Immer mehr Menschen zieht es zum Sportklettern (von der Halle) nach draußen. In den letzten zwei Jahren hat sich pandemiebedingt der Andrang in den Klettergebieten noch verstärkt. Im Vergleich zu anderen Bergsportdisziplinen hat das Sportklettern zwar ein geringes Unfallrisiko, beim Klettern in der Natur aber ist das Gefahrenpotenzial komplexer und größer. Denn die Natur ist kein standardisiertes Sportgerät und es gibt einige Unterschiede zum Hallenklettern. Der DAV Sicherheitsforschung werden regelmäßig Unfälle beim Felsklettern gemeldet, daraus lassen sich Verhaltensmuster und typische Fehlerquellen erkennen. Sicherheitsmanagement und Gefahrenbewusstsein helfen, die Risiken zu begrenzen.
Risikobewusst am Fels
Partnercheck und Teamsetup
Gewichtsunterschied klären und gegebenenfalls Maßnahmen ergreifen
Sicherungskompetenz und Tagesform berücksichtigen
Kommunikationsregeln vereinbaren – Kommandos „Zu“ und „Ab“
Partnercheck wie bekannt: Gurte und Gurtverschlüsse, Anseilpunkt und Anseilknoten, Karabiner und Sicherungsgerät, Seilende mit Knoten fixiert?
Routenbeurteilung
Felsqualität abschätzen
Absicherung: Hakenqualität, Hakenabstände, Qualität von Fixexen (Schlinge intakt? Karabinerfunktion, scharfe Kanten?)
Wo und wie besteht Bodensturzgefahr? „No Fall“-Zonen? Zusätzliche Absicherungsmöglichkeiten: mobile Sicherungsmittel, Sanduhren, Bäume …
Evtl.: Kritische Haken mit Clipstick vorhängen, Schlingen verlängern für Rotpunktversuch
Umlenkung besonders kritisch beurteilen: Darf auf keinen Fall versagen, da einziger Sicherheitspunkt beim Abbauen
Umlenkung überhaupt vorhanden? Geeignet zum Ablassen, oder eher Abseilen? Seillänge ausreichend?
Geländeformen (Absätze, Bänder, Vorsprünge) und Seilverlauf berücksichtigen. Ggfls. Zwischensicherungen verlängern
Genügend Exen (lieber ein paar mehr) mitnehmen + Verschlusskarabiner zum Umbauen
Beim Klettern
Fragwürdige Griffe testen (klopfen, vorsichtig belasten, rütteln)
„Einfädeln“ (Seil am Bein) vermeiden (Überschlag)
Besondere Aufmerksamkeit in Passagen, wo man nicht stürzen „darf“ (s. Abb. 1). Dort nur „reversibel Klettern“ (Bewegung lässt sich rückgängig machen) oder wenn Sturz sehr unwahrscheinlich. Richtige Selbsteinschätzung wichtig.
Clippen aus stabiler Position
Exen richtig einhängen: Schnapper weg von Kletterrichtung, Seil weg vom Fels
Sichernde Person warnen vor heiklen Passagen mit Sturzgefahr
Absicherung
Die Absicherung ist nicht überall gleich gut. Hakenabstände sind nicht (wie in der Halle) standardisiert, meist sind sie größer. Qualität von Gestein und Fixpunkten variieren. Es gibt keine gesetzliche Verpflichtung für eine regelmäßige Überprüfung von Fixpunkten. Daher ist man beim Klettern eigenverantwortlich unterwegs, Keile und Friends sind gelegentlich sinnvoll. Hinweise zur Absicherung gibt ein (aktueller!) Kletterführer. Aber Achtung: Was in einem Gebiet als „gut abgesichert“ gilt, kann in einem anderen eine „Abenteuerroute“ sein! Immer wieder kommt es zu schweren Verletzungen durch Bodenstürze: vor dem ersten Haken oder bei weiten Hakenabständen in Bodennähe (hier unbedingt Stürzen beim Clippen vermeiden). Auch Erfahrene können durch eine kleine Unachtsamkeit, Abrutschen, Griff- oder Trittausbruch, verschmutzte Schuhsohle oder schlichtweg Überforderung stürzen.
Sturzrisikocheck
Deswegen sollte immer eine Art „Sturzrisikocheck“ vor dem Losklettern durchgeführt werden: Wo sind die Hakenabstände besonders weit, wann wäre ein Sturz gefährlich zum Beispiel durch Bodensturzgefahr oder ungünstiges Gelände wie Absätze und Vorsprünge (Abb. 1). Bis zum ersten Haken wird gespottet – situationsspezifisch, also abhängig von Gelände, Hakenhöhe und Gewichtsunterschied. Wichtig für den Sichernden: Genügend Seil bis zum ersten Haken vorbereiten!
Um einen Bodensturz vor einem hohen ersten oder weit entfernten zweiten Haken zu verhindern, kann man diese per Clipstick vorhängen. Vor allem in Bodennähe ist Schlappseil zu vermeiden: Schnell und präzise die richtige Seilmenge ausgeben, nach dem Clip sofort Überschuss einholen. Eingehängt wird normalerweise aus einer stabilen Position im „Clippfenster“ (Haken in Höhe der Hüfte bis Stirn) – Bei einer guten Position geht es manchmal auch schon früher, denn oft sind die schwierigsten Passagen direkt am Haken oder kurz danach. Steife „Verlängerungsexen“ („Panik-Exe“, „Damenretter“) helfen kleineren Personen bei hoch gesetzten Haken (oft werden die Haken bei der Erstbegehung von großen Personen so platziert, dass diese sie mit gestrecktem Arm einhängen können). Beim Über-Kopf-Clip ist allerdings doppelte Aufmerksamkeit angesagt, denn ein Sturz beim Clippen aus tiefer Position mit ausgezogenem Seil endet auch tiefer. Für den zweiten Versuch oder weitere Kletternde kann man heikle Stellen durch verlängerte Exen entschärfen (Abb. 2).
Auch vermeintlich sichere Zwischensicherungen können versagen: Allein 2020 wurden der DAV Sicherheitsforschung fünf Sportkletterunfälle gemeldet, bei denen Haken oder der Fels (z.B. Sanduhren) versagten. Zur Erkennung und Bewertung fragwürdiger Fixpunkte informiert der Beitrag „Achtung Ausreißer“ (DAV Panorama 2/21), zur Hakenkorrosion der Artikel „Bohrhaken-Material-Korrosion“ in bergundsteigen #107; die DAV-Bohrhakenbroschüre [ca. 13 MB] liefert ausführliches Hintergrundwissen und eine technische Anleitung zum Setzen von Bohrhaken.
Felsausbruch
Frostsprengung (Achtung im Frühling!) oder Veränderungen des Wasserverlaufs durch Schwund von Vegetation können Strukturen lockern. Weiß man, dass das Gestein nicht überall bombenfest ist, oder dass über der Wand ein Wanderweg entlangführt, schützt ein Helm. Sichern oder Pausieren sollte man immer außerhalb der „Steinschlagzone“. Vor allem bei überhängendem Gelände ist der sicherste Ort nahe an der Wand. Zum Testen eines Griffs oder Tritts klopft oder tritt man vorsichtig dagegen (ein hohler Klang verrät lockeres Gestein) und belastet vorsichtig nach unten (Achtung: nicht nach „außen“) aus einer stabilen Position (Dreipunktregel = drei Extremitäten stabil am Fels).
Wenn man mehrere „Stationen“ clippen will, um die Sturzhöhe zu reduzieren, droht beim Sturz Schmelzverbrennung der Schlinge (Textil auf Textil, roter Seilverlauf). Um zusätzlich zu clippen, nutzt man besser eine zusätzliche kurze Exe – oder eine lange Bandschlinge (siehe Abb. 3).
Unbeabsichtigtes Aushängen von Karabiner oder Seil
Ein erschreckender Unfallbericht: Ein Kletterer stürzt in einer langen Route in dreißig Meter Höhe rund eineinhalb Meter über der letzten Zwischensicherung. Der Sichernde ist aufmerksam und sichert ohne Schlappseil, trotzdem stürzt der Kletternde etwa zwanzig Meter weit und wird glücklicherweise kurz vor einem Absatz gebremst.
Was war passiert? Die beiden letzten Zwischensicherungen hatten sich beim Sturz selbständig aus den Haken ausgehängt. Grund: Sie waren mit der Schnapperöffnung in Kletterrichtung eingehängt (s. Abb. 3). Außerdem waren die hakenseitigen Karabiner der Exen zusätzlich mit einem Gummi fixiert (normalerweise fixiert man nur den seilführenden Karabiner), was deren Bewegungsspielraum eingeschränkt und das Aushängen zusätzlich begünstigt hatte.
Auch ungünstige Körperbewegungen (etwa Hängenbleiben mit dem Oberschenkel) können beim Überklettern einer Exe diese so drehen, dass sie sich aushängt oder in (engen) Hakenösen verkantet. Auch das Seil kann sich unbeabsichtigt aushängen, vor allem wenn es falsch herum eingehängt ist, also „von außen in Richtung Fels“ laufend.
Was also tun? Die Exe so in den Haken einhängen, dass die Schnapperöffnung entgegen der Kletterrichtung und (bei Ringen) weg vom Fels zeigt; das Seil „vom Fels weg nach außen“ clippen. An „neuralgischen“ Stellen oder wenn die Kletterrichtung nicht ganz klar ist, der nächste Haken weit entfernt und mit einem Sturz zu rechnen ist, kann man entweder zwei Exen gegenläufig clippen oder eine „Sicherheits“-Exe mit Schraubkarabinern (oder bei Belastung selbst verriegelndem Karabiner) verwenden.
Ablassen, Abseilen, Umbauen
Mit am häufigsten gemeldet werden Unfälle beim Ablassen oder Abseilen; sobald die Sicherungskette belastet ist, führen Fehler zwingend zum Unfall. Meistens rauscht ein zu kurzes Seilende durch das Sicherungsgerät und die kletternde Person stürzt auf den Boden. Auch totale Blackouts (etwa Abseilgerät falsch eingehängt, s. DAV-Panorama 4/20 „Abseilen: Das richtige Setup“) oder Kommunikationsfehler kommen vor und wirken sich fatal aus.
Typischer Fall: Wegen des (Alpinkletter-)Kommandos „Stand“ denkt die sichernde Person, die kletternde wolle abseilen, und nimmt sie aus der Sicherung; wenn diese sich dann ins Seil setzt, um abgelassen zu werden, stürzt sie ungebremst zu Boden. Deshalb muss die Seilschaft vor dem Losklettern absprechen, wie sie vorhat die Route abzubauen: Ablassen oder Abseilen. Erste Wahl beim Sportklettern ist immer das Ablassen. Dann sind auch nur die eindeutigen (Sportkletter-)Kommandos „Zu“ und „Ab“ nötig. Abseilen sollte man nur, wenn eine Bohrhakenlasche (kantig), eine Band- oder Seilschlinge oder ein Baum als Umlenkung fungiert – oder man spendiert dann einen Karabiner oder Maillon (Schraubglied), um bequem abgelassen zu werden. Wenn die Umlenkung nach hinten versetzt auf dem Felskopf liegt (etwa im Sandstein), ist Abseilen natur- und felsschonender. Vor dem Start klären, ob die Länge des Seils ausreicht, um bis zum Boden abzulassen.
Typische Fehler: Seil abgeschnitten und zu kurz für die Route. Oder: Start von einem etwas erhöhten Vorbau – sichernde Person steigt ab zum Wandfuß. Auch wenn die Route etwas abseits der Falllinie verläuft oder eine Verlängerung der ersten Seillänge geklettert wird, droht die Gefahr, dass beim Ablassen das Seil zu kurz ist. Einfache und effektive Gegenmaßnahme: Ein Knoten im Seilende verhindert, dass das Seil durch das Sicherungsgerät rutscht. Am besten einen Achterknoten oder doppelten Sackstich verwenden.
Fatale Fehler passieren oft beim Umbauen einer Route. Einen Partnercheck gibt es „dort oben“ nicht, deshalb immer: Selbstcheck/Doppelcheck und das Prinzip der Redundanz beachten – lieber doppelt gesichert als gar nicht! Die ganze Sicherungskette, zumindest die letzte Zwischensicherung – und der Stand – sind eingehängt als Backup, falls sich die Selbstsicherung aushängen sollte. Nach dem Umbauvorgang unbedingt „Belastungstest“ („auf Zug gehen“) mit dem eigenen Gewicht vornehmen, bevor man die Selbstsicherung entfernt (Spezialfall beim Umbauen einer langen Route, s. Abb.4).
Sicherungsfehler
Auch Sicherungsfehler können zu Unfällen führen: Fehler bei der Bedienung des Sicherungsgerätes oder Schlappseil, wie aus der Halle bekannt – aber auch aus den unterschiedlichen Rahmenbedingungen am Fels bedingt. So kann ein Stolperer beim Sichern – wegen unebenem, verblocktem, oder absturzträchtigem Gelände – die kletternde Person unsanft aus der Wand ziehen. Deshalb Sicherungsposition auf einer möglichst ebenen Fläche wählen, außerhalb der Steinschlaglinie. An Dächern und Kanten in Bodennähe kann man sich den Kopf anschlagen, wenn man vom Sturzzug hochgezogen wird. Und ungeeignetes Schuhwerk bedeutet erhebliche Verletzungsgefahr beim An-die-Wand-gezogen-Werden.
Unterschiedliche Geländeformen im Routenverlauf fordern viel Mitdenken und Erfahrung beim Sichern (s. Abb. 5). Um Anprallverletzungen auf einem Absatz oder einer Kante zu vermeiden, muss man mal kürzer, mal luftiger sichern. Viel Knicke und Kanten oder ein Zickzack-Routenverlauf bedeuten höhere Seilreibung und reduzieren den „wirksamen“ Gewichtsunterschied – aktiv-dynamisches Sichern wird wichtiger, aber auch schwieriger (s. DAV-Panorama 6/2016 „Gewichtsunterschiede beim Klettern“). Übrigens: Höhere Seilreibung entsteht auch, wenn man beim Sichern zu weit weg von der Wand steht, durch den spitzeren Winkel („Knick“) des Seils in der ersten Exe.
Materialversagen
Unfälle durch Materialversagen sind selten, aber möglich. Seile können durch scharfe Felskanten reißen oder in Karabinern (Fixexen, vor allem im Überhang, werden mit der Zeit scharf eingeschliffen); mehr in Panorama 5/2016, „Seilrisse“. Karabiner können brechen, wenn sie bei einem Sturz mit offenem Schnapper belastet werden. Unterschiedliche Mechanismen sind in Panorama 3/2017, „Wie brechen Karabiner“ beschrieben.
Beim Klettern darauf achten, dass nach dem Einhängen der Exe beide Schnapper (haken- und seilseitig) geschlossen sind und sich der Karabiner nicht ungünstig in einer (engen) Hakenöse verkantet. Gegebenenfalls eine Bandschlinge oder eine vernähte Kevlar- oder Dyneema-Rundschlinge in den Haken fädeln, und darin die Exe einhängen. Altes Schlingenmaterial (vor allem Bandschlingen) am Fels mit Vorsicht nutzen oder Backup anlegen (Panorama 4/2019, „Geht‘s noch?“).
Toprope am Fels einrichten
Auch bei Klebehaken ist Redundanz an der Umlenkung sinnvoll; zur Materialschonung verwendet man eigene Exen und Karabiner fürs Topropen. Wenn möglich, hängt man zudem noch die letzte Zwischensicherung als Backup ein. Zum Abbauen der Route fädelt man das Seil durch beide Ringe.
Umlenkung genau beurteilen, da sie (spätestens beim Abbauen) der einzige Sicherungspunkt ist.
Optimal: an zwei Fixpunkten; produktionsbedingte Mängel, Korrosion oder Setzfehler sind nie ganz auszuschließen.
Topropen an nur einem Fixpunkt in absoluten Ausnahmefällen (Pfalz, Franken etc.) nach positiver Beurteilung des Umlenkers möglich.
Sicherungsseitigen Seilstrang in letzter Zwischensicherung eingehängt lassen, wenn möglich und sinnvoll.
Umlenkung entweder mit einem Safelock oder zwei gegenläufigen Karabinern/Exen.
An eigenem Material topropen, um Fixmaterial (Haken, Ring, fixer Karabiner usw.) zu schonen.
Am Fels: langsam aufwärts
Jedes Sportklettergebiet ist anders. Unterschiedliche Haken- und Felsqualität und -anzahl, komplexe Geländeformen und Routenverläufe bergen Gefahrenpotenzial, dem man mit Wissen und Erfahrung risikobewusst begegnen kann. Es gibt Situationen, in denen Stürze unbedingt vermieden werden müssen! Deswegen: Mit Respekt zum Fels gehen.
Wenn man vom Hallenklettern kommt: erst einmal tiefstapeln, in niedrigeren Schwierigkeitsgraden Erfahrungen sammeln und sich langsam ans eigene Limit herantasten, um sich nicht in unangenehme Situationen zu bringen oder zu überfordern. Vor allem beim Umbauen und Ablassen ist Vorsicht geboten – alle Handlungsschritte ruhig, sorgfältig und redundant ausführen. Vor allem bei nicht ganz eingespielten Seilschaften mit unterschiedlichem Background (Alter, Gebiet, Herkunft, „Sporthängen“ oder „Alpinfuchs“) – aber nicht nur da – ist Kommunikation entscheidend! Immer gegenchecken, lieber einmal zu viel als zu wenig, denn vier Augen sehen mehr als zwei. Ist die Strategie beiden bekannt, kommt es weniger zu Missverständnissen.
Vor dem Einstieg werden immer alle relevanten Punkte (Gewichtsunterschiede, Reibung im Routenverlauf, heikle Stellen, loses Gestein, Routenlänge kompatibel mit Seillänge, Abbauen) besprochen und geeignete Maßnahmen ergriffen. Und dann heißt es: Ran an den Fels!