Im Oktober 2019 entdeckte ein Kletterer auf der Lenninger Alb einen Riss an einem Haken und konnte ihn mit einem einfachen Karabiner-Drehtest (s. u.) abdrehen. Im Frankenjura versagten im Sommer und im Herbst 2020 zwei Umlenkhaken. Einmal fiel der Kletterer auf den Sicherer und verletzte diesen schwer. Der zweite Fall ging glimpflich aus, da die letzte Zwischensicherung eingehängt war und den Totalabsturz des Kletterers verhinderte. Anlass für die DAV-Sicherheitsforschung, von Mai bis Dezember 2020 in süddeutschen Sportklettergebieten eine umfangreiche Untersuchung durchzuführen. Das Ziel war ein Überblick über Haltekräfte von fraglichen Hakensystemen, um die Dringlichkeit für Sanierungen einschätzen zu können.
Wie wurde gemessen?
Dazu wurden insgesamt 148 Bohrhaken in elf Klettergärten getestet: in den Bayerischen Voralpen, im Blautal, auf der Lenninger Alb, im Frankenjura und im Allgäu. In diesen Gebieten gab es viele Bohrhaken mit Konstruktionsprinzipien, die als „fragwürdig“ definiert worden waren. Das waren 33 Kronenbohrhaken, 31 Gerüstösen mit 10 und 8 mm Durchmesser, 19 Expressanker mit 8 und 10 mm Durchmesser und unterschiedlichen Laschen, 4 Einschlaganker, 5 Ringanker mit Einschlag-Spreizkonus, 25 Eigenbau- oder Baumarkt-Anker und 31 industriell gefertigte Verbundhaken („Klebehaken“). Jeder Haken wurde mit einer langsam ansteigenden Kraft (quasistatischer Zugversuch) bis zum Versagen oder bis zum Erreichen der Normanforderung (EN 959:2018) belastet – entweder in axialer Belastungsrichtung (Verlängerung des Schaftes, Normforderung 15 kN) oder radial (parallel zum Fels, Normforderung 25 kN).
Das Ergebnis: fast 80 Prozent der Haken bieten ausreichend Sicherheit
Dokumentiert wurden die maximal gemessene Kraft (Höchstzugkraft, HZK) und die Versagensursache: Entweder versagte die Verbindung zwischen Haken und Fels und der Haken wurde aus dem Bohrloch gezogen, oder der Haken selbst brach, oder der Felsbereich um den Haken brach aus. Da die Prüfung zerstörend ist, konnte von einem einzelnen Haken immer nur entweder die radiale oder die axiale Höchstzugkraft bestimmt werden. Deshalb wurden immer mehrere Exemplare des gleichen Hakentyps in axialer und in radialer Richtung getestet: 72 Haken in axialer, 76 in radialer Richtung.
Axial wurde die Kraft mit einem Hydraulikzylinder aufgebracht, der sich mit zwei Füßen an der Wand abstützt, radial mit einem Hubzug und Verlängerungen von einem Stand am Wandfuß aus. Nach den ermittelten Höchstzugkräften sortierten wir die Haken in fünf Ampel-Kategorien, von „Normanforderung erfüllt“ bis „hätte höchstwahr-scheinlich versagt“. Die Ergebnisse sind im Großen und Ganzen beruhigend: Unter den 148 geprüften Haken fand sich kein einziger „Versager-Kandidat“ (Kategorie „rot“); dagegen fielen 117 Haken, fast 80 Prozent, in die Kategorien 1 und 2, hätten also mit ausreichender Sicherheit einem Sturz standgehalten. 21 (14 Prozent) der getesteten Haken genügten noch der Kategorie 3, würden also nur heikel, wenn sich ihr Zustand weiter verschlechtert, beispielsweise durch Korrosion.
Wie sind diese Ergebnisse einzuschätzen?
Aber: Zehn der getesteten Haken waren kritisch und Kategorie 4 („orange“) zuzuordnen; diese sieben Prozent hätten bei einem (großen oder harten) Sturz eventuell versagt. Aus unterschiedlichen Gründen: Bei der Hälfte brach der Fels aus oder weg (1 Bohrkrone, 4 Verbundanker/„Klebehaken“). Drei Haken wurden herausgerissen, das heißt, die Verbindung zwischen Haken und Fels versagte (zwei Gerüstösen und ein Plastikdübel). Bei einem 8-mm-Expressanker und einer Bohrkrone brach der Haken selbst. Wie sind diese Ergebnisse nun einzuschätzen? Generell lässt sich sagen: Bohrhakenversagen sind seltene Ereignisse, die meisten Bohrhaken halten. Denn obwohl wir für unsere Stichprobe gezielt Bohrhakenmit fragwürdigem Konstruktionsprinzip auswählten, waren über 90 Prozent „sehr gut“, „gut“ oder „noch o.k.“. Doch die zehn „Wackelkandidaten“ der Untersuchung belegen genauso wie die Vorfälle im letzten Jahr, dass einzelne Haken versagen können.
Versagensgründe
Dass ein Haken herausgerissen wird (Verbindung Haken-Fels versagt), kann vielerlei Ursachen haben. Bei Verbundankern ist es häufig ein Setzfehler (Bohrloch nicht ausgeblasen oder ungeeigneter Mörtel); einen Hinweis auf eine schlechte Verbindung von Haken und Fels gibt der Karabiner-Drehtest: Karabiner einhängen und mit Handkraft hebeln – bewegt sich der Haken, ist Vorsicht angesagt. Wenn Haken, die durch Spreizdruck im Fels halten (siehe Tabelle) nicht fachgerecht montiert werden (etwa wenn ein Hohlraum angebohrt wird oder das Gestein zu weich ist) oder wenn die Hakenlänge zu kurz ist, kann das zum Ausbruch führen – ein Warnsignal ist ein weit herausstehendes Gewinde bei Expressankern.
Schlechte Haken: zu schwaches Material und oft aus dem Baumarkt
Bei einigen älteren Konstruktionen (Kronenbohrhaken, Mammut-Einschlagringe) wird die Expansion durch einen Konus bewirkt, der beim Einschlagen die Hakenhülse vom Bohrlochgrund her aufspreizt. Falls zu tief gebohrt wurde, wird der Hakenschaft nicht weit genug aufgespreizt; von außen ist das nicht zu erkennen. Der dritte Versagensgrund liegt im Haken selbst. So bei zwei der Unfallhaken: Einer hatte zu schwaches Material, der andere stand zu weit heraus und war durch häufiges Topropen (Dauerschwellbelastung) geschwächt. Bei der Untersuchung fiel ein 8-mm-Expressanker in Kategorie „orange“; solche Modelle sind am kleinen Querschnitt zu erkennen. Sie sind meist auch noch zu kurz, so dass vor allem in weicherem Fels Ausbruchgefahr besteht – nicht mehr Stand der Technik. Der andere „Wackelkandidat“ der Untersuchung war ein Kronenbohrhaken – in der Pionierzeit des Sportkletterns weit verbreitete Modelle, die am Schraubenkopf (meist Imbus oder Sechskant) zu erkennen sind. Sie hielten bei der Untersuchung zum Teil noch viel, aber die Höchstzugkräfte streuten stark. Deshalb sollte man sie grundsätzlich als „fraglich“ behandeln: so uneinschätzbar wie Normalhaken. Die Einbindetiefe ist zu gering, das Verankerungssystem ist von der Bohrlochtiefe abhängig, und es kann ein von außen nicht erkennbares Korrosionsproblem bestehen. Rostspuren am Haken oder am Fels unterhalb sind immer ein Alarmzeichen, unabhängig von der Hakenkonstruktion.
Preisgünstige Gerüstösen aus dem Baumarkt, die fast wie Klebehaken aussehen, sind nicht für radiale Belastung konzipiert; sie sollte man erkennen können. Dass man bei obskuren Konstruktionen wie Baumarktplättchen oder angeschraubten Kettengliedern vorsichtig sein sollte, sagt der gesunde Menschenverstand – der ist übrigens generell recht hilfreich zum sicheren Klettern.
Eigenverantwortung statt blindem Vertrauen
Beim Klettern am Fels sind wir also selbst gefragt, unsere Eigenverantwortung wahrzunehmen und nicht blind allem zu vertrauen, was in der Wand steckt. Natürlich können wir beim Klettern nicht ständig jeden Haken überprüfen – aber zumindest für offensichtliche Warnzeichen oder obskure Modelle aufmerksam sein. Genauer beurteilen sollten wir auf jeden Fall Umlenkhaken (besonders, wenn daran Toprope geklettert werden soll) und andere „neuralgische“ Haken (bei Versagen droht große Verletzungsgefahr). Lautet diese Beurteilung „fraglich“, haben wir verschiedene Möglichkeiten: Bei Zwischenhaken können wir eventuell „sturzfrei“ weiterklettern, also mit Sicherheitsreserve (aber höherem Risiko im Fall des Falles) – oder umkehren, wenn sich kein mobiles Backup (Keile, Friends, Schlingen) schaffen lässt. Ein Umlenker oder Abseilhaken, der ja zwingend belastet werden muss, braucht ein Backup, wenn er fraglich erscheint –beim Toprope ist es nie verkehrt, die letzte Zwischensicherung eingehängt zu lassen. Wie aber können wir entscheiden, welche Bohrhaken wir als „fraglich“ betrachten sollen? Das ist nicht ganz einfach, aber es gibt Anhaltspunkte. Für manche genügt ein scharfes Auge und der gesunde Menschenverstand, andere brauchen etwas Hintergrundwissen zu den Funktionsprinzipien der unterschiedlichen Hakentypen. Der häufigste Versagensgrund bei den Haken der Kategorie „orange“ und bei einem der Unfälle ist relativ leicht zu erkennen: schlechte Felsqualität oder ungünstige Platzierung. Hinweise auf brüchige Strukturen sind hohler Klang beim Klopfen, eine „kranke“ Farbe oder Risse in der Oberfläche. Gefährlich sind auch Haken, die zu nahe an Kanten gesetzt sind, so dass bei Belastung die Struktur wegbricht. Mindestens 15 cm Abstand zu Rissen und Kanten sind wünschenswert, noch mehr bei weichem Gestein oder Bohrhakendurchmessern über 12 mm.
Bohrhaken beurteilen
Beim Klettern auf Warnzeichen achten, v.a. an „neuralgischen“ Zwischenhaken und Umlenkern (Verbundhaken mit Karabiner-Drehtest checken)
Bei Verdacht: a) umdrehen; b) (mobiles) Backup; c) weiterklettern nur, wenn Sturz ausgeschlossen werden kann (?)
Besondere Vorsicht bei brüchigem Fels oder wenn der Haken zu nah an Rissen/ Kanten steckt: 15 cm Abstand, mehr bei weichem Gestein oder Durchmessern über 12 mm
Besonders kritisch zu betrachten sind Eigenbauhaken, Gerüstösen und Kronenbohrhaken (mit Inbus- oder Sechskantschraube)
Klare Warnzeichen: Rost aus Bohrloch; überstehendes Gewinde; bei Verbundhaken herausstehender Schaft oder Bewegung beim Karabiner-Drehtest
In korrosionsfördernder Umgebung – insbesondere in Meeresnähe – ist Rost besonders häufig: immer kritisch beurteilen!
Einrichten und Sanieren von Kletterrouten
Bei der Anwendung von Bohrhaken sind zahlreiche Anforderungen zu beachten. Alle wichtigen Punkte sind in einer Broschüre zusammengefasst. Den Leitfaden zum Sanieren und Einrichten von Kletterrouten gibt es hier: Bohrhakenbroschüre
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Panorama-2-2021-Sicherheitsforschung-Borhhaken_32022.pdf | 805.91 KB |