Über
Der 58-jährige, in Fürth lebende Arzt, Dr. med. Klaus Engelhardt hat sich parallel zu seiner mehr als zwanzigjährigen Arbeit als Hausarzt über die Jahre unter anderem in Naturheilverfahren und Akupunktur sowie zum Resilienzberater weitergebildet. Seit 2017 veranstaltet der Naturcoach Seminare in der (Berg)Natur (www.bergheilt.net) und richtet unter dem Motto „Blockaden lösen, Ressourcen nutzen, Gleichgewicht finden“ sein Hauptaugenmerk auf das Thema der Prävention. 2020 ist sein Buch „Berg heil!t – das Kraftfeld Berg als Quell des Wohlbefindens“ erschienen.

Bei deiner Arbeit als Naturcoach spielen die Berge eine große Rolle. Wann kam bei dir persönlich das Thema „Berg“ auf?

Meine Verbindung zu den Bergen geht in die Kindheit zurück: Ein Onkel war bei den Hochgebirgsjägern in Berchtesgaden. Er hat mich bereits, als ich sechs, sieben, acht Jahre alt war, mit in die Berge genommen. Ich nenne das gerne meinen „alpinen Migrationshintergrund“. Sehr viel später dann, über den Umweg nach Südtirol und den International Mountain Summit in Brixen, entwickelte sich in verschiedenen Gesprächen mit leidenschaftlichen Bergmenschen dann die ganz vage Idee, die gute Energie der Berge für das Wohlbefinden des Menschen zugänglich zu machen. Mir wurde immer klarer, wie wichtig echte Prävention ist und welches enorme Potenzial die Natur hat, dabei zu unterstützen. Nach einer intensiven Naturcoaching-Ausbildung habe ich jetzt eine reine Präventionspraxis. Mit den Menschen, die zu mir kommen, bin ich in Franken unterwegs – und immer wieder besonders gerne auch in den Alpen.

Apropos Potenziale der Natur – was ist physiologisch und psychologisch dran an der Aussage, dass jede Wanderung gegen den Stress des Alltags hilft?

Das tut das Wandern auf jeden Fall. Bergwandern ist letztlich Achtsamkeits- und Resilienztraining. Achtsamkeitstraining, denn ich bin gewissermaßen gezwungen, stets im Moment zu sein; ansonsten ergibt sich leicht eine Unfallgefahr. Außerdem kann ich beim Wandern gar nicht anders, als meine eigenen Bedürfnisse zu respektieren. Also Empfindungen wie: „mir ist kalt“, „ich habe Durst“ zu respektieren. Und wir sind idealerweise mit offenen Sinnen unterwegs ...

… genau genommen eine uralte Überlebensnotwendigkeit des Menschen …

Ob einst beim Durchstreifen der Weite nach Nahrung oder heute am Berg: Eine gesunde Psyche ist wichtig, um schwierige (Lebens-)Situationen zu meistern. Resilienz – also „Widerstandsfähigkeit“ – ist gewissermaßen das Immunsystem der Psyche: Am Anfang steht die Akzeptanz. Zusätzlich brauche ich Lösungsorientierung und Optimismus, sonst gehe ich gar nicht erst los. Ich muss Eigenverantwortung übernehmen und mich auch emotional regulieren. Das anvisierte Ziel muss ich dabei auch immer wieder auf den Prüfstand stellen, immer wieder neu justieren.

Raus in die Natur also und alles wird gut?

In gewisser Weise schon. Die Natur ist unser natürliches Habitat. Deshalb funktionieren hier auch Yoga, Achtsamkeits- oder Atemübungen besser. Wir bestehen zu 99,9 Prozent aus Steinzeitgenen und der Steinzeitmensch war die gesamte Zeit im Freien, in unverfälschter Natur; er hat sich jeden Tag zehn bis 40 Kilometer bewegt.
Vielleicht sollte heute der Anspruch einer artgerechten Haltung auch beim Menschen gelten: Also gesunde Ernährung im Sinne von: „regional, saisonal, bio“. Und Bewegung ohne Ende, möglichst viel draußen, um alle Jahreszeiten auch einfach rund um das eigene Zuhause bewusst zu erleben. Das In-Resonanz-Gehen und archaische Wohlfühlen, dort, wo wir hingehören, spricht stark unsere Emotionalität an. Und da sind wir bei der Körperlichkeit …

Wenn wir über die heilende Wirkung der Berge reden, welche körperlichen Vorgänge meinen wir dann genau?

Im Zentrum steht das Limbische System – die Region im Gehirn, die unsere Emotionen verarbeitet. Viele Menschen sind im Alltag emotional blockiert. Wir sind zu oft im Funktionsmodus unterwegs: Wir tun Dinge in der Regel nicht für uns selbst, die Dinge sollen möglichst schnell und unkompliziert funktionieren; wir stellen oft unsere eigenen Emotionen und Bedürfnisse zurück. Die unterdrückten Emotionen verschaffen sich anders Ausdruck, mitunter durch plötzliche und gravierende Erkrankungen.
Ein wesentlicher Punkt ist dabei: Durch die Aktivierung des Limbischen Systems werden emotionale Blockaden gelöst und Menschen bekommen wieder Zugang zu ihrer eigenen Emotionalität.
Die wichtigste gesundheitsfördernde Wirkung ist die Stimulation des Parasympathikus. Die findet schon in dem Moment statt, wo ich mich einfach in die Natur setze. Und der Effekt lässt sich enorm steigern, wenn man aktiv in die Interaktion mit dem Naturraum geht. Also durch Sport, am besten in entspannter, aerober Form. Ist man nur im anaeroben Modus unterwegs, hat man vielleicht eine Endorphinausschüttung erreicht, doch die gesundheitsfördernden Wirkungen durch die Stimulation des Parasympathikus sind nicht so ausgebildet. Moderater Ausdauersport, der durchaus auch mal in die Belastung geht, ist Parasympathikus-stimulierend, weil man nicht permanent in der vollen Belastung ist.

Welche Aktivitäten am Berg empfehlen sich in diesem Zusammenhang besonders?

Gemeint sind moderate Bewegungen wie beim Wandern oder durchaus auch beim Klettern. Auch Achtsamkeitsübungen oder Techniken wie Yoga … bei der Durchführung in der Natur potenziert sich der gesundheitsfördernde Effekt.
Zu den körperlichen Auswirkungen, die in Studien nachgewiesen wurden, gehören die Senkung der Stresshormone, die Senkung von Blutdruck und Puls, eine bessere Schlafqualität. Hinzu kommen psychische Effekte: Wandern wirkt sich beispielsweise nachweislich stimmungsaufhellend und angstmindernd aus; die Entscheidungsfähigkeit wird verbessert, das Selbstvertrauen erhöht.

Was ist in Bezug auf solche Erlebnisse das Besondere an den Bergen? Darf’s auch „andere Natur“ als die Berge sein?

Im Grunde kann es erst einmal jede unberührte, unverfälschte, ehrliche Natur sein. Auch die Wüste, das Meer, die Arktis. Wichtig ist, dass der Mensch in der Lage ist, mit dieser Art von Natur in Resonanz zu gehen. Die einen erleben tiefe Gefühle am Meer, andere in den Bergen. Das hängt auch damit zusammen wo ich aufgewachsen, wie ich sozialisiert bin.
Die Besonderheit der Berge ist für mich die besondere Symbolkraft. Berge sind auch so etwas wie Persönlichkeiten, sie haben ihren eigenen Charakter. Es geht soweit, dass sich vielleicht sogar einzelne Menschentypen bestimmten Bergen zuordnen lassen.
Und sicher nicht umsonst haben wir auch eine sprachliche Landschaft voller Berg-Metaphern. Denken wir nur an „eine Gratwanderung“, „es geht bergauf“, „in Abgründe blicken“, „ein Bergfest feiern“ …
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Weitere Informationen gibt es bei unserem Partner Bergader.