Kletterer in einer Verschneidung
Schöne, lange, anspruchsvolle Kletterei auf einen herrlichen Gipfel: „Lange Verschneidung“ (Dlouhý kout). Foto: Mike Jäger
Klettern in Adersbach

Do Ádru!

Wilde Sandsteinklettereien für Unerschrockene: Dem tschechischen Klettergebiet Adersbach (Adršpach) eilt ein besonderer Ruf voraus. Wer sich dort die Wege durch die berüchtigten Risse gebahnt hat, kann das nur bestätigen – und wird von der Schönheit des Gebiets begeistert sein.

„Du musst mal mit nach Adersbach kommen“, versucht mich mein Freund Uwe immer wieder zu überreden. Das sei das schönste Klettergebiet, das man sich vorstellen könne. Er schwärmt von den hohen Türmen, von den Kletterlinien, dem Bier und dem Flair in den böhmischen Kneipen. Doch für mich ist das Elbsandsteingebirge, wo ich lebe und klettere, das schönste Klettergebiet. Für mich gibt es nichts Besseres. Die Masse der Felsen mit abwechslungsreichen Routen reicht für mehrere Kletterleben und füllt mich ganz und gar aus. Uwe schafft es dann doch, mich zu überzeugen, Adersbach einen Besuch abzustatten: „Es gibt von dort in Anbetracht der tollen Klettereien kaum gute Kletterfotos.“ Ich bin leidenschaftlicher Fotograf und liebe es, im Sandstein zu klettern und zu fotografieren. Also: „Do Ádru! Auf nach Adersbach!“

Bizarres Felsenlabyrinth

Die Adersbacher Felsenstadt bei Trautenau (Trutnov) ist ein viel besuchter Tourismusort in Tschechien. Die Felsen sind berühmt für ihre Höhe und ihre eigentümlichen Formen. Hunderte und Aberhunderte steinerne Türme stehen wie Wolkenkratzer im Spalier, ein schieres Labyrinth aus Sandstein. Die Wahrzeichen der Adersbacher Felsenstadt, die Gipfel Bürgermeister (Starosta), Bürgermeisterin (Starostová) und Liebespaar (Milenci), sind bis zu hundert Meter hoch. Schon vom Dorf Adersbachm(Adršpach) aus sieht man die ersten spektakulären Sandsteinformationen. Unglaublich, fast unwirklich ist der Anblick der unzähligen steinernen Türme. König (Král), Königin (Královna), das Schloss (Zámek) und viele mehr ragen weit über die Bäume und scheinen unbesteigbar.

Böhmisches Flair und gigantische Felsen – das ist Adersbach. Foto: Mike Jäger

Uwe präsentiert mir einen Kletterweg nach dem anderen, es sind hauptsächlich Risse. Seine Augen leuchten begeistert und er preist die Klettereien. Ehrfürchtig stehen wir unter der „Weißen Rose“ am Gipfel Teppiche (Bílá růže, Koberce), Uwe zeigt mir den „Blauen Riss“ am Goliath (Modrá spára, Goliáš), den „Blutigen Riss“ am Henker (Krvavá, Kat), den Doppelgipfel Liebespaar (Milenci), der wie ein eigenes kleines Gebirge wirkt, die „Sturzkante“ an der Guillotine (Hrana pádů, Gilotina), die so glatt aussieht, eigentlich nicht kletterbar, und noch vieles, vieles mehr. Er erzählt von der Erstbegehung des „Talweges“ am Wartturm (Údolní, Hláska). Für Adersbacher Verhältnisse stecken hier ungewöhnlich viele Sicherungsringe im Fels, die ersten drei auf der linken Rissseite, und weil das rechte Knie des Erstbegehers, an dem verklemmt er die Ringe bohrte, aufgescheuert war und schmerzte, musste er die oberen drei am linken Knie hängend rechts vom Riss schlagen. Ich bin überwältigt, aber auch überfordert von den vielen Informationen und Eindrücken.

Sandstein ist nicht gleich Sandstein

Der Adersbacher Sandstein unterscheidet sich stark vom Elbsandstein: Griffe und Tritte, die man beim Klettern normalerweise zum Hochsteigen an den Felsen nutzt, gibt es kaum. Die einzigen Strukturen sind ungewöhnlich glatte, senkrechte Risse und Kamine. Klemmen und Stemmen sind erforderlich, was körperlich und technisch sehr anspruchsvoll ist. Das weiß ich alles. Aber dass es so kompromisslos sein würde, war mir nicht klar. Sicherungsringe sind noch seltener als in der Sächsischen Schweiz. Mehr als 2000 Türme sind bestiegen, es gibt über 6700 Kletterrouten.

Wegen fehlender Absicherung ist höchste Konzentration gefordert

Ich klettere alleine einige kurze, leichte Wege nahe dem Zeltplatz. Das ist aber nicht befriedigend. Deswegen besucht man doch nicht dieses phänomenale Klettergebiet. Etwas oberhalb des Camps befindet sich der Klettergipfel Adler (Orel) mit dem beeindruckenden „Adlerriss“ (Orlí spára), steil und schwierig – und kein einziger Sicherungsring. Ich stehe darunter und weiß: „Das kann ich nicht klettern.“ Hier ist der falsche Mann am falschen Platz.

Eine lange Verschneidung führt auf das Liebespaar (Milenci), eines der bis zu hundert Meter hohen Wahrzeichen der Adersbacher Felsenstadt. Foto: Mike Jäger
Misserfolge sind keine Seltenheit

Ernüchtert fahre ich mit meiner Familie unverrichteter Dinge wieder nach Hause. Ich bin frustriert. Aber die Bilder im Kopf von den Türmen und den phänomenalen Klettereien nagen in mir. „Das kann es doch nicht gewesen sein!“. Was tun? Auch im Elbsandsteingebirge gibt es tolle Risse und was liegt näher, als sich daran auf die Klettereien in Adersbach vorzubereiten. Also üben und klettern meine Frau Annett und ich Risse und Risse und Risse. Zwar habe ich mit Uwe den besten Kenner des tschechischen Gebietes, weil der schon zu DDR-Zeiten ganze Sommer dort verbrachte, aber wir wollen uns das Gebiet selbstständig erschließen. Wir kaufen einen Kletterführer und ein Tschechisch-Wörterbuch, übersetzen die wichtigsten Begriffe (spára – Riss, kruh – Ring, na vrchol – zum Gipfel) und beginnen, an kleineren, übersichtlichen Felsen kurze, vermeintlich leichtere Risse zu klettern. Wieder und wieder verbringen wir unsere Urlaube in Adersbach. Nach und nach kommen wir immer mehr hinein ins Rissklettern. Dabei behalten wir immer den Respekt. Wir besteigen die hohen, anspruchsvollen Felsen, kämpfen in Rissen und glatten Kaminen. Misserfolge sind keine Seltenheit. Umso schöner sind die Erfolge. Um ein am Vortag verklemmtes Seil zu bergen, klettern meine Frau und ich ein zweites Mal gemeinsam aufs Liebespaar – wie schön! Für den „Adlerriss“ knüpfe ich einen extra dicken Knoten zur Sicherung. Auf dem Gipfel bin ich froh, so lange geübt und auf eine gute Kletterform gewartet zu haben. Keuchen und Fluchen in engen Spalten und Qualen in scheinbar endlosen Schulterrissen gehören dazu. Ruhetage sind notwendig und werden genutzt, Risswunden zu pflegen. Die Kinder können in den Felsen spielen und Blaubeeren pflücken und sind genauso glücklich wie wir.

Haben keinen „Minderwertigkeitskomplex“ – Petr John und David Fajt in der besagten Route (Mindrák, Harfa). Foto: Mike Jäger

Einer der eindrucksvollsten Risse in der Adersbacher Felsenstadt ist der wie mit dem Messer geschnittene „Schlangenriss“ (Hadí spára) am Sojka-Stein (Sojčí kámen). An diesem Riss kommt man jedes Mal vorbei, wenn man auf dem touristischen Rundweg durch die Klamm der Felsenstadt wandert. Der Einstieg ist immer nass, in der Schlucht herrscht eine Art Kellerklima, die warme Luft kondensiert am kalten Fels. Und jedes Mal stelle ich fest: „Schade nass“ – und kann beruhigt vorbeigehen und habe die Rechtfertigung, nicht einzusteigen. Doch eines Tages ist die Kontrolle der ersten Klemmstelle gut. Ein kühler Wind hat den Fels getrocknet. Da rutscht mir das Herz in die Hose. Die Herausforderung und die Chance, den Riss klettern zu können, sind so unvorhergesehen, dass ich kneife und schnell weiterziehe.

Einige Zeit später, der Gedanke an den „Schlangenriss“ hat mittlerweile Besitz von mir ergriffen, ist der Einstieg erneut trocken. Bei solchen Risslinien bin ich gerne ganz allein, Sicherungsmöglichkeiten gibt es ohnehin nicht. Ich binde mir ein Seilende um die Hüfte und klettere los – das andere Ende mit dem im engen Riss hinderlichen Gurt und Abseilachter bleibt am Boden, um es später hochzuziehen und daran abzuseilen. Anfangs ist es ein leicht geneigter Handriss, an einem unscheinbaren Knick wird der Riss senkrecht und weitet sich zum Schulterriss. Das ist die erste Schlüsselstelle. Hand und Faust klemmen nicht mehr. Das Knie geht noch nicht in den Riss hinein. Mit beherztem Klettern schaffe ich die Stelle. In einer seichten Risserweiterung kann ich mich etwas ausruhen. Eine leichte, kaum wahrnehmbare Verschmälerung des Risses erfordert eine gute Fußtechnik. Die Schwierigkeit ist nicht extrem, erfordert aber wegen der fehlenden Absicherung höchste Konzentration. Das Bedürfnis nach Sicherheit lässt mich tiefer in den Spalt gehen, als gut wäre.

Auf einmal fängt es an zu regnen. Aus einzelnen Tropfen wird ein richtiger Guss. Sofort ist der ganze Fels nass. Ich versuche weiterzukommen, mein Ziel ist ein kleiner Knubbel auf der linken Seite des Risses, von dem ich mir Halt verspreche. Mit ausgestreckten Fingern erreiche ich den Knubbel, aber auch er ist nass und glitschig und ich komme damit nicht höher. Es scheint aussichtslos.

Nach jedem Versuch rutsche ich ein Stück zurück, wo das Knie wieder klemmt und ich mich ausruhen kann. Es ist unmöglich, zurück zu klettern und ich kann nicht ewig in dieser Position verharren. Was macht man an einer solchen Stelle? Ich versuche mich zu drehen und mit der anderen Körperseite in den Riss zu kommen. Es klappt. Und jetzt, mit der linken Körperseite im Riss verklemmt, komme ich höher. Der Riss ist durch die Nässe schmierig und sehr, sehr schwierig zu klettern. Trotz größter Anstrengung rutsche ich immer wieder ein kleines Stück zurück. Dann endlich weitet sich der Riss und mein Körper passt so weit hinein, dass ich sicher bin. Aber es ist immer noch so unglaublich mühsam, sich Millimeter für Millimeter in dem schmalen nassen Spalt nach oben zu winden.

Der Ausstieg ist trocken, weil der Riss hier etwas überhängt. Auf dem Gipfel scheint sogar die Sonne. So richtig freuen kann ich mich nicht über die sechste Begehung des Kletterweges. Dazu bin ich viel zu erschöpft. Aber ich weiß, dass ich ab jetzt nicht mehr prüfend in den Einstiegsriss greifen muss.

Klettern in Adersbach

Das tschechische (Riss-)Klettergebiet Adersbach liegt knapp 300 Kilometer östlich von Dresden, sächsische Kletterer haben die Felsen erstmals 1923 erschlossen. Aufgrund der sehr spärlichen Absicherung ist das Klettern äußerst anspruchsvoll und ohne Begleitung von Gebietskundigen nicht empfehlenswert. Die Schwierigkeitsbewertung ist härter als in Sachsen, Sicherungsringe sind rar. Es gelten, etwas modifiziert, die Sächsischen Kletterregeln, u.a.: kein Magnesia, Absicherung nur an vorinstallierten Ringen und mit Schlingen. Keine Friends oder Klemmkeile!

Das Klettern ist in den Adersbacher Felsen in der Zeit vom 30. November bis zum 1. Mai nicht erlaubt. Einige Gebiete sind aus Naturschutzgründen sogar erst ab dem 1. Juli geöffnet.

Anreise: Die Anreise per Zug oder Bus ist möglich, aber lang: von Dresden rund 7 Std.
Vor Ort gebührenpflichtige Parkplätze, das Naturschutzgebiet Adersbach-Weckelsdorfer Felsenstadt (Adršpašsko-teplické skály) ist nur über ein gültiges Ticket zugänglich (130-200 CKR je nach Saison). adrspasskeskaly.cz/de, adrspach.cz

Unterkünfte: In und um Adersbach gibt es mehrere Zelt- und Campingplätze und auch Pensionen. campingplatze.cz

Literatur:

  • Jan Žwak, Stanislav Lukavský: Adršpach I. Frisch erschienener Kletterführer

  • Bohomil Sýkora: Mut und Kraft. Die Eroberung der Adersbacher Felsenwelt, 2017

  • Informationen zu den Felsen, Kletterregeln und Felssperrungen: piskari.cz/de/adrspach

Weitere Aktivitäten:

  • Wanderung durch die Felsenstadt: kurze oder längere Tour durch die Sandsteinriesen. Die Felsenstadt zählt zu den meistbesuchten Naturschönheiten Tschechiens.

  • Besichtigung Schloss Adersbach mit Klettermuseum und Flachs- und Webereiausstellung

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