Gerade haben wir uns zum Abendessen am schönen, großen Holztisch vor der Cabana Suru niedergelassen, da setzt sich die weiße Lawine über uns langsam in Bewegung. Alles geht ganz schnell und plötzlich sind wir eingeschlossen von einer riesigen, weißen Wolke aus Wolle. Hunderte Schafe müssen es sein, die auf dem Weg in tiefere Lagen unseren gedeckten Esstisch mit stoischer Gelassenheit ignorieren, stets aufmerksam begleitet von insgesamt 14 Hütehunden. Was für eine Begrüßung und ein tolles Schauspiel am ersten Abend unserer Tour durch die rumänischen Berge.
Ioana, die junge Hüttenwirtin, bringt große Omeletts mit Gemüse an unseren Tisch. Sie hat einige Jahre in Deutschland gelebt, ist irgendwann wieder in ihre Heimat zurückgekehrt und hat sich mit dem Kauf der kleinen Suru-Hütte einen Lebenstraum erfüllt. Hier steckt ihr ganzes Herzblut drin, das merkt man an ihrer Gastfreundschaft und an den vielen kleinen Details im Haus. Momentan steckt sie noch mitten in der Renovierung, hier an dieser abgelegenen Seite des Gebirges ist das ein mehrjähriges Projekt. Die Cabana Suru auf einer Höhe von 1.450 Metern ist die erste Station unserer mehrtägigen Trekkingtour.
Einige Stunden vorher sind wir in Sebesu des Sus, einem kleinen Talort, aufgebrochen. Unsere Rucksäcke sind viel voller als gewohnt – Zelt, Isomatten, Kocher und Essen für 5 Tage liegen recht schwer auf den Schultern. Daran muss sich der Körper erstmal gewöhnen, weshalb wir in gemächlichem Tempo starten. Unser Weg passt bestens dazu: Er schlängelt sich durch einen schattigen Mischwald aus Buchen und Erlen, an einer eingefassten Wasserstelle vorbei in gut 4 Stunden bis hinauf zur Hütte. Das reicht erstmal zur Eingewöhnung, die kommenden Tage werden wir sehr lange auf den Beinen sein, wenn der Gebirgszug auf dem schmalen Grat von West nach Ost überschritten wird.
Das Abenteuer beginnt an Haustür
Eigentlich hat das Abenteuer schon zwei Tagen vorher in München begonnen, denn wir haben uns für diese besondere Reise auch eine besonders schöne Anfahrt herausgesucht – mit dem Nachtzug ab Budapest. Was für ein Kontrast, als wir dort vom supermodernen ÖBB Railjet Express in den Nostalgiezug der rumänischen Staatsbahn CFR umsteigen. Mindestens 50 Jahre hat der Waggon schon auf dem Buckel, aber das Gefährt ist dennoch bestens gepflegt und hat Generationen von Reisenden sicher durch die Nacht gebracht. Hier im rustikalen Schlafabteil richten wir es uns mit Brotzeit und Bier gemütlich ein. Einmal nur werden wir vom Gepolter der Grenzbeamten aus dem Schlaf gerissen, dann zuckelt die Bahn wieder weiter durch die rumänische Nacht. Recht pünktlich und ausgeschlafen steigen wir frühmorgens bei Sonnenschein in Sibiu aus, der altehrwürdigen Hauptstadt Siebenbürgens. Und wieder einmal wurde bestätigt: Der Weg ist das Ziel!
Tagsüber haben wir in Sibiu noch einige Kleinigkeiten zu organisieren, hier finden wir uns auch mit den anderen Teilnehmer*innen unserer Wandergruppe zusammen, die auf anderem Weg angereist sind. Anca, unsere rumänische Freundin, ist das verbindende Element zwischen den DAV-Sektionen Bocholt, Karpaten und München-Oberland. Ein gemeinsamer Materialcheck im Hotel: Haben wir alles Notwendige dabei, nichts doppelt? Reicht das Essen? Ist das Gewicht gut auf alle Rucksäcke verteilt? Alles muss jetzt passen, denn ab morgen in den Bergen sind wir auf uns alleine gestellt. Dann geht es zum Abendessen in die quirlige Altstadt, voller Vorfreude und Spannung, was in den nächsten Tagen wartet.
Die vorerst letzte Nacht unter einem festen Dach war erholsam und zeitig starten wir von der Cabana Suru hinauf zum Pass Sara. Hier beginnt der Gebirgskamm, der in den folgenden Tagen die Wegrichtung von West nach Ost eindeutig vorgibt. Es ist ein einziger, beeindruckender Grat von ca. 60 km Länge, links und rechts davon blickt man in die weite Tiefebene. Diese felsige Barriere ist ein Merkmal des Făgăraș-Gebirges und immer wieder Schauplatz von tollen Wolkenstimmungen. Die Höhe der Gipfel ist in etwa mit dem Karwendel vergleichbar, aber weil der Gebirgsstock so freisteht, wirkt alles viel wuchtiger und höher.
So zügig wir in den Alpen teilweise unterwegs sind, hier mit schwerem Gepäck hat das Tempo eine andere Relevanz und wir nehmen uns die Zeit. Viel größere Bedeutung hat ein guter Platz für die Zelte mit einer Wasserstelle in der Nähe. Und danach richten sich dann auch die Tagesetappen. Am herrlich gelegenen See Lacul Avrig schlagen wir zum ersten Mal die Zelte auf und gehen noch eine kurze Runde baden. Mitte August ist es recht kühl hier oberhalb von 2000 Metern, trotz blauem Himmel und Sonne - kein Vergleich mit der stehenden Hitze in der Tiefebene. Die Befürchtung, dass es für die Überschreitung im Hochsommer viel zu heiß sein könnte, war unbegründet. Wir sind froh, dass wir ausreichend warme Kleidung dabei haben.
Kulinarische Genüsse
Bis im Nachtlager geschlafen wird, ist immer viel zu tun: Zelte aufbauen und einrichten, Wasser an einer geeigneten Wasserstelle holen und abkochen, Abendessen zubereiten, abspülen und die nächste Tagesetappe besprechen. Ein paar Stunden sind schnell vergangen. Das gemeinsame Kochen und Essen entwickelt sich zum beliebten Tagesritual. Denn wir löffeln keine Outdoor-Fertignahrung aus Portionsbeuteln, sondern bereiten Gerichte zu, die wir zu Hause fix und fertig zusammengemischt, gewürzt und in Zip-Beutel verpackt hatten – jeweils ein Abendessen für eine Gruppe von 7 Personen, fünf Diner insgesamt.
Orientalischer Couscous fürs Trekking
Eines unserer leckeren Gerichte zum Nachzaubern:
Pro Person:
ca. 120 g Couscous
je 2 Esslöffel geschnittene getrocknete Datteln und Aprikosen
4 Esslöffel gehackte Nüsse
je 1/2 Teelöffel gemahlener Kreuzkümmel, gemahlener Ingwer, gemahlener Knoblauch, Salz, Pfeffer
Zubereitung: ca. 350 ml heißes Wasser aufgießen und ziehen lassen
Inspiriert durch www.littleredhikingrucksack.de (tolle Internetseite mit weiteren Rezepten und vielen Tipps für Trekkingreisen)
Der Fantasie sind eigentlich keine Grenzen gesetzt, von orientalischem Couscous mit Datteln und Nüssen, vorgekochtem Reis mit Linsen, bis hin zu Thainudeln und Polenta mit getrockneten Steinpilzen. Auf klassische Lebensmittel wie Nudeln, Saucen, Brot, Käse, Wurst etc. verzichten wir aus Volumen- und Gewichtsgründen gänzlich. Zum Frühstück gibt es warmes Porridge, tagsüber Kleinigkeiten wie Nüsse, Riegel, Schokolade, Kekse und Trockenfrüchte. Wir sind erstaunt, wie gut die Gerichte schmecken und wie wenig Müll auf der gesamten Tour produziert wird.
Am nächsten Tag folgen wir zuerst dem Wanderweg dem Kamm entlang bis zum 2331 Meter hohen Varful Serbota. Dann folgt der schwierigste Teil der Tour, der Abstieg zum Sattel Saua Cleopatrei, durch mit Ketten versichertes, steiles Blockgelände. Mit einem leichten Wanderrucksack wäre es normalerweise eine anregende Kraxelei, mit dem schweren Gepäck ist volle Konzentration und Trittsicherheit gefragt. Auch der nächste Aufstieg zum Negoiu (2535 m) hat es in sich. Da der Abstieg durch den Teufelskamin (Strunga Dracului) aufgrund eines Felssturzes gesperrt ist, umgehen wir den Negoiu südlich und steigen den weit einfacheren Frauenkamin (Strunga Doamnei) ab. Nach 8 Stunden anstrengender Gehzeit erreichen wir den Schlafplatz am kleinen See Caltun, und der bereits gut eingespielte Ablauf beginnt von Neuem. Aber genügend Zeit zum Entspannen und Schauen an diesen wunderbaren Orten findet man immer noch, auch wenn der Tag mal länger war.
Kommt der Bär?
Es gibt nur eine Stelle auf unserer mehrtägigen Tour, wo wir die Zivilisation kurz mal streifen, und zwar im Bereich der Hochkarpaten-Straße, die das Gebirge in der Mitte in vielen Serpentinen überquert. Leider müssen auch wir hier vorbei. Eine sehr beliebte Passstraße, laut und geschäftig, Tagesausflügler, Imbiss, Selfiespot – nichts wie weg von hier! Es gibt selbstverständlich auch eine Funkzelle und im Vorbeigehen vibrieren plötzlich unsere Handys. Es erscheint eine SMS-Nachricht in Englisch mit genauen Details, wo sich derzeit ein Bär befindet. Die Tiere sind hier an dieser belebten Straße rund um eine leicht zugängliche Berghütte zu einem richtigen Problem geworden, da abenteuerhungrige Touristen die Bären füttern und anlocken, um sagenhafte Erinnerungsfotos zu schießen. Kurz zucken wir zusammen, aber bleiben dann entspannt und ziehen weiter.
Am sechsten Tag der Tour steht er nun endlich auf der Agenda: Der Moldoveanu, mit stolzen 2544 Metern der höchste Gipfel Rumäniens. Hier treffen wir sogar mal andere Bergsteiger*innen, so ein Berg ist ja schließlich Ehrensache. Das Gipfelkreuz zieren viele kleine Nationalflaggen. Wir werfen einen zufriedenen Blick zurück auf unsere Wegstrecke entlang des langen Grates. Attraktive Biwak-Plätze gibt es nicht mehr in der Nähe, weshalb wir bis zum Abend noch zur Cabana Valea Sambetei auf 1401 Metern absteigen wollen. Die Aussicht auf ein Bier oder ein Glas Wein nach den vielen Tagen der Enthaltsamkeit beflügelt die Entscheidung.
Anfangs geht es durch ein enges und steiles Kar abwärts, später durch blaubeerüberzogene Hügel entlang eines Bergbachs. Dieses sehr schmackhafte Tal hat sich wohl in Bärenkreisen herumgesprochen. Kurze Zeit später türmt sich eine frische Hinterlassenschaft auf dem Weg, daneben Abdrücke einer großen Tatze. Jetzt einfach die Ruhe bewahren und vorsichtig weitergehen, bis zur Hütte ist es schließlich nicht mehr weit.
Unten im Wald herrscht reges Treiben. Drei junge Burschen bewirtschaften die Hütte und zaubern so allerlei rumänische Gerichte in der kleinen Küche. Vermutlich gibt es dort die besten Blaubeerpfannkuchen im Land und die größte Auswahl an Alkohol, die wir je auf einer Hütte gefunden haben. Unsere großartige Tour begießen wir mit Ursus-Bier und selbstgebranntem Blaubeer-Wodka. Am Tag drauf steigen wir ganz entspannt ins Tal ab und kehren vom berühmten rumänisch-orthodoxen Kloster Sâmbătă de Sus mit dem vorbestellten Taxibus wieder nach Sibiu zurück. Die Tage im Făgăraș-Gebirge waren so intensiv, so erlebnisreich, einfach schön. Rumänien, wir kommen sicher bald wieder!