Der Kopftörlgrat spannt sich vom Kopftörl im Osten bis zur Ellmauer Halt im Westen, befindet sich also im Herzen des Kaisergebirges und führt auf dessen höchsten Gipfel. Nicht nur der Grat selbst ist spektakulär, sondern auch die Umgebung. In den Passagen, wo man auf die Nordseite des Grates wechselt, schaut man dabei direkt auf die gegenüberliegende Totenkirchl-Westwand, während es unter den Fußsohlen 500 Meter senkrecht und finster in das dazwischen liegende Kar abbricht.
Dazu kommt die Kletterei selbst, die einfach Spaß macht. Die Absicherung ist zwar klassisch, nur an „neuralgischen“ Stellen stecken Haken. Es lassen sich aber gegebenenfalls genügend mobile Sicherungsmittel anbringen. Gutes und sicheres Steigen im Schrofengelände ist allerdings Pflicht, denn dort wird man im Sinne zügigen Fortkommens ohne Seilsicherung unterwegs sein. Mit Zu- und Abstieg ist der Kopftörlgrat ein tagesfüllendes Unternehmen und das Getränk auf der Gruttenhütte beim Abstieg wohl verdient.
Manchen hat der Kopftörlgrat übrigens dermaßen den Kopf verdreht, dass sie kein Jahr vergehen lassen, ohne die Tour mindestens einmal gemacht zu haben. Erstbegangen hat den Grat im Jahr 1900 Georg Leuchs im Alleingang. Nicht verschwiegen werden sollte auch die politische Gesinnung des Bergsteigers, er war bekennender Nationalsozialist.
Kopftörlgrat – Stück für Stück
1 Wochenbrunner Alm – Einstieg (Kopftörl)
Wochenbrunner Alm (1085 m) – Kopftörl (2058 m), 970 Hm ↗, 3,9 km Distanz, 2 ½ Std.
Los geht’s an der touristisch gut erschlossenen Wochenbrunner Alm. Der Weg Richtung Gruttenhütte schlängelt sich zunächst recht gemütlich durch den Bergwald und wird erst unterhalb der Gruttenhütte in einigen Kehren anstrengender. An der Hütte bietet sich dann eine grandiose Aussicht auf das Tourenziel: Wie eine Skyline ragt der Kopftörlgrat in den Himmel und dominiert die Szenerie. Das darunter befindliche Geröllfeld ist auf dem Weg Nr. 825 schnell erreicht, steil geht es rechtshaltend zu einer felsigen Wandstufe hinauf (dort bis in den Frühsommer hinein oft unangenehme Schneefelder). Geschickt schlängelt sich der markierte und teils drahtseilversicherte Weg über diese Stufe hinauf, darüber führt ein beeindruckender Durchschlupf hinter einer Felsnadel.
2 Die lange Querung
Freilich ist es richtig, am Einstieg den Gurt anzulegen. Das Seil wird auf den ersten gut 300 Metern aber wohl noch nicht zum Einsatz kommen. Warum? Das Schrofengelände lässt sich kaum absichern bzw. es würde sehr lange dauern. Und wer dort seilfrei Schwierigkeiten hat, ist für die Tour ohnehin nicht wirklich geeignet. Ein mulmiges Gefühl darf sich aber auch bei denen, die dem Gelände gewachsen sind, durchaus einstellen: Es ist ausgesetzt und das erfordert sicheres Kraxeln und Gehen. Die ersten zwanzig Meter sind dabei kein Quergang, sondern ein Aufstieg bis zu einer Minischarte. Von dort weg geht es zunächst abwärts und dann querend unter dem ersten Turm des Kopftörlgrates südlich vorbei. Eine Rinne führt in die Scharte zwischen erstem und zweitem Turm. Bohrhaken an einer plattigen Stelle in dieser Rinne erinnern daran, dass hier das Seil bald aus dem Rucksack darf. Jetzt geht es richtig los mit der Kletterei.
3 Turm II bis Turm IV
Die klassische Linienführung der Tour nutzt die Schwachstellen des Geländes. An den Türmen II, III und IV sind das jeweils Riss- und Kaminreihen, die trotz der Steilheit mäßige Schwierigkeiten im zweiten und dritten UIAA-Grad möglich machen. Man orientiere sich dabei an den durchaus vorhandenen Haken sowie dem abgegriffenen Fels und dem guten Topo aus der Tourenbeschreibung auf alpenvereinaktiv.com.
4 Der Schlund
Vom Gipfel des vierten Turms, der unschwer an einer silbernen Notfallbox zu erkennen ist, geht es an der Südseite zunächst etwas abwärts querend dahin. Rote Punkte markieren den Notabstieg (Achtung: mehrere 20-Meter-Abseilstellen), der Weiterweg am Kopftörlgrat führt aber Richtung nächster Scharte. Recht überraschend tut sich dann kurz davor ein ziemlich tiefer und dunkler Schlund auf. Entsprechend exponiert ist die Querung oberhalb, immerhin im dritten Grad. Sie stellt wohl die moralische Schlüsselstelle der Route dar.
5 Das Finale
Die klettertechnische Schlüsselstelle kommt aber erst zum Schluss. Nach dem Schlund leitet recht einfaches Gelände am fünften Turm nordseitig vorbei in eine Scharte vor dem sechsten Turm. Oberhalb ragt eine steile Platte auf, die am einfachsten in einer Rechtsschleife im oberen dritten Grad überwunden wird und etwas unterhalb des höchsten Punktes am sechsten Turm endet. Der Gipfel ist jetzt nicht mehr weit, aber die letzte Seillänge dorthin wartet tatsächlich mit den schwersten Metern des gesamten Grates auf. An großen Griffen und Schuppen in senkrechtem Gelände wird immerhin der untere vierte Grad gefordert. Wegen nordseitiger Ausrichtung ist der Fels dort oftmals klamm oder feucht – das macht es auch nicht leichter.
6 Gipfel – Wochenbrunner Alm
Ellmauer Halt (2344 m) – Wochenbrunner Alm (1085 m), 1260 Hm ↘, 4,6 km Distanz, 3 Std.
Recht beeindruckend ist auch der Abstieg über den Gamsjägersteig zurück zur Gruttenhütte. Der Klettersteig bietet Schwierigkeiten bis B/C und führt an einer Stelle senkrecht in eine große Felsspalte hinein. Wer den Kopftörlgrat geklettert hat, wird dennoch nur an wenigen Stellen oder gar nicht sichern müssen. Der Weg zurück zur Wochenbrunner Alm ist schließlich bekannt. Durchaus reizvoll ist alternativ der Abstieg über die Gaudeamushütte für jene, die noch Energie haben.
Gebirge mit Klettergeschichte
Für das Felsklettern war der Wilde Kaiser über Jahrzehnte Brutstätte harter Erstbegehungen. Die gute Erreichbarkeit aus München war sicher einer der Gründe dafür, der solide Fels der steilen Wände ein anderer. Legenden wie Dülfer (Fleischbank Ostwand), Piaz (Totenkirchl Westwand), Fiechtl (Predigtstuhl) und Preuss (Mitterkaiser Nordwand) haben hier zum Teil schon vor dem Ersten Weltkrieg schwerste Klettereien gemeistert. 1977 wurde mit den Pumprissen von Reinhard Karl und Helmut Kiene die erste Tour geklettert, die offiziell mit dem 7. Grad bewertet wurde. Viel los ist in diesen Klassikern heute nicht mehr, jetzt ist es eher die Nordseite des Kaisers, der die Klettergemeinde in Scharen anzieht, wie beispielsweise die Klettergärten und Plaisir-Mehrseillängen-Routen rund um die „Strips“, das Stripsenjochhaus.