Eine Gruppe Kinder und Jugendliche läuft an einem Sommertag mit einem Bollerwagen auf einem Schotterweg.
Jugendbegegnungswoche in Reutlingen – Ausflug zum Badesee. Foto: Markus Springer/DAV-Sektion Reutlingen
Besuch aus der Ukraine

Vom Klettern und Träumen – Eine Jugend-Begegnungswoche in Reutlingen

Im Sommer verbrachten sechs Kinder und Jugendliche aus der Ukraine eine Woche mit Gleichaltrigen der DAV-Sektion Reutlingen in Baden-Württemberg. Es waren Tage voller Emotionen und Einblicke für alle Involvierten. – Ein Gespräch mit Markus Springer, Jugendreferent in der Sektion und Initiator des Projekts.

Wohl viele Beteiligte der Jugendbegegnungswoche haben ganz am Anfang erst einmal auf der Landkarte nachgeschaut: die einen, um Reutlingen südlich von Stuttgart und am Fuße der Schwäbischen Alb gelegen auszumachen. Die anderen, um Tscherkassy zu finden – eine Stadt in der Zentral-Ukraine, etwa 160 Kilometer südöstlich von Kiew am Dnepr gelegen.

Deutscher Alpenverein. DAV-Online-Redaktion

Wie kam es zu dem Kontakt nach Tscherkassy?

dav-reutlingen-markus-springer-1726471637.jpg Markus Springer

Durch eine Teilnehmerin unserer Integrations-Klettergruppe erfuhr ich von der FAIS, dem Dachverband für Alpinismus und Klettern in der Ukraine, der also vergleichbar mit dem Alpenverein in Deutschland ist. Die erste vage Idee, sie zu unterstützen, stieß in unserer Sektion auf offene Ohren und so war der erste Schritt schnell gemacht: Wir beschlossen, eine Jugendbegegnungswoche zu planen und Fördermittel zu organisieren. Die Unterstützung von Stiftungen hat uns sehr geholfen; über private Spenden konnten wir sogar einen Anteil der Reisekosten der Gäste übernehmen.

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Wer traf in Reutlingen aufeinander?

dav-reutlingen-markus-springer-1726471637.jpg Markus Springer

Aus Tscherkassy kamen sechs Kinder und Jugendliche, sie waren zwischen zehn und fünfzehn Jahre alt. Von deutscher Seite waren sechs Kinder aus unserer Flüchtlings- und Integrationsklettergruppe dabei, darunter auch ukrainische Kinder, die seit nun schon mehr als zwei Jahre hier leben. Außerdem vier deutsche Kinder, die in unserer Jugendgruppe aktiv sind oder zu den Gastfamilien gehören.

Willkommen in Reutlingen: Die Klettergruppe aus Tscherkassy. Foto: Markus Springer/DAV-Sektion Reutlingen
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Wie haben die Kinder die Woche erlebt?

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Alle Kinder und auch wir Betreuer hatten eine wunderbare Zeit. Unser Fokus lag auf dem Spaß am Klettern und den Erlebnissen in der Natur. Die gemeinsamen Aktivitäten, wie Höhlenexpeditionen und Klettern auf der Schwäbischen Alb am Wiesfels, haben dazu beigetragen, dass sich alle besser kennenlernen konnten. Es war schön zu sehen, wie die Kinder die sprachlichen Hinternisse überwinden konnten und sich gegenseitig unterstützt haben.

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Wie seid ihr das Thema Sprache angegangen?

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In den Gastfamilien ging das meiste einfach per App oder mit Händen und Füßen. In der Gruppe gab es dank unserer Integrationskinder von Grund auf so gut wie keine Sprachbarriere, weil sie sich gegenseitig mit der Übersetzung geholfen haben. Am Anfang haben wir einige Sprachanimations-Spiele gemacht, um die Hemmschwelle zu senken und ein paar Wörter in der jeweiligen Landessprache zu vermitteln. Während unserer Aktivitäten wurde auch viel nonverbal kommuniziert und eine tolle Verbindung ist durch gemeinsame Emotionen entstanden.

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Gab es ein Highlight während eurer Projektwoche?

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Das Highlight war definitiv die Teilnahme der ukrainischen Kinder am Reutlinger RegioCup 2024. Es war überwältigend zu sehen, wie motiviert sie waren. Fünf der sechs ukrainischen Kinder schafften es ins Finale, und vier standen am Ende auf dem Podium. Die Zuschauer waren begeistert von dem Ehrgeiz und der Stärke der Kinder. Es war ein emotionaler Moment, der uns allen gezeigt hat, wie viel Potenzial in diesen jungen Menschen steckt.

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Bei allem gemeinsamen Spaß – inwiefern war der Krieg in der Ukraine präsent?

dav-reutlingen-markus-springer-1726471637.jpg Markus Springer

Direkt angesprochen und thematisiert haben wir den Krieg nicht. Nur ab und zu und unterschwellig war er da: Bei unseren ersten Aktionen draußen war ich überrascht, dass unsere Gäste immer wieder staunend nach oben sahen. Erst nach einer Weile habe ich verstanden, dass sie die Flugzeuge beobachten, die es seit zweieinhalb Jahren nicht mehr am ukrainischen Himmel gibt. Einmal ist ein relativ großer Militärhubschrauber über uns geflogen, da wurde die Gruppe kurz etwas ruhiger.

Auch eine andere Szene ist mir im Kopf geblieben: ich war gerade im Gespräch mit einer Betreuerin aus Tscherkassy, als plötzlich ihr Handy-Alarm losging. Das war die ukrainische Warn-App, die anzeigt, wenn russische Drohnen und Raketen im ukrainischen Luftraum unterwegs sind und es eine Gefahr für den Wohnort gibt. Im Grunde ist Tscherkassy weit von der Front entfernt. Bis auf die Dohnen und Raketen besteht keine große Gefahr. Nach Aussage der Betreuer geht das Leben und der Alltag weiter – nur unterbrochen von Todesmeldungen an der Front kämpfenden Freunden und Verwandten.

In unserer Integrationsgruppe werde ich hin und wieder mit dem Thema intensiver konfrontiert. Was ich nicht mache ist, das Thema direkt anzusprechen aber ich höre zu, wenn sich jemand öffnet. Ich glaube, damit fahren wir in der Gruppe ganz gut.

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So ein einwöchiger Besuch organisiert sich nicht von allein …

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… ganz und gar nicht. Das Organisatorische nahm etwa ein halbes Jahr und viele ehrenamtliche Stunden in Anspruch. Das war eine klasse Gemeinschaftsleistung! Besonders möchte ich mich bei drei Menschen bedanken, die großartig unterstützten: Inna und Svitlana halfen und übersetzten bei unseren Aktivitäten; Anna kümmerte sich um die Gastfamilien. Überhaupt war die Hilfsbereitschaft und Offenheit unserer Betreuer und der Gastfamilien einfach überwältigend. Sie haben dazu beigetragen, dass sich die Kinder schnell wohlfühlten.

Aufstellung für das Finale beim Reutlinger RegioCup 2024. Foto: Markus Springer/DAV-Sektion Reutlingen

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Falls jetzt jemand auf die Idee kommt, in einer anderen Sektion Ähnliches auf die Beine zu stellen … hast du Tipps? Gab es organisatorische, administrative Hürden?

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Anfangs hatten wir Bedenken bezüglich der Visa und Versicherungen. Glücklicherweise fanden wir schnell gute Informationen: Die Ukrainer haben Visafreiheit, nicht nur für Sportveranstaltungen, was uns sehr geholfen hat. Zudem konnten wir eine Zusatzversicherung für die Kinder abschließen, sodass wir auch in dieser Hinsicht gut abgesichert waren.

Deutscher Alpenverein. DAV-Online-Redaktion

Welche Gedanken bleiben nach dem Projekt?

dav-reutlingen-markus-springer-1726471637.jpg Markus Springer

Es bleibt der Wunsch, den Kontakt zur Klettergruppe in Tscherkassy aufrechtzuerhalten und weitere gemeinsame Aktionen zu planen. Es war eine sehr emotionale Woche, die nicht nur den ukrainischen Gästen Hoffnung gegeben hat, sondern auch unserer Integrationsgruppe gezeigt hat, dass wir sie schätzen und an sie glauben. Das heißt auch: weder braucht sich bei uns jemand verstecken, noch total assimilieren. Andererseits ist es wichtig, dass wir sehen, dass hinter dem Begriff "Ukraine" viel mehr steckt als nur die aktuellen Nachrichten über den Krieg. Es sind Menschen mit Träumen und Talenten.

Klettern am Wiesfeld mit Picknick. Foto: Markus Springer/DAV-Sektion Reutlingen

 

 

 

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