Malte Roeper: Du hast „Prinzip Hoffnung“(X/X+) in Vorarlberg geklettert, und damit Beat Kammerlanders berühmtes Psycho-Testpiece wiederholt. Mobil abgesichert, an ganz kleinen Keilen - wie viel Angst war dabei?
Lena Müller: Am Anfang hatte ich richtig viel Angst, da kletterst du noch im Toprope, um es dir anzuschauen, und da habe ich gedacht: weiß ich nicht, ob ich das wirklich klettern werde. Aber du setzt dich so viel mit den Placements auseinander und beschäftigst dich damit, dass du dich dann einfach entscheidest: Ok, mach ich oder mach ich nicht.
Man steigt ja auch nicht ein, legt einen Keil und denkt, na ja, wird schon halten. Testet ihr das?
Was wir gemacht haben: Topropeklettern und dann die Keile einfach legen, dass man weiß, aus welcher Kletterposition geht das gut. Und ein paar von den Keilen haben wir wirklich getestet, aber nicht maximal. Da, wo es am schwersten ist, legt man einen mit Mikrokeil und klettert weit nach rechts. Das haben wir nie wirklich getestet, das sind vier, fünf Meter Runout, also ein sehr weiter Abstand zwischen den Sicherungen.
War es schwer jemanden zu finden, der das sichert?
Ich glaube, ich hätte das nie gemacht, wenn mein Freund nicht dabei gewesen wäre. Das will man echt niemandem antun, da einfach mitzukommen - nur zum Sichern. Man kann es auch nur im Winter klettern, das heißt, es ist arschkalt. Und ich würde mich auch nicht von allen Leuten sichern lassen. Gerade oben ist es wichtig, dass man ganz weich sichert, damit man nicht den Keil rauszupft. Das lange Sichern ist das eine, aber wenn es dumm geht, musst du auch noch den Krankenwagen rufen. Das galt für uns beide, wir haben es beide geklettert damals.
Dieses Klischee, dass du auf diese Art, also nur mit mobilen Sicherungen, bewusster kletterst und ein intensiveres Erlebnis mitnimmst, stimmt das auch für dich?
Da in ich voll bei dir. Man setzt sich so viel mehr mit der Route, mit der Wand, mit sich selber auseinander.
Und diese – sagen wir ganzheitliche? – Geschichte, ist das nicht auch so, wenn du mit dem E-Bike zum Klettern nach Arco fährst?
Ja, definitiv. Man nimmt mehr wahr. Wenn ich im Auto hocke, schaue ich die ganze Zeit auf die Straße, wenn ich auf dem Rad bin, spüre ich alles viel deutlicher: Es ist kalt oder warm oder es regnet.
Schlussendlich das, wofür immer dieses Wort "Achtsamkeit" benutzt wird?
Man ist viel mehr draußen auf die Art, ja, weil man da nicht in Räumen ist. Wenn man daheim ist, da sind dann die eigenen vier Wände, dann geht man INS Auto. Aber wenn ich aufs Rad steige, nehme ich alles viel stärker wahr. Dadurch gehört dann auch die Anreise mehr dazu.
Nachhaltig klettern und leben
Gab es einen konkreten Auslöser bei dir, dass du auf diese Art klettern gehst oder waren das einfach die allgemeinen Weltnachrichten??
Definitiv die Auseinandersetzung mit der Klimakrise im Studium. Ich habe mich auf der Uni so viel damit auseinandergesetzt und dann habe ich Dinge verändert, die viele andere auch verändern: Ernährung, Konsum und so. Und irgendwann ist einfach klar geworden, dass Mobilität, gerade bei mir als Kletterin, einfach so eine große Rolle spielt, und dass ich das nicht länger vernachlässigen kann. Dann hab ich die Jahreskarte für die Öffis in Österreich gekauft, weil ich gedacht habe, so kann man vielleicht irgendwie diese Hemmschwelle runtersetzen, dass man auch wirklich viel mit dem Zug fährt. Zugfahren ist zu teuer, das wissen wir alle, aber man muss sich auch einfach Anreize schaffen, damit man es dann auch wirklich umsetzt. Und dann habe ich immer mehr aufs Auto verzichtet.
Die Klimakrise ist da, das wissen wir – aber als älterer Bergsteiger merkst du es viel mehr als die Jüngeren, weil du einfach die Veränderung siehst. In dem Moment, wo du das studierst, heißt es, dass du dich jeden Tag mit dem Zeug auseinandersetzt und dann läuft es auf einmal durch alle Schleusen ins Gehirn rein?
Genau! Wirklich erfahren tue ich es weniger, weil ich einfach noch viel jünger bin. Bei mir war es wirklich das Studium und jetzt meine Doktorarbeit. Ich meine, klar kann ich mich politisch engagieren, ich bin bei Scientists for Future, aber ich muss selber was machen. Und dieser Wille, in meinem eigenen Leben auch was zu verändern, der war recht schnell da.
Bist du dafür, dass du dich für die Umwelt einsetzt, familiär vorgeprägt? Waren deine Eltern Vorbilder für dich?
Was ich von meinen Eltern mitbekommen habe, und dafür bin ich unfassbar dankbar, ist meine Naturverbundenheit. Das ist für mich neben meinem Studium der Grund, wieso mir das so nah geht. Ich bin wahnsinnig privilegiert aufgewachsen, meine Eltern sind beide Ärzte und wir waren immer unterwegs: Klettern, Kajak fahren, immer draußen. Das Wichtigste für mich ist diese Naturverbundenheit, die ich mitbekommen habe. Wenn ich rausgehe und mich ins Gras lege, geht es mir immer besser, als wenn ich hier drin hocke. Das ist einfach so ein Gefühl, was ich in mir drin habe: wie viel uns das als Menschen gibt und wie wir logischerweise mit allem verbunden sind. Klar kann man das irgendwie runterbrechen, dass wir von den Ökosystemen abhängen: Ernährung, Wasser oder Holz und so weiter, das ist so der wissenschaftliche Ansatz, doch das Gefühl dazu habe ich sicher von meinen Eltern mitbekommen.
Du hast in einer Dokumentation mitgewirkt, die zum Schutz der Alpen unter anderem zu weniger Konsum aufruft. Finanziert wurde der Film von einer Ausrüstungsfirma. Sind die überhaupt die richtigen Partner für so was? Das umweltfreundlichste, was ich in diesem Zusammenhang kenne, sind diese Ausrüstungsflohmärkte. Wenn du da Ausrüstung kaufst oder tauschst, wird nichts hergestellt und du entziehst dem Kapitalismus den Sauerstoff.
Ja, Ausrüstungsflohmärkte sind super. Bezüglich Firmenkooperationen habe ich mich intensiv damit auseinandergesetzt, ob ich Sponsoring als eine Möglichkeit für mich sehe. Natürlich ist die Frage, wie nachhaltig eine Firma sein kann – eine Firma verkauft und produziert ja immer was. Ich schaue auf jeden Fall, dass es Firmen sind, die so nachhaltig wie möglich arbeiten. Und wenn ich mit Sponsoren arbeite, dann wird auch meine Überzeugung hinausgetragen, und mein Impact ist größer. Als Athletin habe ich den Vorteil, dass ich viel mehr Outreach habe durch das, was ich konkret mache - ich bin ja keine Influencerin, das werde ich nicht sein.
Willst du auch nicht, oder? Das ist eigentlich ein Schimpfwort, oder?
Finde ich gar nicht. Influencer sind einfach Leute, die viel Zeit mit Social Media verbringen und darauf ihre Arbeit aufbauen, das respektiere ich total. Ich werde das einfach nur nie machen, ich habe auch nicht die Zeit.
Das heißt, du musst als Athletin so weit vorn dabei sein im Klettern, dass du überhaupt erst mal gesponsert wirst. Wie schwer kletterst du sonst?
"Prinzip Hoffnung" war die schwerste Tour, die ich geklettert bin. Ich würde da gern wieder mehr Zeit investieren. Ich habe einfach so viel gearbeitet die letzten zwei Jahre und das ist das klettern leider zu kurz gekommen.
Du bist selbstständig?
Ich schreibe Artikel, halte Vorträge, habe zwei Filme gemacht, mache jetzt einen nachhaltigen Kletterführer für Innsbruck und Umgebung. Das ist ein Riesenprojekt, wo ich jetzt seit einem halben Jahr dran bin.
In Deutschland sind die Naturwissenschaften an den Unis in einer krassen Abhängigkeit von der Industrie, also von externen Geldgebern. Wie ist das in Österreich und wie ist das in deinem Fach?
Es ist schwierig, in unserem Bereich Geld zu bekommen, weil wir keine Drittmittel einfordern können, da sich niemand aus der Wirtschaft für Klimaforschung interessiert.
Aus der Wirtschaft interessiert sich keiner für Klimaforschung?!
Wir bekommen unser Geld vom FWF, das ist ein Fond, der Wissenschaft fördert. Wir werden als Doktorandinnen und Doktoranden seltenst von der Uni bezahlt. Man hat dann Jahresverträge oder Monatsverträge, die Situation als Ökologin an der Uni ist sehr schwierig, das kann man schon so sagen.
Du hast Biologie studiert?
Ich habe meinen Bachelor in Biologie gemacht, meinen Master in Ökologie und Bio-Diversität und meinen Doktor mache ich jetzt in der Ökologie im Bereich Klimaforschung. Da schaue ich mir an, wie sich die Klimakrise auf Ökosysteme auswirkt, vor allem auf Berg-Ökosysteme. Vor allem, was da die Langzeiteffekte sind, wie Nährstoffkreisläufe sich verändern. Da gibt es einfach Schwellenwerte, wo dann was anderes passiert im System.
Wann ist abzusehen, dass du deinen Doktortitel hast?
Zwei, drei Jahre.
Und es geht natürlich nicht schneller, indem du jetzt über Umweltschutz publizierst?
Nee! Das geht nur langsamer. Ich bin jetzt zweieinhalb Jahre an der Uni und konnte nicht Vollzeit arbeiten, weil ich keine Vollzeitstelle hatte und habe aus der Not eine Tugend gemacht haben. Und habe mir gedacht, ok, mache ich mich eben selbstständig. Und dann haben mich immer mehr Leute gefragt und ich war total happy, dass ich damit auch noch Geld verdient habe. Irgendwie muss man seine Wohnung bezahlen! Und dadurch, dass ich jetzt die Doktorarbeit und die Selbstständigkeit koordinieren muss und ja auch noch klettern gehe, wird es einfach länger dauern.
Über Freunde und Familie
Du hast „Prinzip Hoffnung“ zusammen mit deinem Freund gemacht. Wie weit teilt ihr den Rest deines Lebensentwurfs? Fährt er auch mit dem Fahrrad?
Ich hatte – oder wir beide hatten – das Glück, dass wir uns da gleich entwickelt haben. Und das hätte sich nie so entwickelt, wenn er da nicht so mitgegangen wäre. Es ist leider sehr, sehr schwierig Leute zu finden, die Lust haben, mit dem Fahrrad klettern zu gehen. Und es gibt hier in Innsbruck, glaube ich, neben meinem Freund und Judith, einer Freundin von mir, bis jetzt eigentlich niemand, der da regelmäßig mitgeht. Das heißt, ich stehe oft vor der Entscheidung, gehe ich klettern oder bleibe ich einfach daheim, weil keiner Bock hat, mit Öffis zu fahren.
Und wenn du dich mit jemandem verabredest, der dich irgendwo am Bahnhof abholt, ist es eine halbgare Geschichte: Es wird auch Auto gefahren, aber das Auto nicht mal richtig genutzt.
Es war nicht leicht die letzten zwei Jahre. Klar bin ich dann auch mal mit dem Auto gefahren, aber diese Diskrepanz muss ich ja die ganze Zeit in mir austragen. Wenn am Wochenende schönes Wetter ist, möchte ich Klettern gehen, ich möchte was haben von meinem Leben. Und deswegen bin ich sehr froh, dass mein Freund da genauso ist, nur so geht das. Wenn man umsteigt, geht das nur, wenn man jemanden hat, der da auch Bock drauf hat. Und mit Judith war ich jetzt zweimal auch im Urlaub mit den Öffis unterwegs.
Die Partnerin von dem Radtrip nach Arco? Den Artikel dazu auf deinem Blog, den fand ich sehr cool, mit Fahrplan und allem.
Genau. Das ist einfach das Beste, wenn man das mit jemandem teilen kann, den man gern hat. Ich meine, davon lebt alles! Ich will ja niemanden überreden. Jeder, jede soll bitte machen im Leben, was sie oder er möchte, das mache ich ja genauso.
Früher gab es am Schleierfall oben diese Holzboxen, wo die Locals ihr Equipment gebunkert hatten. Die mussten dann abgebaut werden. Das wäre eigentlich eine Methode, mit der umweltfreundliches Klettern leichter möglich wäre: Wenn du nicht jedes Mal dein ganzes Zeug da rauf schleppst.
Leute, die klettern können, können auch beim Radeln fünf Kilo mehr nehmen (lacht).
Ich habe kein E-Bike, aber eigentlich ist das extrem schlau, weil du damit wirklich viele Autofahrten eliminieren kannst. Wenn du dir da einen guten Anhänger kaufst, machst du damit auch die Einkäufe für eine ganze Familie. Wie gut du das Auto verdrängen kannst mit dem E-Bike, das wird total unterschätzt.
Witzig, dass du das sagst! Wir haben unser Auto verkauft und gesagt, dann brauchen wir E-Bikes, um eben diese Dinge zu erledigen. Es ist mega, mit dem E-Bike hast du so viel mehr Reichweite andere Klettergebiete zu erreichen. Und ich will halt auch schwer klettern, das geht nach zwei Stunden Anfahrt mit dem „normalen“ Rad nicht mehr.
Beim E-Bike wird kein so ein großer Apparat hergestellt wie bei einem Elektroauto und du musst weniger Masse bewegen. Das Dümmste in meinen Augen sind diese Hybridautos, wo du zwei verschiedene Motoren drin hast: beide Motoren müssen hergestellt werden und du musst beide Motoren die ganze Zeit mit transportieren – die sind ja total schwer.
Und man sieht auch, wie stark Klimakrise und Frieden zusammenhängen, wie wir uns abhängig gemacht haben von Russland, und wie unbedingt wir diese Energiewende in Deutschland und in Europa brauchen, eigentlich schon seit zwanzig Jahren.
Ist es nicht so, dass die Bevölkerung bereit wäre, viel mehr in Kauf zu nehmen, wenn es ihnen nur mal jemand deutlich sagt? Ich glaube, die politisch Verantwortlichen haben übertriebene Angst davor, uns unangenehme Wahrheiten ins Gesicht zu sagen.
Bin ich voll bei dir. Genau, ich glaube, dass die Klimakrise auch eine Informationskrise ist. Es würde vielleicht viel mehr von der Bevölkerung toleriert, wenn man besser informiert, was eigentlich da auf uns zukommt. Deswegen brauchen wir auch den politischen Wandel. Wenn wir alle nur in der Gegend rumradeln, bringt das nichts, wenn wir uns nicht auch für einen politischen Wandel einsetzen. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Zivilgesellschaft da viel verändern kann und verändern wird.
Und der größte Hebel, den wir haben, ist unser Geld, oder?
Genau: Wie konsumieren wir, was konsumieren wir? Da gehört beides dazu, die Veränderung bei uns selbst und der Einsatz für den politischen Wandel. Dazu muss man sich politisch engagieren und auf die Straße gehen.
Wenn man sich so – sagen wir mal – ganzheitlich einsetzt wie du, in der Freizeit, im Beruf und so weiter, wird man nicht auch total wütend und sauer auf bestimmte Leute?
Ich bin eher traurig. Vielleicht auch wütend, aber eher darüber, dass man sich ohnmächtig fühlt. Aber dem kann man entgegentreten, indem man was macht.
Das Gefühl, eine Kleinigkeit zu bewegen, als Medizin gegen dies Gefühl von Ohnmacht? Und das Gefühl, dass es gar kein Opfer ist, sondern man viel mehr bekommt als man gibt?
Genau, das ist bei vielen Leuten so, die sie sich in dem Bereich engagieren. Weil es dann auch gar nicht mehr anders geht. Ich könnte das nicht mehr aufhören. Klingt vielleicht bescheuert, aber: Das ist jetzt mein Leben! Und genau so soll es sein!
Gutes Schlusswort... wobei, eine Frage noch: Zukunftspläne?
Meine Doktorarbeit fertig machen und die Selbstständigkeit ausbauen. Und wie schon gesagt, weniger arbeiten.
Was bist du nochmal für ein Jahrgang?1994?
1992. Bin dreißig geworden dieses Jahr.
Ihr Jungen habt es in vielerlei Hinsicht viel schwieriger. Wir wurden in permanent guter Konjunktur groß, da hast du dir keine Sorgen gemacht. In den 1980er Jahren die Hochrüstung, da hat man sich ein bisschen Sorgen gemacht, aber das war nicht unser Alltag. Wir hatten kein Internet, was in Amerika los war oder ob in Australien ein Wald brennt, das war nicht unser Thema. Ihr seid so eingespannt von allen Richtungen, von Sachen, die einem Sorgen machen, da beneide ich euch nicht. Und wenn du dir die Teenager anschaust, die auf ihr Smartphone starren und dem Algorithmus starren: Die sind nicht diejenigen, die das Smartphone bedienen, das Smartphone bedient sie.
Es ist eine Zeit der multiplen Krisen, gerade jetzt mit Corona, Ukraine, Klimakrise, das wird auch nicht mehr aufhören. Und klar, Internet, Smartphone sind meine Hölle. Ich habe vor zwei Jahren mein erstes Smartphone von einer Freundin bekommen, ich habe mich ganz lang dagegen gewehrt, Leute haben gespottet, ich sei von den Amish People. Ich habe immer genau das gesagt, was du jetzt sagst und habe es verteufelt. Ich finde es genial für die Arbeit, aber es ist genau so, wie du sagst.
- Ende -