Fokus auf Beinen in Bergschuhen
Der richtige Bergschuh kann manches Fußproblem lindern. Foto: Adobe Stock/Markus Bormann
Fußprobleme

Das Weh mit dem Zeh

Der Hallux valgus oder Ballenzeh ist eine der häufigsten Fußerkrankungen und kann die Freude an der Bewegung am Berg stark beeinträchtigen. Ihrem Schicksal ergeben müssen sich Betroffene dank verschiedener Therapien und passender Schuhe trotzdem nicht.

Beim Sport ist Katja Hampe limitiert. „Ich würde gerne tanzen. Das verkneife ich mir. Ich würde auch gerne joggen. Tue ich trotzdem nicht“, sagt sie. Aufs Wandern will die 51 Jahre alte Physiotherapeutin aber nicht verzichten. Hochgern, Hochfelln, Kampenwand – die Berge des Chiemgaus, der Wilde Kaiser und die Voralpen südlich von München sind ihr Revier. Zwar würde sie gerne auch einmal eine größere Tour machen, höher hinauf, doch Katja Hampe weiß, dass ihre Füße ihr Grenzen setzen. „Ich habe einfach nicht so viel Kraft und Stabilität“, sagt sie. Die Füße ermüden nicht nur schnell, sie muss auch genau hinschauen, wohin sie sie setzen kann. Und wenn es dunkel ist, dann ist sowieso alles noch einmal deutlich schwieriger. Katja Hampe ist eine von geschätzt etwa zehn Millionen Deutschen mit einem Hallux valgus, einer Fehlstellung des Vorfußes.

Was tun bei Hallux valgus?

  • Geeignete Schuhe tragen, um Druckstellen zu vermindern; bei Bergschuhen auf Modelle mit speziellen, breiten Leisten achten

  • Enge Schuhe und hohe Absätze grundsätzlich vermeiden

  • Physiotherapeutische Behandlung mit speziellen Fußübungen

  • Anwendung von Schienen, Bandagen oder Tapes nach therapeutischer Anleitung

  • Operative Therapie als letzte Wahl

Ursächlich für den Hallux valgus ist ein Spreizfuß, der durch Schuhe mit zu hohen Absätzen, zu enge Schuhe wie etwa Kletterschuhe, eine Schwäche des Bindegewebes oder Übergewicht begünstigt werden kann. Durch die Dehnung der Fußweichteile kommt es zu einer Abweichung des ersten Mittelfußknochens nach innen. Die Folge: Die Großzehe neigt sich in Richtung Fußaußenrand. Am Großzehenballen bildet sich ein Überbein.

Beim Hallux valgus weicht das Zehengrundgelenk nach innen ab. An ihm tritt das sog. Mittelfußköpfchen hervor, das häufig entzündet ist. Die Großzehe selbst zeigt in Richtung der zweiten Zehe oder kann sich entweder darunter oder darüber schieben. Illustration: Adobe Stock/Henrie

„In der Anfangsphase werden von den Patienten kaum Beschwerden angegeben. Drücken aber zu enge Schuhe auf dieses Überbein, kann sich der unter der Haut liegende Schleimbeutel immer wieder schmerzhaft entzünden“, erklärt der Orthopäde und Sportwissenschaftler Dr. Tomas Buchhorn, Spezialist für Fuß und Sprunggelenk, der am sporthopaedicum in Straubing nationale und internationale Spitzensportler*innen behandelt.

Fehlstellung mit Folgen

Doch damit nicht genug. Je weiter die Großzehe sich nach außen verschiebt, desto größer werden die Belastungen für die zweite und dritte Zehe. Auch sie entwickeln eine Fehlstellung. Ein schleichender Prozess, der dann zu Schmerzen im Bereich der Kleinzehen führen kann. Zudem treten durch die veränderte Lastverteilung häufig Schmerzen im Bereich des Großzehengrundgelenks oder des Mittelfußes auf. Darüber hinaus kann diese Mehrbelastung zu einer schmerzhaften Hornhautbildung unter dem zweiten und dritten Zehenballen führen. Und in einigen Fällen kommt es zu einer Bewegungseinschränkung des Großzehengrundgelenks. „Das normale Gehen ist dann deutlich schmerzhaft eingeschränkt, an längere Wanderungen oder gar Bergtouren ist nicht zu denken“, erklärt Dr. Buchhorn.

Füße trainieren!

Aber nicht nur Schmerzen verleiden Betroffenen die Freude am Berg. Mit der Fehlstellung des Großzehs verliert der Fuß an Stabilität. Man ist wackliger unterwegs. Die Gefahr, sich die Bänder zu reißen, steigt. Schlechte Aussichten für passionierte Bergsportler*innen. Doch es muss nicht gleich eine Operation sein, um dem Hallux valgus Einhalt zu gebieten, erklärt der Orthopäde. Bevor zum Skalpell gegriffen wird, sollte man mit einer konservativen Therapie versuchen, das Problem in den Griff zu bekommen und den Hallux valgus zurückzudrängen. Einige Fakten belegen, wie sensibel Füße und wie wichtig sie bei der Bewegung sind. Der Aufbau unserer Füße ist sehr komplex: 26 Knochen, an die 30 Gelenke und viele Muskeln, Bänder und Sehnen bilden das Fundament unseres Körpers. In unserem Leben legen wir etwa 130.000 Kilometer zu Fuß zurück, was rund drei Erdumrundungen auf dem Äquator entspricht. Gerade beim Sport wirken hohe Aufprallkräfte auf den Fuß ein – beim Laufen das Zwei- bis Dreifache, bei einem Sprung sogar das Fünffache des Körpergewichts. Die Quer- und Längsgewölbe des Fußes sollen diese Kräfte abfedern; Bänder, Muskeln und Faszien sorgen dafür, dass die Fußgewölbe wieder in ihre alte Position zurückkehren. „Nicht nur Oberschenkel oder Waden, auch die Füße müssen deshalb trainiert werden“, sagt Thomas Rogall. Der Physiotherapeut und Gründer der Fußschule in München weiß nicht nur, wie der Hallux valgus entsteht. Er zeigt vor allem, dass die Fehlstellung mit gezielten Übungen, die er auch in einem Selbsthilfe-Buch zusammengetragen hat, behoben werden kann oder zumindest in den Griff zu bekommen ist. „Je nachdem, wie weit der Hallux valgus gediehen ist, lässt er sich zurückentwickeln. Und in einem fortgeschritteneren Stadium lässt sich mit gezielten Übungen zumindest schmerzfrei damit leben“, sagt Rogall. Wichtig sei es, den Geh-Mechanismus zu ändern. „Wir erlaufen uns den Hallux valgus nämlich“, erklärt er. Werde dieses Problem nicht gelöst, sei auch eine Operation nicht zielführend.

Wichtig: stabile Körpermitte

Am Anfang der konservativen Therapie steht deshalb zunächst die Überprüfung des Gangbildes. Anschließend folgen die physiotherapeutischen Übungen mit der Stärkung der Fußbinnenmuskulatur und der Richtigstellung der Beinachse. Doch nicht allein der Fuß ist verantwortlich für den Hallux valgus. Rogalls Schlüssel für Stabilität im Fuß liegt in der Körpermitte. Das mag manche überraschen. Rogall zieht einen Vergleich und stellt alles auf den Kopf: „Es ist ähnlich wie bei einem Handstand. Ist man mit dem Körper im Gleichgewicht, haben die Hände nicht viel zu tun. Ist man dagegen wackelig, muss man sich verzweifelt am Boden festhalten und mit den Fingern einkrallen. Auch beim Fußstand, also beim Stehen und Gehen, entsteht die Stabilität aus der guten Balance der Mitte des Körpers über dem Hüftgelenk. Der Fuß hat dann nur seine Funktion als elastische und gleichzeitig stabilisierende Feder zu erfüllen.“ Doch was tun, wenn der Hallux valgus schon so weit ausgeprägt ist, dass ein gängiger Schuh ohne Druckschmerzen nicht zu ertragen ist? Entsprechende Patient*innen weichen meist auf sehr weiche Schuhe oder einen orthopädischen Spezialschuh aus. Die sind für den Berg aber völlig ungeeignet. Denn auf unebenem Untergrund braucht es Stabilität und einen guten Halt im und mit dem Schuh. Einen Schuh zu kaufen, der zu groß, zu breit oder zu lang ist, das kann nur die zweitbeste Lösung sein. Selbst bei einem Hallux valgus sollte man am Berg nämlich keine Kompromisse eingehen. Immer wieder kommt es aufgrund von falschem Schuhwerk zu Unfällen, die auch tödlich verlaufen können. Doch wer will sich schon eigens einen Schuh für den Berg anfertigen lassen, der wahrscheinlich zwischen 800 und 1500 Euro kosten würde?

Raus aus den schweren Schuhen – das gilt mit einem Hallux valgus umso mehr. Erträglicher werden Touren, wenn die Bergschuhe spezielle Leisten für Problemfüße haben. Foto: Adobe Stock/Andreas P.

Hanwag, der Hersteller von Berg- und Wanderschuhen, hat diese Marktnische entdeckt und für Hallux-valgus-Betroffene vor mittlerweile fast zehn Jahren extra einen Leisten entwickelt, der mehr Platz für das Großzehengelenk bietet und trotzdem alle Anforderungen an gute Berg- und Wanderschuhe erfüllt – sowohl was Fußführung als auch Trittsicherheit betrifft. „Der Leisten wurde so designt, dass es an der Stelle des Hallux valgus keine Nähte gibt, und der Schuh ist dort sogar extra ausgepolstert, um den Druck zu minimieren“, erklärt Andreas Settele, der Leiter der Hanwag-Produktentwicklung. Mehrere Modelle sind in dieser Ausführung erhältlich. Und auch andere Bergschuhhersteller wie Meindl oder Lowa bieten Schuhmodelle mit speziellen Leisten für mehr Platz im Vorfußbereich. Ein Hallux valgus muss also kein Grund sein, auf die Bergleidenschaft zu verzichten. Für die Hallux-valgus-Patientin Katja Hampe sind die Berge sogar Therapie. „Wandern ist eine Wohltat für meine Füße“, sagt sie. Ihre Erfahrung: Beim regelmäßigen Wandern werden die Füße besonders gefordert und das wirkt auch dem Hallux valgus entgegen.