Zu spezifischen Risiken beim Wandern unter winterlichen Bedingungen kommen einem vermutlich als erstes Stürze auf Eis und Schnee in den Sinn. Ein Blick auf die Zahlen von Notfällen und Unfällen der DAV-Mitglieder im Beobachtungszeitraum 2018 bis 2022 zeigt uns allerdings, dass Unfälle beim Wandern auf Grund eines Sturzes in den Monaten November bis März zu einem geringeren Anteil auftraten (36 %) als in den Monaten April bis Oktober (54 %). Notfälle auf Grund körperlicher Probleme sind im Sommer wie im Winter zu gleichen Anteilen vertreten (14 %).
Die Hauptursache für Rettungseinsätze beim Wandern im genannten Zeitraum stellen Blockierungen dar, welche im Winter mit 46 Prozent fast die Hälfte aller an die DAV-Versicherung gemeldeten Rettungseinsätze zur Folge hatten. Dabei sind die Betroffenen per Definition unverletzt, aber aus unterschiedlichen Gründen in eine für sie ausweglose Notsituation geraten. Auslöser können sein: Verirren/Versteigen, psychische Überforderung, Erschöpfung oder kein gefahrloses Weiterkommen auf Grund von Wetter oder Verhältnissen.
Meist führt eine Verkettung von Ereignissen in diese Sackgasse, in der Hilfe/Rettung von außen notwendig wird. Blockierungen lassen sich oftmals auf eine mangelhafte Tourenplanung, Unterschätzung der Verhältnisse oder der Fehleinschätzung des eigenen Könnens zurückzuführen. Mit den folgenden Kurzberichten von Betroffenen, die beim Wandern in eine Notsituation kamen und Rettung benötigten, möchten wir das Bewusstsein für Hauptrisikofaktoren sowie vermeidbare Fehlerquellen bei Wandertouren im Winter und zu Übergangszeiten stärken.
In Dunkelheit geraten
November, Tauern (Ammergauer Alpen): Beim Abstieg gerieten wir in Dunkelheit, durch die schwierigen Sichtverhältnisse kamen wir vom Weg ab und gerieten in Steilgelände, in dem kein Weiterkommen mehr möglich war.
83-mal wurde in den Wintern 21/22 und 22/23 die Bergwacht Bayern von Bergsteiger*innen und Wander*innen erst nach Einbruch der Dunkelheit (später als 18 Uhr) alarmiert. In der Bergwanderstudie des DAV gaben 24 Prozent (333 der 1386 Befragten) an, bereits einmal oder öfters ungeplant während ihrer Wanderung in Dunkelheit geraten zu sein. Für 59 Prozent von ihnen war dies eher bis völlig überraschend – die meisten sahen diese Bedrängnissituation jedoch als wenig gefährlich an. Dabei braucht es nur wenige zusätzliche Faktoren wie beispielsweise das Abkommen vom Weg, eine leichte Verletzung oder fehlende Ausrüstung (Stirnlampe!) – und die Wanderung endet in einer Notsituation. Wird dann Hilfe benötigt, sind die Bedingungen für die Einsatzkräfte erschwert und die Rettung oft zeitaufwendiger.
Viele Notfälle sind maßgeblich auf einen zu späten Start oder Unterschätzung des Zeitbedarfs zurückzuführen. Bestenfalls werden Touren deshalb mit gefühlt deutlich zu viel Zeitreserve geplant. Die verfügbare Tageszeit spielt eine wichtige Rolle bei der Tourenplanung. Gerade im Winter und in den Übergangsmonaten kostet es Überwindung, trotz morgendlicher Nässe und Kälte rechtzeitig aufzubrechen. Dabei ist dies beim Winterwandern noch wichtiger, denn die Tage sind kurz. Einer fix vereinbarten Umkehrzeit (ganz egal, wie weit man gekommen ist) kommt im Winterhalbjahr eine noch stärkere Bedeutung zu! Beim Winterwandern immer eine Stirnlampe mitnehmen! Unbedingt auf einen ausreichenden Akku/Batteriestand oder Ersatzbatterien achten, da bei Kälte deren Leistung rascher abfällt.
Schwierige Verhältnisse
November, Arzler Scharte (Karwendel): Wegen der zu hohen Schneelage, gepaart mit mangelhafter Ausrüstung, kamen wir nicht mehr weiter. Durch die fortgeschrittene Tageszeit konnten wir die letzte Gondel nicht mehr erreichen.
Aufgrund der Verhältnisse sind Wanderwege im Winter praktisch immer anspruchsvoller als im Sommer und benötigen deutlich mehr Zeit. Tourenbeschreibungen liefern in der Regel nur Gehzeiten, die sich auf gute, sommerliche Bedingungen beziehen. Wichtig: Eine geeignete Tour auswählen und sich vorab über aktuelle Verhältnisse informieren, vor Ort und durch relevante Webcams. Bei Schnee ist man meist deutlich langsamer unterwegs und muss sich beim Gehen mehr konzentrieren. Festgelegte Checkpunkte einplanen, an denen das weitere Vorankommen abgeschätzt werden kann. Wird mehr Zeit benötigt als vorab in der Tourenplanung eingeplant war, lieber frühzeitig umdrehen, da bei unvorhersehbaren Ereignissen oder schwierigeren Verhältnissen Zeitreserven benötigt werden. Hinzu kommt, dass viele Hütten in den Wintermonaten geschlossen sind. Vorab über Verfügbarkeit von Hütten, Winterräumen und Seilbahnen informieren.
Gefährliches Wetter
Januar, Jenner (Berchtesgadener Alpen): Wir waren im Aufstieg zur Hütte unweit der Seilbahnstation. Kurz vor der Hütte kam ein Orkan mit heftigem Schneefall auf. Dämmerung und Kälte verursachten eine beängstigende Situation und wir mussten die Bergwacht alarmieren.
Neben den erschwerten Tourenverhältnissen ist auch das Wetter im Winterhalbjahr ein maßgeblicher Faktor für das Gelingen einer Wanderung. Gerade die Temperaturen in den Bergen können in Kombination mit Niederschlag oder Wind schnell zu ernsthaften Situationen führen. Daher vorab mit einem auf die Höhenlage abgestimmten Wetterbericht (Beispiel: DAV-Bergwetter) über Temperatur und Windwerte informieren. Bei sonnigem Wetter daran denken, Sonnenschutz mitzunehmen, durch zusätzliche Reflexion der Schneeoberfläche ist die Sonnenstrahlung äußerst intensiv – eine gute Sonnenbrille schützt die Augen.
Orientierung
März, Mittelberg (Allgäuer Alpen): Auf dem Weg zur Hütte wurden wir von Nebel und Schneefall überrascht. Es war keine Orientierung mehr möglich, in der Folge alarmierten wir die Rettung.
Ein großer Anteil aller Rettungseinsätze (22 %) beim Wandern im Winterhalbjahr wurde aufgrund von Verirren oder Abkommen vom Weg ausgelöst. Auch bei gutem Wetter, nach wenig Neuschneefall sind Wanderwege oft nur mehr schwer zu erkennen – Wegmarkierungen verschwinden unter der Schneedecke. Außerdem werden über den Winter Wegeversicherung, Wegweiser und Zäune oftmals abgebaut.
Bei schlechtem Wetter oder Nebel kann es in einer verschneiten Landschaft zu sogenannten „Whiteouts“ kommen, die eine Orientierung nahezu unmöglich machen. Beim Vorhandensein dieser „weißen Wand“gibt es keinen Kontrast zwischen Himmel und Boden – dabei können auch Hindernisse und gefährliche Geländekanten nur noch schwer erkannt werden. Schneit oder windet es dann noch, sind vorhandene Spuren schnell nicht mehr sichtbar. Besser rechtzeitig umkehren, wenn ein Wetterwechsel vorhergesagt ist oder sich andeutet. Manche GPS-Uhren bieten eine Navigationsfunktion an, die einen entlang des Aufstiegswegs zurückführen kann („track back“-Funktion; hierfür muss aber der Track beim Hochgehen aufgezeichnet werden). Das Üben des Umgangs mit Orientierungshilfen analoger sowie digitaler Art (Karten, Apps oder GPS-Geräte) lohnt sich allemal. Wird das Handy genutzt, auf den Batteriestand achten, damit genügend Akku für den Notfall verbleibt. Tipp: Den Kartenausschnitt für die Tour sollte man sich vor Antritt der Tour aufs Smartphone laden, dann kann man es unterwegs in den Flugmodus setzen, die GPS-Ortung funktioniert dann trotzdem und man kann viel Batterie sparen.
Nützliche Tools des DAV: Bergwandercheck und Alpenvereinaktiv
Weitere Informationen zum Thema Selbsteinschätzung, Ausrüstung, Orientierung, Tourenplanung und Co. bietet der BergwanderCheck des DAV. Passende Touren finden sich auf alpenvereinaktiv.com (Filter Winterwanderung), die Planung, sowie Track und Karte für die Navigation können auf das Smartphone geladen werden.
Erschöpfung
Dezember, Kössen (Chiemgauer Alpen): Wir sind im Tiefschnee zum Taubensee aufgestiegen und haben nicht mit diesen anstrengenden Bedingungen gerechnet. Nachdem ich hüfthoch in den schneebedeckten Taubensee eingebrochen bin, war ich zu erschöpft und unterkühlt, um noch abzusteigen.
Körperliche Erschöpfung spielt bei vielen Notfallsituationen eine Rolle. In winterlichen Verhältnissen kann das Vorankommen sehr kräftezehrend sein. Bei Kälte und Schnee braucht der Körper selbst in Ruhephasen viel Energie, nur um die Körperwärme aufrecht zu erhalten. Daher, bei Wanderungen im Gebirge vor allem im Winter nicht ans konditionelle Limit gehen, sondern immer genügend Reserven für den Abstieg einplanen! Eine ausreichende Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr (Tee in Thermoskanne) ist im Winter bei Kälte noch wichtiger.
Unterkühlung
März (Mangfallgebirge): Beim Abstieg kam ich an eine vereiste Steilstufe. Der Weiterweg scheiterte, als ich unterkühlt, mit Frostbeulen an den Fingern bei einem Abbruch ankam.
Unterkühlung ist vor allem in Notfällen ein häufiges und ernstzunehmendes Problem im Winter. Ausreichend Kleidung, Erste-Hilfe-Sets mit Rettungsdecke und ein leichter Biwaksack können dann lebensrettend sein. Wind oder nasse Klamotten führen schnell zur Auskühlung. Das Mitführen mehrerer Schichten an Kleidung ermöglicht die nötige Flexibilität in Sachen Wärmemanagement. Wasserfeste Schuhe – und bei entsprechender Schneelage hohe Gamaschen und wasserfeste Hosen – sind ein Schutz gegen Nässe und kalte Füße. Außerdem gehören unbedingt Handschuhe und Kopfbedeckung als Kälteschutz in den Rucksack. Auch eine Isolierjacke aus Daune oder Kunstfaser mit kleinem Packmaß für Pausen, die Gipfelrast und etwaige Notfälle sollte im Winter immer dabei sein.
Ruhezonen/Schutzzonen
Auch Tiere haben erschwerte Bedingungen in den Wintermonaten, deshalb gelten naturschutzrechtlich oftmals andere Betretungsrechte im Gelände als im Sommer.
Stürzen und Blockierung aufgrund Absturzgefahr
Februar, Benediktenwand/Bayerische Voralpen: Im angetauten Schnee verlor ich trotz Grödel den Halt und stürzte über steiles Gelände ca. 150 Meter ab. Beide Unterarme und ein Sprunggelenk waren gebrochen.
Betrachtet man die Unfälle von DAV-Mitgliedern durch Stürze, passierte über die Hälfte (60 %) zwischen November und März auf Schnee und Eis. Bei viel begangenen Wegen bei geringer Schneelage, nach einem länger zurückliegenden letzten Schneefall oder allgemein bei stärkeren Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht findet man häufig mehr oder weniger vereiste Bedingungen vor. Auch wenig steile Passagen können zum Problem werden. Wanderstöcke können generell beim Stabilisieren im Schnee helfen und sind bei kürzeren rutschigen Passagen ein Sicherheitsplus. Handschuhe schützen nicht nur vor Kälte, sondern auch vor mechanischen Verletzungen.
Die Verwendung von Spikes/Grödel ist bei längeren oder eisigen Abschnitten definitiv ratsam, allerdings nur, wenn sie rechtzeitig angebracht werden! Aber auch Spikes und Grödel haben ihre Grenzen – sie sollten nicht dazu verleiten, Winterwanderwege oder moderate Steige zu verlassen (auf Wege ab T3 – „Anspruchsvolles Bergwandern“ nach SAC-Bergwanderskala) und sich in (wegloses) Absturzgelände zu begeben. Spätestens dann ist man beim Winterbergsteigen angelangt, das zusätzliche Anforderungen an das benötigte Material (geeignete Bergschuhe, Steigeisen!), evtl. Sicherungstechnik und Trittsicherheit stellt.
Lawinengefahr
Dezember, Königsalm (Mangfallgebirge): Ich geriet im Abstieg in steilem Lawinengelände in eine Notlage, aus der ich mich nicht selbst befreien konnte, da der reguläre Abstieg durch frisch ausgelöste Schneebretter nicht sicher war und der Rückweg durch die Schneelage und Uhrzeit nicht mehr möglich gewesen wäre.
Lawinenereignisse, bei denen Wandernde involviert sind, gibt es verhältnismäßig wenige. Laut der alpinen Unfalldatenbank des ÖKAS (Österreichisches Kuratorium für Alpine Sicherheit) gab es in Österreich in den letzten zehn Jahren elf solche Lawinenereignisse (Schneeschuhgehende ausgeschlossen). Sechs Wandernde/Bergsteigende starben dabei, weitere sechs wurden verletzt. Die Beachtung einer allfälligen Lawinengefahr ist jedoch auch vor und nach Beginn der Ausgabe des täglichen Lawinenlageberichts (meist Beginn Einschneien von mittleren Lagen im Spätherbst/Frühwinter bis Ende April/Anfang Mai) essenziell.
Die Beurteilung der Lawinensituation ist komplex und benötigt entsprechend Kenntnisse. Bei fehlender Kompetenz bezüglich Gefahrenbeurteilung von Lawinen sollten nur Wanderungen ausgesucht werden, die nicht im Gefahrenbereich liegen: Geöffnete Winterwanderwege, dichter Wald oder flaches Gelände, das außerhalb der Auslaufzonen von Lawinen liegt, zählen dazu, genauso wie Gebiete mit kaum Schnee. Lawinen sind äußerst unwahrscheinlich, wenn der Untergrund nur leicht von Schnee bedeckt ist und Grashalme und kleinere Steine noch zu sehen sind. Dies kann allerdings durch Windverfrachtungen wenige hundert Meter weiter anders aussehen! Vor allem während und kurz nach (1-3 Tage) größeren Neuschneefällen über 15 Zentimeter sind Wanderwege unterhalb von Steilgelände zu meiden, da auch flache Wegabschnitte im Auslaufbereich von Spontanlawinen liegen können.
Wandern im Frühjahr
Im Frühjahr gewinnt die Sonne zunehmend an Kraft, in den Hochlagen hält sich der Schnee jedoch noch lange, schattseitig auch bis in niedrigere Lagen. Wechselnde Verhältnisse durch starke tageszeitliche Temperaturschwankungen werden zur Herausforderung. Die Schneedecke durchfeuchtet tagsüber, gefriert in klaren Nächten wieder und bildet eisige Schichten. Das Überqueren von Schneefeldern ist morgens und in schattigen Wegabschnitten schwierig und risikoreich. Ein Ausrutschen in hartem Schnee kann kaum abgebremst werden. In 40 Grad steilen Altschneefeldern erreicht man in kurzer Zeit annähernd Fallgeschwindigkeit!
Bestenfalls Wanderungen ohne oder mit kaum Schnee auswählen, bereits kleine Abstecher in die Schattenseiten bringen häufig gänzlich andere Verhältnisse mit sich. Vorab helfen Webcams und Internetportale wie alpenvereinaktiv.com beim Überblick über die Schneelage am Berg in den verschiedenen Expositionen. Beim notwendigen Queren von Schneefeldern die Konsequenzen durch Abrutschen (Auslaufzonen) bedenken und im Zweifel lieber umdrehen! Die Lawinengefahr ergibt sich im Frühling hauptsächlich durch die Durchfeuchtung der Schneedecke und den damit möglichen Nassschneelawinen, die mitunter enorme Ausmaße annehmen und auch in tiefe, flachere Lagen vordringen können. Typische Lawinenstriche sind Rinnen und Bachläufe mit geringer oder ausschließlich junger Vegetation, aber auch steile Böschungen über Steigen und Waldwegen. Am besten meiden oder zügig queren!
Fazit
Winterwandern von Herbst bis ins Frühjahr hinein bietet einen interessanten, meist weniger frequentierten Kontrast zum Wandern im Sommerhalbjahr. Eine adäquate Tourenplanung samt passender Tourenauswahl und Ausrüstung sowie ein selbstverantwortlicher Umgang mit dem erhöhten Risikopotenzial sind die Voraussetzung dafür. So lassen sich Blockierungen oder schwerwiegende Verletzungen bei einem Absturz verhindern und man ist sicher im winterlichen Gebirge unterwegs.