"Pass auf, dass nichts wegfliegt"
Mitte März ging es für einen Spezl und mich für ein Skitourenwochenende auf die Amberger Hütte. Der Aufstieg Freitagabend bei sternenklarer Nacht tröstete etwas darüber hinweg, dass wir keinen Neuschnee fürs Wochenende bekommen hatten.
Samstagmorgen, für meine Begleitung nicht früh genug, ging es los Richtung Schrankogel. Das Sulztal entlang, die Stubaier Gipfel im Blick, der Himmel blau. Es war das erste Mal für mich, ein Tourenwochenende selbst mit zu planen. Erleichterung machte sich bald in mir breit, denn der Routenverlauf war logisch. Früher als gedacht spannten wir auf dem Weg zum Gipfel die Ski an den Rucksack, da wir den südöstlichen Gipfelgrat aufsteigen und die Nordostflanke hinab fahren wollten. Bergauf mit Steigeisen und Pickel fühle ich mich tatsächlich pudelwohl. Wer liebt das Gefühl nicht, sich den Berg Schritt für Schritt bergauf zu erarbeiten, um nachher hinab zu sausen?
Geschichten von draußen
Immer wieder schicken uns DAV-Mitglieder und andere Bergbegeisterte E-Mails mit tollen Geschichten und Erlebnissen von draußen in die Redaktion. Es sind Geschichten aus den Bergen oder anderswo in der Natur. Mit der Online-Rubrik "Geschichten von draußen" schaffen wir eine Möglichkeit, all diese Geschichten und Erlebnisse zu teilen. Und alle, die lieber lesen als schreiben, finden hier Unterhaltung, Inspiration und vielleicht schon Planungsgrundlagen für die eigene nächste Tour. Die Geschichten ersetzen keine individuelle und sorgfältige Tourenplanung.
Du hast auch eine Geschichte? Dann schick sie gerne an dav-panorama@alpenverein.de.
Gegen Ende jedes Jahres wird über die besten Geschichten abgestimmt – die Autor*innen der Gewinner-Storys dürfen sich über einen tollen Gutschein freuen.
So weit so gut. Scherzhaft sagte ich bei der Pause noch „Pass auf, dass dir nichts wegfliegt“, denn wer kennt sie nicht die Angst beim Abfellen, dass etwas verloren geht? Und ehe wir uns versahen, rutschte meinem Spezl die gefüllte Felltasche über das ausgesetzte Gelände ostwärts bergab.
Schockmoment und Schneegrat
Einen klaren, kurzen Schockmoment später, setzten wir die Tour fort. Klar, dass der zweite Gipfel nun ausfallen und am Sonntag keine Tour mehr stattfinden konnte. Das Beste kam aber gleich darauf, und half über den tragischen Verlust hinweg: ein schöner kurzer ausgesetzter Schneegrat zum Gipfel – wie ich sowas liebe! Ganz allein am Gipfel des Schrankogels, mitten in den verschneiten Alpen, auf 3497 Metern, ein 360°-Panorama…
Der Plan war nun, die Nordostflanke kurz hinab zu steigen und abzufahren. Als wir aber erkannten, dass der Schneemangel die Flanke wesentlich steiler machte, wurde mir etwas anders. Langsam stiegen wir viel weiter als geplant ab, mit Steigeisen und Pickel, das Gesicht zum weichen Pulverschnee. Einmal hatte ich nackten Fels unter der Frontzacke meiner Steigeisen, rutschte ohne Halt ab. Da bekam ich es mit der Angst zu tun. Kurz mental gesammelt und mich selbst beruhigt, zum Glück hat alles geklappt.
Retrospektiv würde ich lieber den gleichen Weg zurücknehmen und auf Nummer sicher gehen. Die Abfahrt anschließend war richtig erleichternd und wir machten uns Gedanken, was wir nun mit dem Sonntag ohne Felle anstellen sollten. Die Felltasche, nach der wir natürlich Ausschau hielten, blieb leider am Berg. Alleine auf Tour gehen, kam für mich nicht in Frage. Ebenso ernüchternd wäre es gewesen, am selben Tag noch abzureisen. Kurz beim Hüttenwirt nachgehakt, ob vielleicht Felle übrig geblieben sind, bekam mein Spezl eine Kiste voll zur Verfügung. Da war manch historische Rarität dabei. Jedoch wollte keines so wirklich passen. So verlieh der Hüttenwirt kurzerhand seine Felle, die passten. Überrascht und dankbar, dass es solch Großzügigkeit und Vertrauen noch gibt, konnten wir am Sonntag die Kuhscheibe in Angriff nehmen.
Über die Autorin
Mein Name ist Judith und ich bin 28 Jahre alt. In den Bergen bin ich so richtig erst seit 2018 unterwegs, als ich an den Alpenrand gezogen bin. Da ich leider – oder vielleicht zum Glück – in meiner Kindheit außer zum Skifahren nicht in die Berge kam, genieße ich es heute umso mehr. Nach der Arbeit an meinen Hausberg zu gehen, bringt mich runter und hält gesund – mental und körperlich. Seit ich die Skitouren für mich entdeckt habe, fallen mir im Sommer lange Abstiege echt schwer. Denn man weiß, wie schnell und leicht man im Winter bergab kommt.
Hinweis der Redaktion
Die Skitour auf den Schrankogel ist nur erfahrenen und sehr sicheren Personen zu empfehlen! Obwohl der Anstieg über den Ostgrat nicht schwierig ist, sind Steigeisen auf jeden Fall zu empfehlen. Ob für die Gletscherberührung eine Hochtourenausrüstung (Seil, Gurt etc.) mitgenommen wird, muss jede*r selbst entscheiden. Bei der direkten Abfahrt über die Flanke hat ein Sturz fatale Folgen, da unterhalb ein Felsriegel abbricht. Alle Infos zur Tour gibt es auf alpenvereinaktiv.com.