Konfetti liegt in den Rillen zwischen den Pflastersteinen in der Fußgängerzone von Limone Piemonte. Amüsiert beobachte ich von der Terrasse, wo ich vor der Heimfahrt einen „Caffè macchiato“ trinke, Kinder, die in fantasievollen Verkleidungen herumtollen und auch mal Menschen im Vorbeigehen mit bunten Papierschnipseln eindecken. Dann zieht die laute Bande weiter, und mein Blick geht in die andere Richtung: auf die in der Nachmittagssonne glänzende Cima della Fascia 1500 Meter weiter oben, wo wir am Tag zuvor eine unvergessliche Skitour unternommen haben.
Als ich das Valle Vermenagna endgültig verlasse, spüre ich die Cima della Fascia immer noch in meinem Rücken. Eine Woche zuvor, bei der Einfahrt ins Tal, hatte ihre Nordwestflanke schon geleuchtet, ebenso von den rassigen Skipisten von Limone aus, wo ich zur Einstimmung ein paar Stunden verbrachte. Inzwischen ist die Hoffnung, die steile Flanke befahren zu können, Wirklichkeit geworden.
Skitouren in den Seealpen sind beliebt, etwa im Valle Stura. Erstaunlich wenig bekannt sind die Möglichkeiten des Valle Vermenagna. Dabei bietet es vielfältige Aufstiege bis 1500 Höhenmeter und Abfahrten über schattige Pulverhänge auch in ein anderes Tal, womit sich tolle Rundtouren ergeben. Limone Piemonte selbst ist ein lebendiger Tourismusort. Wir sind im Hotel Edelweiß daheim: fest in Frauenhand, wird es in dritter Generation geführt von den Schwestern Arianna und Roberta Dalmasso und ihrer Mutter. Ariannas Ehemann Alessio Cerrina, Bergführer und Weinkenner, hat alle Tipps zu den Skitouren, aber auch zu den berühmten Weinen der Region – und so kosten wir uns von Barbera zu Barolo durch.
Ebenso genüsslich verkosten wir auch die Touren des Tals. Zum Auftakt steigen wir über sonnige Osthänge zum Monte Ciotto Mieu auf. Dort die erste Überraschung: Wir fahren nach Norden ab – in schönstem Pulver! Die Tour endet im Weiler Tetto Folchi, wo uns Alessio, dieses Mal in der Rolle als Taxifahrer, mit seinem Kleinbus erwartet.
Am nächsten Tag geht es zur Rocca dell’ Abisso, den mächtigen Berg an der Grenze zu Frankreich, auf den ich besonders gespannt bin: Von seinem Gipfel aus sollten wir bei guter Sicht das Mittelmeer sehen! Beim abwechslungsreichen Aufstieg beeindrucken aber zuerst einmal die vielen Befestigungsanlagen auf dem Grenzkamm. Sie schützten einst den Colle di Tenda, den Pass zwischen beiden Ländern. Die Schlüsselstelle an der Rocca dell’Abisso ist ein kurzes, steiles Couloir, das wir mit aufgebundenen Ski und Steigeisen überwinden. Dann ist es soweit – freie Sicht aufs Mittelmeer! Aus den Wolken, die sich sanft über die Wasserfläche betten, ragen die höchsten Berge der Inseln Korsika und Elba heraus. Ich schaue, staune und genieße.
Auch vom Vorgipfel des Ciamossè, nach dem Aufstieg über einmal mehr sehr warme Osthänge, erwartet uns eine landschaftlich einzigartige Abfahrt: Hinunter ins Vallone degli Alberghi sieht man zwar nicht das Mittelmeer, aber mächtige Gneisblöcke und am rechten Talhang einen beeindruckenden Latschenkiefernwald, dessen Grün das Weiß des Schnees gegenüber betont. Zuletzt fahren wir auf einer Forststraße bequem nach Palanfrè, wo wir im Hofladen der Azienda Agricola Isola „Tomini“ und andere herrliche Käse kaufen.
Und schließlich die Cima della Fascia. Eigentlich unglaublich, dass dieser Gipfel und das Valle Vermenagna bei auswärtigen Skitourenfans nicht bekannter sind. Nach dem Aufstieg durch das wunderschöne Valle del Cros und die Rinne des „Canalino Nord“, wo wir die Ski kurz aufbinden, meint unser Bergführer Jonas: „Kein Wunder, dass dieser Gipfel hier als Klassiker gilt!“ Der Boden rund um sein Kreuz ist aper, das Gras strohgelb. Wir fläzen uns hin und tanken Sonne und Ruhe, bevor wir in die große Flanke einfahren – ein Traum: rund 500 Höhenmeter mit einer regelmäßigen Steilheit zwischen 30 und 35 Grad und dem Blick gerade hinunter auf den Dorfkern von Limone! Die Tour beschließen wir mit einem Bier auf dem Dorfplatz. Dazu gibt es leckere Häppchen, die in Italien ungefragt mitserviert werden. Ich fasse für mich zusammen: Sicht und Licht, Hänge und Gelände, Wein und Sein. Und alles von erster Güte. Die Seealpen haben längst ihren festen Platz in meinem Herzen.