In der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts war Bergsteigen noch das Hobby einer kleinen Minderheit, die Gründung des DAV im Jahr 1869 gab den Startschuss zu einem beständigen Wachstum sowohl bei den Sektionsgründungen als auch bei den Aktiven. Dass es von den heiß geliebten Bergen auf deutschem Grund nur so wenige gab, war kein Hinderungsgrund: Aus England fuhr man ebenfalls zum Bergsteigen ins Ausland und gab erst einmal höchst selbstbewusst den Ton an. Das Land herrschte über das größte Kolonialreich der Geschichte, erklärte die Alpen zum Playground of Europe und damit natürlich: zu seinem eigenen. Gemeint waren hier allerdings die Westalpen, die größten, höchsten, gefährlichsten Gipfel in Wallis, Berner Oberland, Mont-Blanc-Gebiet, die auch geographisch näherlagen. Österreich dagegen war schon damals das beliebteste Reiseziel der Deutschen: die Sprache war die gleiche und die Bergwelt dort a bisserl zahmer als in den Westalpen - und damit vermutlich mehrheitsfähiger.
"Baugrund of Europe"
Dass die deutschen AV-Sektionen Österreich in den folgenden Jahrzehnten zum Baugrund of Europe machten, war auch eine Folge des erstarkten Selbstbewusstseins beim Bürgertum. Der DAV und seine Sektionen waren hier typische Körperschaften des deutschen Vereinswesens. Nach der Revolution 1848 bildeten sie einen „geschützten“ Raum für das Bürgertum, einen Ort des Austausches, eine Plattform zur Verwirklichung gemeinschaftlicher Projekte. Es ging nicht um den herrschaftlichen Aspekt, sondern um den erschließerischen und unternehmerischen: hier konnte man gemeinsam ohne den Staat schöpferisch tätig werden.
Aber woher kam überhaupt die Idee, sich als alpiner Verein Stützpunkte im Ausland anzulegen? Das Deutsche Reich, in Konkurrenz mit Großmächten wie dem Vereinigten Königreich, war nicht nur als Nation sehr spät gestartet, sondern auch zu spät gekommen im Kampf um Kolonien. Die Errichtung all dieser deutschen Hütten in Österreich wirkt in diesem Zusammenhang wie eine kolonisatorische Ersatzhandlung - aber so war es nicht, dafür empfand man Österreich und Deutsches Reich zu sehr als zusammengehörig.
Und es ging nicht nur um die Funktion als Bergsteigerstützpunkt, sondern ausdrücklich um den Besitzerstolz: Der Dachverband etwa wollte über ein Teileigentum verhindern, dass eine Bankrott gehende Sektion die Hütte an fremde Eigentümer verlieren könnte. Die Sektionen aber wollten die Hütten auf jeden Fall selbst besitzen: "Abgesehen von allem Vorigen wäre zu befürchten, dass durch die Eigenthumsregelung im Sinne der Vorlage 1889 die Lust und Freude der Sectionen an der Errichtung alpiner Unterkunftsstätten in erheblichem Masse geschmälert werde; denn wenn eine Section schon Geld und Mühe auf die Errichtung einer wohleingerichteten und zweckmässigen Schutzhütte verwendet, dann will sie auch mit Stolz sich voll und ganz als Eigenthümerin der Hütte fühlen, nicht aber sich mit dem Posten eines verantwortlichen Verwalters derselben bescheiden" (Martin Achrainer, Stefan Ritter, Florian Trojer: Hoch hinaus! Wege und Hütten in den Alpen), so eine Wortmeldung auf der Generalversammlung von 1890. Und dabei blieb es auch – bis heute.
Berge für die Allgemeinheit
Auf der anderen Seite wurde Österreich gar nicht wirklich als Ausland empfunden, es war bis zur Reichsgründung 1871 Mitglied im Deutschen Bund. Noch bemerkenswerter war hier, dass DAV und OeAV 1873 zum Buchstabenungeheuer DuOeAV fusionierten, eine Verbrüderung voller Urvertrauen in das gemeinsame Anliegen: die Berge der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Die deutschen Hütten - bis zur Jahrhundertwende waren es bereits um die hundert! - blieben dabei Eigentum der deutschen Sektionen.
Aber es gab gute Gründe, warum man mit all diesen Hüttenprojekten in Österreich offene Türen einrannte: Die Not in den Bergregionen war oft so groß, wie man es sich für Mitteleuropa auch in der Rückschau kaum vorstellen kann. Viele Bergbauern holten bei aller verzweifelten Anstrengung aus ihren Steilhängen nicht genügend Essen für die Familie heraus, Teile der vielköpfigen Kinderschar schickten sie schweren Herzens als Schwabenkinder zum Arbeiten nach Deutschland. Dort waren sie sicher vor Hunger, aber Schlägen und sexuellem Missbrauch vollkommen schutzlos ausgeliefert. Plante nun eine deutsche Sektion in einem Hochtal die Errichtung einer Hütte, gab es Arbeit für Träger, Handwerker, Küchenpersonal, Führer. Und: die Gäste brachten auch mehr Übernachtungen im Tal. Fremdenverkehr war - zumindest damals - für die Menschen in den Bergregionen ein Segen.
Ernstzunehmende Konflikte um den Bau deutscher Hütten gab es nur im deutlich wohlhabenderen Südtirol, wo der Club Alpino Italiano (CAI) ab 1905 die Ansicht vertrat, "alle Schutzhütten südlich des Brenners (lägen) im Einflussbereich Italiens und somit des CAIs" (Martin Achrainer, Stefan Ritter, Florian Trojer: Hoch hinaus! Wege und Hütten in den Alpen). Der Erste Weltkrieg brachte dort eine Änderung, die bis heute Bestand haben sollte: Südtirol gehört seither zu Italien, die sechzig Hütten des DuOeAV wurden enteignet, wobei die Tür für eine Rückübergabe zunächst noch einen Spalt offen schien. Die faschistische Machtübernahme 1923 durch Benito Mussolini machte diese Hoffnung zunichte.
Die Alpenvereinshütten in Zeiten des Zweiten Weltkriegs
In punkto DuOeAV und dem Miteinander bei den Hütten in Österreich blieb bis zur Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 erst einmal alles beim Alten. In Österreich wurden die Nationalsozialisten von da an verboten, gleichzeitig pflegten viele österreichische Sektionen einen offenen Antisemitismus - so wurden manche Hütten für ein paar Jahre zum Rückzugsort der sich verfolgt fühlenden österreichischen Nationalsozialisten. Mit dem „Anschluss“ Österreichs wurde der DuOeAV-Dachverband samt Sektionen im Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen gleichgeschaltet, zum 'Führer' des DAV stieg Arthur Seyß-Inquart auf, ein so unsäglicher Nazi, dass wir hier ein paar Worte über ihn verlieren müssen. Hitler bestimmte ihn 1945 vor seinem Suizid zum Außenminister. Dieses abwegige Amt in der Regierung Dönitz, die das Blutvergießen des verlorenen Krieges noch wochenlang hinzog, wollte er unbedingt antreten und schlug sich mit dem Schnellboot nach Flensburg durch. Verantwortlich für die Deportation von 100.000 holländischen Jüdinnen und Juden und andere Verbrechen, wurde er in den Nürnberger Prozessen zum Tode verurteilt.
In der Nachkriegszeit kümmerte sich um die Hütten erst einmal niemand, es gab anderes zu tun. Sowohl Westdeutschland als auch Österreich standen unter alliierter Verwaltung, die deutschen Besitz in Österreich beschlagnahmte - aber nicht enteignete. Die Hütten waren dabei mehr als nur Gebäude und ein bisschen Land drum herum, sondern Symbole einer gemeinsamen alpinen Leidenschaft und Tradition. Und so war die Beschlagnahme ein tiefer Einschnitt in das Herz der Alpingemeinschaft.
1947 stellte man die 180 deutschen Hütten unter Verwaltung eines Treuhänders, die Wahl fiel auf den späteren OeAV-Vorsitzenden Martin Busch. Im Zuge des Wirtschaftswunders stiegen die Besucherzahlen bald wieder an, aber viele Hütten waren in keinem allzu guten Zustand: In der Nachkriegszeit war natürlich kein Geld für Instandhaltung oder Renovierung übrig und genau so wenig in den Kriegsjahren davor. Ab 1953 durften zahlreiche westdeutsche Sektionen ihre eigenen Hütten als Pächter übernehmen, viel investieren mochte wegen der unklaren Besitzverhältnisse aber erst einmal niemand. Der Umstand, dass mit diesen Objekten bis auf Weiteres wenig Geld zu holen schien, hatte auch sein Gutes: es gab tatsächlich so gut wie keinen Streit um die Hütten. Die Deutschen wollten sie unbedingt zurück, also gut. Aber sie durften ja keine Grundstücke kaufen, was nun?
Am Ende konnte alles nur deswegen so einvernehmlich über die Bühne gehen, weil Österreichischer und Deutscher Alpenverein über sechzig Jahre lang – von 1873 bis 1938 – ein und derselbe Verband gewesen waren. Die Hütten in Österreich wurden von Alliierten beschlagnahmt und dem österreichischen Staat übertragen. Dieser setzte Martin Busch als treuhänderischen Verwalter ein. 1956 wurden die westdeutschen Hütten schließlich an die Sektionen übertragen. Martin Busch jedenfalls setzte sich so unermüdlich für die Rückgabe ein, bis er auch Bundeskanzler Adenauer dafür gewinnen konnte. Er erhielt später das Große Bundesverdienstkreuz, sein Name ist der wichtigste in dieser fast unendlichen Geschichte. Er ist aber auch ein Beispiel dafür, dass es selbst rund um das dunkle Kapitel des Nationalsozialismus nur wenige Menschen gab, die ausschließlich gut oder ausschließlich böse waren: Einerseits waren und sind seine Verdienste unbestritten, andererseits war er vor dem „Anschluss“ '38 bei den Austrofaschisten, die sich zwar von der NSDAP distanzierten, aber dennoch einen antidemokratischen autoritären Ständestaat anstrebten. Die nach ihm benannte Hütte im Ötztal wiederum ist ein typisches Beispiel für die wechselhafte Geschichte der umstrittenen Objekte selbst: Unter den Nazis war es das Hermann-Göring-Haus, heute gehört die Martin-Busch-Hütte der nach 1949 neu gegründeten Sektion Berlin.
Besonders schwierig lagen die Dinge natürlich mit den Hütten der ostdeutschen Sektionen: Nach Gründung der DDR hatte sich der Deutsche Alpenverein nicht neu konstituieren dürfen, ab 1958 schlug man Klettern, Bergsteigen und Wandern dem Deutschen Verband für Wandern, Bergsteigen und Orientierungslauf zu. Das Vermögen der Sektionen wurde beschlagnahmt, die in Österreich gelegenen Hütten blieben mangels rechtlicher Handhabe verschont. Die Rückgabe der meisten Hütten an die Westsektionen war zu diesem Zeitpunkt vollzogen, das Schicksal für die Hütten der aufgelösten Sektionen aus der DDR stand in den Sternen.
Aber unter fast drei Millionen Menschen, die zwischen Kriegsende und Mauerbau aus der DDR nach Westdeutschland flohen, waren nicht nur zahllose Kletter- und Bergbegeisterte, sondern auch genügend, die sich bereitfanden, um Exilsektionen zu gründen, die als Rechtsnachfolger der aufgelösten Sektionen auftraten: um den Besitz ihrer Heimatsektionen in Österreich zu bewahren.
Viele dieser Exilsektionen blieben zu klein und finanzschwach, um die Hütten wirklich zu übernehmen, andere waren dazu tatsächlich imstande. In jedem Fall war ihre Existenz entscheidend, um die Besitzansprüche zu wahren, bis sie nach der Wende zurück an die neugegründeten Sektionen fielen. Zunächst übernahm sie nach bewährtem Muster der OeAV, je nach weltpolitischer Großwetterlage stand aber eine Beschlagnahmung durch die DDR immer wieder zu befürchten: "Die Abwicklung der Rückübertragung zog sich bis 1978 hin. 33 Jahre nach Kriegsende erhielten die letzten Exilsektionen ihre Hütte als Eigentum zurück."
Nach der Wende gründeten sich fast überall im Osten die aufgelösten DAV-Sektionen neu und übernahmen ihre Hütten zurück. Es war ein Happy End, an das nur die wenigsten wirklich geglaubt hatten. Bis heute sind die rund 325 DAV-Hütten unverzichtbarer Teil der alpinen Infrastruktur und versorgen Bergfans mit Mahlzeiten und einem warmen Schlafplatz.