Als wichtige Grundstruktur dient das Prinzip der 3x3-Tourenplanungsstrategie. Diese sollte unbedingt verinnerlicht werden; sie lässt sich auf alle Bergsportarten anwenden.
Das Prinzip des 3x3-Denkens
Es gibt drei Hauptfaktoren, welche die Anforderungen und das Risiko einer Tour beeinflussen:
Verhältnisse
Tour/Gelände
Mensch (Person/Gruppe)
Diese drei Faktoren (Verhältnisse, Gelände, Mensch) müssen kontinuierlich zu (drei) verschiedenen Zeitpunkten vor und während der Tour beurteilt werden:
bei der Grobplanung (zu Hause, auf der Hütte, in der Unterkunft)
während der Tour / an Tourencheckpunkten (z. B. am Ausgangspunkt der Wanderung, an Schlüsselstellen, während Pausen sowie am Gipfel)
auf Tour bei unerwarteten Vorkommnissen bzw. überraschenden Situationen (z. B. bei Stau, Verlaufen, Wetterumschwung)
Zu einer guten Beurteilung gehört es, im ersten Schritt möglichst viele Informationen zu sammeln und sich daraus eventuell ergebende Gefahren zu erkennen: Wie hoch ist die Eintrittswahrscheinlichkeit dieser Gefahren und welche Konsequenzen hätten sie? Gibt es Maßnahmen, mit denen das Risiko gesenkt werden kann? Letztendlich gilt es, all diese Details zu interpretieren und bewerten, um am Ende eine richtige Entscheidung treffen zu können.
Grobplanung vor der Tour
Im Vorfeld einer Tour müssen zunächst umfangreiche Informationen zur Tour gesammelt werden. Für eine zeitgemäße Tourenplanung werden heutzutage oft digitale Möglichkeiten genutzt. Doch Online-Informationen können sehr subjektiv sein und fehlinterpretiert werden, die Qualität und Zuverlässigkeit der Angaben können schwanken und sind nicht immer mit dem Niveau sowie der Stringenz eines Printführers zu vergleichen. Aber: genauso gut kann es sein, dass Tourenbeschreibungen in alter Führerliteratur nicht mehr aktuell sind (Wege können beispielsweise aufgrund von Geländeveränderungen inzwischen verlegt oder gesperrt worden sein). Deswegen verknüpft man am besten klassische analoge Infoquellen (Führerliteratur, Karten) mit digitalen (Tourenportale wie z. B. alpenvereinaktiv.com etc.) und gleicht die Informationen ab.
Faktor Verhältnisse
Die theoretischen, in der Literatur beschriebenen Anforderungen einer Tour beziehen sich immer auf „normale“, also gute Verhältnisse. Doch äußere Einflüsse und saisontypische Verhältnisse können einen Bergwanderweg (mitunter stark) verändern. Achte hier vor allem auf Höhenlage und Exposition der Tour. Generell gilt: Im Frühjahr oder nach Starkregen sind Wege oftmals in einem schlechteren Zustand. Je nach Gelände und Höhenlage des Wanderweges musst du mit Einschränkungen rechnen. Zum Beispiel können Regen und Nässe dafür sorgen, dass Wurzeln und Gras rutschig sind, auch schmieriger Matsch birgt erhöhte Ausrutschgefahr. Nach Starkregen kann es sein, dass die ein oder andere Stelle vielleicht schlecht oder gar nicht begehbar ist, oder dass ganze Wegepassagen weggespült wurden. Schneefelder können auf nordseitigen Hängen bis in den Frühsommer überdauern und bergen eine erhöhte Ausrutsch-, bzw. an steilen Hängen: Absturzgefahr. Dasselbe gilt in bestimmten Höhenlagen für Neuschnee im Herbst. Außerdem können Schneefelder einzelne Wegemarkierungen verdecken und damit die Orientierung erschweren.
Aber auch gutes Wetter hat seine Tücken: meide Südhänge in der absoluten Mittagshitze, achte auf Sonnenschutz und denke daran, dass du, je heißer es ist, umso mehr Flüssigkeit verlierst durch Schwitzen. Sorge dementsprechend für ausreichend Getränke/Proviant.
Um bestmöglich vorbereitet zu sein, ist ein elementarer Bestandteil der Tourenplanung daher der Wetterbericht. In den für den Alpenraum zuständigen Wetterberichten (alpenverein.de/Bergwetter, zamg.ac.at/meteoschweiz.ch,) werden zusätzlich zu den allgemeinen Wetterinformationen Aussagen über das spezifische Bergwetter getroffen. Am besten ist es, du vergleichst verschiedene Wetterberichte tagesaktuell. Beachte, dass die Temperaturen im Tal höher sind. Auf hundert Höhenmetern wird es um ca. 0,6 Grad kälter. Außerdem gibt es auf den Wetterportalen auch Gewitterwarnungen sowie Regenradare, um die jeweilige lokale Entwicklung genauer einschätzen zu können.
Früh aufbrechen … und rechtzeitig Schutz suchen bzw. den Rückzug antreten. Insbesondere zwischen Mai und August ist die Gewittergefahr besonders groß und es gibt eine hohe Neigung zu nachmittäglichen Wärmegewittern. Bei Hinweisen auf Gewitter solltest du schon bei der Tourenvorbereitung einen möglichen Schutz (Almen, Hütten, ...) oder den Notabstieg einplanen und die Tour möglichst früh beginnen.
Informationen über die aktuellen Wegeverhältnisse bekommst du von Hüttenwirtinnen und -wirten; sie wissen am besten über die ihre Hütte umgebenden Wege und deren Zustand Bescheid. Darüber hinuas bieten Apps und Internetseiten wie Alpenvereinaktiv.com, gipfelbuch.ch oder hikr.org oft tagesaktuelle Informationen über die Verhältnisse bei den von Nutzern eingestellten Touren. Passe deine Ausrüstung auf die aktuellen Verhältnisse an, um für Schwierigkeiten gut gerüstet zu sein (z. B. Grödel für Schneefelder). Beachte auch diese Tipps für die richtige Ausrüstung beim Wandern.
Faktor Tour/Gelände
Um die passende Tour auszuwählen und diese richtig einzuschätzen, sind folgende Kriterien wichtig:
Länge/Distanz und Höhenmeter
Schwierigkeit, Schlüsselstellen, Ausweichmöglichkeiten sowie Varianten
Höhenlage und Exposition
Sind die Höhenmeter und Streckenkilometer in Auf- und Abstieg bekannt, lässt sich die ungefähre Gehzeit ermitteln. Zeitangaben in der Literatur gehen oft vom Standard aus oder aber sind auch subjektiv geprägt. Du solltest daher deine persönlichen Voraussetzungen berücksichtigen. Dabei hilft der DAV-Gehzeitrechner.
Sei dir darüber im Klaren, wie viele Stunden und Höhenmeter du in wie schwierigem Gelände grundsätzlich gehen kannst. Bist du in einer Gruppe unterwegs, dann richtet euch nach dem „schwächsten Glied“. Erfahrungsgemäß dauert in der Gruppe alles etwas länger; deswegen gilt: je größer die Gruppe, umso mehr Zeit einplanen. Außerdem gilt es zu berücksichtigen, dass es z. B. in größerer Höhe schwieriger ist, die gleiche Leistung zu erbringen wie in tiefen Lagen. Auch die Koordination beim Gehen und Steigen können darunter leiden, wenn die Akklimatisation nicht stimmt. Auf die reine Gehzeit addierst du dann noch Pausenzeiten: etwa alle zwei Stunden 15 Minuten Pause, am Gipfel eine halbe Stunde. Auch für sonstige Tourencheckpunkte (Schlüsselstellen, Wegabzweigungen für Varianten oder Abkürzungen, point of no return, etc.), sollte zusätzlich Zeit eingeplant werden, um dort in Ruhe Entscheidungen treffen zu können.
Schaue bei der Tourenauswahl genau hin: Wo liegen schwierige Passagen? Wie gehäuft kommen schwierige Passagen vor? Eine einzelne kurze Kletterstelle wird man mal schaffen; allerdings in Gipfelnähe, schon etwas außer Puste, vielleicht nicht mehr so leicht wie mitten in der Tour. Folgen im Laufe der Route mehrere heikle Passagen aufeinander, summiert sich auch die Belastung.
Manche dieser Gegebenheiten kannst du selbst mit viel Übung aus der Karte herauslesen; zum Beispiel gilt: Je enger die Höhenlinien beisammen liegen, desto steiler ist das Gelände. Wenn der Weg durch Felszeichnungen läuft, ist davon auszugehen, dass er durch steiles und ausgesetztes Gelände führt. Informationen findest du auch in ausführlichen Tourenbeschreibungen oder auf Tourenportalen im Internet. Aber Vorsicht: „schwierige Stellen“ können sich je nach subjektivem Empfinden, in der Realität stark von der persönlichen Beschreibung (Einzelner) im Internet unterscheiden.
Nun gilt es, all diese Informationen in einen realistischen Zeitplan mit ausreichend Reservezeit zu verpacken. Das verfügbare Zeitfenster wird beeinflusst durch die Jahreszeit (z. B. kürzere Tage im Herbst und Winter). Auch der Fahrplan öffentlicher Verkehrsmittel sowie die erste und/oder letzte Seilbahnfahrt können den zeitlichen Rahmen einer Tour vorgeben. Bei hochfrequentierten Touren mit „Engstellen“ muss mit Wartezeiten gerechnet werden. Je größer und weniger erfahren eine Gruppe ist, umso mehr Puffer sollte eingeplant werden. Außerdem muss die Wettervorhersage berücksichtigt werden. Sind beispielsweise starke Wärmegewitter für den Nachmittag angesagt, empfiehlt es sich, die Tour so zu planen, dass du rechtzeitig wieder sicher im Tal/auf der Hütte bist.
Sinnvollerweise unterteilst du die Tour in Checkpunkte. Gerade bei anspruchsvollen Touren macht es Sinn, festzulegen wo du zu bestimmten Uhrzeiten sein möchtest. Dann kannst du überprüfen, ob du noch im Zeitplan liegst, oder ob es besser wäre, rechtzeitig umzudrehen bzw. eine Alternative zu wählen. Plane schon im Voraus diese Alternativen ein! Kläre außerdem: Wo sind besonders heikle Stellen? Gibt es Passagen, die bei schlechten Verhältnissen umgangen werden können? Gibt es Abkürzungen bzw. leichtere Varianten? Gibt es „points of no return“, also einen oder mehrere Wegpunkte, über die man nur ungern wieder zurück möchte?
Faktor Mensch
Entscheidend ist, dass die Anforderungen der Tour unter Berücksichtigung der aktuellen Verhältnisse zu deinem persönlichen Kompetenzlevel bzw. zu dem der Gruppe passen. Alle Gruppenmitglieder sollten über folgende Aspekte ausreichend informiert sein:
Zu erwartenden Herausforderungen während Tour selbst (z. B. Dauer, Höhenmeter, Gelände). – Im Vorfeld muss dazu allen verständlich sein, welche konditionellen und technischen Voraussetzungen für die Tour erforderlich sind.
Wetterbedingungen
Notwendige Ausrüstung für jeden Einzelnen und für die Gruppe
Alle Gruppenmitglieder sollen sich klarmachen, was sie können – und was nicht. Dazu gehören der allgemeine gesundheitliche Zustand, konditionelle und koordinative Fähigkeiten wie z. B. Ausdauer und Trittsicherheit, ebenso wie psychische Faktoren, beispielsweise Schwindelfreiheit in ausgesetztem Gelände und (alpine) Erfahrung. Bist du in dieser Saison schon einige Touren gegangen? Oder musst du „erst mal wieder reinkommen“ und dich langsam an schwierigere Touren herantasten? Hast du die notwendige Ausrüstung und kannst mit dieser auch adäquat umgehen? Außerdem sollte innerhalb der Gruppe ehrlich kommuniziert werden, was die verschiedenen Wünsche und Antriebe sind und welche Risikobereitschaft besteht.
Stellt sich dabei heraus, dass die Anforderungen der Tour nicht optimal passen oder potenzielle Probleme vorhersehbar sind (z. B. zu schwerer Stelle, widrige Verhältnisse, akute Erkältung, …) können schon im Vorfeld Lösungen gefunden werden (z. B. Alternativtour; für „fittere“ Gruppenmitglieder besteht die Möglichkeit, einen Zusatzgipfel einzubauen, während die anderen auf der Hütte rasten, etc.). Gehen Kinder mit, dann gilt es, eine auf sie zugeschnittene Tour auszuwählen und nicht eine Erwachsenentour zu machen, bei der die Kinder „schon irgendwie mitkommen“.
Während der Tour / Tourencheckpunkte
Am Ausgangspunkt und damit vor dem Losgehen orientiert man sich zunächst (Vergleich mit der Karte sowie mit örtlichen Wegweiser). Außerdem checkt man mit der Gruppe die Ausrüstung sowie das jeweilige persönliche Befinden (Tagesform). Das Starttempo sollte bewusst gemütlich gewählt werden, so dass man sich noch unterhalten kann. Da das Wetter im Gebirge oft sehr lokal verschieden ist, solltest du deine theoretische Vorabplanung mit den nun realen Bedingungen vor Ort immer wieder abgleichen, zumindest aber am Ausgangspunkt und vor Schlüsselstellen. Sei wachsam während der gesamten Tour und sammle Informationen, die den weiteren Verlauf des Tages beeinflussen könnten: Passt der Zeitplan? Sind noch alle „fit“ und zufrieden oder hat jemand einen schlechten Tag, ist angeschlagen und hat vielleicht schon Kopfweh oder Kreislaufprobleme? Ist man noch auf dem richtigen Weg und gut orientiert? An den vorab festgelegten Tourencheckpunkten kannst du bzw. könnt ihr dann kurze Pausen einlegen, die aktuelle Situation analysieren und entscheiden: weiter machen wie geplant oder wechseln zu einer vorab überlegten Alternative?
Besondere (unerwartete) Ereignisse
Auf Tour ist es wichtig, aufmerksam zu sein und flexibel auf die aktuelle Situation zu reagieren. Es kann vorkommen, dass (plötzlich) unerwartete Situationen auftreten: Stößt du vor Ort auf größere Schwierigkeiten als erwartet, wie beispielsweise ein überraschendes Altschneefeld, kann dies dazu führen, dass du dich zur Umkehr entscheidest. Im „Bergwandercheck“ kannst du dich ausführlich darüber informieren, welche kritischen Situationen beim Bergwandern typischerweise auftreten können und wie du in der akuten Situation richtig handelst.
Entscheidungshilfen
Die oben genannten Punkte erläutern im Detail, was du bei deiner Tourenplanung berücksichtigen solltest. Um die Informationen aus der 3x3-Tourenplanungsstrategie in ein Bewertungsschema zu überführen und so zu einer Entscheidung zu gelangen, ist die Risiko-Box des SAC ist ein hilfreiches Instrument. Dabei werden die einzelnen Faktoren verschieden gewichtet angekreuzt, je nachdem ob sie im Komfortbereich (grün) der Gruppe oder an deren Limit (rot) einzuordnen sind. Das Resultat dieser Einzeleinschätzungen kann richtig angewandt zu einem klaren Entscheidungsbild führen. Achtung: Die Gewichtung der Box muss klar im grünen Bereich liegen, um eine Tour sicher durchführen zu können.
Falls eine Tour nach gründlicher Abschätzung trotz einzelner Zweifel durchgeführt wird, sollten die Bereiche, bei denen ein roter Anteil überwiegt, in Bezug auf mögliche Gegenmaßnahmen überdacht werden. Maßnahmen für einzelne Risiken können je nach Tour unterschiedlicher Natur sein und müssen vor der Tour durchgeplant werden, um sie im Ernstfall optimal anzuwenden. Zum Beispiel müssen mögliche Abkürzungen oder Umgehungen von Schlüsselstellen genauso umfangreich geplant werden, wie die Schlüsselstellen selbst, da sie nur dann als eine sichere Alternative in Frage kommen und genutzt werden können.
Nach der Tour: Reflektieren
Ein großer Bergwander-Erfahrungsschatz entsteht nur, indem man vergangene Touren aufarbeitet:
Eine Bergtour ist ein Ablauf einzelner Phasen – beginnend mit der Vorplanung, der Entscheidung für die Tour, der Anfahrt, dem „Fertigmachen“ für den Aufbruch und so fort. Jede Phase kann den Spielraum für die folgenden Phasen erhöhen, oder auch einengen: Ist man beispielsweise früher losgegangen als geplant, so hat man mehr Zeit für den Weg. Oft aber ist das Gegenteil der Fall: man kommt später los oder ist langsamer als gedacht. Nach jeder Phase wird auch – meist ohne darüber nachzudenken – darüber eine Entscheidung getroffen, ob und wie es weiter gehen soll. Je nach Tour gibt es mehr oder weniger Entscheidungsalternativen (z. B. über den Kamm oder weiter unten entlang gehen, etc.). Mit jeder getroffenen Entscheidung engen sich die weiteren Entscheidungsmöglichkeiten ein. Schließlich können Situationen entstehen, in denen es ungünstiger ist umzukehren als weiterzugehen. In diesem Fall bleibt keine Entscheidungsalternative mehr, es kann in prekäre Situationen führen.
Nur, wenn man aktiv wahrnimmt und reflektiert, kann daraus gelernt werden. Deswegen solltest du nach einer Tour immer (gemeinsam mit den anderen Gruppenmitgliedern) analysieren: Gab es unangenehme Situationen? An welchen Stellen wurden (Fehl-)Entscheidungen getroffen? Was lief gut bzw. was weniger gut oder sogar richtig schlecht?
Geeignete Zeitpunkte dafür sind beispielsweise die (gemeinsame) Heimfahrt, der Smalltalk beim/nach dem Abendessen oder der DAV-Sektionsabend („Weißt du noch …?“). Dabei geht es darum, das Vergangene konstruktiv zu beleuchten, um zukünftig brenzlige Situationen zu vermeiden. Vorwürfe oder gar Schuldzuweisungen sind hier fehl am Platz.
Hier geht's zum Glossar mit weiteren wichtigen Begriffen aus dem BergwanderCheck.