Arten, Risikomanagement & Co.

Was du schon immer über Lawinen wissen wolltest

Folge 50 des Bergpodcasts: Geballtes Lawinenwissen zum Anhören mit Lawinenwarner Matthias Walcher und DAV-Ausbildungsleiter Bergsport Alpin Markus Fleischmann

"Die frischen Triebschneeansammlungen sind besonders an sehr steilen Schattenhängen oberhalb von rund 2400 m vereinzelt störanfällig. Diese können vor allem in ihren Randbereichen von einzelnen Wintersportlern ausgelöst werden und mittlere Größe erreichen. Die Gefahrenstellen sind gut zu erkennen. Vorsicht vor allem in Rinnen, Mulden und hinter Geländekanten." So steht es beispielsweise an einem Tag im Dezember im Lawinenlagebericht für die zentralen Stubaier Alpen. Wie kommen diese Informationen zustande, welche Daten und Erkenntnisse fließen in die Bewertung der Lawinensituation mit ein? Und vor allem: Was bedeutet das für mich als Wintersportler*in? Wie viel Erfahrung brauche ich, um im winterlichen Gelände unterwegs zu sein und wie und wo sammle ich diese Erfahrungen?

Franziska Simon ist all diesen Fragen auf den Grund gegangen und spricht in dieser Podcastfolge mit zwei Experten:

Matthias Walcher von GeoSphere Austria, dem meteorologischen und geophysikalischen Dienst Österreichs, erklärt, welche Lawinenarten es gibt, wie sie entstehen und wie die Lawinenwarndienste arbeiten.

Markus Fleischmann, Geograf, staatlich geprüfter Berg- und Skiführer und Ausbildungsleiter Bergsport Alpin im DAV, gibt Tipps, wie der Einstieg ins Skitourengehen sicher gelingt und wie man sich im Ernstfall bei einem Lawinenabgang verhält.

Den Bergpodcast gibt es direkt hier zu hören (bitte externe Inhalte zulassen) oder auf allen gängigen Podcastportalen, zum Beispiel bei Spotify, Apple Podcasts oder Google Podcasts.

Transkript der Folge

Angela Kreß:
Hallo! Schön, dass ihr wieder mit dabei seid bei einer neuen Folge des Bergpodcasts. In diesem Jahr konnten wir uns ja schon Anfang Dezember über jede Menge Schnee freuen - Franziska Simon hat die Gunst der Stunde genutzt und ihre erste Skitour der Saison unternommen. Bevor sie losgezogen ist, hat sie sich aber nochmal ganz genau über Lawinen informiert und spannende Interviews geführt. 

Sie erfährt, welche Lawinenarten es gibt und wie die Informationen aus dem Lawinenlagebericht zustande kommen. Außerdem geht es darum, wie der Einstieg ins Skitourengehen sicher gelingt und was im Ernstfall zu tun ist, wenn im Gelände tatsächlich eine Lawine abgeht. Dafür spricht sie mit Matthias Walcher von Geosphere Austria, dem staatlich meteorologischen und geophysikalischen Dienst Österreichs, und mit dem Geografen, staatlich geprüften Berg- und Skiführer und Ausbildungsleiter Bergsport Alpin beim DAV, Markus Fleischmann. Viel Spaß beim Zuhören!

Franziska Simon:
Endlich wieder Schnee. Perfekt für eine Skitour. Aber wohin? Erstmal alpenvereinaktiv.com. Zum Reinkommen vielleicht lieber erst mal eine leichte Tour, das sind die blau gekennzeichneten. Hier, die zur Lacherspitze am Wendelstein sieht doch ganz gut aus. Bewertungen sehen auch gut aus. Aber noch die Details checken, ob die Tour auch zu mir passt. Schwierigkeit 2 von 6, Kondition 2 von 6, Erlebnis 3 von 6, insgesamt 970 Höhenmeter und tiefster Punkt 775 Höhenmeter, falls die Schneegrenze ein bisschen tiefer liegt. Beste Jahreszeit ab Dezember, ja, passt auch. Aber – das ist wichtig! – die Lawinenlage checken. Die steht hier sogar direkt drunter. Jetzt gerade gilt Warnstufe 2 – was das bedeutet, klären wir später im Podcast.
Wie komm ich dahin? Anreise - voll praktisch, dass das direkt dabei steht, also dann mal Anreise planen. Von München aus mit der Bahn nach Osterhofen, Dauer knapp 2 Stunden, passt! So noch die aktuellen Infos anschauen. Aha, da gibt es ein Landschaftsschutzgebiet. das heißt wie natürlich überall keinen Müll liegen lassen. Ganz allgemein gilt für mich als Sportlerin im Winter aber immer Ruhezeiten beachten, also nicht vor 10 und nicht nach 16 Uhr unterwegs sein, auf den Wegen bleiben und möglichst ruhig verhalten so. Dann Tour Download. Das war jetzt schon recht stressfrei. Step 1: Die richtige Tour finden – Check! Aber die richtige Tour ist die eine Sache, die richtigen Bedingungen für die Tour die andere, darum immer vor der Tour noch mal das Bergwetter anschauen, den Link dazu findet ihr in den Shownotes. Noch viel wichtiger als das reine Wetter ist im Winter die Lawinenlage, die kann ich über den Lawinenlagebericht herausfinden. Aber wie geht das eigentlich, dass für bestimmte Gebiete eigene Lawinenrisiken ausgegeben werden können? Und wie genau sind diese Prognosen? Das kläre ich am besten noch vor meiner Tour, und zwar mit Matthias Walcher von Geosphere Austria, das ist der staatlich meteorologische und geophysikalische Dienst Österreichs. Matthias und seine Kolleg*innen beobachten ganz grob gesagt unter anderem die Niederschlags- und Temperaturentwicklung und geben dann einen detaillierten Bericht zur Lawinenlage aus. Fun Fact: Unser DAV-Bergwetter macht auch das Team von Geosphere Austria. Aber was mich zuallererst einmal interessiert, wie entstehen Lawinen eigentlich?

Matthias Walcher:
Damit eine Lawine entsteht – und ich gehe jetzt da auf die Schneebrettlawinen ein, wie gerade schon besprochen, sind das einfach diese Lawinen, die am meisten für meisten Unfälle sorgen, für am meisten Schaden auch sorgen und für uns einfach auch am relevantesten sind, vor allem für Wintersportler. Und da ist es so, dass wir immer diese Schwachschicht brauchen, und wir brauchen ein Schneebrett darüber. Alles was wir neben dieser Schichtung noch brauchen, ist eine gewisse Steilheit über 30 Grad, weil darunter schafft es dieses Schneebrett einfach nicht abzugleiten, sobald die Lawine initiiert worden ist. Lawine unter Anführungszeichen, weil wenn der Hang zu wenig steil ist, dann hört man zwar dieses typische Wummgeräusch – das Wummgeräusch heißt einfach nur, diese Schwachschicht ist kollabiert, ist in sich zusammengefallen – aber das Schneebrett, was dann im steileren Gelände abgeht, das kann einfach unter 30 Grad nicht abgleiten. Habe ich jetzt ein Gelände über 30 Grad und habe ich eben diese ungünstige Schichtung von Schwachschicht und Schneebrett und ich als Wintersportler schaffe es, einen Bruch in dieser Schwachschicht zu erzeugen, dann rutscht dieses Schneebrett nach unten und eine Lawine ist geboren, wenn man so will.

Franziska Simon:
Also zuerst mal brauchen wir ein Gelände, das über 30 Grad steil ist und dann noch eine Schwachschicht. Jetzt hat Matthias ja von Schneebrettlawinen gesprochen, was das sein soll, dafür müssen wir ein bisschen weiter ausholen. Es gibt drei verschiedene Arten von Lawinen. Das sind die Lockerschneelawinen, die Schneebrettlawinen und die Gleitschneelawinen. Was ist was? Bei Gleitschneelawinen gibt es eine Gleitschicht. Klingt logisch! Diese kann man sich so vorstellen: Man ist in der Stadt und es schneit, aber es ist ein bisschen zu warm und der Schnee wird so matschig und schmierig. Dieser Schnee hat eine geringe Reibung und genau wie wir in der Stadt kann die Schneedecke am Berg ausrutschen, dafür braucht es einen steilen Hang, also etwa 30 Grad, und eine sehr gleichmäßige Fläche, zum Beispiel eine Wiese oder Felsplatte. Bei Lockerschneelawinen ist die Schneedecke sehr locker und bindungsarm. Zum Beispiel bei Neuschnee oder wenn es sehr nass ist, haben die einzelnen Eiskristalle kaum eine Bindung zueinander und wenn dann so ein Schneekristall in sehr steilem Gelände, das heißt hier über 40 Grad, aufgrund der Schwerkraft ins Rutschen kommt, dann kann er die umliegenden Kristalle mitreißen. Lockerschneelawinen haben einen punktförmigen Anriss und gehen dann birnenförmig auseinander. Die dritte Art sind eben die Schneebrettlawinen und die sind besonders gefährlich für Sportler*innen.

Matthias Walcher:
Hier braucht es ein gebundenes Brett, also wenn zum Beispiel der Schnee vom Wind transportiert wird, dann hat der Schnee eine Bindung. Das heißt, ich kann im extremsten Fall kann ich so ein Stück von der Schneedecke herausschneiden und kann es zwischen den Händen halten, und das fällt nicht auseinander, da haben wir also eine Bindung drinnen. Und drunter brauchen wir eine Schwachschicht und eine Schwachschicht ist genau das Gegenteil, da haben wiederum die Kristalle keine Bindung zueinander, wie zum Beispiel ein Oberflächenreif an der Schneeoberfläche, wenn ich da mit der Hand leicht drüber fahre, dann fallen diese Kristalle einfach um, weil einfach zu wenig Bindungskräfte da sind. Also ein Brett darüber, eine Schwachschicht aus Kristallen ohne Bindung darunter, und das sind die Grundzutaten für eine Schneebrettlawine. Natürlich auch hier: Die Steilheit ist noch vonnöten und ein Auslöser, zum Beispiel ein Skifahrer, zum Beispiel aber auch Neuschneezuwachs.

Franziska Simon:
Real talk: Ich hab das nicht gewusst. Mich haben bisher aber auch immer nur die Lawinenwarnstufen interessiert. Hier wird zwischen 1, die kleinste Lawinengefahr, und 5, die höchste Gefahrenstufe, unterschieden. Das heißt für uns. 1 und 2 sind noch relativ safe. 3 geht für erfahrene Sportler*innen auch noch und 4 und 5 sollte man dann lieber meiden, so meine Überlegung.

Matthias Walcher:
Wir drücken mit der Gefahrenstufe ja auch nur eine bestimmte Wahrscheinlichkeit aus, ob es zum Abgang von Lawinen kommen kann. Das heißt, bei Gefahrenstufe 1 gering und das ist auch vielen vielleicht nicht wirklich bewusst. Aber auch da sind natürlich Lawinenabgänge möglich und wir versuchen, das auch im textuellen Teil des Berichtes so zu beschreiben und auf die Gefahrenstellen hinzuweisen. Natürlich, bei Gefahrenstufe 1 sind entweder die Lawinen kleiner oder generell die Gefahrenstellen geringer, wo ich eine Lawine auslösen kann. Je weiter ich in dieser Gefahrenstufenskala nach oben wandere, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit.
Allgemein gesagt ist es natürlich schon so, dass per se die Auslösung einer Lawine im Gelände ein sehr unwahrscheinlicher Fall ist. Es ist also natürlich, wenn wir sehr weit oben sind in der Gefahrenstufenskala, ja da ist die Wahrscheinlichkeit höher. Aber gerade in den unteren ein bis drei Gefahrenstufen ist es sehr unwahrscheinlich, dass ich, wenn ich das ganze gesamte Gelände betrachte wo eigentlich Schnee liegt, dass ich da eine Lawine auslösen kann, ist eigentlich ein unwahrscheinliches Szenario. Aber dadurch, dass wir die Gefahrenstellen häufig nicht erkennen können, nicht genau sagen können, das ist der Hang, wo es gefährlich ist – wir arbeiten ja mit Wahrscheinlichkeiten – habe ich halt trotzdem immer die Chance, dass ich irgendwo hineingerate, einen Hang betrete, wo ich dann doch eine Lawine auslösen kann.

Franziska Simon:
Das ist ein ziemlich wichtiger Punkt: Lawinenwarnstufe 1 heißt nicht, dass nichts passieren kann. Und wenn ihr euch denkt: „Franzi, die meisten Unfälle passieren aber bei Warnstufe 3!“. Dann sag ich euch: Ja, stimmt! Das ist aber ein reines Rechenexempel. Bei Gefahrenstufe 3 gehen noch relativ viele Menschen auf Tour. Die Wahrscheinlichkeit für eine Lawine ist aber auch schon relativ hoch. Diese Kombi aus viele Menschen und relativ hohes Risiko führt dazu, dass hier die meisten Unfälle passieren. Also unterschätzt das bitte nicht. Egal zu welcher Gefahrenstufe ihr unterwegs seid, es gehört vor allem immer ein gutes Know-How dazu. Und das bekommt ihr in einem Lawinenkurs – der auch gerne immer mal wieder aufgefrischt werden darf! Und es gilt natürlich auch: Habt immer eure Lawinenausrüstung dabei. Was das ist, verlinken wir euch in den Shownotes.
Mir reicht das aber noch nicht an dieser Stelle. Woher wissen denn die Forscher*innen, welche Lawinenlage ist?

Matthias Walcher:
Das geschieht so, dass wir sehr viele Informationen einerseits von der bestehenden Schneedecke sammeln. Das heißt, wir sind selber draußen sehr viel unterwegs und graben Schneeprofile, beobachten die Situation. Andererseits haben wir Beobachter und Beobachterinnen, welche für uns draußen unterwegs sind und uns Informationen rückmelden. Wir haben aber auch Wetterstationen draußen, wir haben Schneedeckenmodelle an diesen Standorten der Wetterstationen laufen, welche uns Informationen über den bestehenden Schneedeckenaufbau mitteilen. Also ein großer Teil ist einfach diese Analyse: Wie schaut die Schneedecke derzeit aus? Da gehört auch dazu, dass man einfach über den gesamten Winter die Schneedecke beobachtet, den Aufbau und das Verhalten der Schneedecke beobachtet, das ist ein Teil. Der zweite Teil geht dann in die Prognose. Wir schauen uns an, wie verändert sich das Wetter, was passiert mit dem Wetter, kommt Neuschnee, wie warm wird es, wie ist die Luftfeuchtigkeit, wie ist der Wind? Alle diese lawinenbildenden Faktoren schauen wir uns an und überlegen uns dann, wie schaut die Schneedecke morgen aus, wie verändern sich die Gefahrenstellen, wo ich eine Lawine auslösen kann und wie verändert sich die potenzielle Größe einer möglichen Lawine.

Franziska Simon:
Es gilt also immer: Kein Modell kann 100 Prozent in die Zukunft schauen.

Matthias Walcher:
Wir versuchen derzeit immer mehr, mit Schneedeckenmodellen zu arbeiten. Das ist in Nordamerika schon viel mehr verbreitet als bei uns im Alpenraum. Aus dem Grund, weil dort die Gebiete viel, viel größer sind und viel weniger Personen im Gelände unterwegs sind, auch weniger Wetterstationen sind. Die Warndienste haben sehr viel weniger Informationen über die Schneedecke, aber auch die Wetterentwicklung, und deswegen haben diese sich überlegt, dass sie anhand der Prognosemodelle, also dieser Wettermodelle, die uns zur Verfügung stehen, welche uns ja auch Auskunft geben über Temperatur, Niederschlag, Luftfeuchtigkeit und so weiter, dass sie mit diesen Eingangsparametern an bestimmten Punkten sich den Schneedeckenaufbau berechnen lassen. Diese sehen dann auch, da haben wir einen Triebschneebrett darüber, vielleicht weil da Windeinfluss war, darunter vielleicht einen eingeschneiten Oberflächenreif. Die können sich sozusagen diesen Schneedeckenaufbau modellieren lassen, das ist natürlich nicht zu 100 Prozent genau, aber ist durchaus besser als nichts. Und bei uns ist es mittlerweile auch so, weil diese Modelle immer besser werden, dass diese auch bei uns zunehmend Anwendung finden. Bei uns werden diese dann häufig gefüttert mit Daten von automatischen Wetterstationen, also tatsächlich gemessenen Daten, und man modelliert sich sozusagen den Schneedeckenaufbau für bestimmte Punkte. Das geht jetzt auch so weit, dass man mit per Hand aufgenommenen Schneeprofilen bereits in die Zukunft rechnen kann, quasi modellieren kann, was passiert, wenn morgen auf diese bestehende Schneedecke ein halber Meter oder ein Meter Schnee drauf fällt. Im Prinzip sind das auch die Überlegungen, die wir Warner uns machen, wenn wir eben für morgen die Lawinengefahrenstufe ausgeben möchten. Diese Modelle helfen uns einfach, unsere Annahmen zu verifizieren und helfen uns, bessere Prognosen zu schaffen. Das geht sicherlich in Zukunft immer mehr in diese Richtung, dass wir eben auch mit Modellen arbeiten, dass uns diese Modelle einfach mehr Informationen bieten. Bei uns werden diese dann gesammelt und wir müssen versuchen, dort eben die Essenz herauszufiltern und das dann möglichst gut zu verpacken und den Nutzern, seien es Wintersportler als auch Kommissionen, verständlich zu kommunizieren.

Franziska Simon:
Trotzdem ist natürlich immer wichtig: Natur kann nicht exakt berechnet werden. Es gibt immer auch spontane Faktoren, die eine Vorhersage verändern können.

Matthias Walcher:
Wenn ich irgendwo unterwegs bin, auch wenn Gefahrenstufe 2 oder 1 ausgegeben ist. Aber ich bin irgendwo unterwegs und sehe frische Lawinen, oder Setzungsgeräusche, Risse in der Schneedecke, dann muss ich mich entsprechend anpassen. Dann ist für dieses lokale Gebiet, wo ich unterwegs bin, vielleicht die Beschreibung in der Lawinenprognose nicht ganz zutreffend und ich muss entsprechend mein Verhalten anpassen.

Franziska Simon:
Und auch die Erderwärmung spielt immer mehr eine Rolle in der Prognose.

Matthias Walcher:
Wir werden in Zukunft sicherlich mit mehr Nassschneelawinenaktivität auch in den Hochwinter-Monaten zu tun haben. Die Gefahr von trockenen Schneebrettlawinen nimmt vermutlich auch ab im gleichen Atemzug natürlich, weil der Schnee dann häufiger in Form vom Regen fällt, bis zu einer bestimmten Höhengrenze. Darüber wird sich vielleicht wenig verändern, darüber werden immer noch die trockenen Schneebrettlawinen die größte Gefahr mit sich bringen. Auch die Gleitschneethematik ist so etwas, was wir in den letzten Jahrzehnten gesehen haben, dass diese Problematik zunimmt. Dem muss man sich einfach stellen und versuchen, Möglichkeiten zu finden, damit umzugehen. Was jetzt diese länger anhaltenden Starkniederschläge betrifft, wenn diese Starkschneefälle in Zukunft zunehmen sollten, dann werden wir hier auch vor Herausforderungen gestellt werden. Das betrifft nicht nur die Lawine, sondern wenn in solchen Situationen die Schneefallgrenze ansteigt und dieser Starkniederschlag in mittleren Lagen oder bis in hohe Lagen hinauf als Regen fällt – gerade im Winter – dann haben wir hier vermutlich auch Wassergefahren zu erwarten in Jahreszeiten, wo wir bisher diese Naturgefahren noch nicht gesehen haben. Das wird uns alle vor Herausforderungen stellen, davon bin ich überzeugt.

Franziska Simon:
Herausforderungen, die heute noch nicht gänzlich abgeschätzt werden können. Dennoch gilt auch jetzt schon, Vorsicht ist besser als Nachsicht. Im Zweifel lieber abbrechen und es am nächsten Tag noch mal versuchen.
Na, dann schauen wir uns doch mal den aktuellen Lawinenlagebericht an. So ein Lawinenlagebericht ist ziemlich selbsterklärend aufgebaut. Direkt am Anfang finden wir alle Infos in Grafiken und Piktogrammen auf einen Blick, aber es lohnt sich sehr wohl den Text darunter auch zu lesen, denn:

Markus Fleischmann:
Die wichtigste Aussage vom Lawinenlagebericht für uns ist eigentlich das Lawinenproblem mit seinen Gefahrenstellen, dessen Informationen, die wir brauchen, um dann draußen im Gelände eben diese Gefahrenstellen wiederzufinden, wiederzuerkennen und ein entsprechendes Verhalten an den Tag zu legen. Also grundsätzlich die meisten Lawinenlageberichte geben uns schon sehr gute Informationen, auch bezüglich Expositionen oder Höhenlagen zum Beispiel. Wer es sich da relativ einfach machen möchte, meidet letztendlich diese Gefahrenstellen, also diese Kernzonen im Lawinenlagebericht. Das ist aber natürlich ein sehr einfacher Ansatz und es gibt auch gewisse Tools, die es ermöglichen, da das Ganze noch etwas detaillierter zu überprüfen. Wir sprechen da von Entscheidungshilfen oder Planungshilfen, wie zum Beispiel die DAV Snowcard oder auch Skitourenguru als digitales Portal.

Franziska Simon:
Das ist Markus Fleischmann vom DAV. Er ist Geograph, staatlich geprüfter Skitourenführer und weiß, worauf gerade Anfängerinnen wie ich achten müssen.

Markus Fleischmann:
Ich würde auf jeden Fall empfehlen, eine Zeit lang mit erfahrenen Personen mitzugehen, aber dort nicht nur hinterher zu laufen, sondern auch letztendlich gemeinsam diese Touren zu planen und durchzuführen. Das heißt auch immer wieder mit den Erfahrenen zusammen zu entscheiden, Hintergründe zu erfragen, einfach das Wissen der erfahrenen Begleiter auch nutzen und da möglichst viel Benefit mitnehmen. Und dann kommt natürlich schon irgendwann der Schritt, das Ganze selbständig zu tun, weil durch das Mitgehen oder Hinterherlaufen bekomme ich auch nur einen begrenzten Erfahrungsschatz, also irgendwann muss man selber planen, selber rausgehen, selber entscheiden. Da bietet es sich natürlich auch an, dann zunächst mal mit einfachen Touren anzufangen, vielleicht auch mit Touren, wo ich nicht als einziger unterwegs bin, also mit eher viel begangenen Modetouren. Da habe ich einen höheren Sicherheitspuffer, eine Einsteigertour ist natürlich einmal vom Gelände her insofern einfach, dass es nicht zu steil ist und nicht zu lang, aber vor allem diese Touren auch häufiger begangen sind. Man ist selten ganz alleine unterwegs, hat typischerweise vorhandene Aufstiegsspuren, hat auch Hänge die regelmäßig befahren werden und begangen werden im Auf- und Abstieg und dadurch einfach ein geringeres Lawinenrisiko.

Franziska Simon:
Das heißt aber nicht, wo Spuren sind, da kann ich ohne Risiko lang gehen, oder?

Markus Fleischmann:
Nein, das wäre ein Trugschluss. Und das ist dann wiederum was, was man zum Beispiel auf dem Lawinenkurs lernen kann, weil es hängt letztendlich vom konkreten Lawinenproblem ab, ob Spuren im Gelände ein klares Sicherheitsplus sind oder eben nicht. Also als Beispiel in der Neuschneesituation und in der Triebschneesituation, da gilt befahrenes, begangenes Gelände, wenn es denn flächig begangen und befahren ist als klarer Pluspunkt. So wie wir es aktuell draußen haben, in Nassschnee-, Gleitschnee-Situationen, da ist es wenig oder gar nicht aussagekräftig. Da geht es also wieder in die Schneekunde und letztendlich in das Schneewissen. Ein Lawinenkurs ist eine gute Grundlage, um mal ein Grundverständnis zu bekommen, auch im Hinblick auf die Anwendung von Lawinenlagerberichten, die Anwendung dieser Tools draußen im Gelände und es geht aber dann weiter, eben Gefahrenstellen im Gelände zu erkennen, den Schnee zu lesen, die Schneezeichen, die Wetterzeichen, das Gelände zu interpretieren und sowas lernt man nur durch Übung.

Franziska Simon:
Also ein bisschen Learning by doing, aber mit den Grundlagen aus einem professionellen Lawinenkurs. Soweit die Theorie. Was mache ich aber, wenn ich im Gelände bin und dann geht eine Lawine ab?

Markus Fleischmann:
Was man braucht, ist vorbeugend eine Notfallausrüstung, weil ohne Notfallausrüstung - das heißt LVS-Gerät, Schaufel, Sonde - haben wir keine Chance, verschüttete Personen schnell zu bergen und das ist essentiell bei einer Verschüttung.

Franziska Simon:
Das ist nämlich auch etwas, was ich im Lawinenkurs lerne. Wie rette ich Menschen, die verschüttet wurden. Und auch hier ist wichtig: Immer mal wieder den Ernstfall üben, damit ich dann ohne viel Überlegen handeln kann. Und dann gibt es noch den Fall, wenn ich nicht selber betroffen bin, aber den Abgang einer Lawine beobachte.

Markus Fleischmann:
Wenn man Lawinen beobachtet im Gelände, dann lohnt es sich auf jeden Fall, mal hinzuschauen, zu schauen, ob da vielleicht andere Personen involviert sind, ob sich zum Beispiel eine Gruppe in der Nähe sich befindet oder ob da Spuren in den Lawinenanriss hineinführen und dafür keine heraus. Sowas kann man durchaus im Fall des Falles beobachten. Es lohnt sich auf jeden Fall auch, einen gerade beobachteten Lawinenabgang mit Verdacht auf Personenbeteiligung zu melden über den Notruf. Im Falle einer Verschüttung muss es schnell gehen, es gibt so ein statistisches Zeitfenster von 15 Minuten, wo die Überlebenschance von verschütteten Personen noch relativ hoch ist. Wir sprechen da von circa 90 Prozent und es nimmt dann rapide auf 25 Prozent ab diese Überlebenskurve. Es ist klar, es geht hier um Erstickung, und dieses kleine Zeitfenster erfordert, dass Beteiligte Tourenpartner unmittelbar sofort selbständig helfen, sprich mit den Gerätschaften Personen auffinden und ausgraben, weil eine organisierte Rettung dauert im Regelfall zu lang. Insofern kann man schon sagen, die Empfehlung ist auf jeden Fall zunächst selbst zu suchen, die Kameradenrettung einzuleiten und erst wenn das keinen Erfolg verspricht oder zu lange dauert, dann die Bergrettung zu alarmieren.

Franziska Simon:
So, einen wichtigen Punkt gibt es noch, bevor es losgeht: Immer jemandem Bescheid geben, wohin geht ihr, wann geht ihr los und die Info, dass ihr euch nochmal meldet, wenn ihr wieder daheim seid. Und im besten Fall: Geht nicht alleine. Klingt jetzt alles total banal. Aber genau so wird es ja auch auf den Berghütten mit dem Hüttenbuch gehandhabt. Dabei geht es schlicht um eure Sicherheit, denn wenn jemand weiß, wo und wann ihr unterwegs seid, kann der- oder diejenige im Zweifel der Rettung Bescheid geben. Und das mache ich jetzt natürlich auch. So, Messengerdienst: „Hey Mama, ich wollte nur Bescheid geben, dass ich morgen ab etwa 10 Uhr mit Andi auf Skitour gehe. Mein Plan ist, die Tour zur Lacherspitze am Wendelstein. Ich schick dir gleich noch den Link von Alpenvereinaktiv hinterher. Und um 16.45 fährt der Zug zurück, dann würde ich mich noch mal melden“. So, noch einen Smiley hinten dran. Perfekt, und abgeschickt.
Also ich für meinen Teil fühle mich jetzt ein bisschen besser vorbereitet und ich weiß jetzt auch, wie ich das Risiko richtig einschätzen kann. OK, dann noch die Ausrüstung checken und dann – Achtung, Pro-Tipp – lege ich mir alles schon mal raus, dann muss ich das nämlich morgen nicht mehr machen. Ich hoffe, ihr fühlt euch jetzt auch ein bisschen sicherer und habt etwas mehr Durchblick im Thema Lawinen. Ich freue mich, wenn ihr bei der Planung eurer nächsten Tour an diese Folge denkt und passt auf euch auf und habt natürlich auch viel Spaß. Alle Quellen findet ihr wie immer in den Shownotes.

Angela Kreß:
Mit diesen vielen Infos steht einer gelungenen Wintersaison nichts mehr im Weg. Übrigens bieten viele DAV-Sektionen Lawinenkurse an, schaut doch mal bei eurer Sektion ob es etwas passendes gibt. Und wenn euch das mit den Lawinen zu kompliziert ist, hört doch mal in die Bergnews vom 14.12. rein. Da gibt der DAV-Experte Manfred Scheuermann viele Tipps zum Skitourengehen auf Pisten. Ihr kennt die Bergnews noch nicht? Die gibts als Podcast, überall wo es Podcasts gibt, und zum Anschauen auf dem YouTube-Kanal des DAV.

Und damit wünschen wir euch eine schöne Wintersaison! Genießt die Zeit in den Bergen und kommt immer gesund zurück! Bis zum nächsten Mal beim Bergpodcast, tschüss und auf wiederhören!