Eine große Gruppe von jungen Alpinist*innen posiert für das Gruppenfoto.
Geballte alpine Kompetenz: Diese jungen Alpinist*innen aus fünf Nationen trafen sich im Piemont. Foto: bergundbild.de
Internationales Treffen Leistungsbergsteigen

Aus Seilschaften werden Netzwerke

Das gab es noch nie: Über 60 junge Alpinist*innen und ihre Trainer*innen aus fünf Nationen trafen sich im Piemont, um neben den dortigen Rissklettergebieten neue Leute kennenzulernen. Eine tolle Aktion für die Mädels und Jungs vom DAV-Expedkader.

Auch die Kletterpausen werden für den wertvollen Austausch genutzt. Foto: bergundbild.de

„Es ist schön zu beobachten, wenn so viele junge Menschen aufeinandertreffen und sich vernetzen. Wenn die Nationen und die Teams sich vermischen und ganz neue Seilschaften entstehen. Die einen werden vielleicht nur das eine Wochenende andauern, andere vielleicht ein Leben lang… das weiß man nie. Aber wir können ihnen durch solche Treffen diese Möglichkeit geben.“ Joanna Kornacki, beim ÖAV zuständig für das „Junge Alpinisten Team“, ist begeistert, dass die Förderung des ambitionierten Alpinismus nun international verknüpft wird.

Der Alpinismus, dieses eigenverantwortliche Aufbrechen ins nicht Vorgebahnte, ist ein Wesenskern der Alpenvereine. Der DAV fördert deshalb private Expeditionen und hat mit dem Expedkader ein Ausbildungsprogramm, das junge Menschen für diese wohl intensivste Form des Bergsports fit machen soll. Doch damit ist er nicht alleine. In praktisch allen Alpenländern und darüber hinaus (Spanien, Großbritannien, Slowenien…) gibt es Programme der Alpenvereine für den alpinen Nachwuchs, aus denen wie in Deutschland starke Profialpinisten, Bergführerinnen oder auch ehrenamtlich engagierte Menschen entwachsen. Die Idee des Mentoring, die den Alpinismus schon immer prägt, wird damit systematisiert; junge Menschen bekommen Ausbildung, Anleitung und knüpfen Seil- und Freundschaften. Mehr Hintergründe dazu bietet ein Beitrag im aktuellen Alpenvereinsjahrbuch BERG 2025.

Internationale Teams finden zusammen

Die Trainer*innen und Organisator*innen (v.l.n.r. Babsi Vigl (AT), Silvan Schüppach (CH), Matteo Della Bordella (IT), Stefan Plank (Südtirol), Joanna Kornacki (AT), Raphaela Haug (D), Sebastian Brutscher (D), Jonathan Crison (F), Dörte Pietron (D). Das Bild trägt den Namen „Die Seilschaft“ und sollte symbolisch überreicht werden, um zu zeigen, dass hier über die Grenzen hinweg neue Seilschaften geknüpft werden. Foto: AVS/Stefan Plank

Was also läge näher, als diese Teams, die in jedem Land für sich agieren, zusammenzubringen? Schließlich ist man ja in den Alpen ohnehin länderübergreifend unterwegs, in den Bergen der Welt erst recht. Den Anfang machten die „Jungen Alpinisten“ vom ÖAV und das „Alpinist Team“ des AVS mit einem Treffen 2023. Heuer übernahm Silvan Schüpbach vom SAC die Organisation eines erweiterten Treffens und schließlich trafen sich über 60 Leute aus der Schweiz, Deutschland, Österreich, Italien und Frankreich am Zeltplatz in Cadarese zum gemeinsamen Rissklemmen und Ratschen.

Das Männer- und das Frauenteam des DAV-Expedkaders reisten schon am Mittwoch an und verbrachten einen gemeinsamen Tag in Cadarese. Am Donnerstag füllte sich dann der Zeltplatz, und nach ein paar Kennenlernspielen am Freitagmorgen, moderiert von Silvan Schüpbach, ging es in großen Gruppen an den Fels. „Rissklettern ist meiner Meinung nach eine ästhetisch schön anzuschauende Kletterei, sofern man die Technik beherrscht; dann schaut es bei Kletterern, die es können, so verdammt leicht aus, bis man selbst wie ein Kartoffelsack im Riss hängt und kaum abhebt“, erzählt Steffi Feistl aus dem DAV-Frauenkader von den Erlebnissen, „doch wenn dann irgendwann von Kopf bis Riss alles stimmig ist, tauchen Erfolgserlebnisse auf, die wiederum in weitere Motivation münden.“

Josef Vögele vom DAV-Männerteam erzählt: „Am Samstag geht's dann in drei unterschiedliche Klettergebiete (Cadarese, Croveo und Balma). Jeder kann selbst entscheiden, in welches Gebiet er oder sie gehen möchte. Um die Teams noch mehr zu durchmischen, wird vorgegeben, dass man mit jemandem aus einem anderen Team klettern soll. Nach einem richtig coolen Klettertag wird am Abend noch eine Pizzeria mit ungefähr 60 Kletternden belagert, bevor wir uns abends ein letztes Mal gemütlich zusammenhocken.“

Während die meisten anderen Gruppen am Sonntag abreisten, blieben die deutschen Teams noch drei Tage vor Ort und arbeiteten unter anderem im kompromisslosen Rissklettergebiet Yosesigo an ihrer Technik. „Rissklettern, selber absichern, auch in selbst gelegte Keile und Friends stürzen, das war unser Fokus“, erzählt die DAV-Trainerin Dörte Pietron; „das war nicht das, was sie dauernd machen.“ Doch nach intensivem Techniktraining im Toprope und genügend hintersicherten Sturzversuchen war das Selbstvertrauen bei den Kadermädels reif für saubere Begehungen anspruchsvoller Traumlinien. Steffi Feistl formuliert als Fazit, „dass nach anfänglichen kaum sichtbaren Fortschritten jede mit Erfolgserlebnissen, vielen neuen Erlebnissen, Geschichten und Fotos im Gepäck zurückkommt.“ „Für die Jungs war Rissklettern nichts neues, sie hatten schon zwei Camps“, berichtet der Trainer Sebi Brutscher, „bei uns es ging vor allem um den Austausch, das hat allen gut gefallen. Außerdem haben wir das vergangene Jahr besprochen und mit der Planung der Abschlussexpedition weiter gemacht und Aufgaben verteilt.“

Vernetzen, Unterstützen, Inspirieren

Steile Wände, schmale Risse: gutes Übungs-Terrain für Risskletterei. Foto: bergundbild.de

Für die Mitglieder des Expedkaders brachte das Treffen also sportliches Lernen und Training, aber auch Kontakt mit Gleichgesinnten aus anderen Nationen – wie der DAV-Verantwortliche Philipp Abels urteilt: „Es freut mich für die Sportler, dass sie sich länderübergreifend austauschen und kennenlernen können.“ Die Hoffnung von Stefan Plank, Verantwortlicher beim Alpenverein Südtirol, könnte also aufgehen, „dass neue Seilschaften entstehen, junge Leute sich kennenlernen, Freundschaften schließen und Erfahrungen austauschen – sei es für Expeditionen oder andere Projekte.“

Stefan sieht aber noch einen weiteren Nutzen des Treffens: „Für uns Organisatoren ist es wertvoll, voneinander zu lernen. Falls Fragen oder Probleme in der Organisation auftauchen, können wir uns mit anderen vernetzen, die dazu Lösungen gefunden haben, und uns so gegenseitig unterstützen.“ Eine Perspektive, die Dörte Pietron teilt: „Meine Erwartung war der Austausch unter den Trainern: über Probleme, Baustellen, Gutes. Der hat stattgefunden und war interessant – vielleicht der Anfang engerer Zusammenarbeit?“

Sebi Brutscher sieht es ähnlich: „Der Austausch unter uns Trainern hat wahnsinnig viel gebracht: Bei denen läuft es so, bei uns so, was könnte man besser machen? Viel diskutiert haben wir zum Thema Risiko und dem Umgang damit. Denn wir wollen ja Expeditionen machen – und die sind mit Risiko verbunden; das müssen wir akzeptieren, das können und wollen wir nicht verleugnen.“ Weswegen ja auch ein guter Umgang mit den Gefahren des Sports im Zentrum der Kader-Ausbildung steht.

Interessant war für das DAV-Trainerteam Dörte Pietron, Raphaela Haug und Sebi Brutscher auch der Austausch über die Leistungsorientierung der verschiedenen Teams und deren Wahrnehmung von außen. So wird der DAV-Expedkader – vielleicht wegen seines an eine Elitemannschaft erinnernden Namens – als sehr leistungsorientiert wahrgenommen, im Gegensatz zu seinem Selbstverständnis als Förder- und Ausbildungsprogramm für motivierte und talentierte junge Alpinist*innen. Wie stark das Können ins Gewicht fällt, scheint von Team zu Team unterschiedlich: Bei einigen wird beim Sichtungscamp sehr auf die Leistung geachtet, bei anderen mehr auf Teamgeist und Charakter der künftigen Mitglieder.

Insgesamt jedoch, sagt Dörte, habe sie „mehr Gleiches gesehen als Unterschiedliches“. Was Joanna Kornacki vom ÖAV unterstreicht: „Man hat gesehen, dass jedes Programm sich etwas im Fokus unterscheidet, aber alle irgendwie das gleiche Ziel verfolgen.“ Ein Ziel, das Raphaela so definiert: „Jeder ist motiviert, Wissen weiterzugeben und die Teilnehmenden weiterzubringen.“

Gerne wieder – und noch besser

Das internationale Kadertreffen soll in den nächsten Jahren unbedingt wiederholt werden. So sind die Teilnehmenden mit viel Inspiration in den Rucksäcken unterwegs zu neuen Zielen. Foto: bergundbild.de

Bei diesen Erfahrungen wundert es auch nicht, dass alle diesen ersten Versuch eines derart groß angelegten, internationalen Treffens als sehr gelungen empfinden und eine Wiederholung wünschen. Josef Vögele aus dem DAV-Männerteam etwa schreibt: „Nach diesem Wochenende war jedem klar: Solch ein Kadertreffen muss nächstes Jahr unbedingt wiederholt werden!“ Auch Sebi Brutscher ist „mega dankbar, dass Silvan Schüpbach das gemacht hat“, fände aber einen Zwei- oder Dreijahresrhythmus angemessen, „vielleicht im gleichen Rhythmus wie die Kader-Laufzeiten.“

Die Trainer*innen haben auch Ideen, was man noch besser machen könnte. Joanna Kornacki (ÖAV) wünscht sich „ einen etwas „offizielleren“ Start. Gleichzeitig sollte aber ein lockerer Charakter bleiben!“ Stefan Plank (AVS) fände es „gut, zu bestimmten Zeiten gemeinsame Aktivitäten für alle Teilnehmer zu planen.“ Zu denen Raphaela Haug Ideen beisteuert: „Teambuilding-Spiele zum Kennenlernen und Warmwerden, gemeinsam Kochen und Essen“. Die Klettergebiete mit vielen, nahe beisammen liegenden Einseillängenrouten fanden alle ideal für Begegnung und Austausch, Dörte Pietron wünscht sich ein „Gebiet, in dem noch mehr Möglichkeiten bestehen, bis hin zu Mehrseillängenrouten und Alpintouren, weil dann die Leute vielleicht noch länger gemeinsam bleiben möchten.“

Wie geht’s weiter?

Gut vernetzt schon ins nächste Treffen starten: im Donautal beim „DAV-Treffen Leistungsbergsteigen“. Foto: DAV/Philipp Abels

Für die DAV-Teams gab es die nächste Begegnungsmöglichkeit Ende Oktober im Donautal beim „DAV-Treffen Leistungsbergsteigen“. Vor über zehn Jahren initiierte Philipp Abels im DAV dieses Treffen für alle vom Verein geförderten Alpinist*innen. Auch dieses Jahr konnte sich der DAV wieder über gut 30 Anmeldungen freuen und über die Zusage eines Glaziologen aus Chamonix, einen Vortrag über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gletscher und das Hochgebirgs-Bergsteigen zu halten.

Das Männerteam hofft für Ende November auf zwei Wochen mit gutem Wetter und tauglichen Verhältnissen zum alpinen Eisklettern in der Dauphiné; im Februar 2025 steht ein weiteres Eisklettertraining an – und im Sommer die Abschlussexpedition, für die sich die Pläne schon allmählich konkretisieren.

Das Frauenteam hat im Dezember nochmal Hintergrund-Input vor sich, mit Ausbildung zu Erster Hilfe, behelfsmäßiger Bergrettung und Trainingstipps für die Wintersaison. Dann kommt der Lawinenlehrgang und im Februar ebenfalls ein Eisklettercamp. Ob es vielleicht wieder gemeinsam mit den Jungs organisiert werden kann? Denn Seilschaften zu bilden – und womöglich Netzwerke daraus entstehen zu sehen –, ist beim Alpinismus eine wertvolle Grundlage.

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