Nach „Abenteuer“, „Körperempfinden“ und „Leistung“ führt uns der vierte Themenbereich der Dauerausstellung im Alpinen Museum die Alpen als besonderen Naturraum vor Augen, der mitten im dicht besiedelten Europa noch fast unberührte Landschaften bietet. Verschiedene Sichten auf die Natur bestimmen dabei das individuelle Bergerlebnis, denn sie wirken zwar objektiv, sind aber gesellschaftliche Konstrukte, die sich in über hundert Jahren nur marginal verändert haben: Die Berge treten als eine Gegenwelt zum Alltag auf, die erhalten und geschützt werden will.
Unsere Alltagswelt prägt den Blick auf die Natur
Bereits seit Jahrhunderten sind Gebirge beliebte Bildmotive. Diese Bilder sind Ausdruck unseres Blicks auf die Welt und prägen ihn zugleich. Sie erzeugen Stimmungen, laden Landschaften mit Bedeutungen auf und mystifizieren sie bisweilen.
Das Ölgemälde von Albert Stagura mit dem Titel „Mühlsturzhörner“ zeigt beispielsweise eine ernste, zeitlose, aber auch geheimnisvolle Landschaft. Sie ist frei von Zivilisation und verweist auf Zusammenhänge, die „größer“ sind als der Mensch. Diese Perspektive war zu Beginn des 20. Jahrhunderts weit verbreitet, ging oft einher mit einer Ablehnung der Moderne und prägte das Bergsteigen über die Zeit des Nationalsozialismus hinaus. Was wir in der Natur sehen, hängt mit unserer Alltagswelt zusammen. In der Natur eröffnet sich uns ein Raum, in dem wir andere Erfahrungen machen können als im Alltag. Wir erleben dadurch eine Art „Gegenwelt“, die unsere Bedürfnisse spiegelt. In der neuen Ausstellung symbolisieren das die vier Begriffe Einfachheit, Freiheit, Kraftort und Eins-Sein. So werden die Berge sehr oft als Ort der „Freiheit“ bezeichnet, da wir glauben, dort Entscheidungen selbstständiger treffen zu können, während unser Alltag von verschiedensten Abhängigkeiten bestimmt ist. Dass Berge als Ort gelten, wo positive Erlebnisse Kraft für den Alltag geben, präsentieren die Gipfelbuch-Einträge der Schellschlicht (Ammergauer Alpen).
Wie nehmen wir Natur gegenwärtig wahr?
2022 führte der Deutsche Alpenverein auf den Social-Media-Kanälen Instagram und Facebook die Umfrage „Was bedeutet die Bergnatur für dich?“ durch. Die Ergebnisse können die Besucher*innen über eine Audioinstallation anhören. Wir sehen alpine Landschaften nicht nur, sondern nehmen sie mit allen Sinnen wahr. Eine interaktive Station soll deshalb zeigen, dass auch ein bestimmter Geruch – wie beispielsweise von Latschenkiefern oder Thymian – bei uns Gefühle hervorrufen kann, wenn wir ihn mit einem Eindruck oder einer Erinnerung verbinden.
Naturschutz wird zum Vereinsziel
Die Besonderheit des Naturraums und die Rolle als Gegenwelt sind wesentliche Gründe dafür, dass wir Natur nicht nur als Erlebnisraum, sondern auch als etwas Schützenswertes begreifen. Bereits in den 1920er Jahren sorgten mehrere Bergbahnprojekte dafür, dass sich der Alpenverein verstärkt gegen die weitere Erschließung der Bergwelt einsetzte. Den Auftakt bildete die geplante Zahnradbahn auf die Zugspitze, 1925 organisierte der Ortsausschuss der Münchner Sektionen dafür eine Kundgebung mit 4000 Teilnehmer*innen. Die Sektion Hochland sorgte indes dafür, dass das Karwendel zwischen 1924 und 1928 zum Naturschutzgebiet erklärt wurde. 1927 nahm der Alpenverein den Naturschutz als Ziel in die Vereinssatzung mit auf. Ebenfalls in den 1920er Jahren gab die Bergwacht in enger Zusammenarbeit mit dem Alpenverein ein erstes Pflanzenschutzplakat heraus. Auch nach 1945 bedeutete Naturschutz für den DAV hauptsächlich das Engagement gegen weitere Erschließungen. Höhepunkt war 1968 die Verhinderung einer Seilbahn auf den Watzmann. Vier Jahre später wurde der so genannte Alpenplan verabschiedet. Er unterteilt die Bayerischen Alpen in drei Zonen, wobei in Zone C jede weitere Erschließung durch Bahnen und Lifte verboten ist. Eine Art Aufarbeitung der eigenen Vereinsvergangenheit geschieht mit einer Fotoreihe über politisches Umweltengagement: 1986 besetzten Mitglieder der Jugend des DAV Nord einen Grenzstreifen zwischen der BRD und der DDR, um gegen Atomkraft in Ost und West zu demonstrieren. Der DAV verurteilte die Aktion öffentlich und bemühte sich, die Jugendlichen aus dem Verein auszuschließen. Zahlreiche Mitglieder verließen daraufhin aus Solidarität mit den Besetzer*innen den DAV.
Gegenwärtig ist das Thema Naturschutz und Nachhaltigkeit so bedeutend wie nie. So hat es sich das Kletterzentrum der Sektion Bremen zur Aufgabe gemacht, sich aktiv für eine lebenswerte Zukunft einzusetzen. Seit 2020 versucht es, den 17 Zielen der UN für eine nachhaltige Entwicklung gerecht zu werden und zum Mitmachen zu motivieren. Die dazugehörige Broschüre gibt es als „Give-away“ zur Ausstellung.
Ein neues Zuhause für die Berge
Das Alpine Museum des DAV auf der Münchner Praterinsel eröffnet als modernes, offenes, barrierefreies Haus mit Ausstellungen, Bibliothek, Archiv, Gastronomie und Veranstaltungsräumen im Frühjahr 2024 neu. Aktuelle Infos gibt’s im Bautagebuch auf alpenverein.de/36098.
Zur Wiedereröffnung startet auch die neu konzipierte Dauerausstellung, die inklusiv und mit vielen multimedialen sowie Erlebnis- und Mitmachstationen zeigen will, aus welchen unterschiedlichen Gründen Menschen in die Berge gehen. Damit will sie gleichzeitig für einen respektvollen Umgang untereinander und mit der Natur werben.
Die Schwerpunkte der Ausstellung wurden in Panorama vorgestellt: