Lawinenunfälle gilt es zu vermeiden – und es gibt Entscheidungshilfen, um das Risiko einer Verschüttung zu senken. Doch wenn ein Mensch verschüttet ist, muss es schnell gehen. Klar ist: Nur eine vollständig mitgeführte und funktionstüchtige Lawinen-Notfallausrüstung macht handlungsfähig. Wie nehmen Skitourengruppen diese Verantwortung an? Und wie verbreitet sind mittlerweile Airbag-Rucksack und Helm? Mit diesen Fragen startete die DAV-Sicherheitsforschung eine umfangreiche Befragung von Skitourengruppen im Feld. Hier die Ergebnisse aus der ersten Erhebungssaison 2019/20.
Lawinen sind lebensgefährlich
Die Tatsache ist bekannt, aber es schadet nicht, sie sich noch einmal vor Augen zu führen: Lawinenverschüttung bedeutet immer Lebensgefahr! Beispiel Schweiz: Bei den Lawinen mit Personenbeteiligung, die zwischen 1992/93 und 2011/12 registriert wurden, wurden mehr als die Hälfte der Betroffenen entweder komplett verschüttet, verletzt oder starben – meist durch Ersticken oder an tödlichen Verletzungen. Bei Ganzverschütteten betrug die Überlebensrate nur 56 Prozent, wer allein unterwegs ist, hat noch geringere Chancen.
Die beste Überlebensstrategie ist immer noch, erst gar nicht in eine Lawine zu geraten. Grundsätzlich ist es aber nicht möglich, einen Lawinenabgang genau vorherzusagen. Abschätzen können wir nur die Wahrscheinlichkeit einer Auslösung und deren Konsequenzen. Umsichtige Tourenplanung, vorsichtige Routenwahl und Bereitschaft zum Verzicht sind notwendige Haltungen. Das bedeutet, sich über Verhältnisse, Gelände und den "Faktor Mensch" zu informieren, die Situation laufend neu zu beurteilen und durch einen Rückblick nach der Tour die Erfahrungen zu verarbeiten. Doch weil es Fehleinschätzungen geben kann, gehört zum verantwortungsbewussten Umgang mit der ständig präsenten Lawinengefahr im ungesicherten Wintergelände auch ein gutes Notfallmanagement: Nur mit einer vollständigen und funktionierenden Notfallausrüstung und dem Wissen und Können, sie unter Zeitdruck richtig anzuwenden, ist man im Ernstfall handlungsfähig.
Die Notfallausrüstung: immer dabei!
Zur vollständigen Notfallausrüstung gehören:
Standard-Notfallausrüstung: LVS-(Lawinenverschüttetensuch-)Gerät, Schaufel und Sonde.
Gruppen-Notfallausrüstung: Erste-Hilfe-Set, Biwaksack, Orientierungsmittel (Karte, evtl. GPS) und ein Handy (oder satellitenunterstützte Notfallgeräte, evtl. Notfunk).
Zusätzliche, optionale (Notfall-)Ausrüstung wie Lawinenairbag und Helm kann die obligatorische Notfallausrüstung sinnvoll ergänzen und die Überlebenswahrscheinlichkeit erhöhen.
LVS-Gerät, Schaufel und Sonde sollte jeder Mensch im winterlichen freien Berggelände mitführen. Zum einen, um Lawinenverschüttete retten zu können; zum anderen, um selbst ortbar zu sein. Denn für vollständig Verschüttete, die nicht tödlich verletzt wurden, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit (siehe Grafik oben). Bis die organisierte Rettung ankommt, ist es meist zu spät – die Rettung durchs Team hat höchste Priorität. Und auch diese gelingt nur im Zusammenspiel von Ortung per LVS-Gerät, Sonde zur exakten Lagebestimmung und Schaufel zum raschen Ausgraben aus den verdichteten Schneemassen. Ausgegrabene müssen erstversorgt werden. Dazu benötigt die Gruppe Erste-Hilfe-Material und einen Biwaksack als Kälteschutz. Die organisierte Rettung sollte so schnell wie möglich alarmiert werden: bei genügend Personen direkt nach dem Lawinenabgang; wer allein suchen muss, verschiebt den Alarm auf "nach dem Ausgraben und Stabilisieren der Lebensfunktionen". Das gängige Alarmierungsgerät ist das Handy, auch wenn man im Alpenraum nicht immer Netz hat. Zur Standortangabe braucht man Orientierungsmittel (analoge oder digitale Karten, GPS, Höhenmesser) oder eine Alarmierungs-App wie SOS-EU-ALP. Airbag oder Helm können die Standard-Notfallausrüstung ergänzen. Mechanische Verletzungen, darunter Kopfverletzungen, verursachen je nach Studie unter zehn bis über 30 Prozent der tödlichen Verletzungen bei Lawinen; manche davon hätte ein Helm vielleicht verhindern können. Ziel des Lawinenairbags ist das "oben Bleiben". Das Risiko einer kritischen Verschüttung (= Atemwege voll mit Schnee) liegt für Erfasste ohne Airbag bei 47 Prozent und verringert sich mit (ausgelöstem und aufgeblasenem!) Airbag auf 20 Prozent.
Standard-Notfallausrüstung, Gruppen-Notfallausrüstung und freiwillige Zusatzausrüstung können im Ernstfall Leben retten. Wirklich schwer ist sie nicht, auch wenn man nicht unbedingt mit Tascherl auf Skitour gehen wird. Kategorie 1) sollte bei jedem Gruppenmitglied komplett dabei sein, Kategorie 2) im Team redundant verteilt.
Die Notfallausrüstung: Wer hat sie dabei?
Ist die Standard-Notfallausrüstung wirklich Standard? Und welche weitere Notfallausrüstung haben Skitourengruppen dabei? Dies sind einige der Fragen einer mehrjährig angelegten Feldstudie der DAV-Sicherheitsforschung. Im Winter 2019/20 befragte ein geschultes Erhebungsteam in zwei klassischen Skitourengebieten und einem (Varianten-)Skigebiet Skitouren- und Freeridegruppen am Ausgangspunkt vor und nach ihrer Tour – unter anderem zur Notfallausrüstung. Hier berichten wir über die bisherigen, aussagekräftigen Ergebnisse zu Skitourengruppen – weitere Ergebnisse erwarten wir im Laufe des nächsten Jahres. An den beiden Skitourenstandorten wurden 83 Gruppen mit 260 Personen befragt. Das durchschnittliche Alter lag bei 42 Jahren; zwei Drittel der Befragten waren zwischen 31 und 54 Jahre alt. 46 Gruppen (55 %) waren geschlechtsgemischt, 32 (39 %) Gruppen bestanden nur aus Männern, 5 (6 %) nur aus Frauen. 41 Gruppen (49 %) waren zu zweit unterwegs, jeweils 11 (13 %) zu dritt oder zu viert; 5 (6 %) bestanden aus 5 Personen, mehr als sechs Personen umfassten 9 Gruppen (11 %); 6 Personen (7 %) waren alleine unterwegs. Von den Gruppen, die miteinander unterwegs waren, bezeichneten sich 41 (54 %) als Freunde oder Kumpels; 28 (37 %) als Paare, Bekannte oder Familie; 7 (9 %) waren als Vereinssektion oder geführte Gruppen unterwegs (eine Gruppe ohne Angaben). Die Skitourenerfahrung der Gruppen betrug im Durchschnitt 16 Jahre (bei zwei Dritteln zwischen 6 und 25 Jahre); bis zur Befragung hatten sie in der laufenden Saison im Durchschnitt acht Skitouren gemacht (zwei Drittel hatten 3 bis 13 Skitouren absolviert).
Welche Notfallausrüstung war dabei?
Hier gibt es zwei Perspektiven: Zum einen ist interessant, welche Ausrüstungsgegenstände von jeder Person wie zuverlässig mitgeführt werden. Zum anderen aber muss man auch die Gruppenperspektive betrachten: denn das Notfallmanagement funktioniert nur, wenn alle Gruppenmitglieder die nötige Ausrüstung dabeihaben – und auch anwenden können.
Zum Thema "Standard-Notfallausrüstung" ist das Ergebnis recht erfreulich: LVS-Gerät, Sonde und Schaufel sind in Skitourengruppen etabliert. Mindestens 97 Prozent der einzelnen Gruppenmitglieder (s. Grafik) hatten sie dabei; 95 Prozent der Gruppen waren komplett mit der Notfallausrüstung versorgt. Das ist eine deutliche Verbesserung im Vergleich zur letzten Skitourenstudie aus den Jahren 2003-2005 (DAV Panorama 1/2006, 6/2006). Von den damals befragten 122 Personen hatten nur 60 Prozent die komplette Standard-Notfallausrüstung dabei (94 % LVS-Geräte, 86 % Schaufeln, aber nur 60 % Sonden). Bei einer 2010/11 durchgeführten Erhebung zum Skitourengehen in Südtirol war die Standard-Notfallausrüstung bei 81 Prozent der Befragten komplett. Allerdings scheint die Bereitschaft, die Notfallausrüstung mitzuführen, auch vom Ziel abzuhängen. Bei einer Befragung in den Bayerischen Voralpen im März 2020 war sie nur bei 64 Prozent der 360 Befragten komplett.
Ähnlich Erfreuliches ergab sich zur LVS-Technologie: 61 Gruppen mit 185 Personen konnten nach der Tour detailliert zum LVS-Gerät befragt werden – und 96 Prozent von ihnen hatten ein Dreiantennen-Gerät. Nur sieben Personen waren noch mit veralteten Ein- oder Zweiantennen-Geräten unterwegs. Die ersten Modelle mit Dreiantennen-Technik kamen vor mehr als 20 Jahren auf den Markt; die DAV-Sicherheitsforschung empfiehlt sie. Warum? Sie decken alle Raumdimensionen ab und machen dadurch die Ortung von Verschütteten wesentlich einfacher, eindeutiger und effektiver.
Wie gut waren die Gruppen ausgerüstet?
Fast alle Gruppen haben ein Notrufgerät (meist Handy) dabei; bei 89 Prozent der Gruppen sogar jedes Mitglied. Erste-Hilfe-Päckchen und Orientierungsmittel zur Standortbestimmung sind ebenfalls weit verbreitet: Nur 11 Prozent der Gruppen hatten keine Rucksackapotheke und 11 Prozent weder digitale oder analoge Karte noch GPS-Gerät dabei. Allerdings fehlte bei einem Drittel der Gruppen der Biwaksack. Eine Rettungsdecke ist zwar in den meisten Erste-Hilfe-Sets enthalten; aber um jemanden längere Zeit vor dem Auskühlen zu schützen, ist ein Biwaksack unerlässlich.
Helm und Airbag – ja oder nein?
45 Prozent der Befragten hatten einen Helm dabei – bemerkenswert, denn noch vor wenigen Jahren war ein Helm auf Skitour geradezu aufsehenerregend. Doch vor allem im Frühwinter, in schneearmen Wintern, bei miserablen Schneebedingungen (Bruchharsch!), bei Touren in Wald und auf Wiesen sowie in Gebieten mit blockigem Untergrund (z.B. im Ötztal oder Engadin) oder im felsdurchsetzten Gelände (z.B. Steilrinnen) ist der Skihelm für die Abfahrt jedenfalls klug und deswegen empfehlenswert. Dass Lawinenairbag-Rucksäcke immer leichter wurden und sich zugleich der Tragekomfort immens verbessert hat, ist neben dem nachgewiesenen Sicherheitsplus wohl ein Grund dafür, dass über ein Drittel (35 %) der Befragten mit Airbag unterwegs war. Klar ist: Wenn man beim Lawinenabgang den Airbag auslöst und er sich korrekt aufbläst, senkt er das Risiko einer Ganzverschüttung, was statistisch gesehen die Anzahl der Lawinentoten reduziert. So gesehen, ist es nie ein Fehler, ihn auf Skitour mitzunehmen; trotzdem müssen LVS-Gerät, Sonde und Schaufel immer dabei sein! Eine andere Frage ist, ob der Airbag sich auf die
Risikobereitschaft auswirkt – durch die Wahl steilerer Touren oder Abfahrtsvarianten oder im allgemeinen Risikoverhalten. Das möchten wir durch unsere Studie noch genauer herausfinden.
Schon viel besser – aber …
Im Vergleich zur letzten Skitourenstudie der DAV-Sicherheitsforschung sind Skitourengruppen deutlich häufiger mit der vollständigen Standard-Notfallausrüstung unterwegs. Die mitgeführten LVS-Geräte waren auf dem aktuellen Stand der Technik. Ebenfalls sind fast alle Skitourengruppen mit Handy ausgerüstet, um bei einem Lawinenabgang einen Notruf absetzen zu können. Ein kleiner, aber nicht unerheblicher Anteil der Skitourengruppen führt die Gruppen-Notfallausrüstung für eine Erstversorgung nicht vollständig mit – dann können sie die Erstversorgung nicht oder nur eingeschränkt leisten. Gruppenmitglieder müssen sich dessen bewusst sein und sich daher absprechen, wer welche Ausrüstung mitführt. Doch die Ausrüstung nur dabeizuhaben, bedeutet
noch keine Sicherheit; man muss sie auch anwenden können. Grundlagen zur Verwendung von LVS-Geräten auf Skitour sind in Panorama 1/2016 dargestellt. Wie die Suche rasch und effizient gelingen kann, steht in Panorama 6/2020. Und alleroberste Priorität hat immer noch, einen Lawinenunfall durch strukturierte Entscheidungen und nötigenfalls Verzicht zu vermeiden und die Konsequenzen für die Gruppe durch geeignete Maßnahmen bestmöglich zu begrenzen. Hilfreiche Entscheidungstools wie "SnowCard" und "Lawinen-Mantra" werden in Panorama 1/2019 und 1/2020 beschrieben. All dies kann aber nur im Gelände und unter fachlicher Anleitung gelernt werden und wird in den Ausbildungskursen der DAV-Sektionen vermittelt.
Quellen
Haegeli, P. et al. 2014: Die Wirksamkeit des Lawinenairbags.
Bergundsteigen 3/14.
Procter, E. et al. 2016: Burial duration, depth and air pocket explain avalanche survival patterns in Austria and Switzerland. Resuscitation 105.
Techel, F. & Zweifel, B. 2013: Recreational avalanche accidents in Switzerland: Trends and patterns with an emphasis on burial, rescue methods and avalanche danger. International Snow Science Workshop Grenoble - Chamonix-Mont Blanc 2013.
Text: In der Forschungsgruppe Winter der DAV-Sicherheitsforschung arbeiten neben Lukas Fritz von der SiFo folgende Externe mit: Michaela Brugger, Florian Hellberg, Christoph Hummel, Johanna Kozikowski, Johanna Mengin, Jessica Ploner, Paul Schmid, Martin Schwiersch, Laura Schwiersch, Bernhard Streicher. An den Erhebungen haben zusätzlich mitgewirkt: Philipp Berg, Max Bolland, Steffi Bolland, Anna Gomeringer, Stefan Hinterseer, Alexandra und Georg Hochkofler, Martin Prechtl, Bernhard Schindele.
Illustration: Georg Sojer