Blick auf Bergsee mit felsigen Gipfeln
Durch den Triglav Nationalpark geht es zu Anfang der Tour auf der Via Alpina. Foto: Frank Eichmann
Via Alpina von Triest nach Monaco

2.600 Kilometer über den Alpenhauptkamm

Wird es wirklich wahr? Das Fieber einer weiteren Fernwanderung hatte mich gepackt! Schon nach dem Jakobsweg, den ich im Jahr 2010 gegangen bin, war es mein sehnlichster Wunsch einen weiteren Fernwanderweg zu absolvieren. Anfang Juni 2022 war es dann so weit. Ich hatte mich für die Via Alpina entschieden.

Von: Frank Eichmann

Die Via Alpina besteht aus fünf internationalen Fernwanderwegen: dem violetten, dem gelben, dem blauen, dem grünen und dem roten. Sie unterscheiden sich in Führung und Länge erheblich. Entschieden hatte ich mich für den längsten, den roten Weg. Dieser führt auf 161 Etappen über den Alpenhauptkamm durch acht Staaten – von Triest in Italien, über Slowenien, Österreich, Deutschland, Liechtenstein, die Schweiz und Frankreich bis nach Monaco. Dies hieß einmal für vier Monate abschalten - keine E-Mails, keine Telefonate mit Mandanten oder Nachrichten. Nur die Berge, die Natur und ich. Auf etwa 2.600 Kilometern und ca. 140.000 Höhenmetern – jeweils hoch wie runter – den größten europäischen Naturraum mit einer einzigartigen Fauna und Flora genießen. Ein Weg, der mich insgesamt 44-mal die Landesgrenzen überschreiten lässt.

Meine eigentliche Vorbereitung bestand darin, dass ich mir Informationen über den Weg im Internet gesucht und kurz vor dem anvisierten Start, alle Etappen heruntergeladen und offline gestellt hatte.

Der Einstieg – Slowenien

Der Start am 3. Juni in die Via Alpina war zunächst misslungen. Mein Rucksack wurde mit zwei Tagen Verspätung nach Triest eingeflogen, mit den ersten Schritten auf dem Weg fing es an zu regnen und das Refugio am Ziel der ersten Etappe hatte keine freien Betten. So musste ich die erste Nacht im Zelt verbringen. Nicht, dass ich etwas gegen eine Zeltübernachtung einzuwenden gehabt hätte, aber es musste als fast 57-Jähriger nicht schon am ersten Abend sein. Familie und Freunde dachten ohnehin, lass ihn mal losziehen, in vierzehn Tagen ist er wegen fehlender sportlicher Vorbereitung wieder zu Hause. Was würde mich an Überraschungen bei dieser langen Wanderung durch Slowenien, Italien, Österreich, Deutschland, Lichtenstein, Schweiz, Frankreich und Monaco noch erwarten?

Am zweiten Tag überschritt ich dann die Grenze nach Slowenien. Slowenien war mir durch meine Leidenschaft für das Fliegenfischen schon etwas bekannt. Auch wenn ich das Soča-Tal mit seinem gleichnamigen Fluss, der meiner Ansicht nach wohl schönste Fluss Europas, daher schon kannte, hat Slowenien noch einiges mehr an Natur zu bieten – schöne Gebirgszüge und wunderschöne Wälder. Über siebzig Prozent der Landesfläche sind bewaldet. Natur pur! Am späten Nachmittag des dritten Tages bei der Höhlenburg Predjama angekommen, war es ein faszinierender Anblick. Die Suche nach einer Unterkunft war aber leider erfolglos. Es blieb nur der unterhalb der Burg gelegene Holz-Shelter zum Schlafen und der angrenzende Bach zum Waschen. Meine Devise für die Via Alpina „ruhig bleiben und alles auf dich zukommen lassen“ wurde schon jetzt bestätigt.

Faszinierend: die Höhlenburg Predjama auf dem slowenischen Teil der Via Alpina. Foto: Frank Eichmann

Der Morgen begann bei herrlichem Wetter. So stand dem Vorhaben, auch heute wieder zwei Etappen mit insgesamt 33 Kilometer zu wandern, wettertechnisch nichts im Wege. Der mit über 1.100 Höhenmeter zu bewältigende Anstieg zum Gipfel des Crna Prst und der Berghütte Dom Zorka Jelinčiča war sehr anstrengend. Immer wieder in meinen Stöcken hängend, hechelte ich nach Luft. An der Kondition galt es noch zu arbeiten. Während des letzten Wegabschnitts zur Berghütte wurde der Wind immer stärker und als die Hütte dann erreicht war, war es geradezu stürmisch und nasskalt. Der Wind pfiff durch die Ritzen der Hütte, also eigentlich kein Wetter um weiterzuwandern. Dennoch entschieden der 21-jährige Via-Alpina-Abenteurer aus der Schweiz Juri, den ich unterwegs kennengelernt hatte, und ich weiterzugehen. Der Wind blies uns um die Ohren und wegen des peitschenden Regens, der uns direkt ins Gesicht schlug, konnten wir kaum die Augen offenhalten. Der Pfad war an einigen Stellen sehr schmal und schon jetzt schüttelte uns der Wind so dermaßen durch, dass wir wirklich Mühe hatten, nicht den Abhang hinunterzustürzen. Als diese Passage mit zittrigen Knien geschafft war, hockten wir am Beginn des Gratweges. Der Wind wurde immer stärker und hatte fast Orkangeschwindigkeit. Yuri versuchte aufrecht die ersten Schritte Richtung Grat und wurde direkt mit seinem Rucksack vom Wind zu Boden geworfen. Die Gratwanderung war viel zu gefährlich, zurück zur Hütte aber auch keine Option. Wir beschlossen daher, die eigentliche Route der Via Alpina zu verlassen und uns talabwärts einen Weg zu suchen. Der Einstieg in den etwa 880 Quadratkilometer großen Triglav Nationalpark war somit kein einfacher. Hier in unmittelbarer Nähe zu den Julischen Alpen wurde der Weg durch Slowenien mit jedem Schritt schöner. Eingebettet in großartige Natur, umgeben von traumhaften Gebirgszügen – einfach ein Augenschmaus.

Der Karnische Höhenweg

Nachdem Yuri wegen Schmerzen im Schienbein zunächst aufgeben musste, schritt ich alleine über die Grenze zu Österreich und hatte bald darauf den Karnischen Höhenweg erreicht, der immer wieder von Österreich nach Italien und zurück wechselt. Der Karnische Höhenweg (KHW 403) beginnt in Thörl-Maglern und verläuft entlang der Staatsgrenze zwischen Italien/Österreich durch die Regionen Venetien, Friaul-Julisch Venetien, Osttirol und Kärnten auf etwa 150 Kilometern bis zur Sillianer Hütte, dem Beginn der Dolomiten. Ein wirklich sehr schöner Weg mit einer guten Hütten-Infrastruktur. Wenn er auch ein Höhenweg ist, so sind doch die absolvierenden Höhenmetern nicht zu unterschätzen (ca. 8.400 Hm im Auf- und 8.900 Hm im Abstieg).

Rast am Karnischen Höhenweg. Foto: Frank Eichmann

Südtirol und die Dolomiten – ein kurzes Vergnügen

Die Sillianer Hütte noch nicht erreicht, war der erste wirkliche Blick auf die Dolomiten frei. Mein Herz schlug höher, als ich die ersten schroffen Gebirgszüge erblickte. Dieses Gebirge ist immer wieder aufsehenerregend und von wilder Schönheit. Die Vorfreude auf die beiden kommenden Tage war groß. Leider verläuft der rote Weg der Via Alpina nur etwa zwei Tage durch die Dolomiten und damit viel zu kurz. Gerne hätte ich längere Zeit in Südtirol verbracht – ein schönes Fleckchen Erde.

Die Drei Zinnen in den Dolomiten – immer wieder faszinierend. Foto: Frank Eichmann

Tirol über Karwendel, Wetterstein ins Allgäu

So gings ins ebenfalls schöne Zillertal. Ein besonders toll angelegter Weg vom Pfitscherjochhaus bis Ginzling und weiter nach Finkenberg. Den weiteren Weg zur Rastkogelhütte werde ich lange nicht vergessen - es sollte der schrecklichste Aufstieg der bisherigen Via Alpina werden.

Der Ausblick entlohnt für die Mühen beim Aufstieg zur Rastkogelhütte. Foto: Frank Eichmann

Die Wolken wurden immer dunkler, es regnete, den halben Weg bereits hinter mich gebracht, immer stärker. In der Ferne war Donnergrollen zu hören und ich beschleunigte meinen Schritt in der Hoffnung, vor dem herannahenden Gewitter die Hütte zu erreichen. Ich war zu langsam oder das Gewitter zu schnell. Also nahm ich die Beine in die Hand und lief mit meinem etwa sechszehn Kilo schweren Rucksack in Richtung Hütte. Noch nie in meinem Leben war ich mit so viel Gepäck auf dem Rücken so schnell unterwegs.

Die Via Alpina folgte nun durch das Karwendel- und Wettersteingebirge bis nach Oberstdorf ins Allgäu – ein bezaubernder Wegabschnitt. Allerdings war dieser Teil der Via Alpina auch ein sehr schweißtreibender. An einigen Tagen zeigte das Thermometer bis zu 37 Grad. Schon zu Anfang des letzten Aufstiegs zum Prinz-Luitpold-Haus war nach 28 zurückgelegten Kilometern mein Körper ausgelaugt, ich war entkräftet. Immer noch waren aber etwa 12 Kilometer und ein 1.000 Höhenmeter Anstieg zu bewältigen. Dort angekommen, wurde mir flau im Magen. Die heutige Strecke in praller Sonne war einfach zu viel. Der Körper sagt irgendwann: „NEIN, bis hier hin und nicht weiter.“

Die schöne Schweiz

Von Liechtenstein (Gafadura-Hütte und Malbun) führte der Weg dann in die Schweiz. Die Wegführung der Via Alpina durch die schönen Regionen mit Graubünden, dem Tessin, dem Wallis und dem Berner Oberland gehörten ebenfalls zu den Highlights dieser Tour. Das Tessin mit seinen Steinhäusern und tiefen Tälern, das Wallis mit seinen Holzhäusern, der Alteschgletscher, der schroffen Bergwelt und nicht zuletzt das Berner Oberland mit seinem Grün – einfach himmlisch. Auch die Menschen, auf die ich in der Schweiz getroffen bin, hatten wohl ein Faible für Fernwanderer, anders kann ich mir die Freundlichkeit, die mir entgegengebracht wurde, nicht erklären. Zwischenfazit: Die Kommunikation mit anderen Menschen verschiedener Kulturen, macht den Weg so einzigartig.

Der Aletschgletscher – eine bedrohte Naturschönheit. Foto: Frank Eichmann

Frankreich – das südliche Piemont – Ligurien

Mehrere Wasserfälle, ein wundervolles Hochplateau, das canyonartige Gebirge und nicht zuletzt der ins Bergmassiv eingerahmte See im Herzen der Fiz-Gebirgskette. Der Weg durch die französischen Alpen setzte sich mit unglaublichen Eindrücken fort und verlief zunächst bergab zum Refuge Moëde Anterne, bevor dann ein Anstieg von fast 800 Höhenmetern erfolgte. Stufe für Stufe ging es zum letzten Pass des Tages – dem Col du Brevent. Der Mont Blanc genau gegenüber, Chamonix unterhalb von mir. Was für ein Ausblick - unbeschreiblich. Der Nachteil der Region – auch durch die Tour du Mont Blanc: es sind einfach zu viele Menschen unterwegs. Über das Refuge du Col de Balme ging es nach Bourg-St-Pierre und weiter über den Großen St. Bernhard nach Saint Rhemy en Bosses ins Aosta-Tal. Der Anstieg am nächsten Morgen und der anschließende Abstieg waren traumhaft. Das Aosta-Tal hatte meine Erwartungen übertroffen.

Ein Blickfang: der Lac Saint Anne in den Hautes-Alpes, Frankreich. Foto: Frank Eichmann

Der Weg um Tignes mit seinen Skigebieten hatte im Sommer eher eine befremdliche Wirkung. Doch die Gegend um Mont Dauphin (Provence), Celliac und Maljasset machten den schlechten Eindruck um Tignes herum wieder wett. Und auch das südliche Piemont – insbesondere das Maira-Tal – wusste zu überzeugen. Die raue Landschaft zog mich in ihren Bann. Der Mercantour Nationalpark war für mich persönlich einer der absoluten Glanzpunkte der Via Alpina. Eine besondere Natur, die abgerundeten Steinmassive, eine fantastische Tierwelt mit unzähligen Gämsen und Steinböcken und die vielen Seen waren Balsam für die Augen. Auch Ligurien und die Seealpen mit ihren speziellen Ortschaften hatten viel zu bieten – es war aber nun kein Hochgebirge mehr.

Steinbock in all seiner Pracht im Mercantour Nationalpark. Foto: Frank Eichmann

Das Finale, der letzte Tag.

An einem Tag Ende September trat ich um acht Uhr morgens die letzten sechs Kilometer der Reise an. Es waren für mich ganz besondere sechs Kilometer des gesamten Weges - ich habe gelacht und auch geweint. Wenn man so lange unterwegs ist und das Ziel so nah, überkommt einen ein Rausch von Gefühlen - auch ein erhabenes - es wirklich geschafft zu haben. Beim Abstieg nach Monaco steuerte ich zunächst das Meer an. Von dort ging es durch Monaco hoch zum Fürstenpalast, wo das Schild der Via Alpina, der offizielle Endpunkt, hängt. Ich hatte es tatsächlich geschafft. Nach fast vier Monaten zu Fuß lagen nun über 2.600 Kilometer und annähernd 140.000 Höhenmeter hinter mir. Ich war wirklich stolz auf diese Leistung, aber auch traurig, dass das Abenteuer nun sein Ende gefunden hatte. Ich durfte eine unbeschreibliche Freiheit und Unabhängigkeit erfahren. Eine Natur genießen, wie ich es noch nie so intensiv erleben konnte. Ein pures Glücksempfinden stellte sich ein. Ich habe tolle Menschen kennengelernt. Am Berg spielt es keine Rolle, wie wohlhabend du bist, welche soziale Stellung du hast oder welchen Beruf du ausübst – es zählt nur der Mensch! Wäre es nur überall wie in den Bergen. Ein solches Abenteuer bleibt in ewiger Erinnerung – und das kann mir keiner mehr nehmen.

Nach fast vier Monaten unterwegs stellen sich Stolz, ein großes Glücksgefühl und ein wenig Wehmut ein. Foto: Frank Eichmann

Infos

Frank Eichmann wurde 1965 in Hadamar geboren und wohnt im kleinen Ort Hundsangen (Westerwald). Er studierte in Wiesbaden, arbeitete einige Jahre bei KPMG, war anschließend Partner und Vorstand einer Steuerberatungsgesellschaft und danach als Steuerberater und Geschäftsführer in einer weiteren Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft tätig.

Seine Abenteuer auf der Via Alpina hat er in seinem Buch „Wanderung ins Glück“ zusammengefasst. Das Buch ist bei Books on Demand, bei Amazon und in jeder Buchhandlung erhältlich.

Unterkünfte: Bis auf Slowenien – hier haben die meisten Hütten erst gegen Ende Juni oder nur an Wochenenden  geöffnet – ist die Hütten- bzw. Unterkunftsstruktur sehr gut.

Berggruppen der Via Alpina: Julische Alpen – Karawanken – Karnische Alpen – Dolomiten – Zillertaler Alpen – Tuxer Alpen – Karwendel – Wetterstein – Lechtaler Alpen – Allgäu – Rätikon – Silvretta – Rhätische Alpen (Graubünden/ Ortler) – Lepontische Alpen (Lombardei/ Tessin) – Walliser Alpen – Berner Alpen – Chablais – Mont-Blanc – Grajische Alpen (Aostatal/ Vanoise) – Dauphiné – Cottische Alpen (Queyras/ Monviso) – Seealpen – Unteres Piemont – Ligurische Alpen.

Das Cover des Buchs Wanderung ins Glück. Foto: Frank Eichmann

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