Panorama: Hund vor Bergkulisse
Schatten. Das ist alles, woran Ralfi denken kann. Als wir nach dreieinhalb Stunden am Kreuzjoch ankommen, legt sich mein kleiner Fuchs unter das Panoramabild, auf dem die umliegenden Berge benannt sind. Im ausgestreckten Zustand passt er perfekt unter den Peitlerkofel, den Piz Lavarela und den Piz Duleda. Ich stelle ihm seinen blauen, faltbaren Wassernapf vor die Schnauze und er trinkt im Liegen. Puh, unsere Viertageswanderung durch den Naturpark Puez-Geisler zwischen dem Gadertal, Gröden und Villnöß fordert uns. Zumal wir gegen die Zeit laufen. Das Juli-Wetter an Tag zwei ist durchwachsen und schon seit unserem Start an der Regensburgerhütte verfolgt uns ein Gewitter. Ralfi mag keinen Regen und so geht es direkt weiter Richtung Schlüterhütte.
Wandern mit Hund?
Tagestouren kannten wir schon. Aber was es bedeutet, mehrere Tage mit Hund unterwegs zu sein, hatte ich nicht auf dem Schirm. Die Vorbereitung und Planung unserer Unternehmung haben mich mindestens genauso viel Zeit gekostet, wie unsere Wanderung als solche. Ursprünglich wollte ich mit Ralfi eine Alpenüberquerung machen – eine Teiletappe von München nach Venedig. Dann hat sich schnell herausgestellt, dass mich vor allem Südtirol und die Dolomiten interessieren. Eine perfekte Wahl, denn auf den Hütten in Südtirol gibt es Einzel- und Doppelzimmer, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass man mit Hund übernachten kann. Die Hütten habe ich per Email reserviert. Los ging es in Daunëi oberhalb von Wolkenstein.
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Immer dabei: der Dolomiten-Sound, das unüberhörbare Pfeifen der Murmeltiere. Ralfis Ohren sind in absoluter Radarstellung, nur seine flauschigen Ohrenspitzen zittern leicht vor Anspannung. Mein Blick wandert über die grüne mit Huflattich, Alpenrose, Dotterblume, Enzian, Nelken, Himmelschlüssel und Flockenblumen bedeckte Wiese an der Medalges Alm. Ralfi hat den Frechdachs schon längst entdeckt und zieht an meinem Gurt. Herrjemine, die Dolomiten sind voller Tiere. Pferde, Kühe, Ziegen, Schafe, Wölfe – und Murmeltiere. Die bis zu 50 Zentimeter großen Erdhörnchen stellen sich bei Gefahr auf die Hinterpfoten und spähen den Feind aus. Dabei recken sie ihre dicken Bäuche in die Luft und lassen ihre markanten Hauer aufblitzen. Ralfi ist ein Podengo Português, ein windhundartiger Jagdhund aus Portugal. Er ist auf die Jagd nach Wildhasen spezialisiert, aber findet alles interessant, was sich bewegt. Im Naturpark bleibt er an der Leine. Das gefällt ihm nicht, mir ebenso wenig, weil er ständig zieht.
Mit der Unbeirrbarkeit der Murmeltiere hatte ich aber so nicht gerechnet. Als wir den kurzen Anstieg nach der Almhütte angehen, läuft uns ein kleines Murmeltier direkt in die Arme und geöffnete Schnauze. Ich muss kurz aufschreien, weil ich Angst um das verwirrte Tierchen habe und ziehe Ralfi zur Seite. Nach zwei weiteren Versuchen, unseren Weg zu kreuzen, lässt das Murmeltier von uns ab und verschwindet in einem Loch. Ich bin kurz sprachlos. Später auf der Schlüterhütte erzählt mir eine junge Frau, die auf ihrem Weg über die Alpen ist, dass sie eine ähnliche Begegnung hatte. Zwei Murmeltiere seien ihr auf dem Weg entgegengekommen und eines direkt gegen ihre Beine gelaufen. Nach dem Aufprall blickte es kurz verwundert nach oben und lief dann weiter.
Von Hunden und Wölfen
Endlich kommen wir an der auf 2306 Metern gelegenen Schlüterhütte an. Auf der Terrasse erhaschen wir noch zwei Sonnenstrahlen, bevor es zu stürmen und regnen beginnt. Wir beziehen unser Einzelzimmer, ein komplett mit Holz vertäfeltes Dachzimmer mit grandiosem Ausblick auf eine saftig grüne Wiese, hinter der sich eine steile Dolomitenwand auftürmt. Ich packe meinen 30-Liter-Rucksack aus und checke meine Vorräte. Gefühlt sind dreiviertel meines Rucksacks mit Hundefutter und Hunde-Ausrüstung gefüllt. Vor unserer Reise habe ich mich ausgiebig zum Thema Wandern mit Hund beraten lassen. Speziell das Thema Futter war eine Herausforderung: Ralfi ist ein schlechter Fresser, umso mehr, wenn er aufgeregt ist und jeden Tag woanders übernachten muss.
Vor dem Abendessen treffe ich Marlene Nitz, die aus der Küche zu mir auf eine gemütliche Holzbank unter das Dach kommt. Die 56-Jährige ist seit 31 Jahren Wirtin auf der Schlüterhütte. Sie trägt ein blaues Tuch mit Edelweiß im Haar, Sandalen und eine weiße Schürze. Die Hütte ist gut besucht, auch weil hier eine Etappe des Weitwanderweges München-Venedig und des Dolomiten-Höhenweges entlangführt. „Ein bis zwei Hunde haben wir pro Woche als Übernachtungsgäste hier“, sagt Nitz. Das habe sich in den letzten Jahren so entwickelt. Grundsätzlich sind die Vierbeiner auch willkommen. „Mal hat ein Hund auf die Terrasse gemacht. Als Antwort hat mir der Besitzer entgegnet, dass Vögel das ja auch tun“, sagt Nitz und verdreht die Augen. In der Ferne hört man Donnergrollen, die Berge sind mittlerweile in Wolken gehüllt, aus der Küche zieht der Geruch von Gulasch zu uns herüber. Marlene Nitz schneidet noch ein anderes Thema an: Wölfe.
Schon auf der Medalges Alm sind mir die gefletschten Zähne eines Wolfes entgegengeblitzt. Auf einem signalgelben Plakat steht: „Schützen wir die Almen!“. Daneben ist der Wolf abgebildet. Marlene Nitz sorgt sich vor allem um die Nutztiere: „Die Wölfe metzeln alles nieder, teilweise reißen sie nur ein Stück aus einem Schaf heraus und lassen das Tier dann verenden“. Dann erzählt sie vom Villnösser Brillenschaf, der ältesten Schafrasse der Region, die sie hier oben züchten. Ihren Bestand sieht sie durch die Wölfe in Gefahr. Ihren Namen haben die weißen Schafe von den dunklen Rändern um ihre Augen, was an eine Brille erinnert. Ohne mich zu dem Thema zu positionieren, höre ich Nitz zu. Die Fronten sind nicht nur in den Dolomiten verhärtet: Landwirtschaft gegen Tierschutz, Land gegen Stadt.
Angriffslustige Kühe?
Später gehe ich bei anhaltendem Donnergrollen spazieren. Ralfi ist an der Leine. Die Kühe auf der Alm beobachten uns. Irgendwie wirken sie angriffslustig. Ich erinnere mich daran, was mir Marlene Nitz zum Thema Hund und Kühe gesagt hat: Ruhig bleiben, den Hund zügig an der kurzen Leine vorbeiführen, falls die Kühe angreifen, den Hund loslassen. Gefährlich wird es vor allem dann, wenn Kälber in der Herde sind. Die Kühe, die da gerade von ihrer Wasserstelle auf mich hinabblicken, haben Kälber bei sich. Mein Weg führt direkt an ihnen vorbei. Eine Kuh bringt sich in Stellung, plustert ihr Nüstern leicht auf. Schwups verschwinde ich unter dem Elektrozaun und nehme eine Abkürzung. Auf eine direkte Konfrontation von Hund und Kuh habe ich wirklich keine Lust. Minutenlang blickt mir die Späherkuh noch hinterher.
Welcher Schwierigkeitsgrad darf es sein?
Am nächsten Tag steht eine lange Etappe an: Von der Schlüterhütte gehen Ralfi und ich 20 Kilometer zur Gardenacia-Hütte. Dabei überwinden wir 1200 Höhenmeter. Bei der Routenplanung habe ich darauf geachtet, dass es nicht zu schwierig wird. Einen Klettersteig hätte ich mir alleine mit ihm nicht zugetraut, obwohl wir schon seilversicherte Passagen gemeinsam gegangen sind. Deswegen habe ich mich bei dieser Etappe auch gegen die Abkürzung über den Klettersteig in der Nivesscharte entschieden. Zur Sicherheit habe ich neben seinem Zuggeschirr noch ein stabileres Geschirr mit Haltegriff oben dabei. Damit kann ich ihn im Fels auch mal spontan hochnehmen, wenn er sich unwohl fühlt. An Tag drei wartet dennoch mit der Puezscharte die Schlüsselstelle auf uns.
Verirrungen an der Schlüsselstelle
Zunächst wandern wir hinab ins Mühlental in Campill. Der urige Weg führt durch recht steiles, wurzeldurchsetztes Gelände und einen märchenhaften Lärchenwald. Kurz vor Campill schwirrt es um meinen Kopf. Ich spüre einen leichten Schmerz an meinem rechten Schulterblatt. Mist, mich hat eine Schnake gestochen. Sofort hole ich mein obligatorisches Antimückenspray aus dem Rucksack und sprühe mich großzügig ein. Ralfi bekommt eine Hand voll Leckerlies.
Nach dem Ort geht es eine Forststraße entlang wieder zurück in den Naturpark Puez-Geisler – und zur Schlüsselstelle. Das brüchige Gelände türmt sich vor uns auf. Ralfis Ohren sind gespitzt, der Zug an meinem Gurt ist ungemindert. Wir steigen in das Geröll ein, das wenig später von Stufen zusammengehalten wird. Es wird immer steiler, bis wir zum Ausstieg gelangen. Mir ist nicht gleich ersichtlich, wo es weitergeht. Ralfi steigt weiter nach oben, doch damit liegt er falsch. Nun steht er da in steilem Gelände, kann weder vor noch zurück. Der Weg biegt nach rechts ab auf einen schmalen Felsvorsprung mit Seilversicherung. Ich rufe Ralfi zu mir. Mit viel Überwindung kommt er zu mir zurück und springt hinüber auf den schmalen Steinpfad am Abgrund. Gemeinsam gehen wir die letzten Meter bis zur Plattform auf der Puezscharte und sind stolz und glücklich.
Zur Feier des Tages
Der Rest des Weges ist weniger schwierig. Der Karst erinnert an eine Mondlandschaft. Am Boden liegen flache, hellgrau leuchtende Steinplatten, auf denen wir uns springend fortbewegen. Eine halbe Stunde später sind wir an der Puezhütte, die man auch per Bahn erreichen kann. Entsprechend hoch ist der Andrang. Erst jetzt fällt mir auf, wie einsam die Tour bisher war und wenig später auch wieder ist. Als wir nach acht Stunden über das gleichnamige Karstplateau endlich die Gardenacia-Hütte auf der Sterner Alm erreichen, ist die Freude groß. Wir beziehen unser Einzelzimmer mit herrlichem Panoramablick auf die Fanes-Gruppe mit Heiligkreuzkofel, Lavarella-Conturines-Massiv und Lagazuoi. Ich lege Ralfis blaue Decke aufs Bett, er kringelt sich zu einem Knäuel zusammen und schläft. Das schätze ich besonders an ihm. Ich kann ihn quasi überall allein lassen und er wartet auf mich. Zur Feier des Tages gönne ich mir etwas Besonderes: Ich gehe in die Sauna, die eigens für mich eingeheizt wird. Mit Blick gen Süden auf Pelmo, Civetta und Marmolada lege ich die Beine hoch, genieße den Aufguss und entspanne meine müden Beine.
Ladinische Spezialitäten zum Abschluss
Beim Abendessen rede ich mit dem Hüttenwirt Martin Nagler. Er und seine Frau haben die Gardenacia-Hütte bei einer Wanderung entdeckt und 2009 renoviert. Der Charakter einer Schutzhütte ist erhalten geblieben, die Ausstattung ist in edel-rustikalem Landhausstil gehalten. Hunde sind glücklicherweise erlaubt. „Wir haben uns dazu entschieden, weil immer mehr Naturmenschen Hunde haben und auf Hütten übernachten wollen“, sagt der 50-Jährige. Die Gemeinde Stern gehört zum ladinischen Teil Südtirols, die Küche serviert entsprechend auch ladinische Spezialitäten: Gerstensuppe mit Turtres, Polenta mit Pilzen, Spinatnocken mit dem ladinischen Käse Ciajó sowie Kartoffelblätter. Beim Abendessen mit Dreigangmenü, das übrigens in der Halbpension inkludiert ist, sitze ich auf der Terrasse. Beim Blick Richtung Westen schaue ich auf das Karstplateau und auf ein Glasgefäß mit sonderbarem Inhalt, das auf dem Geländer steht. Bei genauerem Hinsehen entpuppt der Inhalt sich als Zirbenzapfen, die im Glas zu Schnaps vergoren werden. Beim Blick Richtung Westen traue ich kaum meinen Augen. Die gewaltige Fanes-Gruppe steht in Flammen. „Enrosadira heißt das auf Ladinisch“, sagt Martin Nagler. Dolomitenglühen. Während Ralfi seine Nudeln mit Butter unter dem Tisch aus einer Keramikschüssel frisst, nehme ich einen Schluck von meinem Lagrein, dem besten Rotwein der Welt, und präge mir diesen wunderschönen Anblick ein. Da morgen nur noch der Abstieg nach Wolkenstein ansteht, stoße ich mit Martin Nagler und einigen Stammgästen mit einem Zirbenschnaps an – auf einen ganz besonderen Urlaub mit meinem kleinen Portugiesen.
Ralfi – live und in Farbe
Wer noch nicht genug hat von Ralfi auf Tour: Im Video gibt es die schönsten Momente der Dolomitentour zum Nachschauen.