Gratkletterei in der 9. Länge der Fahrradlkante
Gratkletterei in der 9. Länge der Fahrradlkante. Foto: Thomas Bucher
Genuss-Klettertour im Wetterstein

Klassiker: Fahrradlkante

Das Oberreintal im Wettersteingebirge ist ein Ort wie geschaffen für Kletterer. Steil und zahlreich ragen ringsum die Felswände auf, das Gestein ist fest und griffig, tolle Routen gibt es viele. Aber Vorsicht: Der Ort ist in vielerlei Hinsicht besonders. Was dort Genussroute heißt, treibt andernorts den Angstschweiß auf die Stirn. Und so geht es auch mit der Fahrradlkante. Wer sie genießen möchte, braucht alpine Erfahrung und Können.

Die Besonderheit des Oberreintals hat viele Gesichter. Eines zeigt sich gleich beim Zustieg. Der ist nämlich ausgesprochen lang und eigentlich nur mit dem Fahrrad erträglich – zumindest, wenn man plant, eine der Routen dort an einem Tag zu machen. Freilich bietet sich auch eine Übernachtung auf der Oberreintalhütte an. Aber da ist gleich die nächste Besonderheit: Die begehrten Platze sind rar, und das Essen ist selbst mitzubringen.

Die Fahrradlkante gehort zu den leichteren Routen im Gebiet. Aber sie fordert all das, was typischerweise im Oberreintal gefordert wird: Ein Auge für die Routenfindung, Erfahrung im Umgang mit mobilen Sicherungsmitteln, Gelassenheit auch ein paar Meter über der letzten Sicherung und ganz generell die Lust, in alpinem Gelände unterwegs zu sein. Trotz des Etiketts „Genusstour“ stecken nämlich in den Seillangen meist nur ein bis zwei Haken, und der Abstieg gestaltet sich samt Abseilpiste auch etwas alpiner. Wer all das gerne in Kauf nimmt, wird in der Fahrradlkante mit ausgesprochen schöner Kletterei an überwiegend festem und griffigem Fels belohnt. Und bis auf ganz wenige Stellen ist das Gestein sogar noch rau. Stellt sich beim genüsslichen Vorbeiklettern nur noch die Frage: Was macht das alte Radl mitten in der Tour? Hierzu nur so viel: Auch das ist typisch fürs Oberreintal – es ist eben besonders.

Routenverlauf der Fahrradlkante am Oberreintalturm. Foto: Thomas Bucher

Fahrradlkante - Stück für Stück

Blick ins Oberreintal mit der Zugspitze im Hintergrund. Foto: Jörg Bodenbender

1. Vom Skistadion zum Einstieg

Skistadion (730 m) – Einstieg (1800 m), 1200 Hm ↗, 130 Hm ↘, 12,5 km Distanz, davon 9,6 km mit dem Rad, 3 ½ Std. (zu Fuß ca. 1 Std. mehr)

Vom Skistadion Richtung gleichnamiger Klamm, nach rund 800 Meter rechts hinauf Richtung Partnachalm. Nach der Alm auf einem Forstweg in einigem Auf und Ab und an einigen Abzweigern vorbei Richtung Reintal und Reintalangerhütte. Nach einer knappen Stunde Fahrzeit (Gehzeit eher 2 Std.) kommt von links der Forstweg von der Partnachklamm herauf, der zu Fus eigentlich kurzer ist. Die Klamm öffnet aber erst um acht Uhr und ist fur Kletterer daher meist uninteressant. Nun bis zum Abzweig zur Oberreintalhütte, dort Radldepot, und eine Stunde auf steilen Serpentinen zur Hütte. Dahinter rechts uber Wiesen hinauf, bald munden die diversen Steigspuren in einen gut sichtbaren Pfad. Der überwindet die Steilstufe ins Oberreintalkar geschickt mit einer Linksquerung. Im Kar selbst in zehn Minuten linkshaltend zur beeindruckenden Oberreintalturm-Westwand. An deren rechtem Rand zieht eine Kante empor. Der Einstieg ist unübersehbar: 40 Meter oberhalb befindet sich am ersten Stand der Route ein blaues Radweg-Schild.

Relikt: Das Fahrradl in der Fahrradlkante hängt am Beginn der 7. Seillänge in der Wand. Foto: Thomas Bucher

2. Die Route bis zum Rad

Die Route startet etwas rechts der Kante. Schrofig und leicht gestaltet sich die erste Seillange, die zweite ist dann aber gleich mal steil und herrlich griffig. Die dritte Lange geht original rechts herum durch eine schrofige Rinne, ist aber direkt an der Kante viel schöner. Haken gibt es dort keine, aber mobile Sicherungsmittel lassen sich gut anbringen. In der vierten Lange sollte man am Ende einer markanten Rinne an einem Bohrhaken die Abzweigung nach links zum nächsten Stand nicht verpassen. Durchaus zum Hinlangen dann eine kurze Piaz-Passage in der fünften Lange, die auch Fünfminus sein konnte – in den Topos bleibt’s ein Vierer. Und dann kommt die Schlussellange, die sich geschickt erst rechts an der Kante und dann linksquerend durch steiles Gelände zum nächsten Stand schlängelt. Direkt vor dem Stand befindet sich die luftige Schlusselstelle, wo es heist, aus einer Verschneidung heraus einen großen Griff links ums Eck zu erreichen. Und direkt rechts über dem Stand hangt das weithin bekannte und ziemlich in die Jahre gekommene Fahrradl in der Wand.

Aussicht am Stand in den Talkessel des Reintals. Foto: Thomas Bucher

3. Vom Rad zum "Gipfel"

Die nun anstehende siebte Länge konnte durchaus die geheime Schlüsselpassage der Tour sein. Fordernd sind gleich die ersten Meter vom Stand weg, wo es senkrecht (IV+) rechts aufwarts eine Rissverschneidung entlang geht (und nicht links hinauf, wie das bergsteigen.com-Topo nahelegt) – Haken und Sicherungsmöglichkeiten gibt es nicht, etwas Mut ist nötig. Im weiteren Verlauf der Lange lassen sich mobile Sicherungsgerate gut unterbringen. Der nächste Stand befindet sich etwas versteckt nach rund 40 Metern auf einem Absatz. Von dort fehlen nur noch 20 Meter zum Grat und einem schonen Stand in einer kleinen Scharte. Jetzt sind es noch zwei Seillangen am teils sehr luftigen Grat. Eine Passage sieht noch einmal richtig schwierig aus, fordert dann aber doch „nur“ den vierten Grad – und beherztes Klettern bei mäßiger Sicherung. Die letzten 150 Meter ab einem sehr geräumigen Stand sind recht einfach, aber ganz hinten raus etwas unübersichtlich. Für die genaue Wegführung sind alpine Erfahrung und ein geschultes Auge hilfreich. Einen echten Gipfel gibt es übrigens nicht, nur einen vorläufig höchsten, latschenbewachsenen Punkt im Grat vor einer Scharte.

Blick in Richtung der Schlüsselseillänge der Fahrradlkante. Foto: Thomas Bucher

4. Der Weg zurück zum Einstieg und zum Skistadion

Oberreintalturm (2027 m) – Skistadion (730 m), 1430 Hm ↘, 130 Hm ↗, 13 km Distanz, davon 9,6 km mit dem Rad, knapp 3 Std. (zu Fuß 1-2 Std. mehr)

Vor der Scharte führen Steigspuren steil und an einem Felsenfenster vorbei in eine große Rinne hinab. An deren linkem Rand geht es bis zur ersten Abseilstelle. Alle 25 Meter kommt nun ein Abseilstand, und wer alle mitnimmt, landet nach fünf Abseilern in einem Felsentrichter, der mit Blöcken von einem jungen Felssturz (Sommer 2022) aufgefüllt ist. Im Abstiegssinne rechts draußen befindet sich die letzte Abseilstelle. 50 Abseilmeter leiten direkt zum Einstieg zurück. Der restliche Abstieg ist vom Aufstieg bekannt. Etwas nervig für Radlfahr*innen sind die zwei Gegenanstiege, die sich auf rund 130 Höhenmeter summieren.

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