Theoretischer Hintergrund
Manchmal stellt man im Nachhinein fest, dass man eine ungute Situation als Gruppe hätte vermeiden können, wenn man mehr oder rechtzeitig miteinander geredet hätte. Warum allerdings nicht ausreichend kommuniziert wurde, ist rückblickend oft schon nicht mehr so einfach festzustellen.
Ursachen, die eine angemessene Kommunikation in der Gruppe verhindern können, liegen:
im typischen Umgang miteinander („Wir reden eh nie viel, wenn wir unterwegs sind.“; „Wir haben eine*n Leiter*in, der*die sagt, wo es lang geht – fertig.“);
im Festhalten an unrealistischen Zielen („Der Gipfel war ausgemacht, also kann ich jetzt nicht sagen, dass es für mich nicht geht.“);
in einem trügerischen Sicherheitsgefühl („In der Gruppe ist es sicher; was soll schon passieren? “)
oder in einer unklaren Verantwortung bezüglich der Entscheidungen („Ich fühl‘ mich zwar unwohl, aber so lange die anderen weiterlaufen, wird es schon passen.“).
Prävention und Entwicklungsperspektive
Zu verstehen, wie es zu der mangelnden Kommunikation gekommen ist, hilft euch für die Zukunft, Gegenmaßnahmen zu entwickeln: Wie könnt ihr zukünftig als Gruppe für eine bessere Kommunikation sorgen? Hilfreich wird sein, nicht nur über das Tourenziel oder die Ausrüstung zu sprechen, sondern sich auch über Erwartungen und Befindlichkeiten auszutauschen. Ein Austausch hierüber gelingt leichter, wenn eine Gruppenkultur gepflegt wird, in der von Beginn an über Erwartungen, Wahrnehmungen, Einschätzungen und eigene Bedürfnisse gesprochen werden kann. Dazu braucht es keine große Gesprächsrunde, in der alle Befindlichkeiten geteilt werden, vielmehr genügen Kleinigkeiten wie z.B.: „Bin gespannt, wie warm es oben im Latschenfeld wird“ oder „Mal sehen, ob das Wetter so hält, wie der Wetterbericht versprochen hat“. Und diese Fragen können auch mal während dem Gehen eingestreut werden. Nicht umsonst spricht man vom „Schweigen brechen“: Es ist viel schwieriger in einer Gruppe, das Schweigen zu brechen, als einen losen Austausch wieder aufzunehmen. Ein loser Austausch kann es leichter machen, unangenehme Dinge anzusprechen und dadurch die Kommunikation in der Gruppe zu verbessern. Dazu muss es diesen Austausch aber auch erst mal geben. Jedes Gruppenmitglied kann so einen Austausch beginnen. Wenn du der Meinung bist, dass in den Gruppen, mit denen du unterwegs bist, manchmal zu wenig über wichtige Dinge die Wanderung betreffend geredet wird, solltest du dich bei der nächsten Tour dafür verantwortlich fühlen, so einen losen Austausch darüber zu starten.
Natürlich ist es auch möglich, dass ihr euch auf Tour bei vorher festgelegten Entscheidungspunkten nicht nur über die aktuellen Verhältnisse und den weiteren Tourenverlauf, sondern auch über die Befindlichkeiten in der Gruppe austauscht. Dies erfordert aber bereits eine gewisse Routine, Offenheit und Bereitschaft zu so einem Austausch in der gesamten Gruppe.
Allgemein solltet ihr folgende Faustregel beherzigen: Störungen haben Vorrang. Damit ist gemeint, dass Bedürfnisse, die sich aus der individuellen körperlichen oder psychischen Belastungsfähigkeit oder aus individuellen Wünschen ergeben, immer dann Vorrang haben, wenn sie so dringend sind, dass eine normale und für alle befriedigende Durchführung der Tour nicht mehr gewährleistet ist – die Bedürfnisse also den Ablauf stören. Kommt ein Gruppenmitglied an seine körperliche Belastungsgrenze, entsteht daraus das Bedürfnis nach einer Pause, Essen und Trinken oder – im ungünstigen Fall – vielleicht auch Umkehr oder Sitzenbleiben. Dieses Bedürfnis ist groß genug, um den geplanten Verlauf der Tour zu stören und muss daher von der Gruppe berücksichtigt werden. Daher das Motto „Störungen haben Vorrang“.
Mangelnde körperliche Fitness als ein Faktor, der den geplanten Ablauf einer Tour durcheinanderbringt, haben vermutlich die meisten von uns schon einmal erlebt. Doch es gibt noch viele andere Bedürfnisse, die den geplanten Ablauf einer Tour beeinflussen können. Dies kann damit beginnen, dass es vielleicht unterschiedliche Vorstellungen über den Ablauf einer Tour gibt, über die aber nicht gesprochen wurde. Die einen wollen vielleicht unbedingt auf den Gipfel, den anderen würde das Erreichen einer Alm unterwegs genügen. Die einen möchten gerne die Gratüberschreitung machen, die anderen wissen noch nicht, ob sich die Ausgesetztheit zutrauen können. Bei einer guten Tourenplanung und -durchführung werden solche unterschiedlichen Bedürfnisse, Erwartungen und Fähigkeiten unter einen Hut gebracht, indem sie bei der Planung angemessen berücksichtigt werden und unterwegs auf sie reagiert wird. Im negativen Fall haben zahlreiche Gruppenmitglieder den Eindruck, dass ihre Bedürfnisse nicht berücksichtigt werden, was zu einem Konflikt in der Gruppe führen kann. Im Extremfall kann ein Konflikt so eskalieren, dass alle nur gedanklich mit ihren Bedürfnissen und Kränkungen beschäftigt sind, sich aber nicht mehr über entscheidungsrelevante Wahrnehmungen austauschen: „Da braut sich ein Gewitter zusammen, aber ich sage jetzt nichts – mir hört eh keiner zu. Sollen die Deppen halt weiterlaufen – geschieht ihnen eh recht.“
Um nicht einmal annäherungsweise in solche Situationen zu kommen, ist es wichtig eine gute Kommunikation in der Gruppe zu pflegen. Im Folgenden werden einige Voraussetzungen für eine gute Kommunikation näher ausgeführt.
1. Mitteilen eigener Bedürfnisse
Einerseits solltet ihr offen eure Bedürfnisse bezüglich der Tour und des gemeinsamen Unterwegsseins ansprechen. Hilfreich ist, wenn ihr euch auf möglichst konkrete Situationen oder Erwartungen bezieht und nicht allgemein sprecht. Zusätzlich wird es den anderen leichter fallen, euch zu verstehen und eure Bedürfnisse anzunehmen, wenn ihr diese eher als Wunsch und nicht als Forderung formuliert. Je früher ihr Bedürfnisse formuliert und je weniger dringlich und akut diese sind, desto weniger werden die anderen davon überrascht sein und desto einfacher wird es sein, gemeinsame Lösungen zu finden bzw. diese bereits bei der Tourenplanung zu berücksichtigen. Wenn ihr erst am Gratbeginn ankündigt, dass ihr nicht schwindelfrei seid oder ein zu schnelles Gehtempo mitgeht, bis ihr nicht mehr könnt, werden die anderen möglicherweise sich von eurem, dann spät geäußertem Bedürfnis nach Pause oder Umkehr überrumpelt fühlen und die Gruppe wird auch nur noch wenige Handlungsmöglichkeiten haben. Äußert ihr dagegen euer Bedürfnis nach einem langsameren Tempo oder geringer Ausgesetztheit frühzeitig – idealerweise bereits bei der Tourenplanung – dann könnt ihr die Tour von Beginn an entsprechend anpassen. Hierzu gehört auch, seine eigenen Bedürfnisse nicht hinter vermeintlichen Gruppenbedürfnissen zu verstecken. Wenn beispielsweise eine Entscheidung über eine längere oder kürzere Variante ansteht und ihr den Eindruck habt, dass alle anderen gerne die längere Variante laufen möchten, ihr aber lieber die kürzere, dann habt ihr zwei Möglichkeiten: Entweder ihr vernebelt euer Bedürfnis und greift die von euch wahrgenommene Gruppentendenz auf („Wir können schon noch die lange Strecke laufen, wenn das eh alle möchten.“) oder ihr nehmt euch selbst ernst und äußert euer Bedürfnis („Ich möchte gerne die kürzere Strecke gehen.“). Bei erster Kommunikation kann es im ungünstigen Fall dazu kommen, dass sich alle Gruppenmitglieder hinter dem vermeintlichem Gruppenbedürfnis verstecken und dann die Gruppe die lange Variante geht, obwohl jedes Gruppenmitglied lieber die kürzere gegangen wäre. Bei zweiter Kommunikation werden die unterschiedlichen Bedürfnisse transparent und die Gruppe kann dadurch nach einer gemeinsamen Lösung suchen, die für alle passt. Ihr könnt nicht davon ausgehen, dass die anderen immer eure Bedürfnisse kennen oder erraten, auch wenn ihr oft gemeinsam unterwegs seid. Im Gebirge kann das Nicht-Äußern von Bedürfnissen zu gefährlichen Situationen führen, wenn ihr, um im Beispiel zu bleiben, der Gruppe erst dann mitteilt, dass ihr eh nicht mehr weiterwolltet, wenn ihr nicht mehr weitergehen könnt, aber sich das Wetter verschlechtert oder es bereits dämmert.
2. Wahrnehmen der Bedürfnisse anderer
Andererseits solltet ihr nicht nur eure Bedürfnisse mitteilen, sondern auch offen sein für die Bedürfnisse der anderen Gruppenmitglieder. Hierzu gehört zum einen, auf entsprechende Äußerungen anderer zu reagieren und nachzufragen. Ein „Puh, ganz schön heiß heute!“ eines anderen Gruppenmitglied könnte nur bedeuten, dass die Person feststellt, dass es eben heiß ist. Es kann aber auch Ausdruck des Bedürfnisses nach langsameren Gehtempo oder einer Trinkpause sein. Was zutrifft, erfahrt ihr durch bestätigendes und/oder wiederholendes Nachfragen: „Ja, ganz schön heiß – sollen wir vielleicht langsamer gehen oder mal was trinken?“. Das Wiederholen des Gesagten vermittelt der anderen Person, dass und wie vollständig sie gehört wurde. Wiederholen kann immer dann sinnvoll sein, wenn nicht genau klar ist, worum es geht (Im Beispiel: Feststellung der hohen Temperatur vs. Wunsch nach Pause). Ferner solltet ihr nicht nur auf die Äußerungen der anderen durch Nachfragen reagieren, sondern selbst aktiv Offenheit signalisieren. Das ist insbesondere hilfreich, wenn es ein Leistungsgefälle in der Gruppe gibt: Den weniger Fitten wird es leichter fallen, ihre Bedürfnisse zu sagen, wenn die Fitteren Offenheit kommunizieren: „Bitte gebt Bescheid, wenn wir Pause machen sollen.“, „Passt das Tempo oder sollten wir vielleicht langsamer gehen?“, „Fühlen sich alle hier am Grat noch wohl, oder braucht jemand Unterstützung?“.
3. Kommunikation in Gefahren- und Bedrängnissituationen
Im Normalfall wird ein freundliches, nicht-forderndes Formulieren der eigenen Bedürfnisse als Wunsch oder Möglichkeit („Heute ist mir mehr danach …“), die Verwendung von Konjunktiven oder vagen Formulierungen („Wie wäre denn die Idee, dass wir ...“) und ein loser Austausch über die Erwartungen an bzw. die Vorstellungen über die Tour („Bin ja mal gespannt, wie das da oben am Grat wird.“) die Kommunikation in der Gruppe verbessern. Hiervon gibt es eine klare Ausnahme: In Gefahren- und Bedrängnissituationen müsst ihr klar, offensiv und eindeutig kommunizieren. Wenn ihr auf einen Grat kommt und dort erst bemerken könnt, dass sich bereits eine Gewitterwolke drohend über der dahinter liegenden Bergkette türmt, dann sind defensive Wahrnehmungs- und Bedürfnismitteilungen wie „Hm, könnte es vielleicht regnen? Ich bin mir gar nicht so sicher, ob ich den Grat jetzt noch unbedingt gehen muss.“ unangemessen. In Situationen, in denen das Wohlergehen eines einzelnen oder der Gruppe gefährdet ist, müsst ihr die Situation („Da kommt ein Gewitter!“, „Mir ist schwindelig.“) und die notwendigen Konsequenzen („Wir müssen sofort umdrehen.“, „Ich muss mich setzen und brauche eine Pause.“) klar und für alle verständlich benennen.
Zusammenfassend
Entwickelt eine Gruppenkultur, die den Austausch über gegenseitige Bedürfnisse ermöglicht.
Vermittelt klar eure eigenen, für die Tour entscheidenden, Bedürfnisse. Geht nicht davon aus, dass die anderen eure Bedürfnisse schon kennen oder erraten werden.
Seid offen gegenüber den Bedürfnissen der anderen Gruppenmitgliedern.
Kommuniziert Wahrnehmungen, Bedürfnisse und die notwendigen Maßnahmen in Gefahren- bzw. Bedrängnissituationen klar und eindeutig.