Schwarz-Weiß-Fotografie eines Mannes
Martin Scharfe bei einer Buchpräsentation im Jahr 2013. Foto: Benedikter
Erinnerung an Martin Scharfe:

Dem ersten Blick – auch auf die Berge – misstrauen

Martin Scharfe, großer Kenner der Alpingeschichte und emeritierter Professor für Volkskunde, verstarb im Februar 2025. Die Alpenvereine sind ihm zu großem Dank verpflichtet.

Über mehr als zwanzig Jahre unterstützte er unsere Projekte mit seinem besonderen Blick, seinen Ideen und seinen Recherchen. Sein Buch „Berg-Sucht“ und viele Aufsätze lehrten uns neue Ansätze in der Kulturgeschichte des Alpinismus. Unseren großen Publikationen „Berg Heil“ und „Hoch hinaus“ gab er mit grundlegenden Einführungen ein besonderes Gewicht. Unser Kollege Beat Gugger erinnert sich stellvertretend für uns alle an ihn.

Martin, wir danken Dir für Dein enormes Engagement!

Martin Achrainer, Michael Guggenberger, Stephan Illmer, Friederike Kaiser, Veronika Raich, Stefan Ritter, Max Wagner und Gerald Zagler

Erinnerung an Martin Scharfe

von: Beat Gugger (14. März 2025)


Martin Scharfe lernte ich in einem der – für mich – spannendsten Projekte, an denen ich mitgearbeitet habe, kennen. Es muss Mitte der Nullerjahre gewesen sein: Ich wurde angefragt, ob ich bei der Konzeption der neuen Dauerausstellung des Österreichischen Alpenvereins in Innsbruck mitmachen würde. Es war in vielfacher Hinsicht ein außergewöhnliches Projekt: Wir waren zwei Kuratoren, Philipp Felsch, der eben seine Dissertation zu einem alpinen Thema abgeschlossen hatte, und ich, der Erfahrung im Ausstellungmachen mit alpinen Themen hatte. Besonders schön war, dass das Gestaltungsteam Gillmann und Schnegg von Anfang an dabei war.

Neben der Recherche- und der Konzeptarbeit trafen wir uns über anderthalb Jahre alle zwei Monate in Innsbruck zu einer gemeinsamen Sitzung mit einem äußerst kritischen Beirat. Dabei hatten die Museumsfachleute vor allem das Zusammenspiel von Szenografie im Blick und sezierten unser Konzept jedes Mal haarklein. Und dann war da auch Martin Scharfe; der erste Eindruck war der eines zurückhaltenden deutschen Professors, der sich kaum in die hitzigen museologischen, szenografischen Diskussionen einmischte. Dafür gab es – meist erst nach den großen Sitzungen – für uns beiden Kuratoren motivierende Unterstützung und vor allem reichlich inhaltliche Anmerkungen. Ich erinnere mich noch, wie oft Martin scheinbar vertraute Klischees in Frage stellte, uns auf spannende Details hinwies. Martin wies uns darauf hin, scheinbar Vertrautes immer wieder neu in Frage zu stellen und bei Bildern genau hinzuschauen und auf Kleinigkeiten zu achten.

Die zweitägigen Sitzungen in Innsbruck beinhalteten immer einen gemeinsamen Abend. Meist trafen wir uns im Café Zentral. Durch die intensive Arbeit und die gemeinsamen Interessen waren das vertraute und anregende Runden. Philipp und ich fanden in Martin einen Gesprächspartner, der nicht nur von seinen kulturwissenschaftlichen Recherchen zu den Bergen erzählte, sondern auch von seinen alpinistischen Erlebnissen erzählte – in bester Erinnerung ist mir die eindrückliche Schilderung seiner gescheiterten Besteigung eines – ich glaube, es war ein Siebentausender im Himalaya.

Die 2007 eröffnete Ausstellung "Berge, eine unverständliche Leidenschaft" in der Innsbrucker Hofburg wurde weit über die Kreise der Berginteressierten hinaus wahrgenommen und erhielt wichtige Auszeichnungen. Nach dem Projekt brach der Kontakt zu Martin Scharfe nicht ab. Für mich ist Martin – wenn ich das so sagen darf – ein Freund geworden. Immer wieder hatten wir Kontakt und ich, in Zusammenhang mit Ausstellungsprojekten, Fragen zu alpinen Themen. Oft waren es lange Telefongespräche, und danach hatte ich einen neuen Ansatz und konnte mit einem frischen Blick weiterarbeiten. Ein paar Tage nach dem Telefonat kam meist ein Brief aus Marburg mit einer Vielzahl von zusammengeschnittenen, verschiedenformatigen Fotokopien auf dünnem Papier, sorgfältig von Hand mit Tinte beschriftet: Einblicke in Martins Material, das er über Jahren zusammengetragen hatte. Für mich jedes Mal eine Horizonterweiterung.

Ja, Martin Scharfe zeigte mir, dem ersten Blick zu misstrauen und genauer hinzuschauen. Er legte für mich die Grundlage, mit der Kulturgeschichte der Berge kritisch umzugehen.

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