„Schon ein eingeschworenes Team“
Aus der Not eine Tugend machen gehört zu den Grundfähigkeiten im Alpinismus. Als Improvisation kann man den Ersatz für den verletzten Cheftrainer Sebi Brutscher allerdings nicht bezeichnen: Robert Jasper gehört zu den erfahrensten und erfolgreichsten Profibergsteigern, mit bedeutenden Erstbegehungen von den Alpen bis zu den Bergen der Welt, und der DAV-Lehrteamsbergführer Jörn Heller hat ihn bei vielen anspruchsvollen Trips begleitet. Ein Top-Ausbilderteam also für das Bigwallcamp des Expedkader-Männerteams, das Anfang Mai im Tessin stattfand. An den steilen und kompakten Gneisfluchten der Parete di Sonlerto im Valle Maggia hatte Robert schon zwei Linien ausgespäht, die die Jungs unter die Hämmer nehmen konnten. Josef Vögele berichtet:
„Nach einer Einführung ins Aidklettern hängen überall Kletterer in Trittleitern und arbeiten sich langsam aber stetig feine Risse und Verschneidungen hoch. Hier zeigt sich bereits, dass Aidklettern durchaus auch anstrengend sein kann und vor allem einiges an Zeit beansprucht. Tags darauf gilt es zunächst an den fixierten Statikseilen hochzujümarn, bevor es weitergehen kann. Der Ablauf ist einerseits recht eintönig: Placement setzen, Fiffi einhängen, Placement testen, hochziehen und das nächste Placement setzen. Andererseits sind die Placements immer anders und man setzt sich sehr intensiv mit dem Fels und den Felsstrukturen auseinander. Die teilweise windigen Placements, gepaart mit ordentlich Luft unterm Hintern, sorgen dann auch für einiges an Spannung und so wird’s einem auch nie langweilig.“ Am Abend des dritten Tags wird das obligatorische Wandbiwak im Portaledge bezogen – „bei bestem Ambiente und sternenklarer Nacht schon fast Luxuscamping“, findet Josef.
Interview mit Robert Jasper:
Interview mit Robert Jasper
„Gib dem Abenteuer eine Chance“
Für sein traditionelles Bigwallcamp bekam das Expedkader-Männerteam kürzlich Besuch von zwei erfahrenen Ausbildern: Robert Jasper und Jörn Heller.
Vier Tage Training, drei neue Routen oder Varianten, das ist die Bilanz in nüchternen Zahlen. Ausschließlich mit verbleibenden Standplatzhaken – dazwischen nur mobile oder wieder entfernte Sicherungs- und Fortbewegungspunkte – entstand eine Verlängerung zu „La scimmia tecno“, der „Zecken Highway“ und ein Tradprojekt, das noch auf einen freien Durchstieg wartet. Nicht in Zahlen zu fassen sind die Impulse, die aus den Tipps und Erzählungen der Ausbilder rüberkommen oder auch durch den Besuch von Thomas März und Fabian Hagenauer (Expedkader 2019-2021), die über ihren Patagonientrip berichteten. Das Mentoring-Prinzip des Expedkaders hat sich wieder einmal bewährt: Lernen von erfahrenen Profis, damit man nicht alle Fehler selbst machen muss. Doch auch für die Ausbilder war der Kontakt mit dem ambitionierten Nachwuchs eine gute Erfahrung. Wir haben mit Robert Jasper darüber geredet – und darüber, warum man im Zeitalter des Freikletterns noch lernen sollte, sich mit Peckern und Trittleitern technisch die Wände hinaufzuarbeiten.
Frauenteam: Grundlagen stärken
Das im Mai gebildete Expedkader-Frauenteam 2024-26 hatte Anfang August sein erstes offizielles Trainingscamp. Dabei ging es einmal nicht zu großen bergsteigerischen Zielen in den Alpen – das können die Mädels durchaus auf eigene Kappe, und das tun sie mit den neuen Kolleginnen auch regelmäßig. Für das Einstiegscamp stand erweiterte Grundlagenarbeit auf dem Programm, um eine optimale Basis für die weitere Entwicklung zu schaffen – es ging um Sicherungstechnik und Trainingslehre.
Die Testlabors des Expedkader-Partners Edelrid im Allgäu boten ideale Voraussetzungen, um alle möglichen Sicherungssituationen durchzuspielen, Grenzen und Gefahren auszuchecken und die intuitiv-rationale Beurteilung zu entwickeln, die es braucht, um in jeder alpinen Situation die Partnerin optimal zu sichern. Reifen und Sandsäcke als Fallgewichte wurden im Minutentakt aufgezogen und ausgeklinkt, und mit exakter Rückmeldung durch eine Kraftmessdose an der Umlenkung konnten die Mädels das angemessene Sicherungsverhalten trainieren: weich und trotzdem knapp fürs Sportklettern, mit Körperdynamik und Sensorhand; Sichern mit Tube am Fixpunkt mit dünnen Halbseilen; Körpersicherung am Fixpunkt; Sichern im Quergang mit Tube oder Halbmastwurf; Fehlertoleranz bei bewussten Fehlbedienungen an modernen Halbautomaten – „die Fallgewichte sind öfter mal am Boden eingeschlagen“, berichtet die Cheftrainerin Dörte Pietron.
Am zweiten Tag konnten die Erfahrungen im Klettergebiet Rottachberg in die Praxis übertragen werden. Außerdem gab es eine Trainingseinheit zum effizienten Ausbouldern von Routen mit Selbstsicherung – und nach dem Rotpunktversuch wurden die Routen getauscht und zum Flash angesagt. Da das aktuelle Frauenteam ja eher mit klassisch alpinem Zuschnitt ausgewählt wurde, waren diese Taktikeinheiten für viele inspirierend. Ähnlich wie die Trainingstipps vom Bundestrainer (Lead) Maxi Klaus am letzten Tag in der Kletterhalle Kempten. „Die meisten haben bisher kaum spezifisch trainiert“, erzählt Dörte, so sollten Maxis Tipps vor allem dabei helfen, mit begrenzter Zeit möglichst viel Nutzen aus dem Training zu ziehen. Dabei ging es natürlich auch um effizientes Training am Hangboard. Vor allem aber um kletterspezifisches Training etwa an der Spraywall, das neben hoher Intensität auch das Bewegungsrepertoire erweitert. Doch Maxi hatte auch Ideen im Gepäck, wie die Auge-Tritt-Koordination zu trainieren sei, um durch schnelleres Setzen der Füße effizienter und kraftsparender zu klettern, oder wie an der Boulderwand Ausdauer und Pump-Resilienz gestärkt werden können.
Ein klassischer Programmpunkt am Anfang jeder Kaderzeit ist der Elterntreff. Dazu waren die Eltern – praktisch alle selbst begeisterte Kletter*innen, Alpinist*innen oder Gleitschirmflieger*innen – angereist und wurden nach einem Firmenrundgang bei Edelrid von ihren Töchtern bekocht und mit Grillspezialitäten verpflegt. Dörte Pietron stellte ihnen das Prinzip vor, am Anfang der Kaderzeit viele Inhalte zum Risikomanagement auszubilden und im sicheren Rahmen auszuprobieren, bevor sie allmählich in komplexeres Gelände übertragen werden sollen. Und alle Eltern äußerten sich begeistert, dass ihre Töchter im Expedkader die Chance haben, ihre Leidenschaft auf ein in jeder Hinsicht höheres Niveau zu entwickeln.
Übrigens ist auch das Frauenteam nicht absolut exklusiv. So wie beim Bigwallcamp der Jungs zwei aus dem „Perspektivteam“ dabei waren, zogen einige der Frauen, die nur knapp nicht im Kader aufgenommen werden konnten, mit Daniel Gebel für drei Tage ins Höllental, um unterhalb der Zugspitze Taktiktipps für schwere Mehrseillängenrouten zu bekommen.
Next Step: Internationaler Austausch
Das nächste offizielle Event werden Frauen- und Männerteam gemeinsam erleben – sogar in noch erweitertem Rahmen: Auf Initiative des SAC werden die Teams der deutschsprachigen Alpenvereine in den Alpen zusammenkommen, gemeinsam auf Touren gehen und sich über ihre Träume und Erfahrungen austauschen. In praktisch allen Alpenländern und vielen weiteren Nationen (Slowakei, Spanien, Großbritannien) gibt es ähnliche Teams für ambitionierten Alpinismus wie den DAV-Expedkader (siehe mehr dazu im Alpenvereinsjahrbuch „BERG 2025“). Und schon häufiger in der Vergangenheit gab es Besuche von Ausbilder*innen oder Teilnehmer*innen in Teams anderer Nationen; das Schweizer Team beispielsweise war schon öfter zu Besuch beim DAV-Treffen Leistungsbergsteigen. Das geplante internationale Treffen im Frühherbst – wir werden darüber berichten – wird hoffentlich dazu beitragen, dass die Vernetzung der Berg-Community weiter vorankommt und der Alpinismus seine Aufwärtskurve weiter beschreitet, die nicht zuletzt dem Erfolg des Modells DAV-Expedkader zu verdanken ist.
Der DAV-Expedkader wird unterstützt von Mountain Equipment, Edelrid und Katadyn. Herzlichen Dank für die langjährigen Partnerschaften!