Jacqueline Fritz.
Jacqueline Fritz. Foto: Frischluft Film
Eigene Wege gehen - Spüre dich selbst

"... dann probier ich's halt mal mit dem Leben!"

Parakletterin Jacqueline Fritz erzählt in einem Interview darüber, wie ihr die Berge nach der Beinamputation eine ganz neue Welt aufgezeigt haben.

Das Interview enthält an einigen Stellen Erwähnungen von versuchtem Suizid. Speziell geschulte Menschen helfen kostenlos und anonym bei der Telefonseelsorge: 0800 – 111 0 111 oder – 111 0 222.

Über

Jacqueline Fritz (Jahrgang 1985) ist in einem Pfälzer Winzerdorf aufgewachsen. Als Jugendliche tanzte sie ambitioniert Ballett, bis ein Bänderriss ihr Leben auf den Kopf stellte. Bei einer Reha kam sie, nurmehr einbeinig, erstmals mit den Bergen in Kontakt. Heute ist sie regelmäßig zum Wandern, Bergsteigen und Skitourengehen in den Alpen. Seit 2017 klettert sie im deutschen Paraclimbing-Nationalkader. 

ormo_nadine.jpg Nadine Ormo

Du kletterst seit 2017 im Paraclimbing Team. Bist du auch schon früher, als Jugendliche, die Wände hochgegangen?

Jacqueline Fritz. Jacqueline Fritz

Nein, gar nicht. Ich war eher so das vielleicht typische Mädchen – mit Reiten, Ballett, solche Sachen …

ormo_nadine.jpg Nadine Ormo

… und dann passierte was?

Jacqueline Fritz. Jacqueline Fritz

Mit 15 hab ich mir beim Ballett ein Band im Sprunggelenk gerissen. Es wurde operiert – im Grunde ein Standardeingriff, aber der Arzt hat einen Fehler gemacht. Es folgten immer neue Operationen und Behandlungen, um alles wieder in Ordnung zu bringen. Aber nach acht langen Jahren wurde klar: Das Bein ist nicht mehr zu retten.

ormo_nadine.jpg Nadine Ormo

Nicht gerade die Nachricht, die man hören will. Zumal mit Mitte zwanzig.

Jacqueline Fritz. Jacqueline Fritz

Nachdem ich diese Nachricht bekam, hab ich mehrmals versucht, mir das Leben zu nehmen.
Eine Amputation kam für mich einfach nie in Frage. Freunde von mir haben dann eine symbolische Beerdigung für mein Bein organisiert. Sie haben mir Wünsche fürs Leben in die Augen gesagt und irgendwie kam ich dann aus der Situation nicht mehr raus und sagte „Okay, dann mache ich eben eine Amputation“.
Ich habe also das Bein amputieren lassen, stand aber nach wie vor nicht dahinter – und kam logischerweise nicht klar damit, wurde von Schmerzmitteln abhängig. Später, im Entzug, hatte ich dann so einen Moment. Ich stand an der Kreuzung und musste mich entscheiden: Was will ich? Will ich jetzt wirklich mal leben oder will ich sterben? Da ich den dunklen Weg schon ein paar Mal versucht habe zu gehen, war für mich an dem Tag klar „Okay, dann probier ich’s halt mal mit Leben“.

ormo_nadine.jpg Nadine Ormo

… und auch das mit den Bergen hast du dann probiert?

Jacqueline Fritz. Jacqueline Fritz

Ja, das war einige Zeit später, als ich für einige Zeit nach Traunstein gegangen bin, weil mir eine Prothese gebaut und angepasst wurde. Weil ich von Reha-Einrichtungen und Krankenhäusern genug hatte, zog ich in eine ganz normale WG mit jungen Leuten.
Ich war total geschockt, wenn sie dann samstagmorgens um drei aufstanden, den Rucksack packten und loszogen an den Berg. Ich dachte damals „Es gibt doch nichts Langweiligeres als so nen Berg“. Aber sie haben mir immer wieder erzählt, wie toll das ist und ich war dann zugegebenermaßen doch eifersüchtig. Also hab ich heimlich angefangen zu trainieren. Das ging los mit hundert Meter laufen und zehn Höhenmetern; ich hab also wirklich bei Null begonnen.
Das habe ich dann ein bisschen ausgebaut am letzten Wochenende in Traunstein bin ich auch aufgestanden und habe gesagt „Hey, ich komm heut mit“. Zwar waren sie erst mal nicht so wahnsinnig begeistert, aber sie haben umgeplant und wir sind auf eine Alm gegangen. Oben angekommen, war ich so kaputt wie noch nie. – Und es war wirklich bis dato der geilste Tag meines Lebens.

Jacqueline mit Loui. Foto: Laila Tkotz
ormo_nadine.jpg Nadine Ormo

Auf deinem Instagram-Account sieht man: du bist immer in Begleitung unterwegs.

Jacqueline Fritz. Jacqueline Fritz

Ja, seit inzwischen acht Jahren begleitet mich Loui. Er ist ein besonders ausgebildeter Bergbegleithund und warnt mich im Gebirge vor Gefahren; also vor einem Abgrund genauso wie vor Steinschlag, oder auch einfach vor Tannenzapfen auf dem Weg, die für mich problematisch werden könnten.

ormo_nadine.jpg Nadine Ormo

Problematisch auch, weil du inzwischen die Prothese weglässt?

Jacqueline Fritz. Jacqueline Fritz

Ja, ich bin in den Bergen und auch im Alltag im Grunde immer ohne Prothese und stattdessen auf Krücken unterwegs. Gerade am Berg ist das recht außergewöhnlich. Ich habe vor drei Jahren das Skifahren erlernt und bin erste Skitouren gegangen. Die Behinderten, die Skitouren gehen, haben für gewöhnlich noch das Kniegelenk und können gut eine Prothese tragen, die in die Beuge geht. Bei mir ist aber eben auch das Knie amputiert. Egal ob Skitour oder Schneeschuhtour … viele sagen dann, das geht nicht. Ich lass das nicht gelten und bin der Meinung, ich kann das erst sagen, wenn ich’s ausprobiert habe.

ormo_nadine.jpg Nadine Ormo

Tourenequipment von der Stange darf man da sicher nicht erwarten?

Jacqueline Fritz. Jacqueline Fritz

Ich habe natürlich mit dem einen oder anderen Hersteller gesprochen. Es gibt ja zum Beispiel diese besonderen Krücken fürs Alpinskifahren. Wenn es dann aber um noch speziellere Ausrüstung wie fürs Skitourengehen geht, sagt bisher jeder, dass sich das einfach nicht lohnt. Es ist schade, aber ich kann das sogar verstehen. Wenn ich also einen Traum habe und einfach etwas probieren will, dann schraub ich mir auch schon mal was zusammen. Marke Eigenbau mit Teilen aus dem Baumarkt.

ormo_nadine.jpg Nadine Ormo

Von der Bergwelt in den Alltag – wie klappt’s da aus deiner Sicht für Behinderte?

Jacqueline Fritz. Jacqueline Fritz

Abgesehen vom ganz privaten Umfeld, ist’s in vielen Alltags- oder auch Bergsituationen immer wieder ein Kampf. Ich muss mich oft erklären, meine Träume und mein Tun. Als Behinderte, als Frau, als Hundehalterin … in dieser Kombi. Hinzu kommt: Wir sind in Deutschland extrem bürokratisch. Wir diskutieren, regeln, schreiben auf. Aber wir setzen einfach nicht genug um und widmen uns stattdessen wieder anderen, einfacheren Themen. Manchmal habe ich auch den Eindruck, denken wir einfach nicht nach: ganz in der Nähe meines Heimatorts wurde vor einiger Zeit ein Marktplatz neu gestaltet. Sie haben da so Marmorfliesen verlegt, jedenfalls was ganz Glattes. Ich kann da drumherum laufen bei Regen. Aber ich frag mich jedes Mal, wie das eine Oma machen soll, die jetzt nicht die Ausdauer hat, einen extra Kilometer zu laufen. In solchen einfachen Situationen fängt es für mich an, das sind Inklusionsthemen!

Jacqueline auf einer Hochtour. Foto: Laila Tkotz
ormo_nadine.jpg Nadine Ormo

Im Paraclimbing-Team engagierst du dich als Athletensprecherin. Was ist dir hier wichtig?

Jacqueline Fritz. Jacqueline Fritz

Ich würde mir wünschen, dass das Paraclimbing einfach mehr wahrgenommen würde. Das hat viel auch mit Aufmerksamkeit, mit Anerkennung durch den Verband zu tun. Oft haben wir Paraclimber den Eindruck, dass wir untergehen in der Kommunikation. Findet ein internationaler Wettkampf statt, dann sind alle Themen von Lead über Jugend und Bouldern vertreten; aber dass die Paraclimber auch ihre Wettkämpfe haben, wird im Zweifel immer noch vergessen.
Ich versuche einfach, ein bisschen dazu beizutragen, dass sich das weiter ändert. Bei vielen von uns hat das Leben krasse Geschichten geschrieben. Wir müssen die gar nicht aufbauschen, sondern nur erzählen. Wenn ich dann damit einzelne Menschen erreichen, motivieren oder inspirieren kann, auch ihren Weg zu finden und ihr Ding zu machen, dann ist das alle Mühe wert.

Der DAV und Bergader – aktive Partnerschaft seit 2020

Aufbrechen und eigene Wege gehen ist Teil der Kampagne „Spüre dich selbst“, die der DAV gemeinsam mit seinem Partner Bergader ins Leben gerufen hat, um für einen achtsamen und gesundheitsorientierten Lebensstil zu sensibilisieren.

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