Eine holzverschindelte Berghütte.
Auf dem Kreuzeck-Höhenweg kommt man auch an der Feldnerhütte vorbei. Foto: Volker Scharf
Fünf Tage für Fortgeschrittene

Unterwegs auf dem Kreuzeck-Höhenweg

„Eine Gegend für fortgeschrittene Wanderer, denen Gras, Steine und Wasser reichen“, so lautete eine Zwischenüberschrift im Artikel über den Kreuzeck-Höhenweg im „Panorama“ des DAV, Heft 4/2014. – Die Kreuzeckgruppe schien genau das zu bieten, was ich suchte: Eine schöne, natürliche Berglandschaft mit stillen Wegen ohne Massen von Menschen mit der Möglichkeit einer anspruchsvollen alpinen Mehrtagestour.

Seit dem Erscheinen des Heftes lag diese Ausgabe in meiner Schublade, immer wieder mal hervorgeholt, um den Artikel erneut zu überfliegen. Doch eine konkrete Planung für diese Mehrtagestour gelang aus verschiedenen Gründen nicht. Im Frühjahr 2024 war es endlich soweit: auch mein Sohn hatte Lust auf die Wanderung und so buchten wir für den Juli Zugfahrkarten und Unterkünfte.

Start mit Spezialtarif

Nach langer Anreise mit der Bahn von Hannover nach Mallnitz und Weiterfahrt per Bus erreichen wir Obervellach, wo wir übernachten. Am nächsten Morgen geht es mit dem Linienbus nach Kolbnitz, um mit der Kreuzeckbahn, einer Schräg-Standseilbahn, auf 1200 Meter Höhe zu gelangen. Wir sind die Letzten in der Schlange für die Bahn um 9 Uhr. Der Kassierer sieht unsere Rücksäcke und fragt „Kreuzeckhöhenweg? Dann 10 Euro je Person“ – Spezialtarif für Wanderer. Dann sorgt er dafür, dass wir noch in die kleine Bahn hineingequetscht werden.

Der erste Wandertag führt vorbei an teilweise bewirtschafteten Almhütten durch den Wald hinauf zur Abzweigung Richtung Salzkofelhütte (1978m) und zum Kleinen und Großen Salzkofel. Da wir früh gestartet sind, wählen wir den Gipfelweg. Doch wenn man direkt aus dem flachen Norden Deutschlands kommt, lange keinen schweren Rucksack getragen hat und die Sonne brennt, wird der Anstieg schwer. Der Kleine Salzkofel mit 2222 Metern bietet eine tolle Aussicht. Den Großen Salzkofel lassen wir allerdings rechts liegen und steigen direkt zur urigen Hütte ab und genießen die Sonne vor der Hütte.

Unterwegs auf einsamen Pfaden. Foto: Simon Scharf

Nachdenklich

Vier Wanderer, die von der Feldnerhütte kommen, berichten von einem Bergunfall. Ein Mann sei direkt vor ihnen an einer ausgesetzten Stelle abgestürzt. Einer der vier hätte noch versucht, ihn zu halten, doch gelang es ihm nicht. Die Rettung erfolgte per Hubschrauber. Zum Glück kam der Mann mit leichten Verletzungen davon. Trotzdem macht mich dieser Bericht nachdenklich: Wie gefährlich ist der Weg? Bin ich fit und sicher genug?

Nach einem Ausflug zum Mobilfunkplatz und zur Waschstelle nahe der Hütte beschert uns die sehr gut geführte Salzkofelhütte ein leckeres Abendessen; dann gehen wir früh schlafen. Das Zimmer teilen wir mit zwei jungen Österreichern. Während sie sich am nächsten Morgen schon sehr früh auf den Weg machen, brechen wir nach einem Hütten-Porridge um Viertel vor Acht auf. Nach uns folgt noch eine 14-köpfige Wandergruppe aus Ungarn; wie wir wollen sie in den nächsten Tagen den Kreuzeck-Höhenweg gehen.

Strammer Aufstieg

Gleich nach dem Start flößt uns eine Herde dunkelbrauner Kälber Respekt ein, doch schließlich machen sie bereitwillig Platz. Bald darauf beginnt ein strammer Aufstieg. T-Shirt und kurze Hose reichen als Bekleidung, denn wir kommen ordentlich ins Schwitzen. Mein Sohn mit seinen 27 Jahren ist natürlich schneller als ich mit 60, dennoch bilden wir ein gutes Team. Nach dem Anstieg zur Goldgrubenscharte (2448m) – hier irgendwo muss sich der Unfall am Vortag begeben haben – folgt eine lange Querung des Talabschlusses bis zum nächsten Aufstieg, der zum höchsten Punkt der Etappe führt, der Annaruhe mit 2508 Metern. Sonnenschein und Wolken wechseln sich und ab und wir verfallen auf dem langen Weg bis zur Feldnerhütte, die weit hinten im Tal zu sehen ist, in einen monotonen Trott, der die Gedanken über Gott und die Welt fließen lässt. Die einzigen Begegnungen an diesem Tag haben wir mit drei entgegenkommenden Tourengehern und mit den beiden Österreichern, denn bei Pausen überholen wir uns immer wieder gegenseitig.

Nach 6½ Stunden erreichen wir die Feldnerhütte (2182m). Ein schmackhafter Eintopf lässt die Lebensgeister erwachen. Wir haben Glück und können ein 3-Bett-Zimmer zu zweit beziehen. Im Waschraum gibt es sogar warmes Wasser. Mein Sohn nimmt aber tatsächlich noch ein Bad im See hinter der Hütte. Ich traue mich nicht ganz ins eiskalte Wasser rein.

Auf dem Kreuzeck-Höhenweg: nahe der Goldgrubenscharte. Foto: Volker Scharf

Post aus der Stille der Berge

Auch auf der Feldnerhütte ist alles gut organisiert. Die Spaghetti am Abend mit Fleischsoße oder vegetarischer Variante, die wir wählen, sind lecker und vor allem: Es gibt einen Nachschlag. Am Abend schreiben die beiden Österreicher Postkarten. Wir erfahren, dass auf der Etappe zur Hugo-Gerbers-Hütte der höchste und einsamste Briefkasten Kärntens zu finden sein soll. Ein weiteres Highlight auf der Königsetappe? Die beiden jungen Männer planen für den nächsten Tag, bis zum Anna-Schutzhaus zu laufen und damit zwei Tagestouren an einem Tag zu bewältigen. Diesen Ehrgeiz und vor allem diese Kraft haben wir nicht.

Der Aufstieg zum Glenktörl (2450m) am nächsten Morgen beginnt in Wolken. Am Wegrand sitzt ein großer Frosch im feuchten Gras. Mein Sohn fordert mich auf, ganz still zu sein: wir lauschen und hören nichts, absolut nichts. Nach zwei Minuten setzen wir unseren Weg fort. Nur das Klackern meiner Wanderstöcke und das Geräusch der Schuhe auf dem Weg durchbricht diese völlige Stille.

Auf dieser Tagesetappe folgen wir schmalen Wegen und sehen Berge und Täler durch die Wolken brechen. Kleine Seen schimmern unter uns, einsame Berghänge und steile Felsen begleiten uns. Unterwegs stoßen wir auf den Briefkasten am Kirschentörl – tägliche Leerung im Sommer bis auf wenige extra vermerkte Tage. Wer denkt sich so was aus und wer holt die Post ab? Anschließend überschreiten wir den höchsten Punkt der Tour, das Hochkreuz (2709m). Wir treffen auf Schafherden. Die einzigen Menschen, denen wir heute begegnen sind drei entgegenkommende Wanderer weit hinter dem Schwarzwandkopf.

Nahe der Schwarzwände. Mehr Schafe als Wandernde – es ist ruhig auf dem Kreuzeck-Höhenweg. Foto: Volker Scharf

Outdoor-Dusche und Regen

Die Hugo-Gerbers-Hütte ist wunderschön auf 2347 Metern gelegen. Wasser muss aus einer Quelle 70 Meter hinter der Hütte geholt werden. Eine „Outdoor-Dusche“ befindet sich entwa 250 m entfernt – eiskalt, aber herrlich erfrischend. Auf dem Rückweg zur Hütte stolpern wir fast über ein Murmeltier, das sich gerade einen Bau direkt am Weg buddelt und das sich genauso erschrickt wie wir.

Die Hütte wird wochenweise von ehrenamtlichen Alpenvereinsmitgliedern betreut. Bei uns sind gerade fünf junge Frauen im Einsatz, die alles prima im Griff haben. Die Hütte ist sehr klein, der Gastraum gemütlich eng, das Trockenklo gewöhnungsbedürftig. Mit uns beiden, der Gruppe aus Ungarn und einer vierköpfigen Familie sind alle Schlafplätze belegt. Mit der Familie, die einen Ruhetag auf der Hütte macht, kommen wir ins Gespräch: Eltern und zwei Jungen im Altern von acht und zehn Jahren. Sie machen die gleiche Tour wie wir, hatten am Vortag die Etappe von der Feldnerhütte absolviert und dabei sogar den Kreuzeck-Gipfel mitgenommen.

Im Sommer wird die gemütliche Hugo-Gerbers-Hütte von ehrenamtlichen Vereinsmitgliedern bewartet. Foto: Simon Scharf

Nachts prasselt der Regen auf die Hütte, es blitzt und donnert. Die Wettervorhersage veranlasst die ungarische Gruppe, am nächsten Morgen sehr früh aufzubrechen. So sind wir mit der Familie und dem Hüttenteam ab 7 Uhr bei einem guten Frühstück allein und brechen eine halbe Stunde später auf. Wir füllen noch die Trinkflaschen an der Quelle und beobachten einen Alpensalamander, der sich quer durch eine kleine Regenpfütze, Überbleibsel vom nächtlichen Gewitter, kämpft. Die beiden Jungs ziehen mit ihren Eltern kurz vor uns los. All ihre Rücksäcke sehen nicht groß aus, aber sie scheinen Raumwunder zu sein: Klamotten für fünf Tage, Sicherungsmaterial (die Eltern hatten ihre Kinder an den ausgesetzten Stellen ans Seil genommen), Trinkflaschen, Verpflegung und sogar Spiele. Am „leichten Gepäck“ kann ich noch arbeiten!

„6 Stunden“ steht auf dem Wegweiser zum Anna-Schutzhaus. Die Route führt an steilen Hängen vorbei, quert zerfurchte Kare und grasige Hänge mit bunten Alpenblumen, führt über aussichtsreiche Bergrücken und trifft auch auf ein Gipfelkreuz am Zietenkopf (2483 m). Immer wieder reißen die Wolken auf und gewähren Blicke auf die umliegende Bergwelt.

Geschafft!

Auf dem Anna-Schutzhaus (1992m) gönnen wir uns erst einmal ein frisches Bier und Käsespätzle. Dann faulenzen wir den Nachmittag auf der schönen Hütte, nutzen die warme Dusche und freuen uns, den Kreuzeck-Höhenweg geschafft zu haben. Bei eine Spielrunde Uno Flip mit der Familie bin ich dabei und erfahre noch einiges von den beiden Jungs über deren Sicht auf die Welt. Besondere Beachtung findet bei den Beiden ein biertrinkender Mountainbiker, der zunächst nicht ins Tal fahren will, weil es zu heiß ist, dann nicht fahren will, weil es zu nass ist, denn es beginnt zu regnen und über den Lienzer Dolomiten zucken Blitz und Donner. Wir denken alle, er sollte nicht fahren, weil er zu betrunken ist. Ob er später doch noch den Weg ins Tal gefunden hat oder irgendwo in der Hütte die Nacht verbracht hat, weiß ich nicht.

Um per Bahn Hannover zu erreichen, müssen wir früh absteigen. Wir verlassen bereits gegen sieben am Morgen das Quartier und steigen nach Dölsach 1300 Höhenmeter ab. Nach langer Fahrt mit S-Bahn, EC und ICE erreichen wir abends Hannover.

Fazit

Während der insgesamt fünf Wandertage begegneten wir nur wenigen Menschen. An den vier Hütten trafen sich die Höhenweg-Geher. Die Beschreibung von 2014 stimmt für die Hütten noch immer: Es gibt etwa 20 Schlafplätze in jeder Unterkunft. Ohne Reservierung sollte man die Tour auf keinen Fall machen und vor allem auch genug Bargeld mitnehmen.

Auf allen Hütten stimmte die Organisation. Die Wirtsleute führten ihren Betrieb sehr gut, es gab schmackhaftes Essen, aber natürlich wenig Auswahl (abgesehen vom Anna-Schutzhaus). – Es sind eben echte Bergsteigerhütten.

Aufgefallen ist mir, dass alle Wanderer eine gute Ausrüstung hatten. Ich habe nur gute, feste Bergschuhe gesehen. Der Weg ist geeignet für erfahrene Wanderer mit Trittsicherheit, die einsame Wege mögen. Mit sechs Stunden Gehzeit je Tag muss man rechnen, wer mehr will, kann noch Gipfel mitnehmen. Alternative Routen für die einzelnen Tage gibt es nicht, das heißt, notfalls bleibt nur der Abstieg ins Tal.

Unterwegs in der unberührten Hochgebirgslandschaft der Kreuzeckgruppe. Foto: Volker Scharf

Über den Autor

Volker Scharf, Jahrgang 1964, ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder; er lebt in Hemmingen bei Hannover und arbeitet in der IT-Branche. Mit sieben Jahren lernte er die Alpen kennen, denn ab 1971 verbrachte er über viele Jahre den Sommerurlaub mit seinen Eltern und Geschwistern in Pfafflar in den Lechtaler Alpen. Seitdem zog es ihn immer wieder in die Berge und er unternahm viele Wanderungen in verschiedenen Alpenregionen, in jüngster Zeit meist Hüttentouren mit Freunden und seinem Sohn.

Der Autor auf dem Kreuzeckhöhenweg. Foto: Simon Scharf

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