Sportkletterer Markus Bock sitzt auf einem Crashpad
Der Bamberger Markus Bock hat seine fränkische Heimat nur selten verlassen, dafür hinterließ er hier ein einzigartiges Lebenswerk. Foto: Hannes Huch
Sportkletterer Markus Bock

Der Unbeugsame

In den 1990er Jahren war Markus Bock ein Weltklasse-Wettkampfathlet, lange Zeit dominierte er seine fränkische Heimat mit schwersten Erstbegehungen. Dass es ihm am Fels weniger um den Sport an sich, sondern um Haltung geht, ist bis heute die Konstante im Leben des streitbaren Vollblutkletterers.

„Ein Interview, wozu?", fragt er am Telefon als Erstes. Der Mann hat sich, um es vorsichtig auszudrücken, sein Leben lang niemals und niemandem angebiedert, den Medien nicht und der Kletterszene genauso wenig. Er hat so gut wie nie etwas publiziert, auch andere schrieben selten über ihn, da mag ihm im Lauf der Jahre sicher auch sein „Bad-Boy-Image“ vorausgeeilt sein. Markus Bock trägt schwarz, ist ausgiebig tätowiert, sein Instagram-Account heißt „The Midnight Wolfman“, was immerhin haarscharf zu dem Wenigen passt, was er gleich am Telefon von sich preisgibt. Am liebsten zum Klettern geht er nämlich allein mit seinem Hund: „Irgendwo im Wald an einem Boulder, wo mich keiner sieht und ich einfach meine Ruhe habe."

Markus Bock im Boulder "Gossip" (8c). 2002 hat er ihn erstbegangen, damals war das der schwerste Boulder weltweit. Der bis dahin schwerste Boulder „Dreamtime“ (2000) von Fred Nicole wurde nachträglich abgewertet. Foto: Hannes Huch

1979 kommt Markus in Bamberg zur Welt. Der Vater hat wenig Zeit für die Familie, aber Zeit genug, um ihn und seinen kleinen Bruder mit zum Skifahren zu nehmen, im Sommer zum Klettern und auf diverse Dreitausender. So richtig funkt es aber beim Klettern, bald gibt es nichts, was er so sehr will. Das ist bis heute so geblieben und bis heute wohnt er in Bamberg, seiner fränkischen Heimat. Als Jugendlicher ist ihm die Schule wurscht, jeden Nachmittag geht es an den Fels, die Hausaufgaben schreibt er morgens vorm Unterricht ab. Mit 14 gelingt ihm seine erste 8a, mit 17 – wir schreiben das Jahr 1996 – knackt er seine erste 8c. Es handelt sich um „Burn4you“, eine Route von Michael Ordnung. Adam Ondra und David Lama, die anderen Wunderkinder des Kletterns, schaffen ihre erste 8c bereits mit 12 und 13 – allerdings in den Nullerjahren, knapp zehn Jahre später: Diese beiden genießen ab der Kindheit ein so professionelles Training, wie es Markus in den Neunzigern noch nicht zur Verfügung steht. Und dem er sich, so ist er halt, bis heute widersetzt. Er geht klettern – und fertig. Training mit System und Stoppuhr ist nicht seins, er will beim Klettern unbedingt und immer draußen sein.

Nach der Schule beginnt er eine Schreinerlehre. Als ihm auffällt, wie vielen Kollegen schon einzelne Finger fehlen, bricht er ab und beginnt die Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann. Die Eltern sind nicht einverstanden, dass er dem Sport alles unterordnet: „Sie haben sich halt Sorgen gemacht. Aber ich war ein Rebell, schon immer, ich kann gar nicht anders.“ Von seinen Kletterfreunden hat er den Musikgeschmack übernommen: je härter, desto besser. Wenn ihn wieder alles nervt, dreht er laut, spielt in seinem Zimmer Luftgitarre. Lieblingssong aus jener Zeit? Natürlich „Fuck the System“ von „The Exploited“.

Er rollt die harten Routen seiner Heimat unerbittlich auf, als wäre er Charles Bronson in „Ein Mann sieht rot“.

Wettkämpfe klettert er auch, aber – selbstverständlich – widerwillig: Man könnte ja einen guten Tag am Fels verpassen. 1996 wird er Jugendweltmeister im Klettern, trainiert hat er dafür nicht, am Wochenende davor war er noch beim Bouldern. Und gibt danach die Wettkämpfe auf, man verpasst halt doch zu viele Tage draußen. Er bringt die Ausbildung zu Ende, eröffnet mit 18 seine erste 8c. Er jobbt und klettert und klettert und jobbt. Und rollt die harten Routen seiner Heimat unerbittlich auf, als wäre er Charles Bronson in „Ein Mann sieht rot“. Als erster Franke kann er 2005 Wolfgang Güllichs weltberühmte Route „Action Directe“ wiederholen, vor Ort ist er längst der Beste, Stärkste, man könnte fast glauben: der Einzige. Es gibt eine fränkische Besonderheit, die das verdeutlicht: die legendäre Thon-Liste der hundert schwersten Routen der Region – benannt nach Werner Thon, einem namhaften Erstbegeher. Zu Markus’ besten Zeiten sind unglaubliche knapp achtzig dieser Top 100 von ihm. 2006 gelingt ihm „Corona“ (9a+), die damals schwierigste Route in Deutschland und eine der schwersten weltweit. In dieser Zeit erreicht seine unfassbare Dominanz ihren Zenit, er hat nun sämtliche (!) fränkische Routen im Schwierigkeitsgrad 8b und schwerer geklettert, das sind damals über 170. Obwohl er für die Wiederholungen fremder Routen wenig Zeit aufwendet, wichtig sind ihm ja nur Erstbegehungen. Keines der größeren Klettergebiete dieser Welt wurde wohl je so sehr von einem Athleten dominiert wie die Fränkische von ihm, vielleicht noch der Elbsandstein durch Bernd Arnold in der Zeit vor der Wende. Und wenn er mal ins Ausland fährt, gelingen ihm auch dort schwierigste Routen.

Ein echter Meilenstein von Markus Bock: die Erstbegehung der Route „Corona“ (9a+), 2006 eine der schwersten Routen weltweit. Foto: Hannes Huch

Doch die Zeit bleibt nicht stehen, Klettern und der Markt rundherum werden immer größer, professioneller, kommerzieller. Wer Profi sein will, braucht Publicity, Sponsorenverträge sind häufig gekoppelt an Anzahl und Größe der veröffentlichten Fotos und Sichtbarkeit der Logos. Aber allen Beteiligten permanent signalisieren, dass man gut mit ihnen auskommen möchte? Und lächeln fürs Foto? Nicht so Markus’ Ding. Und außerdem: An einem schönen Tag Fotos machen, wenn woanders noch eine Erstbegehung lockt? Seine Leistungen ragen aber weit genug heraus, dass er ein paar Jahre zur Hälfte von Sponsorengeldern lebt.

„Ich werde mich vehement gegen diese Entwicklung wehren und meine Touren von zu nah gesetzten Haken befreien. Ich will keinen Kletterkrieg, aber ich fordere etwas Respekt und Hirneinsatz, bevor jemand den Bohrer ansetzt!“
- Markus Bock

Während einerseits immer mehr junge Talente nachrücken, werden andererseits die wirklich neuen und guten Linien langsam rar. Wo zwischen zwei Routen noch irgendwie eine neue dazwischen passt, wird sie hinein gedrückt, es gibt plötzlich Kombinationen benachbarter Routen. 2011 veröffentlicht Markus Bock einen Text mit dem Titel: „Hallo ihr Erstbegeher, wo ist euer Respekt geblieben?“ Es ist fast das einzige Mal, dass er aus eigener Initiative etwas publiziert, es lässt ahnen, wie viel ihm das Thema bedeutet. Streitbar, wie er ist, kündigt er an, dass das mit seinen Routen nicht zu machen ist: „Ich werde mich vehement gegen diese Entwicklung wehren und meine Touren von zu nah gesetzten Haken befreien. Ich will keinen Kletterkrieg, aber ich fordere etwas Respekt und Hirneinsatz, bevor jemand den Bohrer ansetzt!“

Zu dieser Zeit geht der Stern des jungen Alexander Megos am fränkischen Kletterhimmel auf, der bald schwerer klettert als Markus. 2020 rumpeln die beiden so laut zusammen, dass man das Nachbeben in der Szene immer noch hört: Ein Freund von Alex bohrt eine neue Route knapp links von „Burn4you“, Markus’ erste 8c, die Route seines Kumpels Michael Ordnung. Wie knapp neben einer bestehenden Tour ist eine Neutour noch okay? Michael Ordnung befindet den Abstand für zu klein, er entscheidet: Die Route – also die Haken – sollen weg. Markus kommt mit, wird nicht selbst aktiv, steht aber hinterher im Fokus, weil er so viel bekannter ist. Alex und er tragen ihren Streit im Internet aus, als moralischer Sieger geht in den Augen der Mehrheit Alex Megos hervor: Weil es einfach zu sehr danach aussieht, als könnte Markus, der alte König, nicht abtreten. Und ein Körnchen Wahrheit könnte dran sein, dass es so leicht nicht fällt, die Krone an einen Youngster abzugeben, dem alles – auch die Sympathien – zuzufliegen scheint. PR-technisch endet die Aktion für Markus im Desaster, Michael Ordnung und er müssen zweitausend Euro Geldbuße zahlen, die Haken stecken mittlerweile wieder.

Bereut er die Aktion? „Nein“, strahlt er mich an, „warum denn? Ich stehe zu meinen Entscheidungen und übernehme Verantwortung. Ich bereue auch sonst nichts.“ Nun, wenn man ganz genau recherchiert und ein älteres Interview liest, findet man eine Sache dann doch, die er bedauert: „Ich bereue es, dass ich erst mit Ende zwanzig angefangen habe, mich tätowieren zu lassen.“

HIGHLIGHTS

  • 1996: Jugendweltmeister in Moskau

  • 1996: Erste 8c mit „Burn4You“

  • 2002: Erstbegehung des Boulders „Gossip“ 8c, damals der schwerste Boulder weltweit („Dreamtime“ aus 2000 von Fred Nicole wurde nachträglich abgewertet).

  • 2005: Wiederholung „Action Directe“ 9a (1991 erste 9a weltweit, Erstbegeher Wolfgang Güllich)

  • 2006: Erstbegehung „Corona“ 9a+ (damals eine der schwersten Routen weltweit)

  • 2014: Erstbegehung „Becoming“ 9a+

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