So fing alles an: Angesichts leidvoller Sperrungen in Klettergebieten der deutschen Mittelgebirge Anfang der 1990er Jahre wollte der DAV ähnliche Entwicklungen in den Wintertourengebieten der Bayerischen Alpen nicht auch erleben und beschloss, vorausschauend selbst aktiv zu werden. Zwar war der heutige Boom bei Skitouren damals kaum vorstellbar, doch eine Zunahme der Beliebtheit zeichnete sich bereits ab. So rief der DAV 1994 auf der Naturschutztagung den Arbeitskreis „Skibergsteigen umweltfreundlich“ ins Leben, der bis heute unter diesem Namen als Kommission fortbesteht. 1995 schuf er eine Stelle zur Bearbeitung der Thematik in der Münchner Bundesgeschäftsstelle und etwa zeitgleich begann das Bayerische Umweltministerium mit der Untersuchung „Wildtiere und Skilauf im Gebirge“. Beide Initiativen verschmolzen bald zu einem gemeinsamen Projekt, das schrittweise von Ost nach West die gesamten Bayerischen Alpen mit angrenzenden Teilen Österreichs (rund 5000 km2), später auch Teilbereiche des Bayerischen Waldes und des Südschwarzwaldes erfasste.
DAV-Präsident Roland Stierle gratuliert
„Skibergsteigen umweltfreundlich“ feiert Geburtstag! Manche haben sich vor dreißig Jahren wohl die Augen gerieben, als der DAV gemeinsam mit dem Bayerischen Umweltministerium dieses Projekt aus der Taufe gehoben hat. „Wozu ist das nötig, wir kennen doch die Anstiege“, war eine weit verbreitete Ansicht. Heute will man diese Lenkungsmaßnahme, ob auf Ski oder mit Schneeschuhen im Gelände, nicht mehr missen. Beschilderungen führen verlässlich an Schon- und Schutzgebieten für Wildtiere vorbei. Ehrenamtliche haben unzählige Stunden für das Projekt aufgebracht, die erfolgreiche Koordination – vor allem die Harmonisierung der unterschiedlichen Interessen – lag dabei in allen Jahren bei Manfred Scheuermann aus der DAV-Bundesgeschäftsstelle. Die Freude am Skitouren- und Schneeschuhgehen hat sich in den vergangenen Jahren noch verstärkt. Heute wäre es unter diesem Besucherdruck kaum mehr möglich, Lösungen für naturverträgliche Aktivitäten zur Freude der Aktiven und zum Schutz der Wildtiere zu finden. Neben der Wegepflege und Beschilderung für Sommertouren ist diese Lenkungsmaßnahme für Wintertouren die bedeutendste in unseren Alpen. Gratulation zu dieser Erfolgsgeschichte!
180 Exkursionen zwischen Watzmann und Bodensee
Schlüssel zum Erfolg war, dass von Beginn an pro Region neben den zuständigen DAV-Sektionen Vertreter*innen aller betroffenen Verbände, Behörden sowie Grundeigentümer einbezogen wurden und man jeden Tourenberg gemeinsam besuchte. Nach vorab erfolgter wildbiologischer Begutachtung galt es, vor Ort mögliche Konflikte zwischen Naturschutz und Wintertouren zu erkennen, einvernehmliche Lösungen zu finden und die Ergebnisse in der Folge umzusetzen. So fanden zwischen Watzmann und Bodensee etwa 180 Exkursionen statt, rund fünfhundert Ski- und 250 Schneeschuhrouten wurden auf Naturverträglichkeit geprüft und in deren Umfeld über dreihundert Wald-Wild-Schongebiete auf Basis der Freiwilligkeit ausgewiesen. Transparent wurden die Ergebnisse ab 2007 durch die Möglichkeit, sie in neuen AV-Karten abzubilden. In Kooperation mit dem Bayerischen Landesamt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung (LDBV) und auf Grundlage der Amtlichen Topografischen Karte im Maßstab 1:25.000 haben DAV und LDBV damit ein neues, auch für Sommertouren sehr hilfreiches, analoges und digitales Kartenwerk aus 23 Blättern geschaffen. Die Karten werden im Dreijahresrhythmus aktualisiert, sodass Anpassungen zeitnah erfolgen. 2014 startete der DAV die Kampagne „Natürlich auf Tour“, um die Aktiven verstärkt zu sensibilisieren: digital, durch ansprechende Printprodukte und mit inzwischen etwa 150 neuen Informationstafeln im Gelände, die auf die naturverträglichen Routen und Wald-Wild-Schongebiete hinweisen. Am jährlich bayernweit stattfindenden Aktionstag werden bis zu 2500 Aktive erreicht. Für Führerwerke und Tourenportale, die bestimmte Kriterien erfüllen, verleiht der DAV ein Gütesiegel. Das Thema ist zudem fester Bestandteil bei der Aus- und Weiterbildung der ehrenamtlichen Trainer*innen in den Sektionen.
Auch das immer beliebtere Pistentourengehen hat der DAV aufgegriffen. Zusammen mit dem Deutschen Skiverband, dem Verband Deutscher Seilbahnen, dem Bayerischen Innenministerium und dem Lawinenwarndienst Bayern galt es, allgemeine Regeln für Skitouren auf Pisten, einheitliche Beschilderung und auf einzelne Skigebiete zugeschnittene Konzepte zu erarbeiten. Die Initiative des DAV zur Regelung von Pistentouren strahlt bis heute alpenweit aus. Aufgabe war es darüber hinaus, naturschutzfachliche Rahmenbedingungen für Skitouren-Wettkämpfe in Deutschland zu schaffen. Seither gelten für Skitourenrennen des DAV strenge Umweltstandards. Definiert wurde auch, dass Veranstaltungen, wie etwa der beliebte „Jennerstier“ am Königssee, nicht im alpinen Tourengelände, sondern nur im Umfeld von Pistenskigebieten stattfinden dürfen.
30 Jahre „Skibergsteigen umweltfreundlich“ – das wurde erreicht:
Wichtiger Beitrag zum Arten- und Biotopschutz: Großflächige markante Entlastung der Lebensräume störempfindlicher Tierarten, insbesondere der Auer- und Birkhühner.
Vielfältige Tourenmöglichkeiten: Keine Routensperrungen, auf etwa ein Fünftel der zuvor genutzten Flächen muss freiwillig verzichtet werden. Dazu kommen ausgewiesene Pistentouren und Tourenabende zur Entlastung des Tourengeländes.
Lückenlose dauerhafte Gebietsbetreuung: Arbeitsgruppen auf Landkreisebene aus Vertreter*innen aller betroffenen Organisationen treffen sich, koordiniert vom DAV, regelmäßig zur Erfolgskontrolle. Sie passen die regionalen Konzepte fortwährend neuen Trends und Entwicklungen an.
Aktuelle Herausforderungen und Blick in die Zukunft
Selbst nach dreißig Jahren ist das Projekt „Skibergsteigen umweltfreundlich“ nicht vollendet und für den Alpenverein gibt es weiterhin viel zu tun. Wie das Beispiel vom Massenansturm auf das Zugspitzgebiet im Sommer zeigte, ist der Besucherdruck in den Bayerischen Alpen seit der Corona-Pandemie weiter angewachsen und wirft Fragen nach dem Umgang mit neuen Nutzungsformen wie dem Winterwandern auf. Von behördlicher Seite werden oftmals strengere Betretungsregelungen gefordert, während der DAV das bewährte auf Freiwilligkeit basierende Konzept durch gute Aufklärung fortsetzen will. Bedingt durch den Klimawandel werden außerdem höher liegende Ausgangspunkte besonders stark frequentiert und in tieferen Lagen sowie in schneearmen Phasen sind die Berge auch in der kalten Jahreszeit teils fußläufig erreichbar. Auch die tageszeitliche Nutzung hat sich durch Dämmerungs- oder Nachttouren ausgedehnt, was sich in den Wald-Wild-Schongebieten speziell im Frühjahr besonders nachteilig auf die vom Aussterben bedrohten Raufußhühner auswirkt. Damit die Informationen zu den empfohlenen Ski- und Schneeschuhrouten sowie den Schutz- und Schongebieten alle Bergsportler*innen erreichen, ist ein ausgeklügeltes Kommunikationskonzept für die verschiedenen Kanäle zu erarbeiten. Zusammen mit dem ÖAV und dem AVS arbeitet der DAV derzeit an einem Skiroutendatensatz für die Ostalpen, der als Informationsgrundlage dienen soll. Großes Lenkungspotenzial bietet die an Bedeutung zunehmende digitale Tourenplanung. Hierzu arbeitet der DAV mit dem Dienstleister „Digitize the Planet“ zusammen und setzt sich dafür ein, dass die Informationen auf allen gängigen Tourenportalen, wie Alpenvereinaktiv und Skitourenguru, angezeigt werden. All das zeigt die Notwendigkeit, dass sich der DAV weiter für den naturverträglichen Wintersport engagiert, um die bestmöglichen Kompromisslösungen zwischen den Interessen von Bergsport und Naturschutz auszuhandeln und zu kommunizieren.