Alex Honnold macht es. Stefan Glowacz auch. Und mit ihnen viele andere Menschen: Reisemobile und Campingbusse sind nicht mehr aus dem Straßenbild wegzudenken. Campen oder „Vanlife“ ist ein weltweiter Trend: Unter dem Hashtag findet man auf Instagram mittlerweile 13 Millionen Einträge und auch „vanlifegermany“ kommt auf eine gute halbe Million Postings. Was ist es, das Menschen freiwillig in einer – salopp gesagt – zu groß geratenen Konservendose reisen und übernachten lässt? „Freiheit“ ist der am häufigsten genannte Begriff der Social-Media-Follower*innen des DAV bei einer Umfrage, was denn Vanlife für sie bedeutet – oftmals gepaart mit Schlagwörtern wie „Abenteuer“ oder „Natur“.
Dominic Vierneisel kennt die Branche wie kaum ein anderer: Seit zehn Jahren ist er Chefredakteur der Zeitschrift „promobil“ – Europas größtem Reisemobil-Magazin. Und natürlich ist er auch selbst Camper. Vierneisel: „Den großen Vorteil dieses Reisestils sehe ich in der Unabhängigkeit – jederzeit losfahren zu können und dort zu bleiben, wo es einem gefällt.“ Egal ob Städtetrip oder Natur, egal welche Sportart, das Reisemobil mache es möglich. „Für unsere Leser geht es aber auch darum, ein eigenes Zuhause dabeizuhaben: das Bett, das man gewohnt ist, oder die Toilette, die man mit niemandem teilen muss.“ Die Reisemobil-Branche feiert seit zehn Jahren immer neue Rekorde. Mehr als 100.000 Freizeitfahrzeuge wurden 2021 in Deutschland neu zugelassen, meldet der Caravaning Industrieverband. „Und das hätten sogar noch mehr werden können! Aber die Hersteller haben mit enormen Lieferengpässen zu kämpfen“, erklärt Dominic Vierneisel. Aktuell warte man auf ein Neufahrzeug rund zwölf Monate. Die selbst ausgebauten Camper seien in der Statistik noch gar nicht erfasst. „Wenn ich beobachte, was auf Youtube und Instagram passiert, sagt mir mein Gefühl, dass auch der Selbstausbau stark zunimmt – gerade für junge Leute ist das eine günstige Einstiegsmöglichkeit. Ein gebrauchter Bus, ein Bett, etwas Technik, mehr braucht man nicht“, so der Experte.
Ganz so einfach ist es nicht: Auch Selbstausbauer*innen sehen sich mit einem leer gefegten Gebrauchtmarkt konfrontiert. Und der Kauf von Elektrokabeln und Holz macht noch keinen Camper. Es braucht Werkzeug, Zeit, Platz, und einiges an Know-how. Hinzu kommen noch die aktuell hohen Spritpreise, empfindliche Steuern auf (alte) Dieselfahrzeuge, und der Aufwand für Reparatur und Versicherung.
Für den Preis und den Unterhalt eines Reisemobils kann man übrigens sehr viele Jahre Urlaub in Hotels machen. Wer also einen Campingbus oder ein Reisemobil nur für Urlaubstrips nutzt, ist oft mit einem Leihfahrzeug günstiger unterwegs. Davon profitiert dann auch die Umwelt: Jedes Auto, das nicht produziert wird, ist aus Nachhaltigkeitssicht ein gutes Fahrzeug. Außerdem belasten auch Campingplätze das Reisebudget. Und wegen der hohen Nachfrage sind die Plätze häufig ausgebucht – was den Freiheitsgedanken natürlich ad absurdum führt. Vierneisel: „Wer zu Ostern an den Gardasee möchte oder im Sommer nach Kroatien, sollte besser Monate als Tage im Voraus reservieren.“ Stellplätze gelten als günstige und einfache Alternative zu Campingplätzen. Aber: Camping, also das Aufstellen der Stühle oder Ausfahren der Markise, ist dort mitunter verboten. „Solche Stellplätze sind zunehmend interessant für Kommunen“, weiß Vierneisel, „Reisemobilisten gehen gerne essen und konsumieren und es ist auch eine gute Möglichkeit, die Camper zu lenken.“ Denn: Viele Stellplätze bedeuten in der Regel auch wenig Freisteher. Dass die Camping-Fans immer mehr werden, merkt man auch im Kleinwalsertal. Elmar Müller, Vorstand des örtlichen Tourismusverbands: „Wir erleben, dass der Nutzungsdruck stark zugenommen hat.“ Und auch die vier Campingplätze im Tal sind regelmäßig ausgebucht – vor allem während der Hauptreisezeit. Auf einem Parkplatz die Nacht zu verbringen, ist in der Region keine gute Idee. Müller: „Wir haben überall ein Campingverbot, das gibt es schon seit den 1960er Jahren.“ Allerdings versteht der Touristiker beide Seiten: „Privat bin ich auch mit meinem Reisemobil unterwegs und übernachte gerne an schönen Plätzen. Aber ich merke, dass sich die Leute verstärkt respektlos gegenüber der Natur verhalten. Darum kann ich auch nachvollziehen, wenn sich jemand für Verbote ausspricht.“
Grundsätzlich Verständnis hat man auch im Bergsteigerdorf Ramsau, das am Rand des Nationalparks Berchtesgaden liegt. Aber: „Im Corona-Sommer 2020 standen rund um den Hintersee teils über 50 Wohnmobile, das war nicht mehr in den Griff zu bekommen. Seitdem ist der Andrang wieder etwas abgeflaut und wir haben natürlich auch gelernt und investiert“, erklärt Rudi Fendt, Zweiter Bürgermeister von Ramsau. Auf dem Gemeindegebiet gibt es einen Campingplatz und einen Stellplatz. Fendt: „Für uns ist wichtig, dass unser Dorf und die Umgebung sowohl für Einheimische als auch für Tagesausflügler und Übernachtungsgäste attraktiv bleibt.“ Und dafür, so Fendt, müsse sich jeder an die Regeln halten.
Attraktivität für Einheimische und Besucher wurde auch im Zillertal zu einem Thema. Willi Seifert, Geschäftsführer des Naturparks Zillertaler Alpen: „Ab 2010 ist Campen bei uns zu einem Problem geworden – gemeinsam mit einem immer stärkeren Interesse an unseren Kletter- und Bouldergebieten.“ Nach einigem Hin und Her hat man ein großes Paket geschnürt: Für die 15 bis 20 wichtigsten Gebiete wurden Konzepte erstellt, die nicht nur die Zustiege und Betretungsrechte von Wiesen- bzw. Waldflächen oder die Sicherheit beim Klettern umfassten, sondern auch den kleinen Zelt- und Campingplatz für bis zu 50 Zelte oder Busse beinhaltete. „Seitdem ist es merklich besser geworden“, so Seifert.
Das Übernachten in Reisemobilen außerhalb von Stell- und Campingplätzen sieht auch der Deutsche Alpenverein kritisch. DAV-Naturschutzexperte Uli Berkmann: „Durch die Möglichkeit, vor Ort zu schlafen, hat man ein anderes Zeitfenster für seine Aktivitäten: Man kommt erst später von der Tour zurück oder kann abends noch mal starten. Das ist eine Gruppe mehr, die Tiere in der für sie so wichtigen Dämmerung stört.“ Und natürlich beeinträchtigen auch Parkplatz-Partys Tiere in ihrem Verhalten. „Wir haben als Menschen doch schon den ganzen Tag Zeit, um in der Natur zu sein. Sollten wir da nicht wenigstens ab der Dämmerung den Tieren ihren Lebensraum lassen?“ Selbst dort, wo das Übernachten erlaubt ist, kann es zu Problemen kommen. Berkmann: „Wenn der Parkplatz voll ist, ist er voll. Es gibt keine Ausweichflächen im Feld des Bauern.“ Und auch Müll, Tomatensoße, Zahnpasta oder Fäkalien haben in der Natur nichts verloren. Wer campt, sollte sich immer fragen: „Was ist, wenn das alle machen würden?“, so Berkmann.
Warum gehören Zahnpasta und Nudelsoße nicht in die Natur?
Eintrag von Mikroplastik: Durch Zahnpasta und andere Abfälle gelangt Mikroplastik in das Ökosystem und den Wasserkreislauf und wird letztendlich von der Tierwelt aufgenommen.
Organischer Abfall kann eine zusätzliche Belastung für unsere Ökosysteme sein: Schalen von tropischen Früchten (zum Beispiel Bananen- oder Orangenschalen) brauchen in unserem kühlen Klima 1-3 Jahre oder mehr bis sie ganz verrottet sind.
Daher: Alles an Müll – eben auch organischer Abfall – gehört in die Mülltonne und nicht in die Natur.
Und wie sieht's mit dem kleinen oder großen Geschäft im Busch aus?
Krankheitserreger im menschlichen Kot können durch Weide- und Wildtiere aufgenommen werden
Substanzen aus Medikamenten (zum Beispiel Hormone aus der Antibabypille) gelangen ins Ökosystem und den Wasserkreislauf und können von Wildtieren aufgenommen werden.
Nährstoffeintrag: An Ballungskloplätzen kommt es zu nicht unerheblichen Nährstoffeinträgen, ähnlich Tiermist oder Gülle, welche gerade sensible Vegetationsgemeinschaften mit niedrigen Nährstoffbedarf stören. Konkurrenzvegetation (zum Beispiel Brennessel) verdrängt die schützenswerten Arten.
Wie lange brauchen verschiedene Stoffe, um zu verrotten?
Menschlicher Kot: 1 Monat
Papiertaschentuch: 1-5 Jahre
Bananen-/Orangenschale: 1-3 Jahre
Zigarettenstummel: 2-7 Jahre (Schadstoffe und Gifte verseuchen Boden und Grundwasser)
Blechdose: bis 500 Jahre
Tetrapack: 50-100 Jahre (Weichmacher gelangen in die Umwelt)
Glasflasche: 4000 Jahre bis nie
Babywindel: 500-800 Jahre
Was weckt allen Widerständen zum Trotz den Wunsch nach einem rollenden Eigenheim? Ist wirklich Instagram schuld? Lädt es so zum Nachmachen ein, wie Fotos von sich an der Hängebrücke am Olperer zu schießen? Anders als mancher Fotospot ist Vanlife keine Tagestour von München entfernt. Es kostet Geld – und zwar sehr viel. Und es verschlingt Zeit – entweder, um auf sein Reisemobil zu warten, oder um es auszubauen. Kann man solch einen Wunsch rein über eine App wecken? Vielleicht haben viele Menschen das Verlangen nach Abenteuer und Freiheit bereits seit ihrer Kindheit in sich – zum Beispiel durch Geschichten von Enid Blytons „Fünf Freunde“, die gerne draußen campen und kochen und mit dem Planwagen herumreisen, oder durch Ferienlager bei den Pfadfindern? Vanlife wäre demnach nichts anderes als die Überführung dieser Kindheitswünsche ins Erwachsenenalter – und in die Neuzeit: eine gute Matratze für den Rücken und jederzeit Strom für das Smartphone. Allerdings haben sowohl die Geschichten als auch die Bilder in den sozialen Medien eines gemeinsam: Sie gehen davon aus, dass es nur eine geringe Zahl an Menschen gibt, die sich auf diese Weise in der Natur bewegen. Ein Campervan allein macht noch kein Problem, es ist erst die Masse, die zu Belastungen führt. Und je höher der Nutzungsdruck, desto wichtiger ist es, sich korrekt zu verhalten – gegenüber Einheimischen, Flora und Fauna sowie dem Klima. Denn das gehört auch zur Freiheit: Sie endet dort, wo die von anderen beginnt.