Hütte in hochalpiner Umgebung mit Gletscher
Die Cabane du Mountet ist Ausgangspunkt für die Hochtour auf das Zinalrothorn (4221 m). Von dort besteigt man aber auch den Besso (3668 m). Rechts im Bild die Nordwand der Dent Blanche. Foto: Bernd Jung
Hoch hinauf im Wallis

Im Bann der kaiserlichen Krone

Im hintersten Val d’Anniviers liegt Zinal. Das Dorf ist ein bekannter Ausgangspunkt für Hochtouren auf einige Walliser Viertausender, bietet aber auch hochalpine Wanderungen auf erstklassige hohe Aussichts-Dreitausender.

Die Terrasse vor der Cabane de Moiry wird uns am Ende der Tour mit willkommener Erfrischung und beeindruckender Aussicht locken. Foto: Bernd Jung

Unsere Gesichter hängen gebannt an den Busfenstern, fasziniert von der spektakulären Straßenführung durch eine gewaltige Berglandschaft. Die engen Kurven entlocken dem gelben Postbus einige Male die Töne des berühmten Schweizer Dreiklanghorns, um Entgegenkommende zu warnen. Lange zieht sich die Fahrt durch das Val d’Anniviers, eines der vom Rhonetal abgehenden Täler im Wallis, bis in die letzte Ortschaft Zinal, wo die Fahrstraße endet. Nach und nach erscheinen mehr eisige Bergspitzen am südlichen Horizont und verleihen dem Tal farbenfrohe Kontraste. Je näher wir Zinal kommen, umso deutlicher schließen sich die weißen Gipfel zu einem den Talschluss umgebenden Kranz zusammen. Ein Kranz gebildet aus namhaften Bergen über oder knapp unter der 4000-Meter-Marke, die „Couronne Impériale“ genannt. Mit Weisshorn, Zinalrothorn, Obergabelhorn, Dent Blanche und Grand Cornier, um die prominentesten Namen der „kaiserlichen Krone“ zu nennen.

Auch auf dem Grat zu den Diablons hat man die Gipfel der Kaiserkrone im Blick: Zinalrothorn, Obergabelhorn, Matterhorn, Dent d’Hérens, Dent Blanche und Grand Cornier. Foto: Bernd Jung

Bei einem Blick auf die Karte fällt auf, dass der Couronne Impériale noch eine Art innerer Kranz vorgelagert ist, wobei fünf Gipfel mit beachtlichen Höhen bis über 3600 Meter auffallen: Garde de Bordon, Pigne de la Lé, Besso, Pointe d’Arpitetta und Les Diablons. Im Unterschied zu den eisigen Gipfeln der Couronne Impériale fordert deren Besteigung keine Hochtourenerfahrung. Schwere Ausrüstung wie Gurt, Seil, Klettermaterial und Pickel darf zu Hause bleiben. Eine mindestens königliche Krone also, die traumhafte Touren für versierte Alpinwandernde bietet. Und von ihren Gipfeln überragende Aussichten auf den kaiserlichen Kranz der Couronne Impériale eröffnet.

Tour über reines "Kraxelgelände"

Kaum aus dem Bus ausgestiegen, erheben wir – das sind Christoph, Chrissi, Alex und ich – unsere Köpfe, um die frisch verschneiten Bergspitzen zu begutachten. Dabei bleibt der Blick talaufwärts beim steil aufragenden Besso (im französischen Dialekt des Val d‘Anniviers „Zwilling“) hängen.

Schöne Kraxelei im Aufstieg zum Besso. Foto: Bernd Jung

Von Zinal aus gesehen ist es kaum vorstellbar, dass auf den von weißen schnee- und gletscherbedeckten Gipfeln umgebenen gewaltigen Felszahn eine Route im Alpinwanderstil hinaufführt. Den Anstiegsweg, der von Zinal aus nicht einzusehen ist, haben wir wenige Jahre zuvor schon erkundet. Er startet genau im Mittelpunkt des Halbrundes der Couronne Impériale bei der einfach großartig gelegenen Cabane du Mountet. Im Gegensatz zu all jenen, die eine Besteigung des Zinalrothorns planen – die am häufigsten begangene Hochtour von der Cabane du Mountet – kann man mit dem Besso als Ziel guten Gewissens noch etwas länger schlafen. Die spannende und abwechslungsreiche Normalroute durch die Nordflanke kommt ohne Gletscher aus – den Panoramagipfel des 3668 Meter hohen Besso erklimmt man über reines „Kraxelgelände“. Unser heutiges Ziel ist etwas weniger hoch und anspruchsvoll gesteckt. Statt weiter ins Zinaltal vorzudringen, schweben wir mit der Seilbahn binnen Minuten von Zinal zur Bergstation Sorebois. Mit leichten Rucksäcken beginnt unser Tourentag mit dem Anstieg durch ein mäßig attraktives Winterskigebiet.

Tierische Begegnung auf dem Grat zum Garde de Bordon. Foto: Bernd Jung

Mit Erreichen des Grates beim Col de Sorebois jedoch ist dieser kleine Makel schnell vergessen und wir erfreuen uns an unberührter Natur. Berührungsängste haben die plötzlich auftauchenden Schafe auf dem Grat allerdings nicht, die Christoph ganz schnell umzingeln und ihn wohl gerne in ihre Herde mit aufnehmen wollen. Nachdem Christoph seine Schafe wieder abgeschüttelt hat, nimmt schließlich auch er begeistert den türkisblauen Stausee Lac de Moiry auf der anderen Seite des Grates wahr.

Der Lac de Moiry zu Füßen des Garde de Bordon. Foto: Bernd Jung

Ausblicke auf die Couronne Impériale

Als Genusswandern könnte man die folgende Besteigung des Garde de Bordon über den Nordgrat bezeichnen. Nur einmal heißt es etwas beherzt an ein paar Fixseile greifen, ansonsten dürfen wir die Aufmerksamkeit vollends dem Lac de Moiry und der Aussicht vom Grat widmen. Welch ein Panorama erwartet uns mit Ankunft auf dem Garde de Bordon! Nun hat sich auch noch das Matterhorn zum Stelldichein der majestätischen Gipfel der kaiserlichen Krone gesellt. Mit 4506 Meter überragt das Weisshorn auf der anderen Seite des Zinaltals alle anderen Zacken der Krone. In dessen Profil zeichnen sich der Nordgrat und der Schaligrat ab, deren Überschreitung zum ganz großen Hochtourenkino in den Alpen zählt. Im obersten Bereich der grünen Vegetation unterhalb des Weisshorns erkennen wir die Cabane Arpitettaz. Was Erinnerungen auslöst: Ein Jahr zuvor haben wir die wunderbar gelegene Hütte besucht, unvergesslich der außerordentlich schöne Anstieg über den Pas de Chasseur und vorbei am kleinen Bergsee Lac d’Arpitettaz.

Idyllisch liegt der Lac d’Arpitettaz vor dem Besso und den Gletscherriesen. Foto: Bernd Jung

Unvergesslich auch die charmante Hütte – ein wahrer Geheimtipp für Hüttenwanderungen –, wo wir einen geselligen Abend mit selbst mitgebrachtem Käsefondue verbringen durften. Dafür muss man wissen, dass die Cabane zwar ein einfaches Abendessen bietet, doch jeder Hüttengast auch sein eigenes Essen zum „Znacht“ mitbringen kann. Dies wird dann gerne vom aktuell anwesenden ehrenamtlichen Hüttenwart der SAC-Sektion La Dôle zubereitet. Blick und Erinnerung bleiben auch beim Pointe d’Arpitetta hängen. Ein vom Garde de Bordon aus gesehen fast unscheinbarer „Felshügel“, welcher vor dem Ambiente der gewaltigen Mauer der Weisshorn-Westwand regelrecht untergeht.

Beste Aussichten vom Garde de Bordon auf die Viertausender Weisshorn, Zinalrothorn, Obergabelhorn und Matterhorn. Foto: Bernd Jung

Dennoch mit über 3100 Meter Höhe ein großartiger Aussichtsgipfel, dessen Besteigung sich nach einer Nacht auf der Cabane Arpitettaz lohnt. Nach ausgiebiger Pause bekommt Christoph wieder Hummeln in den Beinen, während Alex und Chrissi tief versunken ins Bergpanorama die Existenz einer Uhrzeit nicht mehr wahrzunehmen vermögen. Schließlich schaffen wir es doch, uns von der Panoramaloge loszureißen, und verlieren in weglosem, aber einfachem und übersichtlichem Gelände schnell wieder an Höhe. Mit dem Übergang zurück in die Vegetation stolpern wir einige Male über prächtiges Edelweiß. Auf dem Wanderweg angelangt, der vom Lac de Moiry heraufführt, geht es mit leichter Steigung, aber steil ansteigendem Durst hinauf zur Cabane de Moiry.

Weniger Gipfel, mehr Sonne

Die meisten dürften sich jetzt riesig freuen, auf solch einer Hütte mit beeindruckender Aussicht auf den gewaltigen Gletscher Glacier de Moiry eine Nacht verbringen zu dürfen. Leider nicht wir. Unser nur mäßig durchdachter Plan lautet, an einem Tag über den Col du Pigne bis zurück nach Zinal zu gelangen. Aber nein, das trübt die Freude keineswegs.

Das Panorama vom Pigne de la Lé prägt der Glacier de Moiry mit dem Fast-Viertausender Grand Cornier darüber. Foto: Bernd Jung

Spätestens als auf der Sonnenterrasse das erste Radler (lokal Panaché) vor uns steht, sind die Augen groß und strahlend, und der Blick wird wieder scharf, um die erhabene Gletscherkulisse zu genießen. Gestärkt geht es den Wegmarkierungen nach bis in den Col du Pigne. Von der Stärkung ist allerdings wenig zu spüren, als Alex und Chrissi bemerken: „Ach nöö, noch einen Gipfel brauchen wir gerade nicht, der Bordon war schon super genug“, und sich den wärmsten Stein zum Herniederlegen suchen. Was soll’s, denken Christoph und ich und erkraxeln den lohnenden Pigne de la Lé zu zweit. Gut 45 Minuten später sammeln wir die zwei Sonnenanbeter wieder ein und machen uns an den Abstieg vom Col du Pigne nordostwärts Richtung Zinal. Markierungen sind kaum welche zu sehen, doch das Gelände führt intuitiv und problemlos zur Cabane du Petit Mountet. Die eindrücklich auf einer Seitenmoräne gelegene Hütte ist eine gern genutzte Pausengelegenheit, bevor man sich auf die letzten 500 Höhenmeter hinab nach Zinal begibt. Nach elf Stunden kehren wir mit müden Beinen in das beschauliche Örtchen zurück. Das Abendlicht über den Spitzen der kaiserlichen Krone nehmen wir nur am Rande wahr, stattdessen drängt sich beim Zustreben zum nächsten Restaurant ein Urinstinkt in den Vordergrund: Endlich kommt das lang ersehnte kaiserliche Znacht!

Touren

1. Cabane de Moiry (2825 m) & Garde de Bordon (3309 m) & Pigne de la Lé (3395 m)

Überwiegend weglose und moderat anspruchsvolle Alpinwanderung, Orientierung unproblematisch. Schwierigste Abschnitte sind das Couloir im Nordgrat des Bordon (T4+) und die Besteigung des Pigne de la Lé vom Col du Pigne (T5).

  1. Tag: Bergstation Zinal-Sorebois (2438 m) – Col de Sorebois (2811 m) – Garde de Bordon – Comba Rossa (2866 m) – Cabane de Moiry, 6 Std., ↗ 1300 Hm, ↘ 900 Hm

  2. Tag: Cabane de Moiry – Col du Pigne (3137 m) – Pigne de la Lé – Col du Pigne – Cabane du Petit Mountet (2139 m) – Zinal, 6 Std., ↗ 600 Hm, ↘ 1750 Hm

Varianten: Den Abstecher auf den Pigne de la Lé vom Col du Pigne kann man auch auslassen (ca. 1-1½ Std. kürzer). Zum Start von Zinal kann man auch die Seilbahn von Grimentz nach Sorebois (2692 m) nehmen (ca. 40 Min. weniger Wanderzeit), mit einem anschließenden Abstieg zum Lac de Châteaupré (5 Std.) oder zum Lac de Moiry (6½ Std.) eine Tagestour.

Unterkünfte: Cabane de Moiry, Tel.: 0041/27/475 45 34; Cabane du Petit Mountet, Tel.: 0041/27/475 13 80.

2. Cabane du Mountet (2886 m) & Besso (3668 m)

Sehr anspruchsvolle Alpinwanderung, teilweise exponiertes Gelände, Kletterstellen bis II, etwas Orientierungsvermögen in der Nordflanke erforderlich (T6-).

  1. Tag: Zinal (1674 m) – Cabane du Mountet, 4 ½ Std., ↗ 1300 m, ↘ 50 m

  2. Tag: Cabane du Mountet – P. 2862 – Besso – P. 2862 – Zinal (1674 m), 8-9 Std., ↗ 850 Hm, ↘ 2100 Hm

Variante: Wer Hochtourenerfahren ist, kann vom Besso die Überschreitung zum Blanc de Moming (3661 m) anhängen, von da wieder hinab zur Cabane du Mountet (ZS+, III, 30-m-Seil, kleinere Friends und Klemmkeile, je nach Bedingung Pickel & Steigeisen).

Unterkunft: Cabane du Mountet, Tel.: 0041/27/475 14 31.

3. Cabane Arpitettaz (2786 m) & Pointe d’Arpitetta (3132 m)

Rundtour überwiegend auf Wanderwegen. Der einzige weglose Abschnitt ist die Besteigung des Pointe d’Arpitetta vom Col de Milon, hier ist leichte Kraxelei (I) in teilweise brüchigem Fels erforderlich (T5).

  1. Tag: Zinal – Pas du Chasseur – Lac d’Arpitetta (2229 m) – Cabane Arpitettaz, 4 Std., ↗ 1150 Hm

  2. Tag: Cabane Arpitettaz – Col de Milon (2975 m) – Pointe d’Arpitetta – Col de Milon – Wegkreuzung P. 2477 – Zinal, 5½ Std., ↗ 500 Hm, ↘ 1650 Hm

Varianten: Auch eine tolle Wandertour ohne die Besteigung des Pointe d’Arpitetta (ca. 1¼ Std. weniger). Vom Gipfel des Pointe d’Arpitetta kann man auch über den NW-Grat zum Roc de la Vache bzw. P. 2477 absteigen (T4+, gut ½ Std. kürzer).

Unterkunft: Cabane Arpitettaz, Tel.: 0041/27/475 40 28.

4. Cabane de Tracuit (3256 m) & Les Diablons (3609 m)

Lange Tour mit vielen Höhenmetern, größtenteils auf Wanderwegen. Der weglose Abschnitt auf die Diablons geht fast ausschließlich über Grate mit einigen Kraxelstellen (II). Je nach Bedingungen können Steigeisen empfehlenswert sein, daher am besten im Spätsommer (T5).

  1. Tag: Zinal – Cabane de Tracuit, 5 Std., ↗ 1600 Hm

  2. Tag: Cabane de Tracuit – Col de Tracuit (3227 m) – Les Diablons – P. 3076 – Zinal, 6-6½ Std., ↗ 400 Hm, ↘ 2000 Hm

Variante: Eine einfache Alpinwanderung auf Wegen entsteht, wenn man die Diablons auslässt und über Col de Milon und Cabane Arpitettaz nach Zinal absteigt (T4). Sehr erfahrene Alpinwander*innen können die Diablons auch überschreiten, von Zinal über P. 2168 (Lirec), Westgrat, P. 3374, P. 3593 (T6-).

Unterkunft: Cabane de Tracuit, Tel.: 0041/27/475 15 00.

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