Hinweis: Die hier zusammengestellten Informationen sollen unterstützen und im besten Fall die Voraussetzungen für eine möglichst gute Verarbeitung von erlebten Traumata schaffen.
Menschen, die einen Alpinunfall beziehungsweise eine alpine Notlage erfahren mussten und auch deren Angehörige, Freund*innen und entferntere Betroffene, zeigen in der Zeit danach häufig Reaktionen unterschiedlicher Art. Ein belastendes Ereignis, wie es erlebt wurde, geht häufig nicht spurlos an einem vorbei.
In der Fachsprache werden diese Reaktionen als „akute Belastungsreaktion“ bezeichnet, die zusammenfassend wie folgt beschrieben ist: Die akute Belastungsreaktion ist eine normale Reaktion eines gesunden Menschen auf ein unnormales Ereignis.
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Krisenintervention Selbsttest | 181.73 KB |
Kurzfristige „normale“ Reaktionen der ersten Tage und Wochen
Mentale und körperliche Reaktionen kommen in der ersten Zeit nach einem belastenden Ereignis häufig vor. Sie lassen zumeist von Woche zu Woche nach und verschwinden in vielen Fällen schließlich ganz, wenn das Geschehen angemessen verarbeitet werden kann. Dies gilt auch bei einem Todesfall, unabhängig vom natürlichen Trauerprozess, mit seinen verschiedenen Formen und Zeitverläufen.
Jeder Mensch reagiert auf belastende Situationen unterschiedlich.
Nicht das Ereignis als solches ist traumatisierend, sondern die individuelle Wahrnehmung entscheidet über die Intensität der Belastung. Manchmal unterliegen Betroffene einem schnellen Wechsel in ihrer Emotionalität.
Emotionale Taubheit – tiefe Trauer
Hilf- und Orientierungslosigkeit – Aktionismus
Unruhe – Erschöpfung
Schuldgefühle – Schuldzuweisung
Angst – Wut
Hoffnungslosigkeit – völlige Leere
Was man tun kann:
Empfindungen und Reaktionen wahrnehmen und zulassen. Sie sind Bestandteil des seelischen Heilungsprozesses. Dieser erfordert Zeit und Geduld.
Sich erinnern, was in der Vergangenheit wirksam war. Häufig verfügen wir über Ressourcen, die uns schon in anderen schwierigen Lebenssituationen geholfen haben.
Auf das Hier und Jetzt achten. Auch wenn aktuell alles zu viel wird: Grundbedürfnisse wahrnehmen. So sollte man versuchen regelmäßig zu essen, zu trinken und soweit möglich ausreichend zu schlafen.
Anstehende Aufgaben sinnvoll priorisieren. Es gibt Aufgaben und Themen, die zunächst „geparkt“ werden können. Nicht alles ist von gleicher Dringlichkeit. Ein „Miniplan“ für die nächsten Tage kann sehr hilfreich sein.
Achtsam mit sich selbst sein. Sich Zeit und Ruhe gönnen. Jeglichen Leistungsdruck vermeiden. Den Tagesablauf gut zu strukturieren, kann sehr hilfreich sein.
Unterstützung aus dem sozialen Umfeld annehmen beziehungsweise einfordern. Allerdings sind Partner*in, Familie und Freundeskreis manchmal verunsichert und wissen nicht, wie sie bestmöglich unterstützen können. Wünsche äußern und die Unterstützung dann annehmen, hilft.
Medikamente oder sedierende Mittel vermeiden. Medikamente oder Alkohol verhindern die Auseinandersetzung oder Verarbeitung des Erlebten. Sie verzögern den seelischen Heilungsprozess. Wenn sich eine Medikamenten- Einnahme nicht vermeiden lässt, sollte man sich vorab von Hausärzt*in beraten lassen.
Mögliche Symptome / Reaktionen:
Schreckhaftigkeit
Quälende Erinnerungen
Albträume
Schlafstörungen
Sich aufdrängende belastende Bilder
Wiedererinnern
Hoffnungslosigkeit
Gefühl der Sinnlosigkeit
Interessenverlust
Erinnerungslücken
Konzentrationsprobleme
Körperliche Stressreaktionen
Vermeidungsstrategien
Die geschilderten Veränderungen können, müssen aber nicht auftreten. Es ist möglich, dass man nur vereinzelte Veränderungen bei sich wahrnimmt.
Diese Veränderungen irritieren, wenn sie nicht verstanden und eingeordnet werden können. Wichtig: Sie sind in dieser Situation normal. Der Verarbeitungsprozess lässt sich überprüfen, indem man den nachfolgenden Selbsttest bearbeitet.
Länger andauernde Reaktionen über mehrere Wochen und Monate
Manchmal belasten Ereignisse so stark, dass es ratsam ist, sich weiterführende Unterstützung zu suchen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die beschriebenen Symptome länger als vier Wochen anhalten. Daraus können folgende Belastungen entstehen:
Stark negative, z. B. depressive Gefühle
Lähmende Handlungsunfähigkeit
Störung bzw. Abbruch von wichtigen Beziehungen (Partnerschaft, Freund*innen, Beruf)
Gefühle, vom Umfeld zunehmend nicht verstanden zu werden und sich „fremd“ zu fühlen
Ein derartiger Zustand kann zu einer Erkrankung führen. Wer solche Anzeichen bei sich bemerkt, sollte sich an eine therapeutische Einrichtung oder Beratungsstelle wenden.
Gerade wenn das Gefühl besteht, die belastende Erfahrung nicht allein bewältigen zu können, ist es wichtig und richtig, Hilfe von außen zu suchen! Hilfestellung bieten Hausärzt*innen, Trauma-Ambulanzen, Beratungsstellen der Wohlfahrtsverbände und Selbsthilfegruppen. Man sollte sich nicht scheuen, diese Angebote zu nutzen und etwas für sich zu tun, bevor sich eine Erkrankung manifestiert. Adressen mit Ansprech-Einrichtungen lassen sich mit Suchmaschinen im Internet unter dem Stichwort „Psychologische Hilfe nach Unfall“ zahlreich finden.
Hintergrundwissen zu Abläufen nach einem Bergunfall
Ein Bergunfall (dazu zählen auch schwere internistische Erkrankungen / Todesfälle) tangiert nicht nur die unmittelbar Betroffenen. Weitere Personen sind involviert und haben unterschiedliche Rollen und damit verbundene Aufgaben. Sich damit auseinanderzusetzen, kostet Kraft und Ressourcen, ist aber ein üblicher Ablauf, der auch helfen kann, das Geschehene zu be- und verarbeiten.
Folgende Akteure können im Rahmen eines Unfallereignisses am Berg in Erscheinung treten:
Berg- und Luftrettung
Alpinpolizei – Staatsanwaltschaft
Krisenintervention – Notfallseelsorge
Vereinsinternes Krisenmanagement (Bedarfsfall)
Weitere Beteiligte:
Versicherungen
Krankenhäuser
Bestattungsunternehmen
Hüttenwirtsleute
Seilbahnbetreiber
Betreiber künstlicher Kletteranlagen
Vertreter*innen DAV-Sektion
Justiz und Rechtsvertreter*innen
Gutachter*innen
Medien
Es kostet Kraft und manchmal auch Überwindung die anfallenden Aufgaben zu erledigen. Dennoch ist es besser in der Aktivität zu bleiben, als sich komplett zurückzuziehen. Hilfreich ist ein vertrautes soziales Umfeld, welches unterstützt.
Kommunikation:
In der Regel handeln die benannten Personengruppen empathisch. Dennoch kann es in der Kommunikation während einer belastenden Krisenphase zu Missverständnissen kommen. Betroffenen dürfen ihren Gefühlen Raum geben und diese ausdrücken. Überlastung sollte verbal signalisiert werden. Von Einsatzkräften und weiteren Akteuren darf Professionalität im Umgang erwartet werden. Eine gestörte Kommunikation kann mit etwas Abstand und gegenseitigem Verständnis wieder aufgenommen werden.
Hier finden sich einige mögliche Anlaufstellen
Krisenintervention im Bergsport
Beratungsstellen und Versicherung
Wenn das Gefühl besteht, eine belastende Erfahrung nicht allein bewältigen zu können, ist es wichtig, Hilfe von außen zu suchen! Anlaufstellen sowie Infos zur DAV Versicherung.
Literatur
Die folgenden Texte behandeln Themen der psychosozialen Notfallversorgung, Erfahrungen mit Unfällen und Hintergrundinformationen.
Die psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) hat im deutschen Sprachraum in den letzten zwanzig Jahren eine rasante Entwicklung genommen. Von medizinischen Notfällen, bei denen der Rettungsdienst zum Einsatz kommt, sind außer der verletzten oder erkrankten Person auch deren soziales Umfeld mehr oder weniger stark psychisch betroffen. Bekannte, Freundeskreis, Angehörige, Arbeitskolleg*innen, Ersthelfer*innen: sie alle sind in das rettungsmedizinische Geschehen involviert - und durch das unvorhersehbare und akute Ereignis überrascht. Heiner Brunner, Andreas Müller-Cyran, „Wege aus der Krise“, in: bergundsteigen Heft 2/2013
Etwas passiert, ein Unfall, von einer Minute zur andern - und nichts lässt sich mehr ändern. Die Autorin kämpft mit dem Trauma dieses Tages. Merle Hilbk, "Hinter der Kurve sah ich das zerquetschte Fahrrad und daneben ihn mit weit aufgerissenen Augen", in: DIE ZEIT Nr. 8/2019, 14. Februar 2019 [650 kb]
Betroffene und Zeug*innen von Bergunfällen haben ein erhöhtes Risiko, an einer posttraumatischen Belastungsstörung zu erkranken. Auch Retter*innen und Helfer*innen können die Schreckenserlebnisse oft nicht allein verarbeiten. Psychiater Christian Mikutta behandelt seit Jahren Traumapatient*innen und erklärt im Interview, wann es nötig ist, Hilfe zu holen. Christian Mikutta, „Wenn der Horror nach dem Bergunfall nicht mehr nachlässt.“, in: Die Alpen, Heft 10/2019
Ein traumatisches Ereignis trifft erfreulicherweise nur einen geringen Teil der Bergsportler*innen. Eine psychische Reaktion auf das Erlebte ist natürlich, kann jedoch so schwerwiegend sein, dass professionelle Hilfe notwendig wird. Heiner Brunner, „Unfallfolge Trauma“, in: Panorama, Heft 6/2008
Bergsport birgt Gefahren. Unfälle geschehen und Menschen werden verletzt oder sterben. Nicht nur körperlich, sondern auch psychisch können bei allen Betroffenen Verletzungen zurückbleiben. Welche das sein können und welche Hilfen es gibt, betrachtet Martin Schwiersch. Martin Schwiersch, „Zurück“, in: bergundsteigen, Heft 2/2013
Christine Pernlochner-Kügler berichtet, was der Tod eines nahestehenden Menschen bei uns auslösen kann. Sie geht auf die Möglichkeiten des Abschiednehmens nach schweren Verletzungen durch Unfälle, wie sie beim Bergsport vorkommen können, ein. Christine Pernlochner-Kügler, „Du tot am Berg, Hans? So kenn ich Dich ja gar nicht!“, in: bergundsteigen, Heft 106/2019
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Die Zeit - Merle Hilbk | 648.96 KB |