Hanspeter Eisendle.
Hanspeter Eisendle. Foto: Frischluft Film
Eigene Wege gehen - Spüre dich selbst

"Jeder von uns hat schon mal einen Bergführer gehabt"

Im Interview erzählt der Profikletterer Hanspeter Eisendle über seine Motivation in den Bergen und seine Verantwortlichkeiten als Bergführer.

Über

Hanspeter Eisendle, geboren 1956 in Sterzing/Südtirol, arbeitet seit mehr als 40 Jahren als Bergführer. Vor allem in den frühen Jahren hat er an mehreren Himalaja-Expeditionen teilgenommen, später fokussierte er sich auf das alpine Sportklettern. Er gilt als einer der erfahrensten Dolomitenkletterer, auf sein Konto gehen zahlreiche Erst- und Solobegehungen.

ormo_nadine.jpg Nadine Ormo

Um gleich mal die Gretchenfrage zu stellen: „Eigene Wege gehen“ – Was bedeutet das für dich persönlich am Berg und im Leben?

Hanspeter Eisendle Hanspeter Eisendle

Vielleicht ist die Grundvoraussetzung für alles die Neugier. Folgt man diesem Gedanken, bin ich mir gar nicht so sicher, wie eigen mein Weg letztlich ist. Denn ich bin ja eingebettet in einen Kulturkreis, in eine kleine Gemeinde, und ich werde ja von allem im Leben beeinflusst.

ormo_nadine.jpg Nadine Ormo

… wie jeder einzelne von uns …

Hanspeter Eisendle Hanspeter Eisendle

Ich würde sagen, das einzige „Eigene“ ist zum Schluss die Selbstbestimmtheit auszuwählen. Man bekommt Muster vorgelebt. Man sucht sich ein Muster aus und in diesem Muster kommt das Eigene zum Leben.

ormo_nadine.jpg Nadine Ormo

… und du hast dir dafür die Berge ausgesucht. Es scheint vielleicht naheliegend, als Südtiroler in die Berge zu gehen. Aber ist es auch selbstverständlich?

Hanspeter Eisendle Hanspeter Eisendle

Nicht unbedingt. Für mich rekonstruiere ich das so: Meine Eltern stammen zwar aus dem bäuerlichen Milieu und sind beide an Berghängen aufgewachsen, aber sie haben sich für ein Leben in der Kleinstadt Sterzing entschieden. Uns Kinder haben sie immer in ihrer Freizeit mitgenommen in ihr natürliches Habitat – auf die Almen, in den Wald … für sie waren das die Berge.
Waren wir also dort unterwegs, schauten sowohl meine deutlich ältere Schwester als auch meine Mutter immer nach mir – und ich hatte gewissermaßen Mütter im Doppelpack. In meiner kindlichen Logik war es dann wohl so: wenn für sie die Alm und der Wald der Ort der Selbstbestimmtheit ist, dann musste mein Ort noch weiter oben sein; wo auch sie nicht sind.
Die Berge waren für mich also der Ort, wo alle anderen nicht sind.

ormo_nadine.jpg Nadine Ormo

Wann ist dir das bewusst geworden?

Hanspeter Eisendle Hanspeter Eisendle

In mein Bewusstsein gerückt ist das viel später, so mit 30. Aber bis dahin hatte ich einfach vieles getan und erlebt in den Bergen – vielleicht ist das auch ein Trieb oder ein Instinkt. Ich habe nichts gegen das kommunale Leben und ich weiß, dass rote Ampeln notwendig sind und Verkehrsregeln; das würde gar nicht anders funktionieren. Aber es gibt auch ein Leben abseits von diesen Regeln, wo man ganz viel von sich selbst entdeckt.

ormo_nadine.jpg Nadine Ormo

Über das Am-Berg-Sein schreibst du/hast du mal gesagt, das Erleben der eigenen Exponiertheit stünde weit vor dem Leistungserlebnis - Was genau heißt das für dich?

Hanspeter Eisendle Hanspeter Eisendle

Das ist für mich das Wesentliche überhaupt beim Bergsteigen. Wenn man das intellektuell herunterreduziert, dann besteht „das Spiel Bergsteigen“ aus drei Rädern: das eine ist der Schwierigkeitsgrad, das zweite Rad die Meereshöhe – je weiter man hinaufkommt, umso schwieriger wird alles. Das dritte Rad ist für mich das allerwichtigste: die Exponiertheit. Wie sehr man sich aussetzt. Also wenn man jetzt einen 10. Grad im Klettergarten klettert, dann ist das ein anderer Grad, als wenn du den auf 5000 Metern kletterst. Bei letzterem bist du einfach mehr exponiert. Oder wenn du alleine auf einem ewig langen Felsgrat bist, der vielleicht nur 3. Grad ist, dann ist das vom menschlichen Gefühl her viel mehr wert als irgendwo abgesichert sportlich sehr schwer zu klettern. – Deshalb habe ich diese Exponiertheit in den Vordergrund gestellt.

Hanspeter Eisendle beim Klettern. Foto: Benjamin Pfitscher
ormo_nadine.jpg Nadine Ormo

Du bist seit mehr als 40 Jahren Bergführer. Wie siehst du deine Aufgabe als Bergführer?

Hanspeter Eisendle Hanspeter Eisendle

Ich glaube, es geht eigentlich immer darum: macht man sich gemeinsam ins Gebirge auf – ganz gleich, ob das zwei Freunde sind oder ein professioneller Bergführer und ein Gast – dann teilt man das Risiko, das man eingeht und die Verantwortung, die man da trägt, auf. Wenn du als Bergführer unterwegs bist, dann trägst du, je nachdem wie erfahren der Gast ist, einen größeren Prozentsatz an Verantwortung. Allein schon, weil du eine größere Nähe zu der Materie hast.
Man kann aber nie sagen, dass der eine einhundert Prozent trägt und der andere null. Im Wesentlichen ist die Bergführerei ein Aufteilen dieser Verantwortung und das Erkennen, wie viel davon jeder tragen kann.
Auch ich bin in erster Linie Bergsteiger. Bergführer bin ich aus Notwendigkeit, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten. In der Tätigkeit des Bergführens bist du eigentlich das Gegenteil von dem, was du als Privatperson, als Bergsteiger bist: In meinem privaten Leben bin ich oft hohe Risiken eingegangen; ich war ein Abenteurer. Als Bergführer bin ich professioneller Abenteuer-Verhinderer. Meine Aufgabe ist es, kein Abenteuer aus einem Naturerlebnis werden zu lassen.

ormo_nadine.jpg Nadine Ormo

Was suchen Menschen, die deine bzw. generell die Führung durch einen Bergführer in Anspruch nehmen?

Hanspeter Eisendle Hanspeter Eisendle

Da komme ich ganz schnell wieder auf den Begriff der „Exponiertheit“: Das höchste Maß der Exponiertheit und das höchste Maß der Eigenverantwortung ist, wenn man free solo eine schwierige Tour meistert. Aber kein Mensch auf der Welt ist immer bereit, diese hohe Exponiertheit auch zu leben oder einzugehen. Dann sucht man sich einen Seilpartner. Auch der Gast eines Bergführers sucht sich im Grunde nur einen verlässlichen Seilpartner, den er vielleicht für eine bestimmt Tour sonst so nicht hat.

ormo_nadine.jpg Nadine Ormo

Keine Rede also von dem Bild, ein Bergführer würde den einen oder anderen „nur auf den Gipfel schleifen“?

Hanspeter Eisendle Hanspeter Eisendle

Auf einer Tour mit Freunden ist es ja so: Es gibt auf jeder Tour Momente, wo der eine stärker oder besser ist. Dann übernimmt der Partner eine Seillänge mehr Verantwortung, dann kommt wieder Gelände, was vielleicht mir besser liegt, dann nehme ich wieder mehr Verantwortung. Man teilt sich also als Seilschaft die Verantwortung im Laufe einer Tour. Und wenn du jetzt als Bergführer mit einem Gast bist, dann ist das ähnlich. Aber die Verantwortung wird mehr beim Bergführer liegen.
Ich glaube, was das Gehen mit Bergführer angeht, gibt es viele Vorurteile. Meine schwersten Touren hätte ich alle nicht gemacht, wenn ich nicht immer wieder super Seilpartner gehabt hätte, die in gewissen Momenten sagten “das mach ich jetzt“, … und dann wieder kam der Moment, wo ich derjenige war, der die Kartoffel aus dem Feuer holt. Das sind Wechselspiele. Man muss nur ehrlich mit sich sein. Jeder von uns hat schon einmal einen Bergführer gehabt.

ormo_nadine.jpg Nadine Ormo

Früher warst du als Kunsterzieher im Schuldienst. Wie kamst du von der Kunst an den Berg?

Hanspeter Eisendle Hanspeter Eisendle

Ich denke nicht, dass ich von der Kunst weg oder zum Berg hin bin. Wir haben ja alle verschiedenen Interessen oder sogar Leidenschaften.
Ich war zwei Jahre im Schuldienst und im zweiten Jahr, das war so Anfang der 1980er Jahre, hat mich Reinhold Messner angerufen: er würde eine Winterexpedition zur Cho Oyu-Südwand machen und bot mir an mitzukommen. Ich könne mir das in Ruhe überlegen und ihn dann irgendwann wieder anrufen. Ich hab ihn nach drei Minuten wieder angerufen und gesagt: „Ich bin dabei“. Und nach zehn Minuten war ich beim Direktor und hab gekündigt.

ormo_nadine.jpg Nadine Ormo

… ein einschneidender Moment im Leben …

Hanspeter Eisendle Hanspeter Eisendle

Ja, das war mir aber in diesem Augenblick gar nicht so bewusst. Im Nachhinein sage ich: das tut man, wenn man 25 ist. Mit 35 tust du das nicht mehr. Und beides ist aber richtig. Wenn du diesen großen Spielraum hast, dann nimm ihn dir. Mit 35 hat man soviel mehr Verantwortungen, dass man das eigentlich besser nicht mehr tun sollte.
Ich glaube, wenn man jung ist, hat mein einfach eine große Erwartung an das Leben. Du entscheidest dich für irgendetwas, nichtwissend ob das jetzt richtig oder falsch ist.

ormo_nadine.jpg Nadine Ormo

Seit jeher ein Dilemma. Und gerade durch die Vielfalt der Möglichkeiten, die wir auch medial immer wieder vor Augen haben, scheinen viele heute umso überforderter.

Hanspeter Eisendle Hanspeter Eisendle

Wovon ich ganz überzeugt bin: egal, was wir tun – wichtig ist, wie wir es tun. Wenn ich also etwas tue, dann tu ich’s hundertprozentig oder ich lasse es bleiben. Wenn ich zu Hause die Teller wasche, dann ist es sinnlos, mich zu fragen, warum ich jetzt die Teller waschen muss. Aber: Ich wasche den Teller so gut, wie kein anderer das kann. Das ist die Einstellung.

Der DAV und Bergader – aktive Partnerschaft seit 2020

Aufbrechen und eigene Wege gehen ist Teil der Kampagne „Spüre dich selbst“, die der DAV gemeinsam mit seinem Partner Bergader ins Leben gerufen hat, um für einen achtsamen und gesundheitsorientierten Lebensstil zu sensibilisieren.

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