Die 24-jährige Chemnitzerin schreibt Geschichte: Sie wird die erste deutsche Sportkletterin sein, die an Olympischen Spielen teilnimmt. Lucia klettert bereits, seit sie ein Kind ist – schon als Dreijährige war sie mit ihren Eltern in der Sächsischen Schweiz unterwegs. Eigentlich bevorzugt Lucia, die mehrfache Deutsche Meisterin im Bouldern und Deutsche Meisterin Lead 2019, die Disziplin Bouldern, für ihren Traum von Olympia trainierte die Wahlmünchnerin aber diszipliniert Lead – und das erfolgreich. Auf der internationalen Bühne sieht man Lucia seit 2015: Dreimal gewann sie bei einem Europäischen Jugendcup beim Bouldern Bronze, einmal Gold, bei der Jugendweltmeisterschaft 2019 in Arco (Italien) belegte Lucia beim Bouldern und im Combined den dritten Platz. Bei Weltcups feierte sie – wieder beim Bouldern - ihren größten Erfolg in diesem Jahr in Salt Lake City (USA), dort belegte sie den siebten Platz und schrammte nur ganz knapp am Finale der besten sechs vorbei. Lucia ist aber nicht nur am Plastik sehr stark, sie bouldert auch am Fels sehr gerne und schwer. Im vergangenen Jahr konnte sie „One Summer in Paradise“ (8B), „Pura Vida“ (8A+) und „Le pilier“ (8A) machen. Und nur wenige Tage nach ihrer Olympia-Qualifikation hakte sie im Magic Wood den legendären Boulder-Klassiker „Riverbed“ (8B) ab. Das Klettern mache ihr einfach mega viel Spaß, sie trainiere gerne für etwas, das sie liebt, sagt Lucia.
Yannick Flohé
„Klettern wird olympisch… und ich möchte dabei sein“: das sagte Yannick bereits 2019 in einem Interview mit dem DAV. Yannick schrammte schon vor fünf Jahren nur knapp an der Olympia-Teilnahme vorbei, damals verfehlte der 24-Jährige die Qualifikation für die Sommerspiele in Tokio um nur einen Platz.
Auch Yannick wurde mit dem Klettern groß: seine Eltern klettern selbst beide und waren im Nationalkader. Zum Wettkampfklettern kam der Essener dann durch einen Zufall. Er nahm 2011 an einem Kids-Cup in Essen teil, gewann ihn - und machte weiter mit den Wettkämpfen. Schon als Jugendlicher mischte er erfolgreich bei nationalen und internationalen Wettkämpfen mit: 2018 belegte er bei der Jugend-Weltmeisterschaft in Moskau (Russland) beim Bouldern den zweiten Platz und beim Lead den vierten Platz. Im gleichen Jahr holte er sich bei der Deutschen Meisterschaft Bouldern und Speed Gold – weitere Meistertitel folgten in den kommenden Jahren, so gewann er die Deutsche Meisterschaft im Bouldern und im Lead 2021. International gelang ihm bei den Erwachsenen 2019 der Durchbruch, als er bei der Weltmeisterschaft in Hachioji (Japan) beim Bouldern Bronze gewann. Zwei Jahre später stand der Allrounder dann bei der Weltmeisterschaft in Moskau beim Combined ganz oben auf dem Treppchen. 2022 gewann er schließlich seinen ersten Boulder-Weltcup in Brixen (Italien), beim Lead beim Weltcup in Koper (Slowenien) war es dann Bronze. Der 24-Jährige ist aber nicht nur ein erfolgreicher Wettkampfathlet, sondern auch ein exzellenter Felskletterer und -boulderer. Auf seiner Ticklist sind einige sehr harte Boulder zu finden, darunter „Off the Wagon low“ (8C+), „Ephyra“ (8C+) und als Erstbegehung „Return of the Dreamtime“ (8C+). Und auch am Seil läuft es gut für Yannick: In diesem April konnte er im Frankenjura mit „Lazarus“ seine erste 9a+-Route klettern.
Alexander Megos
Für Alex, einem der weltbesten Felskletterer, dagegen ist es bereits die zweite Olympia-Teilnahme. Der Erlangener war schon 2021 in Tokio, als das Sportklettern seine olympische Premiere feierte, dabei. Damals ging der Wettkampf noch als Kombination aus Bouldern, Speed und Lead über die Bühne. In Tokio belegte Alex den neunten Platz. Für Paris hat der 30-Jährige viel Zeit in das Training am Plastik investiert – das hat sich rentiert:
Alex begann schon als Kind mit dem Klettern, auch er kommt aus einer Kletterfamilie. Schon im Alter von 14 Jahren kletterte das große Talent seine erste 8a-Route, 2009 punktete er dann seine erste 8c-Route und zwei Jahre später seine erste 9a. Schlagartig bekannt wurde er, als er im Alter von gerade einmal 19 Jahren „Estado Critico” (9a) im spanischen Siurana onsight kletterte – also im ersten Versuch und ohne Infos über die Tour zu haben. In einer Route in diesem Schwierigkeitsgrad war dies zuvor weltweit noch keinem Kletterer gelungen. Das öffnete ihm den Weg für eine Profikarriere. In den vergangenen Jahren machte er dann immer wieder mit schnellen Begehungen von High-End-Routen auf sich aufmerksam. Seine Ticklist ist sehr lang und sehr beeindruckend: 2018 kletterte er beispielsweise „Perfecto Mundo“ (9b+) im spanischen Margalef – es war eine Erstbegehung. Anderes Highlight war die Erstbegehung von „Bibliographie“ (9b+) im französischen Céüse im Jahr 2020. Aber auch Boulder konnte der Leadspezialist schon einige sehr schwierige für sich verbuchen – allein 2020 waren es vier 8C-Boulder. Bei Kletterwettkämpfen startet Alex seit 2006, er war schon im Jugendbereich im Lead sehr erfolgreich: so holte er sich den Jugend-Europameistertitel 2009 und 2010 und den Jugend-Vizeweltmeistertitel 2011. 2017 gewann er seine erste Medaille bei einem Weltcup, das war beim Lead in Kranj (Slowenien), dort wurde er Zweiter. Ein Jahr später stand er dann beim Lead-Weltcup in Briançon (Frankreich) ganz oben auf dem Podest. Das sollte nicht die letzte Weltcup-Medaille in seiner Sammlung bleiben: Dort finden sich neben einer Goldmedaille fünf in Silber und vier in Bronze. Dreimal stand Alex bei Weltmeisterschaften beim Lead-Wettkampf auf dem Podest – zuletzt 2023 in Bern (Schweiz), dort gewann er Bronze.
Das sagt Sportmanager Ingo Filzwieser
Und nun die Olympischen Sommerspiele in Paris. Die Erwartungen an die drei sind hoch, der Druck groß, aber: „Alle drei freuen sich riesig, bei den Sommerspielen in Paris performen zu können“, sagt Sportmanager Ingo Filzwieser. Wir konnten zwischen zwei Trainingseinheiten kurz mit ihm sprechen:
Ingo, hast du nach einem eher zögerlichen Start in die Olympia-Qualifikation noch damit gerechnet, dass sich ein Athlet oder eine Athletin ein Ticket für Paris holt?
„Wir haben gewusst, dass bei der Olympischen Qualifikationsserie die Chance dafür deutlich höher sein wird als bei der Weltmeisterschaft 2023 in Bern oder dem europäischen Qualifikationsevent im November in Laval – in Bern qualifizierten sich die ersten Drei, in Laval nur die Gewinner. Bei der Olympischen Qualifikationsserie gab es deutlich mehr Tickets zu holen, insgesamt 24 - die jeweils zwölf besten Männer und zwölf Frauen der Gesamtwertung konnten sich beim Combined qualifizieren. Aber natürlich musste auch bei den Wettkämpfen in Shanghai und Budapest abgeliefert werden, die Konkurrenz war groß und stark. Ehrlich gesagt, wären wir schon glücklich gewesen, wenn sich nur eine oder einer vom Team qualifiziert hätte, dass es jetzt gleich drei sind, ist natürlich super und unglaublich gut für uns.“
Viel Zeit fürs Feiern oder zum Ausruhen blieb danach aber nicht, zwischen dem letzten Quali-Event in Budapest und dem Beginn der Sommerspiele liegen nur sechs Wochen. Eine extrem kurze Vorbereitungszeit, oder?
„Ja, es wäre viel besser gewesen, wenn die Qualifikationsserie einen Monat früher geendet hätte. Der Druck für uns ist jetzt – so knapp vor den Spielen – deutlich höher. Aber wir nutzen diese Zeit für ein sehr intensives Training: Wir hatten eine Simulation in der Kletterhalle in Thalkirchen, waren eine Woche in Innsbruck und werden nun noch gemeinsam mit dem österreichischen Team eine Simulation im Olympia-Modus machen. Die Woche vor der Abreise werden Lucia, Alex und Yannick dann zu Hause verbringen, sie werden natürlich auch trainieren, aber sollen sich noch mal ausruhen können - bevor es dann endgültig ernst wird.“
Auf was habt ihr in den vergangenen Wochen im Training den Fokus gelegt? An welchen Schräubchen wird noch gedreht?
„Also, unter den Top 20 oder 15 der Welt zu sein, heißt ja schon einiges. Man muss schon extrem vielseitig sein und im Bouldern und Lead eigentlich international ganz vorne mitmischen, um sich bei der Qualifikationsserie durchsetzen zu können. Bei Lucia haben wir zuletzt noch an der Kraftausdauer am Seil gearbeitet, genauso bei Yannick. Bei Alex sind es beim Bouldern die dynamischen, sehr schnellen Elemente, an denen wir noch gefeilt haben. Es sind Kleinigkeiten. Wir bemühen uns, dadurch noch etwas herauszuholen, um dann in Paris noch besser performen zu können.“
Du kennst die drei schon lange. Was imponiert dir an ihnen am meisten?
„Das ist vielleicht die Konsequenz, mit dem sie ihr Ziel – Paris 2024 – verfolgt haben. Yannick und Alex haben beispielsweise im Winter oft gemeinsam trainiert, sie haben sich super ergänzt und gepusht. Das war sehr effektiv und hat viel gebracht. Lucia hat bei der Kraft noch einmal deutlich zugelegt, sie ist superstark geworden. Und sie hat viel für Lead gemacht, auch da ist sie noch einmal deutlich besser geworden. Lucia hat einen großen Willen.“
Hat Lucia von den drei in den vergangenen zwei Jahren die größte Entwicklung durchlaufen? Vor zwei Jahren hat sie international noch nicht so ganz vorne mitgemischt, oder?
„Ihre Entwicklung ist beeindruckend und geht insgesamt in die richtige Richtung. Sie ist von einer Boulderspezialistin zu einer Kombiniererin geworden. Man darf aber nicht vergessen, dass sich Lucia vor zwei Jahren den Ellbogen beim Weltcup in Korea gebrochen hat, das hat sie natürlich eine Zeit lang beeinträchtigt. Und sie hat im vergangenen Jahr beim Boulder-Weltcup in Seoul die Quali gewonnen, also vorne mitmischen konnte sie damals schon.“
Wie groß ist der Druck inzwischen? Auch das mediale Interesse an den Sommerspielen ist ja riesig…
„Der Druck auf die drei ist immens groß. Allmählich geht die Lockerheit schon etwas verloren, sie wollen ja in Paris nicht nur mitklettern, sondern ins Finale kommen. Olympia mit seinem Combined-Format ist definitiv eine andere Nummer als ein Weltcup, das kann man nicht miteinander vergleichen. Der Weltcup in Innsbruck, der einige Tage nach dem Quali-Event in Budapest stattgefunden hat, war vergleichsweise ein Kindergeburtstag. Es ist momentan für die drei nicht einfach. Sie trainieren sehr intensiv, dazu kommen dann noch sehr viele Presseanfragen, die zwar schön sind, aber eben auch viel Zeit und Nerven kosten. Alles unter einen Hut zu bringen, ist schwierig.“
Du hast gerade von dem großen Druck gesprochen: Gibt es auch ein mentales Coaching?
„Wenn sie es wünschen, dann ja – natürlich. Das wird dann aber nicht von uns – dem Trainerteam -, sondern von Sportpsychologen und Mentaltrainern, die wir im DAV auch haben, geleistet.
Ist ein Podestplatz vorstellbar?
„Das ist eine ganz schwierige Frage. Das Feld ist extrem dicht. Bei den ersten zwölf, dreizehn Athletinnen und Athleten haben alle die Chance, unter die Top drei oder fünf zu kommen. Bei den Damen zählt die Slowenin Janja Garnbret zu den Topfavoritinnen, sie wird – wenn es bei ihr wie zuletzt läuft - auf dem Podest stehen. Aber passieren kann alles - und das hängt maßgeblich mit vom Routenbau ab. Chancen auf eine Medaille haben wir.“
Ingo, es werden deine ersten Olympischen Spiele als Betreuer sein. Ist das auch für dich ein ganz besonderes Erlebnis?
„Dabei zu sein, ist für mich ein Lebensziel gewesen. Ich freue mich sehr auf die Spiele, auf das Leben im Olympischen Dorf mit Sportlern aus aller Welt. Besonders schön finde ich auch, dass die Spiele in Paris und nicht in Übersee stattfinden.“
Text und Interview: Gudrun Regelein