiert sein. 

Der Forststeig mäandert gerade mal auf einer Fläche von ca. 20km x 20km dahin. Vom Start (Schöna) bis zum Ziel (Bad Schandau) sind es auf direktem Weg zu Fuß 9 km. Man darf also keine Schwierigkeiten haben, Schleifen und Umwege zu laufen. Es geht nicht darum, auf kürzestem Weg von A nach B zu kommen, sondern den Weg und seine Umgebung mit allen Sinnen wahrzunehmen. 

Unsere Laufrichtung von Schöna nach Bad Schandau ging von „wild“ nach „touristisch“. Wenn wir den Forststeig nochmal gehen würden, dann umgekehrt von Bad Schandau nach Schöna, weil wir lieber von „touristisch“ nach „wild“ übergehen und auch so einen schöneren Abschluss hätten. 

Die vom Sachsenforst vorgeschlagenen moderaten Etappenlängen ermöglichten uns, den einen oder anderen Abstecher auf Aussichtspunkte zu machen, bei Bedarf mittags ein Schläfchen einzubauen und an schönen Plätzen zu pausieren. Wir sind dadurch nie in Zeitnot geraten. 

Das durchgängige Konzept der Selbstversorgerhütten und vorbereiteten Biwakplätze ist wirklich gut realisiert. Ich hoffe, andere Wanderregionen in Deutschland nehmen sich ein Beispiel daran. Bis dahin bleibt der „Forststeig“ in Deutschland in dieser Form einzigartig. 

Zum Schluss mit dem Raddampfer aus der sächsischen Schweiz nach Dresden zu fahren, ist wirklich ein würdiger Abschluss für die siebentägige Wanderung in der sächsisch-böhmischen Schweiz. 

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