Ein gutes dreiviertel Jahr lang zeigte sich der höchste Punkt der Benediktenwand kahl und verwaist. Irgendjemand hatte ein Miniaturkreuz aus zwei Hölzchen gebastelt und auf den verwitterten Sockel gestellt. Nach der Demontage des alten Kreuzes im Herbst 2022 war es nur eine Frage der Zeit, wann es ersetzt werden würde.
Ob's das neue Kreuz überhaupt brauche, stand für die EInheimischen nicht zur Debatte. Ebenso wenig, ob's denn mit dem Hubschrauber nicht einfacher gegangen wäre. Die Leute befragt, hört man nur: „Uns're Väter, Großväter und Urgroßväter ham des immer scho so g'macht“. „Scho so“ bedeutet: Holzarbeiter stellten 1877 das erste Exemplar nach einem Gelübde auf - nachdem ein Wintereinbruch ihre Arbeit beeinträchtigt hatte. Per Muskelkraft trugen die Ahnen Längs- und Querbalken auf den Berg, das letzte Mal 1958. 65 Jahre später sollte es ohne Frage wieder so sein. Gesagt, getan.
Von Dorfpower und Tradition ist die Rede, von „Zsammhalt“ und „Mia“. Schnell wird klar, eine Diskussion zum Thema „Gipfelkreuz“ ist hier ebenso unnötig wie etwa zum Wolf. Das muss man erst verstehen lernen: Aktionen wie die Erneuerung des Gipfelkreuzes sind so etwas wie ein Bollwerk gegen das fortschreitende „Auch in Benediktbeuern ist nicht mehr alles so wie früher“.
Schon Anfang 2022 haben sich vor allem Feuerwehr und Bergwacht (die im Dorf mehr zu regeln scheinen als anderswo) zusammengetan und quasi generalstabsmäßig die Operation „Gipfelkreuz Benewand“ durchgezogen. Wie es sich für eine gute Organisation gehört, mit einzelnen Arbeitsgruppen, die etwa „Holz“, „Metall“ oder „Verpflegung“ hießen.
Rauf auf die Wand
Zwar gibt es drei Zustiegswege auf die Benediktenwand, aber nur von Benediktbeuern aus führt eine Forststraße am weitesten zum Ziel. „Ehrlicherweise muss man sagen, dass auch das letzte Mal vor 65 Jahren die Balken ein Stück mit dem Traktor raufgefahren wurden“, gibt Sebastian Rieger zu. Der Chef der Benediktbeurer Feuerwehr ist Zimmermann und Chef des Holz-Teams gewesen. Er war es auch, der die Lärchen aus der Umgebung aussuchte und ins Sägewerk im benachbarte Bad Heilbrunn transportieren ließ.
„Nach alter Tradition findet das Kreuzaufstellen der Holzerer um Jakobi herum statt“, klärt Rieger auf. Der 25. Juli gilt als Tag der ersten Ernte und für Benediktbeuren als ein guter Zeitpunkt im praktischen wie religiösen Sinn.
Bereits am Vortag des eigentlichen Mammutwochenendes kamen gut 90 Männer von Feuerwehr und Bergwacht die schlimmsten und gefährlichsten Höhenmeter mit Flaschenzug und Seilwinde rauf zur Wand, „alles gute Leut“, so Rieger. Zimmerer, Schreiner, Spengler – Buschen eben, die nicht nur im Verein an vorderster Front dienen, sondern sich auch auf ihr Handwerk verstehen.
Die Dorfpower sei so gut gewesen, dass man an dem Tag über die Glaswandscharte bis zur „Schönen Aussicht“ gekommen sei. „Jeder hat wie der Deifi angeriss'n“, fasst Rieger zusammen. Da nahm sich der Samstag fast wie ein Klacks aus. Ab sechs Uhr in der Früh hoben, schoben und zogen weit über 150 Männer die beiden gut 600 und 300 Kilogramm schweren Balken durch die Latschen. Alle hörten auf das Kommando des „Kapos“. Bereits um 12 Uhr lagen die beiden Balken oben. Sie zu verbinden und mit den Beschlägen zu versehen war ein letztes Kinderspiel zumindest für diesen Tag.
Das Kreuz ist kein Maibaum
Das Aufstellen des Kreuzes am nächsten Morgen sollte nur eine gute Stunde dauern. An die vier wurden daraus. „Im Großen und Ganzen ham mir uns des so wie beim Errichten eines Maibaums vorgstellt“, erklärt Rieger. Wer das noch nie beobachtet hat, hat keinen Begriff von der Technik, die überraschend einfach aussieht und im Detail so manches Hindernis offenbart. „Es braucht a bisserl Equipment dafür, vor allem Schubstangen“, klärt der junge Feuerwehrler auf. Die muss man sich paarweise in unterschiedlichen Längen vorstellen. Vorne werden sie zusammengebunden und funktionieren dann wie eine Zange. Schritt für Schritt drücken die erfahrenen Aufsteller den Maibaum in die Höhe. Unterstützung erhalten sie von Helfern, die eine Art überlange Gabel in die Stange spießen. Damit dirigieren sie zum einen die „Zangendrücker“ und sichern gleichzeitig die Stangen ab.
Mit über einer Tonne Gewicht, wenig Platz am Grat und abschüssigem Gelände war das Kreuzaufstellen ein Mordsunterfangen, das die Männer ohne Pause bis in den Nachmittag hinein beschäftigte. Überraschend wenig religiös zelebrierten die gut 200 Helfer und Wanderer den Schlussakkord, den Moment, in dem das Kreuz aufrecht im vorbereiteten Scharnier verankert werden konnte. Einer schlichten Ansprache folgte das Benediktenwandlied, in dem nach Erklimmen des Gipfels ein Gruß nach Tirol und noch weiter gen Süden gesandt wird. Dorthin, wo die Kreuze gerade noch nie gestellte Fragen aufwarfen. Die Benediktbeurer kümmert's nicht: „nicht unser Problem“, trotzen die tapferen Dorfburschen dem Fluss neuer, „nicht wirklich besserer“ Zeiten.